1918 -
Halle (Saale)
: Gesenius
- Autor: Sanwürk, S. von, Ehringhaus, Friedrich, List, Heinrich Theodor
- Sammlung: Politikschulbuecher Kaiserreich
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
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zukünftigen Kolonialreiches und entfremdete sich hierdurch dem Deut«
sehen Reich immer mehr. Zunächst freilich waren Rußland und Frank-
reich noch seine Feinde, und so versuchte es, Deutschland für sich gegen
den Zweibund zu gewinnen.
6. England erweitert seine Machtstellung in den Kolonien
und im Sudan.
Während das Vordringen Rußlands in Asien England mit großer
Sorge erfüllte und letzteres sich daher Japan immer mehr näherte, suchte
gleichzeitig der Minister Chamberlain die einzelnen englischen Kolonien
durch einen engeren Zusammenschluß an das Mutterland zu fesseln und
ein „größeres Britannien" zu schaffen. 1897 kamen die Minister der
Kolonien zum erstenmal zu einer Konferenz zusammen, die seitdem
jährlich tagte. Vor allem aber gelang es England 1898, sein Reich
durch die Eroberung des Sudan wesentlich zu erweitern. 1885 hatte
es ihn nicht erobern können, aber mit echt englischer Zähigkeit hielt es
an seinem Plan, die Rilländer und -quellen zu erobern, fest. Kitchener
drang seit 1896 in den Sudan vor, schlug die Eingeborenen bei
Omdurman und rückte weiter nach Süden vor. Da stieß er unerwartet
bei Faschoda auf eine französische Abteilung unter dem Hauptmann
Marchand, und nun drohte der Zusammenstoß der beiden alten Kolo-
nialgegner den Weltkrieg herbeizuführen.
7. Frankreichs Politik und die Schmach von Faschoda (1898).
Kaiser Wilhelm hatte keine Gelegenheit versäumt, um den Fran-
zosen Liebenswürdigkeiten und Höflichkeiten zu erweisen, um sie ver-
söhnlich zu stimmen. Cr hatte damit nur bei wenigen Erfolg, die
Mehrheit legte sein Verhalten als Schwäche aus und gab den Rache-
krieg nicht auf. Als die heftigen inneren Kämpfe (Panama- und
Dreyfuß-Skandal) erledigt waren, hatte Rußland endlich das ersehnte
„Bündnis" mit Frankreich abgeschlossen; jedoch ließ Alexander Iii.
keinen Zweifel darüber aufkommen, daß er nicht bereit sei, das Werk-
zeug französischer Rachepläne zu werden. Um so erfolgreicher war die
französische Kolonialpolitik in Hinterindien und Afrika. Zn Nord-
afrika hatte es ein großes, zusammenhängendes Kolonialreich geschaffen
und erstrebte nun seine Ausdehnung bis an den Indischen Ozean.
Marchand erreichte 1898 F a s ch o d a am oberen Nil, und mit Abessinien
wurden aussichtsreiche Verhandlungen geführt. Da erhob England in
schroffer Form Einspruch und verlangte, daß die Franzosen diese Ge-
biete räumen sollten. Würde das stolze, ruhmbegierige Frankreich sich
diese „Schmach von Faschoda" gefallen lasten? Das französische Volk
schäumte vor Wut, aber die Regierung entschied sich aus persönlichen
und sachlichen Gründen für unbedingtes Zurückweichen vor England.
Der neue Minister des Auswärtigen, Delcasto, war einer der größten
Gegner Deutschlands und wollte den Rachekrieg; daher suchte er An-
schluß an England. Es war dies ein folgenschwerer Entschluß für