1888 -
Halle a.S.
: Buchh. des Waisenhauses
- Hrsg.: Keck, Heinrich, Sach, August, Johansen, Christian, Meyn, Ludwig
- Auflagennummer (WdK): 11
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
1. Die Deutschen um die Zeit von Christi Geburt.
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sie den im Sturm daher fahrenden Allvater Wodan, den Spender des Lichtes,
der ihnen zugleich als Schlachtenlenker erschien und der die Gefilde mit Frucht-
barkeit segne. Ihn glaubten sie umgeben von den Walküren, kriegerischen Jung-
frauen, welche im Kampfe die dem Tode geweihten Helden bezeichneten und sie
hinüberführten in die Walhalla, um hier mit Wodan täglich köstlichen Met
zu trinken. Daher erschien es den Deutschen als das herrlichste Los, in der
Schlacht zu fallen. Daneben aber verehrten sie als Ackerbauer die wohlthätige
Mutter Erde und andere Götter, von denen sie Wind und Wetter abhängig
dachten. Die Vorstellung von der Erdgöttin hat sich selbst noch im Aberglau-
den späterer, christlicher Zeiten erhalten; Frau Holle, von welcher deutsche
Märchen erzählen, ist ursprünglich nichts anderes, als die im Innern der Erde
thätige Kraft, welche den Menschen so segensvoll, aber auch so fürchterlich wer-
den kann. — Ihren Gottesdienst hielten die alten Deutschen in heiligen Hainen
oder aus heiligen Bergen; Tempel, wie sie bei anderen heidnischen Völkern
vorkamen, kannten sie nicht. Auch machten sie sich kein Abbild von den Göt-
tern, das schien ihnen mit der Größe derselben unverträglich; nur im Glauben
und mit dem Gemüte, meinten sie, könne das Wesen der Himmlischen erfaßt
werden. Den Zorn der Gottheiten suchten sie durch blutige Opfer zu sühnen;
gewöhnlich wurden dabei Eber und Pferde geschlachtet. Ihr Hanptfest feierten
sie um die Zeit des kürzesten Tages, im Norden hieß es das Jnlfest; dann
führte Wodan, wie sie glaubten, die abgeschiedenen Helden durch die Luft daher,
dann heulten seine Kriegshunde, und seine Rosse schnoben Feuer. Aus dieser
Vorstellung stammt noch der Aberglaube von der wilden Jagd. — Göttliche
Weissagung beobachteten sie mit der größten Gewissenhaftigkeit; einen Eichen -
oder Buchenstab zerschnitten sie zu kleinen Reisern, ritzten in diese bestimmte
Zeichen und warfen sie dann durcheinander auf ein weißes Gewand; nach
feierlichem Gebet hob hierauf jemand drei Reiser auf und deutete aus deren
Zeichen den Willen der Gottheit.
Daß ein so kräftiges und sittenreines Volk den bei aller Geistesbildung
doch sittlich verdorbenen Römern gefährlich und furchtbar ward, ist begreiflich.
Schon 100 Jahre vor Christi Geburt erschienen die deutschen Stämme der Cim-
bern und Teutonen, die der Sage nach durch eine Überschwemmung aus
ihren Wohnsitzen im heutigen Schleswig-Holstein und Jütland vertrieben waren,
am Fuße der Alpen und begehrten Wohnsitze von den Römern; sie schlugen
viele der ihnen entgegengesandten Heere, aber endlich unterlagen sie der List
und Kriegskunst ihrer Feinde und wurden völlig aufgerieben. Später drangen
die Römer über den Rhein hinüber in das nordwestliche Deutschland ein und
setzten sich hier mehr und mehr fest; als sie aber auch ihre Art Recht zu sprechen
den Deutschen aufdrängen wollten und sie mit Übermut behandelten, erhob sich
unter Anführung des Cheruskerfürsten Armin oder Hermann ein mächtiger
Aufstand, und im Teutoburger Walde wurden die Legionen des Statthalters
Varus völlig vernichtet, 9 nach Christi Geburt. Von dieser Zeit an erfolgten
noch viele Kämpfe zwischen Römern und Deutschen, aber diese letzteren behaup-
teten immer mehr die Oberhand; wobei denn freilich eine traurige Folge ihres
trotzigen Freiheitssinnes die war, daß, wenn der Krieg mit den Römern ruhte,
sie untereinander sich unablässig befehdeten. Keck.