1. Bd. 6
- S. 561
1845 -
Leipzig
: Kollmann
- Autor: Fortmann, Heinrich
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
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als den rechtmäßigen König ausrufen und rief das Volk zu den
Waffen auf. Kaum hatte er jedoch mit seinem geringen Haus-
lein das erstaunte Pizzo verlaffen, um tiefer Ln das Land hin-
ein sich zu begeben, als ein Agent des Herzogs von Infantado
dort erschien und rief: Vivat Ferdinand! Dies war das
Signal, daß das Volk von Pizzo sich bewaffnete und die An-
kömmlinge verfolgte. Das Landvolk ward ebenfalls schnell unter
die Waffen gebracht, und Murat sah sich mit seinem Haufen
bald umringt. Als man dies an der Küste vernahm, stachen
zwei Barken, welche eben zu seiner Unterstützung landeten, wie-
der in- See, ihn seinem feindlichen Schicksale überlastend» Bei
Montc-Leone kam es zu einem sehr ungleichen Gefechte; der
Rückzug nach dem Gestade war ihm bald abgeschnitten; neben
ihm siel der Capitain Moltedo und der Lieutenant Parnier
ward tödtlich verwundet; ihn selbst verschonten die Kugeln, und
er ward mit achtundsiebenzig Individuen gefangen. Noch wollte
er, mit der Pistole in der Hand, den Augenblick gewinnen, sich
die Kugel durch den Kopf zu jagen, um einer unwürdigen Ge-
fangenschaft zu entgehen; ein Gensd'armerie-Hauptmann entwand
ihm aber das Geschoß, und ein roher jubelnder Pöbel begleitete
den königlichen Gefangenen nach dem Schloßgefängniffe in Pizzo.
Von Neapel wurden die Befehle eingeholt, wie gegen den
hohen Gefangenen zu verfahren sey, und nach einer Ordre des
Königs beider Sicilien vom 10. Octobcr 1815 sollte Murat,
unter der Bezeichnung: der französische Genera! Joachim
Murat, am 13. October vor das Kriegsgericht der Provinz
gestellt und als Feind des Staats gerichtet werden. Von diesem
Kriegsgerichte, vor welchem zu erscheinen der Gefangene standhaft
sich weigerte, („es sind nicht Richter — sagte er — es sind Hen-
ker, vor denen ich stehen soll; das Urtheil ist schon gefallt.")
ward Vormittags 10 llhr das Urtheil gegen ihn dahin aus-
gesprochen, daß, da er zum Zwecke gehabt, einen Bürgerkrieg
zu erregen, er zum Tode verurthcilt sey, mit Eonfiscation seines
Vermögens. — Murat, ein Mann, der dem Tode so oft dreist
in das Auge gesehen hatte, verlor auch hier, nach Anhörung
des Todesurtheils, seine Besonnenheit nicht. Nachdem er meh-
rere Briefe geschrieben, verlangte er eine Schecre, um sich eine
Haarlocke abzuschneidcn und sie dem Abschiedsbriefe an feine Ge-
mahlin beizulegen. Man verweigerte ihm die Erfüllung dieser
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