1. Sagen
- S. 85
1912 -
Berlin
: Oehmigke
- Autor: Nohl, Walther
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Regionen (OPAC): Brandenburg
- Inhalt Raum/Thema: Heimatkunde
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66. Der rote Hahn im Stechlinsee.
Bei Neu-Globsow breitet sich, von Bergen eingefaßt und
von Eichen, Buchen und Kiefern umsäumt, der große Stechlin-
fee aus. Durch die klare Flut sieht man bis tief auf den Grund.
In feinen Tiefen haust ein Ungeheuer, der rote Hahn genannt;
der duldet nicht, daß überall gefischt wird. In alter Zeit lebte
im Fischerhaus Stechlin ein Fischer Minack, ein gewaltig starker
Mann, doch roh und wild. Einstmals wollte er an einer der
verrufensten Stellen fischen, weil da viele Muränen waren. Es
war stürmisches Wetter. Nur mit Zagen folgten seine Knechte.
Das Netz ist ausgeworfen. Sie fahren ans Ufer und winden
heraus. Bald gehen die Winden schwerer und stehen dann still.
Nun fährt Minack mit seinem Kahn auf den See hinaus, um
das Zeug zu lüften; er nimmt das Tau übern Kahn und zieht
sich daran weiter. Da droht das immer straffer gewordene Tau
den Kahn unter Wasser zu drücken. Der Fischer ruft nach dem
Ufer: „Laßt die Winden los!" Aber bei dem Sturm verstehen
sie: „Windet zu!" und arbeiten erst recht darauf los. Sein Kahn
füllt sich mit Wasser. Das Tau abheben kann er nicht, so zieht
er sein Messer und schneidet es durch. Wie da die beiden Enden
in die Tiefe fahren, teilt sich das Wasser, und mit donnerndem
Krähen betäubt der rote Hahn den Fischer und zieht ihn vor den
Augen seiner Knechte hinab in die Tiefe.
Wilibald von Schulenburg
(Landeskunde der Provinz Brandenburg).
67. Die Hände von Prenzlau.
Der erste Hohenzoller in der Mark, Kurfürst Friedrich I.,
hatte in feinem Lande harte und schwere Kämpfe auszufechten.
Aber mit fester Hand ging er gegen das Raubrittertum vor, und
er hatte manchen Strauß mit den Städten zu bestehen, die in
der langen Zeit der Herrenlosigkeit in der Mark gegen Fürsten
und Adlige mißtrauisch geworden waren und gelernt hatten, sich
auf ihre eigne Kraft zu verlassen. Die Städte, die an den Grenzen
der Mark lagen, mochten es nicht gern mit den Fürsten der Nach-
barschaft verderben, da diese ihnen, wie sie mehrfach erfahren
hatten, eher beistanden als die eignen Landesherren.