1. Bd. 7
- S. 236
1845 -
Leipzig
: Kollmann
- Autor: Fortmann, Heinrich
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
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Die den König begleitenden Commissarien fürchteten, daß
derselbe die Absicht haben möchte, sich mit der Bretagne in Wer-
bindung zu setzen, auf Hülfe der Engländer rechnend, einen
royalistischen Verein zu bilden und von dort aus die Contre-Revo-
lution Zu beginnen. Sie suchten daher den Zug von der Grenze
der Bretagne zu entfernen; doch bald überzeugt, daß es Karl X.
sowohl, der sich mit Vogelschießen unterwegs die Zeit vertrieb,
wie seiner Umgebung, zur Ausführung eines solchen Plans an
Muth und Entschlossenheit gebreche, ließen sie ihn auf der von
ihm gewählten Straße über Conde fortziehen. Was der ent-
thronte Monarch in Conde sah, mußte vollends seine letzten Hoff-
nungen ersticken. Nicht nur war dort von militairischen Ehren-
bczeigungen keine Spur, sondern das erbitterte Volk rief auch den
Namen Polignac mit den furchtbarsten Verwünschungen aus, und
Marmont wäre sicher ein Opfer der Volkswuth geworden, hätte
nicht Maifon durch sein Ansehen die Zufaminenrottirung zerstreut.
Der Marschall legte nun seine Ordensdecorationen ab und fand
Schutz in unmittelbarer Nahe des Königs, der selbst kein sichere-
res Nachtquartier, als im Hause eines Protestanten, finden konnte.
Zu Valognes fand der gebeugte königliche Greis Aufnahme
im Haufe eines normannischen Edelmannes, Namens Dume-
nildot, dessen Urgroßvater auch den verjagten Jacob Stuart
aufgenommen hatte. Dies waren für Karl und seine Getreuen
schreckende Nückerinnerungen. Jetzt ward also der Entschluß gefaßt,
ohne längeren Verzug nach Cherbourg aufzubrechen und sich ein-
zuschiffen. Dennoch Wurden die letzten Trümmer der Leibwache,
welche treulich bei den Unglücklichen ausgehalten hatte, aufgefor-
dert, ihre Fahnen nunmehr an den König abzugeben. Die Offl-
ziere und die vier und zwanzig Attesten der Gemeinen erschienen,
wie im Trauerzuge, mit ihren Fahnen vor dem Konige. Dieser
schien tief bewegt; die Dauphine zerfloß fast in Thranen, und ihr
Gemahl, der Herzog von Angouleme, stand dabei in dumpfer
Betäubung. Die Herzogin von Bern) aber und ihre Kinder
sahen ruhig dem ezßchütternden Schauspiele zu. „Ich nehme —
sagte Karl — Eure Fahnen zurück; sie sind ohne Makel! mein
Enkel wird sie Euch wiedergeben!" Darauf nahm er die Fah-
nen und umarmte die Offiziere; die Damen reichten den treuen
Trabanten die Hand zum Kusse. Nun entfernten sich auch die-
jenigen Offiziere, welche ohne Truppen dem Könige gefolgt waren.