1910 -
Breslau
: Dülfer
- Autor: Jahn, Ernst
- Sammlung: Kaiserreich Geschichtsschulbuecher
- Schulbuchtyp (WdK): Hilfsbuch, Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Lehrerseminar
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Lehrerbildungseinrichtungen
- Schulformen (OPAC): Lehrerseminar
- Regionen (OPAC): Preußen
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
- Inhalt: Zeit: Neuzeit
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Zur deutschen Geschichte.
Lin hilfrbuch für da§ 5elbststudium und den Unterricht.
—In drei Teilen. 8—-
Dn übersichtlicher Darstellung bearbeitet
von
Ernst Jahn.
Zweiter Teil.
Vom Aufgang des Drelßlgjährigen Aneges bis zum Ende
der Freiheitskriege.
Breslau.
Druck und Verlag von Carl Dülfer.
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%
Preis brosch. 3,20 Mk., in Leinenband mit Titel 3,80 Mk.
Aiu /ö ) -2
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(Erjter Abschnitt.
Die Kolonijatioit der ostelbischen Deutschlands und die
Vorgeschichte der brandenburgisch preußischen Staates?)
8 I. Einwanderung der Slawen in das östliche Deutschland, Übersicht über
die slawischen Völkerschaften und kurze Lharakteristik der Kultur der Wenden.
I. Über die Besitzergreifung des ostelbischen Deutschlands
durch die Slawen weiß die Geschichte nichts Genaueres zu berichten.
Im Verlaufe der ostgermanischen Wanderung hatten die Germanen das
Land zwischen Weichsel und Elbe verlassen, und die Geschichtschreibung des
4. bis 9. Jahrhunderts vermag über die Geschicke dieser „geschichtlichen Ur-
heimat" unserer Vorfahren keine ausreichenden Nachrichten zu geben. Still
und geräuschlos haben sich slawische Völkerschaften des weiten, vermutlich zum
großen Teil verödeten Gebietes bemächtigt; nicht nach Art der gewaltigen
germanischen Völkerverschiebungen, sondern „langsam und schüchtern, in kleinen,
der Geschlechterverfassung der Hauskommunion angehörigen Volksteilen scheinen
die Slawen in die Fußtapfen der südwärts schreitenden Germanen getreten
zu sein". (Lamprecht.)
Das beginnende 7. Jahrhundert zeigt die fremden Einwanderer schon
an der Elbe und Saale, selbst bis nach Thüringen (Reichsslawen) und in die
Maingegend (Mainwenden) haben sich die westlichsten Vorläufer der Eindring-
linge vorgeschoben. Das östliche Holstein, die bisherige Heimat der von Karl
dem Großen fortgeführten Angeln, ist die letzte größere Erwerbung der vor-
dringenden Slawen. Karl überließ ihnen das Land Wagrien, um den noch
immer widerstandslustigen Sachsen die Hilfe der heidnischen Dänen abzuschneiden.
Ii. Unter den in das Gebiet zwischen Elbe und Weichsel ein-
gewanderten Slawen lassen sich vier Hauptgruppen unterscheiden.
i) Obgleich die Geschichte der Wiedergewinnung des östlichen Deutschlands für
das Deutschtum der Zeit nach dem Mittelalter angehört, ist ihre Darstellung dennoch
bis an den Anfang des Ii. Teils dieses Geschichtsbuches hinausgeschoben worden. Dies
geschah zunächst mit Rücksicht auf den Zweck des vorliegenden Werkes, welches vor allem
dem Geschichtsunterricht an Lehrerbildungsanstalten dienen soll. Die Lehrpläne für
Seminare vom 1. Juli 1901 weisen dem Geschichtsunterricht des ersten Seminarjahres
(Iii. Klasse) in der Behandlung der deutschen Geschichte bis zum Frieden von 1648 ein
Pensum an, welches nach Ansicht des Verfassers so umfangreich ist, daß es nicht wohl-
getan wäre, dem Klassenpensum auch noch die wegen ihrer grundlegenden Bedeutung
für das Verständnis der preußischen Geschichte so überaus wichtige und daher nicht kurz
abzufertigende Geschichte der Kolonisation Ostelbiens aufzubürden. Wichtiger noch als
dieses methodische Bedenken erschien dem Verfasser die Rücksicht auf den sachlichen Zu-
sammenhang der Geschichte der Germanisation Ostdeutschlands mit der Entwicklung des
brandenburgisch-preußischen Staates, um dessen Geschicke sich die gesamte neuere Geschichte
des deutschen Volkes bewegt.
