1916 -
Trier
: Lintz
- Autor: Genniges, E., Buschmann, Johannes
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): Jungen
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69. Wie wirst du erst, den seit so langen Tagen
Entbehrt ich habe, wonnereicher Laut
Der Menschenred', ans alte Herz mir schlagen!
70. Sie haben mich, die Klippe doch erschaut,
Sie rücken an die Segel, im Begriff
Den Lauf zu ändern. — Gott, dem ich vertraut!
71. Nach Süden — — ? Wohl! Sie müssen ja das Riff
Umfahren, fern sich halten von der Brandung.
O, gleite sicher, hoffnungsschweres Sch>ff!
72. Jetzt wär' es an der Zeit! O meine Ahndung!
Blickt her! Blickt her! Legt bei! Setzt aus das Boot!
Dort unterm Winde, dort versucht die Landung!
73. Und ruhig vorwärlsstrebend ward das Boot
Nicht ausgesetzt, nicht ließ es ab zu gleiten,
Es wußt' gefühllos nichts von meiner Not.
74. Und ruhig sah ich hin das Fahrzeug gleiten
Mit windgeschwellten Segeln auf den Wogen
Und wachsen zwischen ihm und mir die Weiten.
75. Und als es meinem Blicke sich entzogen.
Der's noch in leerem Blau vergebens sucht,
Und ich verhöhnt mich wußte und belogen,
76. Da hab' ich meinem Gott und mir geflucht
Und. an den Felsen meine Stirne schlagend,
Gewütet sinnverwirret und verrucht.
77. Drei Tag' und Nächte lag ich so verzagend,
Wie einer, den der Wahnsinn hat gebunden,
Im grimmen Zorn am eignen Herzen nagend,
78. Und hab' am dritten Tränen erst gefunden
Und endlich erst vermocht, mich aufzuraffen,
Vom allgewalt'gen Hunger überwunden,
Um meinem Leibe Nahrung zu verschaffen."
Die letzte Schiefertafel.
79. „Geduld! Die Sonne steigt im Osten auf,
Sie sinkt im Westen zu des Meeres Plan,
Sie hat vollendet eines Tages Lauf.
80. Geduld! Nach Süden wirft auf ihrer Bahn
Sie jetzt bald wieder senkrecht meinen Schatten;
Ein Jahr ist um, es fängt ein andres an.
81. Geduld! Die Jahre ziehen ohn' Ermatten;
Nur grub für sie kein Kreuz mehr deine Hand,
Seit ihrer fünfzig sich gereihet hatten.
82. Geduld! Du harrest stumm am Meeresrand
Und blickest starr in öde, blaue Ferne
Und lauschst dem Wellenschlag am Felsenstrand.
83. Geduld! Laß kreisen Sonne, Mond und Sterne,
Und Regenschauer mit der Sonnenglut
Abwechseln über dir. Geduld erlerne!