1890 -
Wolfenbüttel
: Zwißler
- Autor: Voges, Theodor
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Regionen (OPAC): Braunschweig
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde, Braunschweig
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): offen für alle
61. Karl Friedrich Gaufs’ Jugend.
Auf der Nördlichen Wilhelmsstrafse zu Braunschweig ist
über der Thür eines kleinen Wohnhauses eine Gedenktafel
befestigt, welche daran erinnert, dafs hier am 30. April 1777
Deutschlands gröfster Mathematiker, Karl Friedrich Gauls,
geboren wurde. Sein Vater, ein rechtschaffener, schlichter
Bürgersmann, trieb in der guten Jahreszeit das Maurerhand-
werk, daneben Gärtnerei; aufserdem war er Wafserkunst-
meister, in der Mefszeit auch Markthelfer. Die Mutter war eine
Frau von klugem Verstände und von schlichtem, heitern Sinn.
Ihr verdankt er den schon in den ersten Lebensjahren ge-
weckten muntern Geist und Fortbildungstrieb. Karl Friedrich
war ihr einziges Kind, ihr ganzer Stolz. Darum hing aber
auch der Sohn mit treuer Liebe, mit unbegrenzter Verehrung
an der Mutter. Kernig, rüstig und wohlgemut erreichte sie
das ungewöhnliche Alter von fast 97 Jahren, von denen sie
die letzten zweiundzwanzig bei dem Sohne auf der Göttinger
Sternwarte zubrachte.
Beinahe hätte der kleine Karl Friedrich in einem offenen
Graben, der sich damals vor den Häusern hinzog, einen vorzei-
tigen Tod gefunden. Wenigstens war es des Mannes früheste
Erinnerung, dafs er hier schon fast entseelt aus dem Wasser,
an dem er unbeaufsichtigt gespielt hatte, gezogen wurde.
Der Knabe zeigte einen so regen Geist und eine so
scharfe Fassungskraft, dafs er das Lesen von selbst lernte,
indem er sich da und dort von den Hausgenossen Auskunft
holte. In der frühesten Jugend schon entwickelte sich bei
ihm eine wunderbare Anlage zum Rechnen und ein merk-
würdiges Gedächtnis für Zahlen, so dafs er später oft scherz-
weise behauptete, er habe früher rechnen als sprechen können.
An einem Sonnabend safs der Vater Gauls abends vor seinem
Tische, um seinen Maurergesellen den Wochenlohn auszu-
zahlen. Nach geschlossener Abrechnung wollte er eben zum
Geldbeutel greifen, als sich der dreijährige Knabe, welcher
der Verhandlung von seinem Lager aus zugehört hatte, erhob
und rief: „Vater, die Rechnung ist falsch, es macht so und
so viel“, indem er eine bestimmte Summe angab. Der Kleine
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