Anfrage in Hauptansicht öffnen

Dokumente für Auswahl

Sortiert nach: Relevanz zur Anfrage

1. Bd. 2 - S. 783

1883 - Leipzig : Engelmann
H. 1071. 1072. Deutschland. 783 die Versendung durch die Staatsposten, noch andere unterdrückte man auf polizeilichem Wege. §. 1071. Hannover. Im Jahre 1837, dem hundertsten Stiftungsjahre der ruhmreichen Universität Göttingen, starb Wilhelm Iv., König von England und Hannover und hatte zur Nachfolgerin seine Nichte Victoria; da nun nach deutschem Fürstenrecht weibliche Erbfolge unstatthaft ist, so fiel die Krone von Hannover an den Oheim der Königin, Ernst August, Herzog von Cu mb er land. Das ganze Land jubelte 201'837uni über die gewonnene Selbständigkeit, aber die Freude verkehrte sich bald in Schmerz, als der neue König seinen Regierungsantritt mit der Aufhebung des Staatsgrundgesetzes ^Juu vom I. 1833 bezeichnete, „wegen mangelnder agnatischer Zustimmung und weil es eine wesentliche Verletzung der Regierungsrechte enthalte", und die alte ständische Verfassung vom I. 1819 wieder herstellte. Alsbald erging an alle Beamte („königliche Diener") die Aufforderung zur Leistung eines neuen Dienst- und Huldigungseides. Manche Staatsdiener mögen dadurch mit ihrem Gewissen in Zwiespalt gerathen sein, aber sie kamen der Aufforderung nach. Nur sieben Professoren von Göttingen, darunter die Zierden deutscher Wissenschaft, weigerten den Eid. Sie wurden ihrer Stellen ent- 18is3700' hoben und drei von ihnen, Dahlmann, Jacob Grimm und Gervinus, weil sie ihre Protestation -veröffentlicht, des Landes verwiesen. Die Anerkennung, womit ganz Deutschland die That der „Sieben" begrüßte, und die Theilnahme, die sich in der ihnen angebotenen Unterstützung kund gab, bewies zum erstenmal die Macht der öffentlichen Meinung und die im Stillen gewachsene Gesinnung des Volks. Aber weder der Bundestag, noch die Regierungen ließen sich in ihrem Gange stören. Ohne auf die von Städten und Individuen ergangenen Protestationen zu achten , ließ der König die neuen Wahlen nach dem Gesetz von 1819 anordnen; und als sich die Stände nach einigem Schwanken für incomp etent erklärten, die Abschaffung des Staatsgrundgesetzes von 1833 anzuerkennen , wurden sie vertagt. Umsonst wandten sich nun viele Ständemitglieder und Wahlcorporationen mit einer Beschwerde über Rechtsverletzung an den Bundestag; dieser erklärte den Streit für eine innere Landesangelegenheit und lehnte die Einmischung ab; umsonst erfolgten, gestützt auf die Gutachten der Juristenfacultäten von Jena, Heidelberg und Tübingen, einzelne Steuerverweigerungen; durch Auspfändung gelangte die Regierung zum Ziel. Als im nächsten Jahre viele Abgeordnete den Eintritt in die verfafsungs- im widrig zusammengesetzte Kammer weigerten, und dadurch bewirkten, daß wegen Mangels der gesetzlichen Zahl kein gültiger Beschluß gefaßt werden konnte, wurden die Stellen der Ausgebliebenen durch Minoritätswahlen, wobei man sich allerlei ärgerlicher Maßregeln bediente, besetzt, bis man die nothwendige Zahl zur Steuerbewilligung zusammenbrachte. Im folgenden Jahr verfuhr die Regierung auf ähnliche Weise und erreichte dadurch ihren Zweck — die Annahme einer neuen, in aristokratischem, altständischem ^Aug. Sinne gehaltenen Verfassung. Alle Protestationen dagegen blieben unbeachtet. §. 1072. Folgen. Dies ^war eine ungerechte und kurzsichtige Staatsweisheit; eine Staatsweisheit, die den Regierungen augenblicklichen Erfolg und Befriedigung ihrer Wünsche brachte, die aber in dem Herzen des Volks Treue und Glauben erschütterte, die Begriffe von Recht verkehrte und verwirrte und die Fundamente des Staatsbaues untergrub. Während man, auf die von Berlin ausgehenden Lehren vom historischen Recht gestützt, alle verjährten Rechte und Privilegien, alle Befreiungen und Belastungen bestehen ließ und dadurch die hohem Stände auf Kosten der schwergedrückten niedern bevorzugte, trat man auf der andern Seite verbriefte und befchworne Verträge mit Füßen, umging die Volksrechte durch gezwungene Deutungen und bestärkte den alten Spruch, daß Gewalt über Recht geht. Dadurch mußte der Glaube im Volke aufkommen, daß das Recht, das man ihm als ewig und heilig dargestellt, im Dienste der Vornehmen und Mächtigen stehe, und sich drehe und wende, wie es diesen Vortheilhaft sei, und daß die öffentliche Treue, auf die man sich stets berief, nur von Seiten der Armen und Schwachen anerkannt werden solle. — Diese Staatsweisheit schuf eine tiefe Kluft zwischen Volk und Regierung, zwischen „Unterthanen" und „Gouvernement", zwischen Nation
   bis 1 von 1
1 Seiten  
CSV-Datei Exportieren: von 1 Ergebnissen - Start bei:
Normalisierte Texte aller aktuellen Treffer