1. Bd. 1
- S. 467
1835 -
Eisleben
: Reichardt
- Autor: Cannabich, Johann Günther Friedrich
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
467
>
Königreich beider Skcilien.
Klüften außerordentlich zornig ist, so muß man in solchem Falle
wenigstens geschickte Ruderer haben, um ohne durchnäßt zu wer-
den oder umzufallen, hier einlaufen zu können. Ein herzhafter
Sprung, denn der Kahn flog sehr hoch auf und nieder, brachte
uns auf eine trockene Klippe und hierauf liefen wir ein wenig in
den Hintergrund. O welch ein wundervolles Schauspiel, unter
dem Schirm des öden Felsenhauses, das wilde Meer in weiter
Ferne grünlich sich einherwälzen, dann mit rasendem Ungestüm, un-
ter Donnern und Krachen, in den Schlund dieser wiederhallenden
Höhlen hereinfahren und alles ringsum zischen, schäumen und trie-
fen zu sehen!"
Zu den bewundernswürdigen Gegenständen, welche man auf
der Stelle des alten Syracusä noch fleht, gehören die Latomien
oder alten Steinbrüche von ungeheurer Größe, aus welchen die
Steine zu den Mauern, Tempeln und Pallästen des alten Syra-
kus genommen wurden. Gewöhnlich findet man sie sehr weit in
den Felsen hineingearbeitet, sowohl in senkrechter als in horizonta-
ler Richtung und die ungeheuren Gewölbe, welche man zum
Theil oben stehen ließ, wurden durch unförmliche Pfeiler gehalten,
sind aber jetzt meistens herabgestürzt, so daß die Pfeiler frei ste-
hen. Diese Latomien gleichen tiefen Felsenkesseln. Drohend leh-
nen sich die Wände über das Haupt des Beschauers; ihre Räy-
der sind mit grünenden Bäumen umsäumt, und aus allen Spal-
ten und Absätzen bricht üppiger Pflanzen - und Baumwuchs her-
vor. Unter diesen Latomien sind am merkwürdigsten die Lato-
mie der Kapuziner und die I^atomia ckel paradiso mit
dem Ohr des Dionysius, welche beide sich in der Akradina befin-
den. Die erstere hat ihren Namen von dem in der Nähe besind-
lichen Kloster der Kapuziner, liegt ohngefähr 100 F. tiefer als
der übrige Erdboden und bildet so weite, schauerliche Klüfte, daß
man sich entsetzt, in dieselben hinabzusteigen. In denselben ver-
schlossen die Syrakusaner ihre Missethäter und Gefangenen, denn
die überhängenden Felsenwände machten jedes Entfliehen unmög-
lich. Je weiter man unter diesen Felsen hingeht, desto schauerli-
cher, aber auch romantischer wird alles ringsumher; vorzüglich
aber erstaunt man bei dem Anblicke eines duftenden, blühenden
Gartens, den die fleißigen Kapuziner im Innern dieser Höhlen
mit unsäglicher Mühe angelegt haben. Die prachtvollsten Pflan-
zen des Südens, Orangen - und Granatbäume gedeihen in diesen
kühlen Grotten, welche die Sonne nur von oben mit Licht und
Wärme versieht, aufs üppigste. Unweit der Latomie der Kapuzi-
ner ist der gewöhnliche Eingang zu den Katakomben von St.
Johann der Jesuiten. Sie sind alle in Stein gehauen,
also sehr sicher vor Einsturz und bilden breite hohe Gänge, mit
welchen die Katakomben Roms, die in eine weiche Erde gegraben
sind, keine Vergleichung aushalten können. Oft ist ihr oberer
30 *