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1. Theil 2 - S. 729

1827 - Leipzig : Fleischer
729 Gehorsam auf; Jeder that nur, was er selbst wollte. Der nagendste Hunger, die fürchterlichste Kälte bei dem Mangel an warmer Bekleidung, raubte Vielen die Besinnung, und tödtete jedes Mitgefühl. Wie wilde Thicre dachte Zeder nur an Stil- lung seines Hungers; sobald ein Pferd fiel, stürzten die Hung- rigen darauf los, zerrissen es in Fetzen, und schlugen sich dar- um. Sank ein Sterbender um, so warteten die Andern nicht seinen letzten Athemzug ab, sondern entrissen ihm seine Kleider sogleich. Vergebens streckte der Hülflose seine Hand aus; Keiner reichte ihm die seinige, um ihm aufzuhclfen; wer ein- mal fiel, war verloren, weil es ihm an Kräften gebrach, sich wieder zu erheben. Es herrschte eine Todtenstille; Zeder war mit seinem Schicksal beschäftigt, und wunderte in dumpfer Er- gebung vor sich hin. Noch gräßlicher als die Tage waren die langen Nächte. War es gelungen, ein Feuer anzumachcn, so kamen jeden Augenblick todtenähnliche Gestalten herbcigcwankt, um sich zu erwärmen, wurden aber zurückgestoßen. Die einen Platz fanden, setzten sich auf die herumlicgenden Leichen, weit es ihnen an Kraft fehlte, sie fortzuschaffen. Andere waren von der Kälte und dem Hunger wahnsinnig geworden; sie rannten auf das Feuer zu, grinzten, sictschten die Zähne, und stürzten sich mit einem höllischen Lachen in die Gluth, wo sie unter gräßlichen Zuckungen ihren Tod fanden. So erreichten die Ucberreste des großen Heeres am 9ten December die Stadt Wilna. Die Kälte war jetzt bis auf 28 Grad gestiegen. Hier hofften sie einige Ruhe zu genießen; aber die Nüssen jagten sie bald wieder auf, und das Geschrei: „Kosacken! Kosacken!" setzte die Unglücklichen wieder in Be- wegung. Die zum Fliehen zu schwach waren, wurden von den Kosacken niedergemetzelt. Als nun endlich die Fliehenden die polnische Gränze erreichten, waren von der ganzen großen Armee nur noch einige hundert Mann der alten Garde unter den Waffen, und das Eorps des Vicekönigs Eugen war so zusammengeschmolzen, daß es in einem einzigen kleinen Zimmer Platz hatte. Wie ungeheuer der Verlust der Franzosen in Ruß- land gewesen sey, geht daraus hervor, daß in den ersten Mo- naten des folgenden Zahrcs, als die Schneedecke wegthaut^

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1. Theil 3 - S. 500

1839 - Leipzig : Fleischer
500 darum. Sank ein Sterbender um, so warteten die Andern nicht sei- nen letzten Athemzug ab, sondern entrissen ihm seine Kleider sogleich. Vergebens streckte der Hülflose seine Hand aus; Keiner reichte ihm die seinige, um ihm aufzuhelfen; wer einmal siel, war verloren, weil es ihm an Kräften gebrach, sich wieder zu erheben. Es herrschte eine Lodtenstille; Jeder war mit seinem Schicksal beschäftigt, und wunderte in dumpfer Ergebung vor sich hin. Noch gräßlicher als die Lage waren die langen Nächte. War es gelungen, ein Feuer anzumachen, so kamen jeden Augenblick todtenähnliche Gestalten herbeigewankt, um sich zu erwärmen, wurden aber zurückgestoßen. Die einen Platz fan- den, setzten sich auf die herumliegenden Leichen, weil es ihnen an Kraft fehlte, sie fortzuschaffen. Andere waren von der Kälte und dem Hunger wahnsinnig geworden; sie rannten auf das Feuer zu, grinzten, fletsch- ten die Zähne, und stürzten sich mit einem höllischen Lachen in die Gluth, wo sie unter gräßlichen Zuckungen ihren Tod fanden. So erreichten die Ueberreste des großen Heeres am 9. Decem» her die Stadt Wilna. Die Kälte war jetzt bis auf 29 Grad ge- stiegen. Hier hofften sie einige Ruhe zu genießen; aber die Russen jagten sie bald wieder auf, und das Geschrei; „Kosacken! Kosacken!" setzte die Unglücklichen wieder in Bewegung. Die zum Fliehen zu schwach waren, wurden von den Kosacken niedergemetzelt. Als nun endlich die Fliehenden die polnische Gränze erreichten, waren von der ganzen großen Armee nur noch einige hundert Mann der alten Garde unter den Waffen, und das Corps des Vicekönigs Eugen war so zu- sammengeschmolzen, daß es in einem einzigen kleinen Zimmer Platz hatte. Wie ungeheuer der Verlust der Franzosen in Rußland gewesen sey, geht daraus hervor, daß in den ersten Monaten des folgenden Jahres, als die Schneedecke wegthaute, und die Leichen zum Vorschein kamen, 243,000 französische Leichname verscharrt oder verbrannt wor- den sind, und doch war der Befehl, sie zu zählen, erst da angekom- men, als schon viele auf die Seite geschafft waren. In Wilna allein sind 70,000 Leichen beerdigt worden! Welche Angst, Mühe und Sorg- falt kostet es nicht einer Mutter, ehe sie ein Kind aufzieht, und hier wurden die Menschen, um des Ehrgeizes eines Einzigen willen, zu Hunderttausenden kläglich hingeopfert! Besser war cs allerdings den seitwärts geschobenen Heeren ge- gangen. Oudinot hatte sich mit Wittgenstein mehrmals gemessen, aber nicht nach Petersburg Vordringen können, und als Napoleon von Moskau zurückkehrte, war Oudinot ihm zu Hülfe geeilt, und auch seine Soldaten hatten meist dem allgemeinen Mrderben unterlegen. Witt- genstein war ihm gefolgt, und an der Berezina mit Kutusow zusam- men getroffen. — Macdonald, mit dem das preußische Corps ver- einigt war, hatte Riga nicht einnehmen können, und als die Kälte so

