1912 -
München [u.a.]
: Oldenbourg
- Autor: Kracher, Fritz, Baier, Hans
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Kaufmännische Schule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): Jungen
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154. Die Bedeutung der Hanse.
mit einer gewissen Geringschätzung von den engen Grenzen althan-
sischer Tätigkeit und ihrem bescheidenen Können zu sprechen. Man
hat darauf hingewiesen, wie unbedeutend auch der blühendste Handel
der alten Städte gewesen sei, verglichen mit dem Treiben, das sich
in unseren großen Verkehrszentren abspielt. Es kann entgegnet
werden, daß man sich vor einer Unterschätzung des Alten hüten muß;
aber das ist nicht das Entscheidende. Ausschlaggebend ist, daß es
bei einer vergleichenden Beurteilung auf den Umfang des Verkehrs
gar nicht ankommt, sondern auf die Rangstellung, die eine Nation
in ihrer Zeit einnimmt. Und da ist der Hanse, unvollkommen,
stück- und flickwerksartig, wie sie unseren modernen Augen erscheint
und auch in mancher Beziehung wirklich war, doch das Verdienst
nicht abzusprechen, daß sie durch Jahrhunderte deutsches Volk und
deutsche Arbeit zur See und im ganzen europäischen Norden nicht
nur würdig, sondern gelegentlich geradezu glänzend vertreten hat,
daß es ihr gelungen ist, nicht nur Herr des eignen Handels zu bleiben
in einem Umfange, wie das gleichzeitig keine andere Nation des
atlantischen Europas vermocht hat, sondern auch im fremden Zwi-
schenhandel eine Bedeutung zu gewinnen, der die keines anderen
Volkes gleichkam. Mehr ist in unseren glücklichen Tagen auch nicht
erreicht; im Gegenteil, man kann sagen, daß wir von einer derartigen
Stellung innerhalb des gegenwärtigen Verkehrslebens noch recht
weit entfernt sind, auch hinzufügen, daß wir geringe Aussicht haben
sie je wieder völlig zu erringen. Denn die Tatsache, daß sich die
Engländer in ihrem, dem alten hansischen ähnlichen, kaum wesentlich
stärkeren Übergewicht allem Anscheine nach auch nicht zu behaupten
vermögen, spricht nicht dafür, daß es sobald wieder, wenn überhaupt
je, irgend einer Nation gelingen werde, eine Stellung zu gewinnen,
wie sie erst die Hanse, dann die Niederländer und nun seit fast
zwei Jahrhunderten die Engländer mehr oder weniger umstritten
behauptet haben.
Die deutsche Hanse hat aber noch das weitere Verdienst, daß
sie dem kaufmännischen und seemännischen Unternehmungsgeiste,
dem kühnen Magemute, der die Gefahren der Wogen und der
Fremde nicht scheut, in unserem Volke eine dauernde Stätte be-
reitet hat. Die Hanse ist es gewesen, die Städtewesen und Bürgertum
im Gebiet der norddeutschen Tiefebene von den Mündungen des
Rheines bis hinein in die fremden Völkerschaften an den ostbaltischen
Gestaden gefördert und zur Geltung gebracht und damit einen
Kulturfaktor eingeführt hat ohne den an eine weite ausgreifende,
weltgeschichtliche Entwicklung nicht zu denken war. Als die Jahr-
hunderte kamen, wo es die größte Weisheit wurde, sich mit Schmieg-
samkeit und Biegsamkeit, mit Unverzagtheit, Zähigkeit und Genüg-