Jahn, Zur deutschen Geschichte. Ii. Teil.
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Rückblick auf die Slawenpolitik der deutschen Kaiser des Mittelalters. 5
erstreckten sich weite, aus Unland bestehende Gebiete, in denen dle Slawen den
besten Schutz gegen feindliche Überfälle erblickten.
Die zahlreichen Gewässer des Landes boten mit ihrem Fischreichtum
die Möglichkeit eines müheloseren, dem slawischen Wesen mehr entsprechenden
Lebensunterhaltes als der harte Kampf gegen die Unkultur des Bodens. An
der Seeküste trieben die Wenden frühzeitig regen Handel, dessen Mittel-
punkt das auf der Insel Wollin gelegene Julin ward. „Die Anfänge des
Handels und der Industrie nahmen unter der Einwirkung der nun schon vor-
handenen slawischen Fürstengewalten die eigenartigsten Formen an.
Städtegründungen im deutschen Sinne erwiesen sich als unmöglich; dazu war
die Fürstengewalt nicht stetig genug entwickelt; sie vermochte keinen dauernden
Frieden zu wirken: die erste Lebensbedingung für den kapitalsammelnden,
kapitalsbedürftigen Bürger fehlte. So wenig wie die orientalischen Reiche
gegenüber den Hellenen, haben die Slawen gegenüber den Deutschen wirklich
städtisches Leben begründen können. Wohl aber vermochte die fürstliche Ge-
walt, die, obwohl unfähig allseitig in die Ferne zu wirken, doch ungemein
absolut eingriff, soweit der persönliche Wille des Fürsten sich unmittelbar zu
äußern verstand, der Industrie Schutz zu gewähren unter den neuen Hörigen
der Grenzhage. Hier, und später auch sonst im Lande, entstanden darum
ganze Kolonien höriger Handwerker, Dörfer, in denen eine Anzahl
von Arbeitern desselben Handwerks zusammensaß: noch heute gibt es tschechische
Ortsnamen wie Zernoseky (Mühlsteinschläger), Kolodejc (Radmacher), Mydlo-
vary (Seifenkocher), und innerhalb der schlesischen Fürstentümer wohnen nur
Drechsler in Schickwitz, Stellmacher in Jaurowitz, anderwärts Böttcher, Schuh-
macher, Korbmacher, Schmiede. Die Erzeugnisse dieser Kolonien aber wurden
durch fürstliche Agenten im Lande vertrieben: auch der Handel lag in der
Hand des Fürsten." (Lamprecht.)
§ 2. Rückblick aus die Llawenpolitik der deutschen Kaiser des Mittelalters.
Im frühen Mittelalter haben einzelne Kaiser die Eroberung
und Germanisation des Slawenlandes begonnen, ohne es jedoch
zu dauernden Erfolgen zu bringen.
1. Noch zur Zeit der letzten Merowinger befanden sich die wendischen
Völkerschaften in langsam gegen den Westen fortschreitender Bewegung. Die
deutschen Stämme der Thüringer und Sachsen, mit denen die Eindringlinge
zuerst in Berührung kommen mußten, scheinen sich in der Zeit, in welcher bei
ihnen noch der alte Götterglaube in ungebrochener Kraft herrschte, den Slawen
nicht unbedingt feindselig gegenübergestellt zu haben. Sobald aber unter den
Sachsen das Christentum festen Fuß gefaßt hatte, begann zwischen ihnen und
den Elbslawen (besonders den Völkerschaften der Liutizen) ein Vernichtungs-
kampf, der auf beiden Seiten mit entsetzlicher Wildheit durch mehr als ein
Jahrhundert fortgeführt wurde.
2. Karl der Große war der erste germanische Herrscher, der,
die slawische Gefahr erkennend, dem weiteren Vordringen der
Slawen ein Ziel setzte, indem er die Ostgrenze seines Reiches, von
der unteren Elbe bis zur Donau hinab, durch Marken schützte.
„Solche Mark war ein noch nicht in das Reich und dessen Gausystem
eingereihtes Vorland; es war eine kriegerische Okkupation in Feindesland mit
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Die Eroberung des heutigen Ostdeutschlands.
