1846 -
Breslau
: Graß, Barth
- Autor: Löschke, Karl Julius
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
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Beresina.
sich der Zug gegen Westen. Die Soldaten haben sich beladen mit den
Schätzen, die sie in Moskau noch zusammengeplündert, um, wenn nicht
Ehre, doch Beute mitzubringen über den Rhein. Immer heftiger wird
die Kälte; es'nahen die Russen, die leichtbeweglichen Kosacken auf ih-
ren schnellen Pferden prallen bald hier bald da gegen die eimlnen
Heeresabtheilungen an und werden kühner von Tage zu Tage. Der
Soldat läßt seine Beute im Stiche, um das Leben zu retten, wirft
die Waffen weg, um unbeschwert die Flucht zu beschleunigen. Kein
Obdach bietet sich dar, keine Ruhe bei Tag und Nacht, keine labende
Speise bei diesen Mühseligkeiten, bald fehlt's an Nahrungsmitteln über-
haupt; Pferdefleisch wird zum Leckerbissen und ein Plätzchen am flackern-
den Muer zu finden, das ist der höchste Wunsch, dessen Erfüllung noch
zu hoffen steht. Die ganze Strecke, auf welcher die Franzosen zogen,
war von ihnen selbst, als sie sich auf Moskau zu bewegt hatten, ver-
heert- worden. Versuchten sie es, von diesem Wege abzulenkcn, so wur-
den sie von den Russen wieder in die Oede zurückgctricben. Sie ka-
men an die Beresina, einen Nebenfluß des Dnjepr, westlich von
Smolensk. Der Fluß war, wo sie ihn überschreiten wollten, an sich
nicht sehr breit, aber zu beiden Seiten desselben zogen sich Moräste hin,
über welche nur wenige Brücken führten, die jetzt alle von den Russen
besetzt wurden. Napoleon ließ schnell eine Brücke schlagen. Alles
drängte sich, als sie kaum vollendet war, ihr zu. Unzählige wurden
erdrückt, zu Boden getreten oder unter die Eisschollen hinabgestoßen.
In den dichten Haufen, der die Brücke umlagert hielt, schlugen die
Kanonen- und Kartätschenkugeln der Russen; die Angst steigerte sich
zur Verzweiflung; jeder war nur auf seine Rettung bedacht; mit
dem Säbel in der Hand suchte Mancher sich Bahn zu brechen, bis er
selbst den Streichen eines Andern erlag. Die Brücke borst unter der
großen Last; die Hinteren, welche davon nichts ahnetcn, drängten wei-
ter, bis sie, an der Mitte angelangt, gleich denen, die vor ihnen waren,
in den Strom hinabsanken. Durch den Donner der Kanonen und das
Brausen des Sturmes und das Prasseln zerplatzender Granaten er-
tönte das Jammergeschrei der Sterbenden und derer, die im nächsten
Augenblick den gewissen Tod vor Augen sahen. Vom 20. bis 28. No-
vember währte der Uebergang über die Beresina. Für äußerst Wenige
war es ein Uebergang, den meisten der Todesgang; denn auch die, welche
das jenseitige Ufer erreichten, fanden größtcntheils noch in den dortigen
Sümpfen und Morästen ihren Tod. Der Kaiser war mit einem Theile
seiner Garde glücklich entronnen und beschleunigte seine Flucht. Ueber
Warschau eilte er nach Schlesien, auf einem Bauernschlitten kam er
durch die Lausitz und rasch ging es weiter über Dresden, Leipzig und