1847 -
Königsberg
: Bon
- Autor: Pechner, Fr.
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Volksschule, Volksschule
- Regionen (OPAC): Preußen
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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übler Laune. Eines Tages war sie auch sehr böse und schalt ihn
tüchtig aus; er blieb ganz gelassen. Weil sie aber immer hefti-
ger wurde, stand er endlich auf und ging weg. Im Zorne er-
griff sie einen Topf mit Wasser und goß ihm diesen aus dem
Fenster nach. Dachte ich es doch, sagte Sokrates lächelnd, daß
nach einem solchen Gewitter ein Regen folgen würde!
So viel Freunde Sokrates unter den gutgesinnten Athenern
zählte, so hatte ec dagegen eine Menge Feinde unter dem ver-
dorbenen Haufen, weil er oft gegen die überhand nehmenden La-
ster redete. Man beschuldigte ihn, er verachte die Götter seines
Vaterlandes und verführte die Jugend durch seine Lehren. Sokra-
tes, bereits ein Greis von 70 Jahren, hielt es seiner unwürdig, sich
gegen solche Anklagen weitläufkig zu vertheidigen. Er wies auf
sein öffentliches Leben hin und versicherte, ihm habe seit 30 Jah-
ren nichts mehr am Herzen gelegen, als seine Mitbürger tugend-
hafter und glücklicher zu machen, und hiezu habe er einen gött-
lichen Beruf in sich gefühlt. Dessen ungeachtet verurtyeilten ihn
seine Richter zum Tode. Ich danke euch, sprach er gelassen, ihr
befördert dadurch mein Glück; denn ich freue mich, bald bei den
edlen Geistern der Männer der Vorwelt zu sein. Weinend
begleiteten ihn seine Schüler in das Gefängniß und trafen An-
stalten, ihn zu befreien; aber er sagte: den Gesetzen des Vater-
landes muß man gehorchen. Ach, seufzte Apollodor, wenn du
nur nicht so unschuldig sterben mußtest! Wolltest du denn lieber,
versetzte Sokrates lächelnd, daß ich schuldig stürbe? Auch seine
Frau kam mit dem jüngsten Kinde, um von ihm Abschied zu
nehmen, und weinte laut. Sokrates bat einer seiner Freunde,
sie nach Hause zu führen, damit ihm die letzte Stunde nicht er-
schwert würde. Darauf wendete er sich an seine Schüler, trö-
stete sie und sprach mit ihnen über Leben und Tod und über
seine Hoffnung auf ein ewiges Leben. Mit heiterer Miene nahm
er den Giftbecher, betete zu den Göttern, trank ihn, wickelte sich
in seinen Mantel und sagte mit sterbender Simme: Opfert dem
Aeskulap (dem Gott der Heilkunst) einen Hahn, denn ich genese.
So starb der weise Sokrates 399 v.- Chr. Bald nachher sahen
die Athener ihr großes Unrecht ein- Die ganze Stadt legte Trauer
an, als würde in jedem Haufe ein Toder beweint. Seinen
Hauptankläger verurtheilten sie zum Tode, die übrigen wurden
aus dem Lande verjagt. Ihm aber errichteten sie eine prächtige
Bildsäule und verehrten ihn fast wie einen Gott. Seine Schü-
ler verbreiteten mündlich und schriftlich seine Lehren. Mehrere
ihrer Schriften haben sich bis auf unsere Zeiten erhalten und er-
füllen noch jetzt jeden denkenden Menschen mit Bewunderung
und Freude.