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für seinen Sohn erhielt. Als Pribislaw starb, verheimlichte dessen Witwe den
Unterhäuptlingen des Fürstentums ihres Gemahls Tod so lange, bis Albrecht
mit Heeresmacht eingerückt war, um sich des Landes zu bemächtigen (1150).
y. Gelegentlich des Kriegszuges Friedrich Rotbarts gegen Polen 1157
machte zwar ein Verwandter Pribislaws, Fürst Jaczo von Köpenick, den
Versuch, als Vasall des polnischen Königs im Kampfe gegen das vordringende
Deutschtum Pribislaws Erbe wiederzugewinnen, allein Albrecht der Bär, im
Bunde mit dem Erzbischof Wichmann von Magdeburg, wies den feindlichen
Einfall siegreich zurück, vertrieb Jaczo auch aus seinem eigenen Fürstentum
und schob somit die Grenze seiner Herrschaft ostwärts bis zur Havel und
Nuthe vor.
b. Albrechts I. Nachfolger Otto I., Otto Ii. und Albrecht Ii.
vermochten gegenüber der Eifersucht ihrer mächtigeren Nachbarn,
der Herzöge von Sachsen und der Erzbischöfe von Magdeburg, die
rasche Eroberungspolitik ihres Ahnherrn nicht fortzusetzen.
Heinrichs des Löwen Erfolge in Mecklenburg und Pommern nahmen
ihnen die Bewegungsfreiheit in der Richtung auf die Ostseeküste hin. Zwar
gelang es Otto I., die Pommernherzöge seiner Lehnshoheit zu unterwerfen,
Otto Ii. aber mußte für sich selbst die des Erzbischofs von Magdeburg an-
erkennen?)
e. Die Regierungszeit Johanns I. und Ottos Iii. dagegen
(1220—1266 bezw. 1267), deren Politik in wahrhaft brüderlicher
Eintracht durchaus im Dienste der zukünftigen Größe ihres Hauses
stand, gehört zu den glücklichsten Jahren askanischer Herrschaft in
der Mark. Als kühne Krieger und kluge Diplomaten gleich erfolgreich,
dehnten sie die Grenzen ihres Gebietes bis weit über die Oder nach Osten
hin aus?)
Überaus wichtig war es, daß sie die magdeburgische Lehnsherrlichkeit
abzuschütteln verstanden.
Zum Reiche unterhielten die beiden Fürsten ebenso wie ihre Vorgänger
und Nachfolger stets die besten Beziehungen, was ihrem Geschlechte schon 1182
mit der Verleihung der Erzkämmererwürde den Eintritt in die Reihe der kur-
fürstlichen Häuser eingebracht hatte und nun (1231) auch die Bestätigung der
Lehnshoheit über Pommern durch Kaiser Friedrich Ii. bewirkte.
Anmerkung. Die Spaltung des askanischen Hauses in eine jüngere und ältere
Linie (Salzwedel und Stendal) und die damit verbundene Teilung des gesamten Gebietes
in zahlreiche Grafschaften tat dem weiteren Wachstum des Gesamtterritoriums keinen
Einhalt, weil der jeweilige Geschlechtsälteste, den Verwandten übergeordnet, in seiner
Person die Einheit des askanischen Hausbesitzes darstellte; im Gegenteil kann man in
den vielfachen Teilungen des Landes, die jedem der Teilhöfe nur geringe Existenzmittel
boten, eher einen wirksamen Ansporn zu weiterer Ausdehnung des Gebietes und intensiverer
Kolonisation des bereits Erworbenen erblicken.
d. Unter den späteren brandenburgischen Fürsten askanischen
Geschlechts ragen besonders Otto Iv. (mit dem Pfeil) und Waldemar
der Große hervor. * *)
*) Allerdings wurde den Askaniern für diesen Verzicht auf die Reichsunmittelbar-
keit von ihrem neuen Lehnsherrn das Zugeständnis der Vererbbarkeit ihres Lehens auch
in der weiblichen Linie des Hauses gewährt.
*) Die Uckermark gewannen sie den Pommern ab, die Neumark und die Oberlausitz
erwarben sie durch Kauf.
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Die Germanisation des deutschen Ostens.