2. Neueste Geschichte - S. 119

1859 - Leipzig : Fleischer
119 daher wurde der Abzug sehr aufgehalten. Dann stieß, von den Hintern ge- drängt, der Stärkere den Schwächern gefühllos in den Fluß hinab. Dieses wilde Gedränge währte den ganzen 28. November bis in die Nacht hinein. Um 9 Uhr zogen diejenigen Soldaten, die bisher die Russen aufgehalten hatten, herbei, und bahnten sich einen gräßlichen Weg, und am andern Morgen, als eben die Russen anrückten, wurde die Brücke abgebrannt. Alle die Unglücklichen, welche noch zurück waren, liefen nun in Berzweiflung am Ufer umher; Einige suchten hinüberzuschwimmen, Andere wagten sich auf die schwimmenden Eisschollen, und noch Andere stürzten sich, jeder Ueber- legung beraubt, in die Flammen hinein. Der Ueberrest fiel den erbitterten Russen in die Hände, welche die Meisten todtstachen; am Leben Erhaltene wurden mit Knutenhieben ins Innere von Rußland zurückgetrieben. Die über die Brücke Entkommenen wären noch verloren gewesen, hätten nicht die Russen unbegreiflicher Weise alle die langen, über die Sümpfe der Berezina führen- den Brücken stehen lassen; aber die Meisten waren nur gerettet, um eines noch grausameren Todes zu sterben; denn die Kälte wurde von Tage zu Tage strenger, und nun ging die Noch erst recht an. Die letzte Spur von Ordnung war aufgelöst; Alle liefen durch einander, so wie Jeden die Flucht trieb. Napoleon war bisher mit den Garden vor dem Heere hergezogen, und hatte bei dem Anblicke des gränzenlosen Elends kein Zeichen der Theilnahmc gegeben. Am 5. December spät Abends verließ er in Smorgonie, von Caulincourt (gest. 1827) allein begleitet, das Heer, und eilte auf einem Schlitten durch Polen und Deutschland nach Paris zurück. Bon nun an hörte jeder Gehorsam auf; Jeder that nur, was er selbst wollte. Der na- gendste Hunger, die fürchterlichste Kälte bei dem Mangel an warmer Be- kleidung raubte Bielen die Besinnung, und tödtete jedes Mitgefühl. Wie wilde Thiere dachte Jeder nur an Stillung seines Hungers; sobald ein Pferd fiel, stürzten die Hungrigen darauf los, zerrissen es in Fetzen, und schlugen sich darum. Sank ein Sterbender um, so warteten die Andern nicht seinen letzten Athemzug ab, sondern entrissen ihm seine Kleider sogleich. Bergebenö streckte der Hülflose seine Hand aus; Keiner reichte ihm die seinige, um ihm aufzuhelfen; wer einmal fiel, war verloren, weil es ihm an Kräften gebrach, sich wieder zu erheben. Es herrschte eine Todtenstille; Jeder war mit seinem Schicksale beschäftigt, und wanderte in dumpfer Ergebung vor sich hin. Noch gräßlicher als die Tage waren die langen Nächte. War es gelungen, ein Feuer anzumachen, so kamen jeden Augenblick todtenähnliche Gestalten her- beigewankt, um sich zu erwärmen, wurden aber zurückgestoßen. Die einen Platz fanden, setzten sich auf die herumliegenden Leichen, weil es ihnen an Kraft fehlte, sie fortzuschaffen. Andere waren von der Kälte und dem Hun- ger wahnsinnig geworden; sie rannten auf das Feuer zu, grinzten, fletschten die Zähne, und stürzten sich mit einem höllischen Lachen in die Gluth, wo sie unter gräßlichen Zuckungen ihren Tod fanden. So erreichten die Ueberreste des großen Heeres am 9. December die Stadt Wilna. Die Kälte war jetzt bis auf 28 Grad gestiegen. Hier hofften sie einige Ruhe zu genießen; aber die Russen jagten sie bald wiederauf, und das Geschrei: „Kosacken! Kosacken!" setzte die Unglücklichen wieder in Be-

