1888 -
Berlin
: Reimer
- Autor: Wilmsen, Friedrich Philipp, Pischon, Friedrich August
- Auflagennummer (WdK): 226
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Vii. Gesundheitslehre. 100
rei auö dem Urin prophezeien. Andere horchen hinter
der Thür, oder hinter einer spanischen Wand, was die
Leute, welche Arznei holen wollen unter einander^ reden.
So habe ich von einem verdorbenen Schuster gehört, der
als ein Wunderdoktor weit und breit berühmt wurde; des-
sen Schwager war Schenkwirth inr Dorfe. Wenn nun
ein Kranker kam oder schickte, dessen Umstände der Schu-
ster noch nicht wusste, so war er allezeit nicht zu Hause,
oder hatte nothwendig zu thun, und seine Frau bestellte
die Leute in einer oder zwei Stunden wieder. Gewöhn-
lich sagte sie ihnen dann, sie möchten nur unter der Zeit in
die Schenke gehen, und daö thaten sie auch wohl von selbst.
Der Schenkwirth war nun von seinem Schwager, dem
Wunderdoktor, dazu angewiesen, wie er die Leute aus-
fragen sollte. Was sie ihm sagten, schrieb er geschwind
ans ein Papier, tmd schickte dies seinem Schwager. Ka-
men nun die Kranken, oder ihre Boten wieder hin zum
Schuster, so trat er mit einer großen Perükke hervor,
nahm daö Uringlas in die Hand, legte mit einer wichtigen
Miene den Finger an die Nase, und erzählte ihnen nun
io viel von ihren Umständen, daß sie vor Verwunderung
nicht wussten, was sie sagen sollten. Sie bezahlten nun
dem Lügenpropheten gern, was er verlangte, und dieser
theilte dann daö Geld mit seinem Schwager. Die Pillen,
die er den Leuten gab, machte er aus bloßer Semmelkru-
me, und vergoldete oder versilberte sie, und seine Fieber-
pulver bestanden aus Zukker, Salz und Kreide. Und es
war noch gut, daß er seinen Kranken keine schädliche Sa-
chen gab. Schlimmer machte es ein anderer Quacksalber,
der daö kalte Fieber durch Tropfen kurirte, zu welchen er
Arsenik oder Rattengift nahm. Davon verging zwar das
Fieber schnell, aber hinterher bekamen die Leute von seinen
Gifttropsen schlimmere Zufälle, als das Fieber, und blie-
den zeitlebens ungesund.
Es ist Aberglaube, daß Krankheiten durch Beheren
und Besprechen entstehen können. Alle Krankheiten
haben ihre natürlichen Ursachen.
I» H. waren noch viele einfältige Leute, welche an Hexen
und Hexereien glaubten, so oft sie auch vom Prediger und
von dem Schullehrer eines Besseren belehrt worden waren.
Michels Kind war verfüttert, und wurde sehr elend. Anstatt
sich an einen vernünftigen Arzt zu wenden, und das Kind mässig