1881 -
Trier
: Lintz
- Autor: Buschmann, Johannes
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Inhalt: Zeit: Mittelalter
- Geschlecht (WdK): Jungen
32
Zweiter Abschnitt.
Dmtsdjc Dichtung mm der Mitte des 12. bis M Mitte
dos 14. Jahrhunderts.
(Blütezeit der mittelalterlichen Litteratur. Die Sprache ist die mittelhochdeutsche,
die poetische Form zeigt eine kunstvolle Bildung in Vers und Stropheubau. Die Poesie,
anfangs noch in den Händen der Geistlichen, gebt bald ganz in die Hände der Ritter
über. Neben dem Volks- und Kunstepos blüht die Lyrik.)
1. Im Lause des 12. Jahrhunderts vereinigten sich eine Reihe von
Umständen zur Hebung und Förderung der deutschen Poesie. Einmal regten
die Kreuzzüge die Geister gewaltig an, erweiterten den Jdeenkreis der abend-
ländischen Volker, belebten die Phantasie und gewährten eine Fülle neuer
Stoffe. Von nicht geringer Bedeutung für den Aufschwung des deutschen
Gesanges war dann auch der Glanz des staufischen Kaiserhauses und
des deutschen Rittertums. Gerade die Ritter glaubten sich zur Pflege dev
edlen Sangesknnst vor allem berufen, und es galt als eine ehrenvolle Aufgabe
nicht nur des kaiserlichen Hofes, sondern auch der Fürsten, die Dichtkunst und
ihre Vertreter auf alle Weise zu schützen und zu heben. Große Anregung
fand die deutsche Poesie endlich noch durch die französischen Dichten
(Troubadours im südlichen, Trouveres im nördlichen Frankreich genannt),
welche für die Deutschen geradezu Muster und Vorbild wurden.
2. Die poetischen Gattungen, welche vorzugsweise gepflegt wurden, find
das Epos, die Lyrik und die Didaktik. Das Epos erscheint in zwei
nach Form und Inhalt geschiedenen Gestaltungen, als Kunst- und als Volks-
epos. Träger des Kunstepos waren die Dichter ritterlichen Standes, die
höfischen Dichter, während das Volksepos von Sängern aus dem Volke (varnde
liute, spilman, videlaere) gepflegt wurde. Die höfischen Dichter behandeln fast
nur fremde Stoffe, und auch diese meist nach französischen Vorlagen; die Volks-
dichter dagegen sind die Hüter und Erneuerer der alten Nationalsagen. Das
Kunstepos erhielt von der Persönlichkeit des Dichters eine subjektive Färbung,
der Volksgesang blieb überwiegend objektiv. Die Form des Kunstepos bilden
die sogenannten Reimpaare, während die Volkssänger ihre Stoffe in der Ni-
belungenstrophe oder doch in einer derselben ähnlichen Strophenform behandelten.
3. Die Reimpaare sowohl wie die Nibelungenstrophe sind eine
Fortbildung der althochdeutschen Langzeile. Die Reimpaare sind stumpf oder
klingend gereimte Verse mit wier Hebungen. Die Nibelungenstrophe besteht
aus vier paarweise gereimten Langzeilen; die Halbzeilen der vorderen Hälfte
haben vier Hebungen und meist klingenden Schluß, die der hinteren Hälfte
aber drei Hebungen und stumpfen Schluß; ausgenommen ist aber die achte
Halbzeile, welche wieder vier Hebungen aufweist. Vgl. Anhang § 7.
Anmerkung 1. In den Reimpaaren finden sich bei klingendem Reim nicht selten
vier volle Hebungen, meistens aber gilt als vierte Hebung die nachklingende Silbe. —
Ähnlich fällt auch in der Nibelungenstrophe die vierte Hebung der ersten Vershäffte meist,
auf ein tonloses e.