1. Bd. 6
- S. 560
1845 -
Leipzig
: Kollmann
- Autor: Fortmann, Heinrich
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
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konnte, was erst bei der Eröffnung des Maifeldes geschah. Als
bald darauf Napoleon nach Belgien aufbrach, erhielt Mural
keine Befchlshaberstelle, und nach Napoleons Falle mußte auch
er auf's Neue flüchtig werden. Nach langem Umherirren — wobei
er jeden Augenblick fürchten mußte, erkannt zu werden, da ein
Preis von 2000 Louisd'or auf seine Person gesetzt war — glückte
es ihm, das Ufer zu gewinnen und auf einem kleinen Fahrzeuge
nach Korsika zu entkommen. Hier faßte er den Gedanken,
Neapel, das ihm entriffene Königreich, wieder zu gewinnen.
Ec knüpfte in dieser Absicht Unterhandlungen mit Algier an, so
daß er bei seiner Expedition der Hülfe der Barbaresken gewiß
war. Mehr als 200 französische Offiziere, von der Gegenpartei
der Bourbons, gesellten sich zu ihm, der jetzt noch der Einzige der
Napolconiden war, welcher nicht abgcdankt hatte. Mit Zuver-
sicht hoffte Murat, — an der Spitze der vielen Mißvergnügten, de-
ren Zuströmen noch zu erwarten war, und in Erwägung, daß
sein Name auf italienischem Boden immer noch vielen Anhang
hatte, daß der Italiener ungern dem Negentenstolze der Bour-
bons wieder huldigte, und daß gerade die verwegensten Köpfe,
die geschicktesten Offiziere der entlassenen französischen und italie-
nischen Armee zu seinem Paniere hineilten — das Wagstück aus-
zuführen. — In der Nacht zum 28. September schiffte er sich
mit 100 bewährten Männern zu Ajaccio ein, ohne daß irgend
Einer ans seinem Gefolge wußte, wohin die Unternehmung ei-
gentlich gerichtet sey. Seine ganze Flottille bestand aus sechs
Barken, und der Capitain erhielt die Anweisung, nach Tunis
zu segeln. Man war zwei Tage auf dem hohen Meere, als
Murat auf einmal den Befehl gab, nach Calabrien zu segeln.
Ein Windstoß zerstreute an der dortigen Küste die Flottille und
warf zwei Barken, worunter die war, auf welcher Murat sich
befand, hart an das Ufer; die übrigen vier gewannen Zeit, das
hohe Meer wieder zu ereilen, und verließen Murat, der von ih-
nen erwartet hatte, daß sie in der nächsten Bucht auch landen
würden. Auf der Höhe von Calabrien erfuhr er schon, daß ein
Schiff mit vielen mißvergnügten Neapolitanern, die sich ihm
zugesellen wollten, vor Toscana untergcgangen sey; diese böse
Vorbedeutung hielt ihn aber nicht zurück, am 6. October bei
dem Städtchen Pizzo zu landen. Hier sammelte er seine Waf-
fengesährlen um sich her, erschien auf dem Marktplatze, ließ sich