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1. Vaterländisches Lesebuch für die mehrklassige evangelische Volksschule Norddeutschlands - S. 326

1888 - Halle a.S. : Buchh. des Waisenhauses
326 53. Das Gottesgericht in Frankreich Da ich am Morgen des 2. noch keine Meldung von Moltke über die Kapitu- lationsverhandlungen erhalten hatte, die in Donchery stattfinden sollten, so fuhr ich verabredetermaßen nach dem Schlachtfeld um 8 Uhr früh und begegnete Moltke, der mir entgegenkam, um meine Einwilligung zur vorgeschlagenen Kapitulation zu erhalten, und mir zugleich anzeigte, daß der Kaiser früh 5 Uhr Sedan ver- lassen habe und auch nach Donchery gekommen sei. Da derselbe mich zu sprechen wünschte und sich in der Nähe ein Schlößchen mit Park befand, so wählte ich dies zur Begegnung. Um 10 Uhr kam ich auf der Höhe vor Sedan an; um 12 Uhr erschienen Moltke und Bismarck mit der vollzogenen Kapitulationsurkunde; um 1 Uhr setzte ich mich mit Fritz in Bewegung, von der Kavalleriestabswache begleitet. Ich stieg vor dem Schlößchen ab, wo der Kaiser mir entgegenkam. Der Besuch währte eine Viertelstunde; wir waren beide sehr bewegt über dieses Wiedersehen. Was ich alles empfand, nachdem ich noch vor drei Jahren Napo- leon auf dem Gipfel seiner Macht gesehen hatte, kann ich nicht beschreiben. Nach dieser Begegnung beritt ich von 21/, —T1/^ Uhr die ganze Armee vor Sedan. Der Empfang der Truppen, das Wiedersehen der stark mitgenom- menen Garden — das alles kann ich Dir heute nicht beschreiben; ich war tief ergriffen von so vielen Beweisen der Liebe und Hingebung. Nun lebe wohl mit bewegtem Herzen am Schlüsse eines solchen Briefes. Wilhelm." Durch die Kapitulation von Sedan fielen in die Hände der Deutschen: 106 000 Gefangene, darunter der Kaiser Napoleon, der verwundete Marschall Mae Mahon und 4000 Offiziere; ferner 400 Feldgeschütze, 150 Festungs- kanonen und 10 000 Pferde. Der kriegerische Triumph war ein beispielloser, dabei aber war es eine besonders günstige Fügung, daß er gemeinsam von den Preußen, den Sachsen, den Bayern und den Württembergern errungen war. Die deutsche Einigkeit hatte diesen glorreichen Sieg errungen: das gemeinsam vergossene Blut und die alle durchdringende Begeisterung führten die Herzen der deutschen Stämme noch näher zu einander, und in alten erwachte das helle und sichere Bewußtsein, daß jetzt das deutsche Reich in seiner alten Herrlichkeit wieder erstehen und im Friedensschlüsse die schmählich geraubten Provinzen Elsaß und Deutsch-Lothringen wiedergewonnen werden müßten. 7. Der Kampf um Paris. — Die glorreichen Siege der deutschen Waffen hatten in vier Wochen die Streitkräfte des übermütigen Feindes dergestalt zertrümmert, daß eine französische Armee, die das offene Feld hätte halten können, nicht mehr existierte. Hütte Frankreich eine geordnete und kundige Regierung gehabt, die aus das Wohl des Landes und seine Zukunft gesehen hätte, so wäre es bei der hoffnungslosen Lage deren Pflicht gewesen, die gemäßigten Bedin- gungen des Siegers anzunehmen und Frieden zu schließen. Aber kaum war die Nachricht von dem ungeheuren Ereignis vor Sedan nach Paris gekommen, da fand die Kaiserin keinen Gehorsam mehr. In Preußen hatte sich nach dem großen Unglück der Jahre 1806 und 1807 das Volk nur um so enger an das geliebte Königspaar angeschlossen: bei den leicht erregten und wankelmütigen Franzosen war das anders. Alle Schuld am Geschehenen ward jetzt auf den Kaiser und seine Familie gewälzt; die Kaiserin mußte sich mit ihrem Sohn nach England flüchten, und mehrere begabte und vaterlandsliebende, aber dabei hoch-
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