1. Bd. 3
- S. 515
1838 -
Eisleben
: Reichardt
- Autor: Cannabich, Johann Günther Friedrich
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
Neuholland.
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stigen Zudringlichkeit der Südsee-Jnsulaner, als von den Lastern, wo-
mit diese den Europäern jederzeit entgegentraten, von der Lust zum
Stehlen und der Unkeuschheit, womit die Weiber sich gewöhnlich den
Fremden anboten, sondern pflegten vielmehr ihre Frauen und Töchter
sorgfältig zu verstecken. Von den heimtückischen Verräthereien und
Überfällen, von denen die Geschichte der Seereisen in der Südsee
so voll ist, findet sich bei den Neuholländern kein Beispiel, außer
wo sie mit Fremden in Berührung gekommen sind und von diesen
die ihnen ursprünglich fremden Laster angenommen haben. Froh--
sinn und Heiterkeit ist ein Grundzug ihres Eharakters; sie sind lustig,
aufgeräumt, selbst geschwätzig, stets zu Scherzen und Lachen geneigt,
. dabei gutmüthig, lenksam, gefällig, vom Eigennutz meist frei. An
Muth und Entschlossenheit fehlt es ihnen nicht, und trotz der vor-
herrschenden Milde und Sanftheit ihres Charakters sind sie zu Zeiten
den heftigsten Gemüthsbewegungen unterworfen, doch gehen solche
Ausbrüche der Leidenschaftlichkeit stets schnell vorüber. Rachsucht wird
da, wo sie in den Kolonien den Europäern bekannter geworden sind,
als der schlimmste Flecken in ihrem Charakter bezeichnet, allein dieser
Vorwurf ist theils sehr übertrieben worden, theils muß man auch viel
auf das Benehmen der Fremden gegen sie rechnen. Daß es ihnen
endlich an Talenten und Anlagen durchaus nicht fehlt, hat sich bei
den Versuchen, sie durch. Unterricht zu bilden, gezeigt.
Wenn diese guten Seiten in dem Charakter der Neuholländer
bisher so oft verkannt worden sind und in den Kolonien noch fort-
während verkannt werden, so liegt der Grund zunächst in den Ein-
drücken, welche ihre äußere Gestalt, verbunden mit jenem gänzlichen
Mangel an Bildung (denn es giebt überhaupt wenige Volksstamme
auf der Erde, die auf einer so niedrigen Stufe der Gesittung stän-
den) auf die Europäer hervorbrachte, dann aber besonders darin, daß
man bei näherer Bekanntschaft mit ihnen eine Unbildsamkeit entdeckte,
wie sie wohl sonst wo schwerlich angetroffen wird. Eine 50jährige
fast stets friedliche Verbindung, die zwischen ihnen und den Kolonisten
besteht, ist von keinem andern Einflüsse gewesen, als daß sie ihren
und setzten sich zu uns, ohne jedoch die Augen aufzuschlagen. Als sie
indeß zutraulicher wurden, zeigten sie sich außerordentlich neugierig
und starrten uns unverwandt an. Wir führten sie nun zu unserm
Lager und ich gab ihnen einige Geschenke. Die Zahl derer, die über
den Fluß geschwommen waren, belief sich auf etwa 35. Mit Sonnen-
untergang verließen uns alle, bis auf 3 alte Männer, die die ganze
Nacht hindurch am Feuer sitzen blieben, zuletzt sehr fest schliefen und
die letzten warxn, die am Morgen aufstanden. Der ganze Stamm,
der sich versammelt hatte, um uns abfahren zu sehen, belief sich über
150 Köpfe. Bier von ihnen begleiteten uns, von denen einer seiner
körperlichen Größe und Stärke halber merkwürdig war. Sie sind
zweifelsohne ein guter, offenherziger Menschenschlag, dem es nicht
an natürlicher Herzensgüte fehlt."
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