1913 -
Leipzig
: Hahn
- Hrsg.: Leipziger Fortbildungsschul-Direktoren und -Lehrern
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1901
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Niedere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
- Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule, Fachschule, Gewerbeschule
- Regionen (OPAC): Dresden
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Geschlecht (WdK): Jungen
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schritte, ja wir sind schließlich mit so viel verschiedenen Brennern, Docht-
arten, Zylrnderformen beglückt worden, daß die arme Hausfrau sich in
dem Reichtum gar nicht mehr auskennt. Die Petrolemnglühlichtlampe,
der sich zur berechtigten Freude der Landwirtschaft die Spiritusglühlicht-
lampe anreihte, sind die jüngsten Erscheinungen der vielverzweigten
Industrie.
Ganz neue Aufgaben aber erwuchsen dieser, als das elektrische Licht
aus dem Stadium der Versuche heraustrat, als neben dem nur für die
Beleuchtung der Straßen und großer Räume geeigneten elektrischen
Bogenlicht die kleine, zierliche Glasbirne, das elektrische Glühlicht, zur
Geltung gelangte. Wie schnell doch dieses sich wieder einbürgerte! Die
erste praktisch brauchbare Glühlampe wurde Ende der siebziger Jahre
erfunden — heute leuchtet sie nicht nur in Magazinen, Hotels, in
zahlreichen Privathäusern der Großstädte, sie hat auch in kleineren Orten
und in neuester Zeit selbst auf Gütern, wo immer nur billige Wasserkraft
zum Betrieb der elektrischen Kraftmaschine vorhanden ist, weiteste Ver-
wendung gefunden; ja gerade kleinere Städte haben vielfach den Sprung
von der Petroleumbeleuchtung direkt zur elektrischen Zentrale und zum
elektrischen Licht gemacht, ohne den Gasometer und das Gaslicht über-
haupt kennen gelernt zu haben.
Während das Gas für Zimmerlampen, die vom Orte beweglich, die
tragbar sein sollen, gar nicht in Betracht kommt, weil es an feste Röhren-
leitungen gebunden ist, kann die elektrische Glühbirne sehr wohl auch für
transportable Lampen verwendet werden. Zwar ist das Ideal, eine brauch-
bare elektrische Lampe mit einer wenig empfindlichen, billigen Akkumulator-
batterie im Fuß, die man mit elektrischem Strom laden würde, wie man
auf eine alte Lampe Ol aufgießt, noch nicht erfunden. Da jedoch der
elektrische Strom nicht in festen Röhren fortgeführt wird, wie das Leucht-
gas, sondern in schmiegsamen, innerhalb der Wohnungen oft fadendünnen
Drähten, so kann man eine elektrische Lampe bis zu einem gewissen Grade
im Zimmer herumtragen — sie bleibt freilich immer an jenen Draht ge-
fesselt, von dessen Länge abhängig. Aber bei der unvergleichlichen Be-
quemlichkeit aller sonstigen Bedienung — ein Ruck rechts am Schalter, und
sie leuchtet auf, ein zweiter Ruck, und sie erlischt — nimmt man diesen
Mißstand gern mit in den Kauf.
Ein Weihnachtsbaum mit elektrischen Glühlämpchen! Ich kann mir
denken, das klingt vielen übermodern, und, ehrlich gesagt, ich selbst
werde wohl Zeit meines Lebens nicht auf die duftige Wachskerze
im Tannengrün verzichten. Aber schön und von ganz eigenem, wahr-
haft poetischem Reiz ist solch ein dunkler Baum auch, aus dem
hundert ganz kleine Glühlämpchen mit magischem Licht herausleuchten
— das kann niemand leugnen, der ihn gesehen hat. Und wer weiß,
ob er sich nicht bei der fortschreitenden Verbreitung des elektrischen
Lichtes allgemeiner einbürgert, als wir heute glauben. Möchten dann
nur unsere Enkel ihn mit gleich frommen Gedanken und mit der
gleichen Freude im Herzen umstehen, wie wir unseren lieben, alten
Lichterbaum! Hanns von Spiolb-rg.
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