1883 -
Dresden
: Bleyl & Kaemmerer
- Autor: Bliedner, A.
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): Jungen
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109. Die Veranlassung- zu Wallensteins Sturz.
Nach der Augsburger Allgemeinen Zeitung vom 9. Juni 1881.
Was besonders merkwürdig, das ist der Umstand, dass der Vater
der gegen Wallenstein gesponnenen Machenschaft, der Olympius*) des
17. Jahrhunderts, endlich entdeckt ist. Ihn aus seinem Dunkel hervor-
gezogen zu haben, ist das Verdienst des Buches von Dr. E. Schehek
„Die Lösung der Wallensteinfrage“ (Berlin 1881). Er heisst Wilhelm
Graf Slawata, derselbe, dessen Fenstersturz das Signal zum dreissig-
jährigen Kriege gegeben. „Ihm vor allem gebührt der Ruhm, Wallen-
stein gestürzt zu haben; er ist die Urquelle der Verfälschung seiner Ge-
schichte, und ihm vornehmlich hat Schiller den Stoff zu den Charakter-
schilderungen in seinem dramatischen Gedichte entlehnt.“ Slawata von
Chlum und Koschumberg, geboren am 1. Dezember 1572, entstammte
einer alten, aber infolge der Konfiskation des Jahres 1548 herabgekom-
menen böhmischen Herrenfamilie. Er studierte in Siena die Rechte, be-
reiste Sicilien und Malta, später auch Dänemark, Holland, England,
Schottland, Frankreich und Spanien. Mit sehr guter wissenschaftlicher
und Weltbildung ausgerüstet, trat er in die öffentliche Laufbahn ein,
wo er es zu hohen Würden brachte. Im Jahre 1625 erhält er die Ge-
heimratswürde und endlich das Obersthofkanzleramt. Im Glauben der
Brüdergemeinde aufgewachsen, trat er schon früh zum herrschenden Be-
kenntnis über. Neben grosser Gewandtheit und Geschäftserfahrung, auch
einer gewissen Uneigennützigkeit in Vermögenssachen, erkennt ihm unser
Verfasser als Haupteigenschaften Verstellung, Falschheit und zäheste Lust
zur Intrigue zu. Seine Gelehrsamkeit, seine Weltkenntnis, die Frucht
langer Reisen und steten Umganges mit den fremden Gesandten und her-
vorragendsten Persönlichkeiten geistlichen und weltlichen Standes, eine
grosse Belesenheit, eine für jene Zeit staunenswerte Gewandtheit in Hand-
habung der Feder dienten ihm als ebenso viele Mittel zur Führung eines
schon früh beginnenden, wenn auch in tiefes Geheimnis gehüllten Kampfes
-gegen Wallenstein. Proteusartig, in den verschiedensten Gestalten und
mit den verschiedensten Waffen, führt er diesen Kampf. Jeder Hand-
lung des Gegners sieht er die Seite ab, welche die gefährlichste ist, und
richtet danach sein Geschoss ein. Zurückgeschlagen, ändert er die Front,
um von neuem anzurücken. Zudem verstand er meisterhaft die Gewin-
nung mächtiger Bundesgenossen. Es wäre ein Irrtum, ihn für einen
Agenten Bayerns und Spaniens zu halten. Im Gegenteil. Er selbst war
es, welcher den Papst, Spanien und Bayern herbeirief. Am ersten wendet
sich Slawata, nachdem ein früherer Versuch beim Kaiser fehlgeschlagen,
an Bayern, dessen Regenten er eine unauslöschliche Feindschaft gegen
Wallenstein einzuflössen versteht. Die erste Frucht derselben ist der
Tag von Regensburg. Sie wirkt aber in der ganzen Folgezeit fort und
übt noch auf die Mordnacht in Eger ihren Einfluss aus — das verhäng-
*) Olympius war der Hofbeamte des Kaisers Honorius, durch welchen
Stilicho gestürzt wurde.