1917 -
Leipzig
: Wunderlich
- Autor: Tischendorf, Julius
- Auflagennummer (WdK): 23
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Hilfsbuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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Auf beiden ruht ein Brett. Zwei schräg daran gelegte Stämme, mit
Leisten benagelt, dienen als Treppe. (Zeichnen!) Diese Brücken sind
deshalb so hoch, damit ein mit Heu beladener Kahn bequem darunter
durchfahren kann. Manche der Inseln, an denen wir vorübergleiten,
tragen fette Wiesen, ans denen schmucke Rinder im üppigen Grase weiden,
andere wieder sind vollständig mit Gurken, Meerrettich, Zwiebeln oder
Majoran bepflauzt.
Nach einiger Zeit begegnet uns wieder eine Flotte von Kähnen,
aus denen Lust und Jubel schallt. Eine stattliche Hochzeitsgesellschaft
fährt in das Dorf, an dem wir eben vorbeikamen, zur Kirche. Lustig
schmettert die Musik im ersten Kahne, begleitet von Jauchzen und
Pistolenschüssen aus den übrigen Fahrzeugen. Die Braut trägt ein
schwarzes Kleid und eine große weiße Hanbe. 1) Ein schwarzer, hoher
Hut, ein Rock mit langen Schößen und eiu riesiger Blumenstrauß mit
bunten Bändern schmücken den Bräutigam. Aber Freud und Leid sind
oft beieinander. Noch ehe wir unsere Fahrt beendet haben, gleitet still
und feierlich eine lange Reihe von Kähnen an uns vorüber. Auf dem
ersten Kahne steht ein Sarg. Er ist mit einem großen weißen Tuche
bedeckt. Ju den folgenden Fahrzeugen sitzen die Leidtragenden. Von
Zeit zu Zeit bricht ein allgemeines Weinen und Wehklagen aus, wie
auf Kommando. Die Weiber setzen eine Ehre darein, in den gellendsten
Tönen zu jammern. Schwarzer Flor weht von den Hüten der Männer.
Die Weiber sind in weiße Kleider gehüllt, denn weiß ist im Spreewald
die Farbe der tiefsten Trauer. Aber nicht allein die Bekannten und
Verwandten sollen um den Verstorbenen trauern, auch sein Vieh soll
teilnehmen an der allgemeinen Traurigkeit. Kaum hatte der Verstorbene
seine Augen für immer geschlossen, so ging der älteste Sohn an das
Bienenhaus, klopfte an jeden Bienenstock und sprach: Bienchen, Bienchen,
stehet auf! Euer Wirt ist gestorben! Und als der Sarg aus dem
Hause in den Kahn getragen wurde, ging der Sohn in den Stall, störte
das Vieh auf, streute ihm Futter und wehklagte: Stehet auf, stehet auf!
Soeben tragen sie euren Wirt hinaus, und nie kehrt er wieder!
Wir beendigen uufre Fahrt, denn der Abend naht. Nebelschleier
breiten sich über Wiese, Wald und Wasser. Aus dem Schilf am Ufer
der Wasserstraßen tönt das Quaken der Frösche. Wir haben genug ge-
sehen und bitten nnsern Fährmann, uns zu einem Gasthofe zu fahren,
wo wir ausruhen können von uusrer Reise.
Wiedergabe durch die Kinder.
„Mit diesem blendendweißen Kopftuche geht schon das Mädchen tagaus,
tagein, mit ihm geht es zur Schule, in ihm wird es konfirmiert. Die Jungfrau
und die Braut, die Frau und die Greisin tragen das Tuch und legen es zeitlebens
nicht ab, mit ihm gehen sie ins Grab." (Weigeldt.)