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waren, günstiger gestaltet. Wollten die Grundherren möglichst rasch beträcht-
lichen Nutzen aus ihren eben erst in Kultur genommenen Ländereien ziehen,
so blieb nichts anderes übrig als die „Heranziehung technisch besonders ge-
schulter Arbeitskräfte", die natürlich besser gestellt werden mußten als die
hörigen Bauern. Daher entwickelte sich in der sogenannten Landsiedel-
leihe eine neue Form der Bodenvergebung, welche den Beliehenen als ver-
erbungsberechtigten, lebenslänglichen Pächter in den Besitz eines wohlab-
gerundeten Hofgutes setzte, dessen Ackerfläche er allerdings erst urbar zu machen
hatte. Persönlich war der Leihbauer frei, sachlich dagegen war er zur Zahlung
eines verhältnismäßig geringen Pachtzinses verpflichtet.
Endlich waren die Bauern späterer Siedlungen des Mutterlandes auch
wirtschaftlich günstiger gestellt als in den ältesten Niederlassungen. Während
die altgermanische Siedlerhufe nur 29—30 Morgen betragen hatte, wurden
die Neubruchshufen viel reichlicher ausgemessen; erreichte hier schon die ge-
wöhnliche Volkshufe die Größe von etwa 80 Morgen, so waren die Land-
anweisungen des Königs an Adlige und Freie noch weit umfänglicher, denn
die Königshufe betrug nicht weniger als 47—50 Hektar (etwa 200 Morgen).
c. Dieselben Vorteile, deren sich die Ansiedler der später kultivierten
Gegenden des Mutterlandes erfreuen durften, boten sich auch den Kolonisten
der slawischen Gebiete dar: in wirtschaftlicher Beziehung der bedeutend
größere Hufenumfang, in sozialer Hinsicht die viel losere genossenschaftliche
Bindung und rechtlich die persönliche Freiheit. So darf es also nicht wunder-
nehmen, wenn die Aufrufe der fürstlichen Eroberer des Ostens zur Besiedlung
der einstweilen nur militärisch besetzten Slawenländer eine so zahlreiche und
nachhaltige Auswanderung zur Folge hatten. Die Fürsten riefen ihre deutschen
Volksgenossen ins Land, weil sie sich mit den Tributen der unterworfenen
Slawen nicht begnügen wollten, sondern durch Ansiedlung deutscher Bürger
und Bauern die Landeskultur zu heben und damit zugleich ihre fürstliche
Machtstellung zu stärken hofften; die Kolonisten folgten dem verlockenden Rufe
mit kühnem Wagemut, weil sich ihnen im fernen Osten die Aussicht auf eine
bessere Existenz bot. Und „nicht in blöder Unerfahrenheit wandten sich die
deutschen Siedler in die slawischen, die magyarischen Gegenden. In harter
Arbeit daheim hatten sie gelernt, neue Grenzen die Hänge des Urwaldes
emporzuziehen, gastlichen Rauch aufsteigen zu lassen im unbewohnten Tal, und
in einer wohltätigen sozialen und rechtlichen Emanzipation hatten sie die Kraft
gewonnen, sich und nur sich selbst anzugehören unter Aufgabe jedes genossen-
schaftlichen und herrschaftlichen Schutzes. Der herbe Mut des Auswanderers,
ohne die Verzweiflung des verschuldet ins Elend Getriebenen, beseelte sie:
gern zogen sie von dannen; lockend, wenn auch nicht ohne Züge saurer Mühe,
erschien ihnen die Zukunft; sie zweifelten nicht, ein besseres Los zu erringen.
Es ist die geistige Disposition, die den echten, den erfolgreichen
Auswanderer aller Zeiten geziert hat". (Lamprecht.)
Ii. Die Germanisation der brandenburgischen Lande
ist das typische Beispiel der Entstehung eines rein deutschen Kolo-
nialstaates auf slawischem Boden.
Kolonisation im Gebiete der unteren Elb^.
Nachdem bereits am Ende des s s. Jahrhunderts die wahrscheinlich schon von
Erzbischof Adalbert von Bremen beabsichtigte Kolonisation der großen Moore an der
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20 Kolonisation Ostdeutschlands und Vorgeschichte Brandenburg-Preußens.
(1—4 Schilling für die Hufe). Die Kirche erhielt den Zehnten von allen
Erträgnissen der Wirtschaft. An Diensten hatten die Bauern nur zu leisten,
was sich auf die Landesverteidigung und die Gemeindeangelegenheiten bezog
(Ausrüstung eines Kriegswagens, Vorspanndienste, Instandhaltung der Wege,
Brücken re.).
