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1. Weltgeschichte in Lebensbildern für Mittelschulen, höhere Mädchenschulen und verwandte Anstalten - S. 257

1897 - Leipzig : Baedeker
— 257 — aber Hunger und Frost rafften viele dahin. Dazu kamen unaufhörliche Angriffe der russischen Kofacken, die den ermatteten Feinden keine Ruhe gönnten. Der Zug Hungriger, Zerlumpter und vor Kälte Zitternder mußte rastlos weiter. An der Beresina erreichte das Elend seinen Gipfel. Napoleon hatte zwei Brücken über den Fluß schlagen lassen. Aber als die Truppen im Begriff waren, hinüberzurücken, erschienen plötzlich die Russen und feuerten mit Kartätschen in die dichten Haufen. Nun entstand eine entsetzliche Verwirrung. Alles stieß und drängte, um sich über die Brücken zu retten. Viele stürzten nieder und wurden von den Rädern der Wagen und Kanonen zermalmt, andere fielen in den Fluß und fanden in den kalten Fluten ihren Tod. Endlich brachen die Brücken zusammen: Tausende versanken in den Wogen und alle, die noch am andern User waren, gerieten in russische Gefangenschaft. Nach diesem Übergang hatten die Franzosen nur noch 8000 Bewaffnete. Napoleon, der sein Heer verloren sah, eilte auf einem Bauernschlitten über Warschau und Dresden nach Paris, um wieder neue Rüstungen zu betreiben. Mit ihm schwand alle Zucht und Ordnung im Heere: Soldaten aller Abteilungen liefen wild durcheinander, jeder dachte nur an seine Rettung, denn Hunger und Frost quälten fürchterlich. Mit Gier verzehrten die Hungrigen die gefallenen Pferde, und sank ein Soldat tot zu Boden, so rissen ihm seine Kameraden die Kleider vom Leibe, um sich damit Hände und Füße zu umwickeln. Hatten die Halberfrorenen sich ein Feuer angezündet, so trieb der Schreckensruf: „Die Kosacken kommen!" sie alsbald wieder in jähe Flucht, oder man fand sie des Morgens als starrgefrorene Leichen bei der erloschenen Glut. Von der großen Armee, die vor einem halben Jahre mit so stolzen Erwartungen den Niemen überschritten hatte, erreichte nur ein armseliger Rest von hohläugigen, zerlumpten, halbverhungerten Menschen, die nicht wie Soldaten, sondern wie wandelnde Leichen aussahen, die Grenze wieder. Als die Kunde von diesem schrecklichen Untergange sich in Deutschland verbreitete, erkannten Alle: „Das hat Gott gethan." Wie verhielten sich nun die Preußen gegen die armen Flüchtlinge? Sobald der Durchmarsch derselben im Lande angekündigt wurde, loderte hier und da der Zornmut über begangene Frevelthaten empor, und es erhoben einzelne die Frage, ob es nicht wohlgethan sei, die Franzosen allesamt zu erschlagen. Aber wenn man die Elenden sah, schwanden Zorn und Rachegefühle und mitleidig bot man ihnen Obdach und Pflege. Doch schien es, als sei die Kälte nicht aus ihren Leibern fortzubringen und ihr Heißhunger nicht zu stillen. Wurden sie in ein warmes Zimmer geführt, so drängten sie mit Gewalt an den heißen Ofen, als wollten sie hineinkriechen. Gierig verschlangen sie das trockene Brot; einzelne vermochten nicht aufzuhören, bis sie starben. Im Volke entstand der Glaube, daß sie vom Himmel mit ewigem Hunger gestraft feien; denn einst hätten sie die schönsten Weizengarben mutwillig im Lagerfeuer verbrannt, hätten gutes Brot ausgehöhlt, verunreinigt und Wollschläger, Weltgeschichte. 17
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