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1. Lesebuch für ländliche Fortbildungsschulen - S. 20

1910 - Wittenberg : Herrosé
20 l- Der Bauernstand sonst und jetzt. bliesen fleißig hinein. So kam das Jahr 1524. Ein großer Hagel vernichtete in Schwaben viele Erntehoffnungen und steigerte die Un- zufriedenheit. Da schlossen sich die Bauern abermals zusammen, standen in hellen Haufen auf und verlangten in den „12 Artikeln der Bauerschaft" allerlei Freiheiten und Rechte. Heute finden wir die „12 Artikel" berechtigt und maßvoll. Sie ent- halten nichts, was jetzt die Bauern nicht als gutes Recht hätten. Die 12 Artikel stützten sich auf die Bibel, beriefen sich auf Luther und Melanch- thon und forderten diese Männer als Schiedsrichter in ihrem Handel. Damals war aber die Macht der Herren so unbeschränkt, der Stand der Bauern so verachtet und die Kluft zwischen oben und unten so groß, daß die Forderungen der Bauern als eine unerhörte Kühnheit gescholten und verspottet wurden. Luther und Melanchthon mahnten die Bauern zum Frieden und wiesen sie auf den Weg der ordentlichen Beschwerde; den Herren aber redeten sie ins Gewissen, die schreienden Mißstände abzustellen und Erbarmen mit dem armen Volke zu haben. Ihre Mahnungen halfen aber weder bei den Herren noch bei den Bauern etwas; im Parteigeschrei und Haß verhallte die Stimme der Vernunft. Da lohete der Aufstand in Hellen Flammen auf. Die Bauern griffen zu den Waffen, zu Sensen, Dreschflegeln, Spießen und Äxten, und zogen in Hellen Hansen vor Klöster und Burgen, ja endlich vor feste Städte, um mit Feuer und Schwert ihre Rechte geltend zu machen. Durch den Schrecken erzwangen sie manches. Aber es fehlte ihnen an verständigen, wohlmeinenden Führern. Darum verwilderten ihre Haufen immer mehr und verübten immer abscheulichere Greuel. Und dabei beriefen sie sich auf das Evangelium und verlästerten so das Werk der Kirchenverbesserung. Als Luther sah, wie gute Worte nur Ol ins Feuer waren, schleuderte er tief ergrimmt seine Schrift „Wider die räuberischen und mörderischen Bauern" hinaus. Darin sagte er dem Landvolk harte Wahrheiten und mahnte die Fürsten, dem tollen Treiben der wütenden Bauern vereint ein Ende zu machen. Doch schonte er die Fürsten und Herren auch nicht und hielt ihnen ihre Schuld und ihre Pflichten vor. Die Fürsten rafften sich nun auf, griffen zum Schwerte und ließen die Kanonen ihren Mund gegen das Rachegeschrei der Bauern öffnen. Der Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen zauderte und meinte: „Es ist ein großes Ding, daß man mit Gewalt handeln soll. Vielleicht hat man den armen Leuten zu solchem Aufruhr Ursach ge- geben und sonderlich mit Verbietung des göttlichen Wortes. So werden die Armen in viel Wegen von geistlichen und weltlichen Obrigkeiten beschwert. Gott wende seinen Zorn von uns ab!" Auch der edle Kurfürst Ludwig von der Pfalz wollte seine Bauern lieber mit gütlichen Worten als mit Kolbenschlägen und Bleikugeln §nr Ruhe bringen. Er bewilligte ihnen einen Tag, hörte auf freiem Felde ihre Beschwerden an und versprach Abhilfe derselben, so sie ein Land- tag begründet fände. Melanchthon forderten die Bauern als Schieds- richter in dem Streite. Deshalb schrieb der Pfalzgraf an ihn, er möge
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