ö. Auch in rechtlicher Beziehung waren die bäuerlichen Ansiedler
unvergleichlich besser gestellt als ihre Standesgenossen in den Gegenden alter
Siedlung des Mutterlandes. Die Bauern eines Dorfes — nicht die kleinen
Leute, Einlieger, Kossäten rc. — bildeten eine freie Gemeinschaft, die
keinerlei grundherrlichem Hofrechte unterworfen war, die sich selbst unter
Leitung des Schulzen Recht sprach und ihre kommunalen Angelegenheiten völlig
selbständig ordnete: ohne Zustimmung der Gemeindeversammlung konnten Ab-
gaben und Dienstleistungen nicht geändert werden.
d. In ähnlicher Weise wie die Anlage von Dörfern vollzogen
sich städtische Neugründungen.
a. Während anfänglich wahrscheinlich nur drei Städte in der Mark
Brandenburg vorhanden waren, schossen unter der Herrschaft der Askanier
hunderte von Städten und Städtchen gleichsam aus dem Erdboden auf; selbst
adlige Herren, z. B. die von Putlitz und Friesack, beteiligten sich an solchen
Stadtgründungen. Wie bei der Entstehung der dörflichen Ansiedlung über-
nahm auch hier ein Lokator oder eine Gesellschaft von Lokatoren das Risiko
der Gründung. Der Unternehmer erhielt mehrere Freihufen, einen Anteil an
den Gerichtsgeldern, an der Haussteuer, den Einnahmen aus Gewerbe und
Handel und wurde mit der Stadtvogtei belehnt. Die sich ansiedelnden Bürger
bauten ihre Häuser möglichst eng aneinander um einen Marktplatz herum und
umgaben die ganze Anlage mit einem schützenden Mauerringe. Vom Markt-
platze gingen die engen, aber gradlinigen Straßen in typisch regelmäßiger
Anordnung aus. An jede Hausstelle schloß sich ein enger Wirtschaftshof an,
mit Raum für Ställe und Dungstätte, denn all diese neuen Stadtgründungen
waren zunächst Landstädte und ihre Bewohner Ackerbürger, die dem Stadt-
herrn für ihren Besitz die Haussteuer zahlten, wie die Bauern den Grundzins.
ß. „Die neue Gemeinde, »Bürger und Bauern«, wie sie sich wohl nach
ihrem unterschiedenen Nahrungsstand bezeichneten, brauchte für die Fülle von
städtischen Geschäften, die außer dem Bereich des Vogtes lagen, für die Polizei,
das Armenwesen, den Marktverkehr, das Gemeindegut rc. Personen, die nicht
so wie die Schöffen *) schon anderweitig beschäftigt waren. Wohl wieder landes-
herrliche Ernennung mit dem Beirat angesehener Bürger bestellte die Rat-
mannen. . . . Es waren die wohlhabenderen, geschäftskundigeren Bürger,
welche die Leitung der städtischen Interessen übernahmen, oft solche, die aus
den schon bedeutenden Städten nah und fern herbeigezogen waren und die
Erfahrung dessen hatten, worauf es ankam.
y. Allerlei Privilegien, Mühl- und Baugerechtigkeit, die Bannmeile,
innerhalb deren sich kein Handwerker niederlaffen, kein Bier außer dem städtischen
verschenkt werden durfte, gaben dem städtischen Gewerbe und Verkehr weiteren
Aufschwung; es begannen sich Innungen zu bilden; einzelne Bürger kauften
Grundstücke, Pächte, Gerechtigkeiten von den Vasallen umher, die Stadt selbst
0 Die Schöffen hatten in dem vom Stadtvogte gehegten Gerichte das Urteil
zu finden.
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24 Kolonisation Ostdeutschlands und Vorgeschichte Brandenburg-Preußens.
