1895 -
Leipzig
: Dürr
- Autor: Zöllner, C. Wilhelm, Schuberth, Wilhelm, Scholtze, Adolf, Pfalz, Franz
- Sammlung: Kaiserreich Geschichtsschulbuecher
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Realschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Neuzeit
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Lage. Russische Truppen blieben im Lande, quälten und drückten das
Volk. In dieser Not wandte sich der Reichstag an Preußen, und der
neue König Friedrich Wil Helm Ii., der mehr noch als sein Vor-
gänger die Übermacht Rußlands fürchtete, ging in der That 1790 ein
Bündnis zu gegenseitiger Verteidigung mit den Polen ein. Im Ver-
trauen auf diese Hilfe und ermutigt durch die Verwicklungen, in die
Rußland mit der Türkei geraten war, vollzog der Reichstag am
3. Mai 1791 eine Umwandlung der Verfassung. Das liberum vew
ward abgeschafft, den Bürgern eine größere Freiheit und Zutritt zu
den höheren Stellen in der Verwaltung, sowie im Heere zugestanden
und dem Kurfürsten von Sachsen das erbliche Königtum angetragen.
Allein diese Wiedererweckung des Staatswesens kam zu spät. Rußland
machte Frieden mit der Türkei, und Friedrich Wilhelm Ii. war,
erschreckt durch die Greuel der Revolution in Frankreich, mißtrauisch
gegen alle Neuerungen geworden; seine Teilnahme für Polen erkaltete,
seine Hinneigung zu Rußland nahm zu. Überdies gab es eine Partei
in Polen selbst, welche die alten Privilegien des Adels nicht vergeffen
konnte. Diese Unzufriedenen schlossen dieconföderation zutarg owicz,
die gegen die Regierung gerichtet war und natürlich von Katharina
sofort mit Waffengewalt unterstützt wurde. Der machtlose König, der
die neue Verfassung beschworen hatte, mußte ans einen Wink von
Petersburg der Conföderation beitreten. Daraus erklärte Katharina
den Polen den Krieg. Nach kurzem Kampfe unterlagen die Regierungs-
truppen ; einer der tapfersten und beliebtesten Anführer, K o s c i u ß k o,
der an dem Freiheitskampse der Amerikaner teilgenommen hatte, ging
ins Ausland. Nun schritten Rußland und Preußen zu einer neuen
Teilung Polens (1793). Rußland verlangte einen großen Teil von
Litthauen, Kleinpoleu und die Ukraine, zusammen 4553 Quadrat-
meilen, Preußen Danzig und Thorn, Posen, Gnesen und Kalisch, zu-
sammen 1060 Quadratmeilen. Österreich begehrte keine neue Gebiets-
erweiterung ; doch hatte Kaiser Franz Ii., der seinem Vater Leopold Ii.
1792 in der Regierung gefolgt war, auch keine besondere Zuneigung
zu den Polen. Der Reichstag zu Grodno sollte die zweite Zer-
stückelung des Vaterlandes gutheißen. Wohl verharrten die Landboten
in trotzigem Schweigen, aber die russischen Truppen, die das Reichs-
tagsgebäude umgaben, machten jeden Widerstand unnütz. Als mehrere
Mitglieder der Versammlung verhaftet worden waren, stellte tief in
der Nacht ein Landbote den Antrag, daß Schweigen für Zustimmung
gelten möchte, und daraufhin unterzeichnete der Marschall Bielinski