4. „Aus all diesen Bildungen, bürgerlichen wie bäuerlichen, wuchs ein starkes,
selbstbewußtes, zu Herrenanschauungen neigendes Geschlecht empor, das sich als Sieger
fühlte über die Waldes- und Sumpfmächte des Landes wie über die Barbarei der
ursprünglichen Bewohner. Line Gesinnung, die bestärkt und zu harter Selbstsicherheit
erzogen ward durch die innere Politik des Ordens. Militärisch und religiös
zugleich, wirtschaftlich klar bedacht, politisch allzeit vorsichtig, ver-
einigte der Orden in sich alle Kräfte zu einer eingehenden, straffen
und vom fiskalischen Standpunkte, der mit dem volkswirtschaftlichen
fast durchaus zusammenfiel, vorteilhaften Verwaltung des Landes. Es
hinderte ihn dabei nicht, daß ein Drittel des Landes unter der Herrlichkeit der vier
Bischöfe und ihrer Domkapitel stand; seine einschneidende Verwaltung fand freiwillig
oder gezwungen Nachahmung auch in den rein geistlichen Gebieten. Ls erleichterte
seine Tätigkeit, daß er nach palästinischem Vorbild überall dieselbe Landeseinteilung
durchgeführt hatte: überall ursprünglich militärische Bezirke, die in einer Burg den
Mittelpunkt fanden, überall ein befehlender Komtur und ein ihn helfend und ratend
umgebender Konvent von Brüdern. Brüder aber und Komtur waren ebenso
Genossen wie zu absolutem Gehorsam verpflichtete Beamte des Ordens:
alljährlich hatten sie Rechenschaft zu legen über ihre Amtsführung, über Gulde und
Schulde, und der Hochmeister konnte sie nach Rat des Kapitels versetzen, entsetzen,
befördern, wie ihm beliebte. In dieser Richtung ist der Ordensstaat, aus der alten
administrativen Schulung der Kirche auf das Gebiet weltlicher Verwaltung verpflanzt,
weitaus der modernste deutsche Staat des Iz. und der folgenden Jahrhunderte gewesen:
er allein verfügte in so früher Zeit innerhalb der Grenzen deutschen Wesens über
das wirksame Werkzeug eines absolut sicheren Beamtentums. Dies Werk-
zeug, nicht eine absolutistische Verfassung — schon früh kennt man auch für Preußen
die Anfänge ständischer Vertretungen — hat im Jahrhundert seine eigenartige
Größe, seine bewundernswürdige Stellung unter den Ostseestaaten herbeigeführt."
(Lamprecht a. a. O. Iii. Bd. S. <^0.)
Anmerkung. Nur das eigentliche Preußenland erfuhr eine so intensive Germani-
sation, daß es zu einem deutschen Lande wurde. In den heutigen sogenannten Ostsee-
provinzen (Kurland, Estland rc.) machte sich über der Masse der litauisch-finnischen
Urbevölkerung nur eine dünne Schicht deutscher Grundherren und städtischer Patrizier
ansässig, so daß — abgesehen von einigen rein deutschen Städten — diese ganze deutsche
Ansiedlung einen „einseitig aristokratischen Charakter" trug.
Iv. Germanisation in der Lausitz.
In dem Gebiete der ältesten slawischen Eroberungen deutscher Fürsten,
im Sorbenlande erzielten die Germanisationsversuche anfangs keinen durch-
greifenden Erfolg.
1. Die alten thüringischen Marken der Sachsenkaiser waren rein militärische
Okkupationen gewesen; in den zur Beherrschung des Landes angelegten Burgen faßen
die deutschen Herren als Obereigentümer des Grundes und Bodens der Burgwart-
bezirke, deffen Bebauung in der Regel der hörigen slawischen Urbevölkerung überlassen
wurde. Lin nicht unbedeutender Teil des ganzen Gebietes, die heutige sächsische
Oberlausitz, befand sich überdies bis ins *7. Jahrhundert hinein fast ununterbrochen
im Besitze der Krone Böhmens, fo daß also auch von seiten der Landesherrschaft
nichts zur Förderung des Deutschtums getan wurde.
2. Lange Zeit blieb daher die Kirche die einzige germanisierende Macht im
Sorbenlande. Denn überallhin folgten dem erobernd vordringenden deutschen Krieger
die deutschen Priester; in den größeren Orten erhoben sich bald stattliche Kirchen und
Klöster als Ausgangspunkte germanischer Geisteskultur (f. Anm.).
3. Als dann im \2. Jahrhundert die große Kolonisationsbewegung in den
Gebieten der Llbslawen und baltischen Slawen einsetzte, wurde auch im Sorbenlande
die Ansiedlung bäuerlicher Bevölkerungselemente lebhafter betrieben: Graf wiprecht