3. Lesebuch für Ober-Klassen in katholischen Elementar-Schulen - S. 389

1854 - Münster : Aschendorff
389 Lanzen der Kosacken, unter den Keulen der ergrimmten Bauern. Am gräßlichsten war das Unglück an derberesina, über welche Napoleon eine Brücke hatte schlagen lassen. Kaum war die Hälfte hinüber gerückt, als plötzlich das fürchterliche Hurrah- geschrei der Kosacken und das Donnern der russischen Kanonen gehört wurde. Und auf einmal stürzte sich der ganze Haufen der Franzosen, Menschen, Pferde, Wagen und Kanonen, in rath- und thatloser Flucht durch - und übereinander auf die Brücke. Jeder wollte der Erste sein; hier galt kein Befehl, kein Rang mehr; Jeder kämpfte um sein Leben. Viele wurden in dem Gedränge erdrückt. Viele von den Nädern der Kano- nen und Wagen zerquetscht, Viele von der Brücke hinunter in den Strom gestürzt. In diese wilde Menschenfluth hinein don- nerten die Kanonen der Russen und richteten eine entsetzliche Verwüstung an. Zuletzt brach die Brücke ein; Tausende fan- den ihren Tod in den Wellen, und Alle, welche noch am jen- seitigen Ufer waren, wurden gefangen. Ueber 30,000 Mann verloren die Franzosen bei diesem Uebergange am 27. Novem- der. Napoleon selbst, die Hoffnungslosigkeit seiner Lage einse- hend, verließ am 3. December das Heer. In einem elenden Schlitten, den Trümmern seines Heeres voraus, durchjagte er die öden Schnee- und Eisfelder Rußlands nach Wilna, und von da über Warschau, Dresden und Mainz nach Paris, um schnell die Bildung eines neuen Heeres zu veranstalten. Den Oberbefehl über die zurückgebliebenen Trümmer überließ er dem Könige von Neapel. Seitdem wich alle Zucht und Ordnung, und das Elend der Franzosen überstieg jedes Maß. Soldaten von allen Regimentern liefen wild durch einander. Die wenig- sten Reiter hatten noch Pferde, vielen fehlte es sogar an Schu- hen, und sie umwickelten kläglich die Füße mit abgerissenem Tuche. Da wüthete der Hunger so entsetzlich, daß selbst ge- fallene Pferde mit Gier verzehrt wurden. Wie Todesgestalten wanderten die Soldaten über die Schnee- und Eisfelder; ganze Wolken von Kosacken zogen hinter ihnen her. Nirgends Ruhe! nirgends Rast! Kaum hatten sie ein Feuer angemacht und sich um dasselbe gelagert; augenblicklich störte sie wieder das Hur- rah der Kosacken auf. Der bloße Ruf: „Kosacken!" setzte ganze Haufen in schnellen Trab; wen die Kraft zum Fliehen verließ, streckte vergebens die Hand nach den athemlos Vorübereilenden aus. Betäubt vor Kälte wanderten viele wie Wahnsinnige mit- ten in das Feuer. Die Russen fanden oft des Morgens um die erloschenen Wachtfeuer schauerliche Todtenversammlungen. So endete das große, in so stolzen Hoffnungen ausgezogene Heer, und nur Wenige sahen ihre Heimath wieder. Moskau war der Scheiterhaufen der Macht und Größe Napoleons. Jene sechs verhängnißvollen Monate hatten über 300,000 Men-

4. Theil 4 - S. 89

1880 - Stuttgart : Heitz
Rückzug der Franzosen aus Rußland. 89 Napoleon erhielt die Nachricht von einer Verschwörung, welche in Paris ein General Mallet entworfen habe, zugleich aber auch, daß sie gescheitert sei. Dennoch hielt er für nöthig, nach Paris zurückzueilen. Auf einem einfachen Schlitten, in Pelze gehüllt, reiste er, nur in Begleitung des Generals Caulaiucourt den Trümmern seines Heeres schnell voraus. Gräßlich war indessen das Elend seiner unglücklichen Soldaten. Nie hatte ein Heer ein ähnliches Unglück betroffen. Bleich wie Schatten, zum Theil durch Hunger und Kälte ohne Besinnung und Sprache, wandelten sie daher. Nur wenn der Ruf: Kosack! erscholl, setzte sich die gespenstergleiche Schaar in Trab. Des Nachts war an Wachtfeuer nur selten zu denken. Daher drängten sie sich zu zehn bis zwanzig, wie Thiere dicht aufeinander, um sich vor Kälte zu schützen. Solche Haufen wurden häufig am Morgen von den Russen todt gefunden. Aehnliche schauerliche Todteuversammlungen traf man des Morgens um die erloschenen Wachtfeuer. Hatten einige Holz gefunden und Feuer angemacht, so hockte eine Menge dieser Gestalten umher; mächtigt und suchte ihre beiden Kinder über den Strom zu retten. Aber eine große Eisscholle stieß dagegen, der Kahn schlug um und Mutter und Kinder fielen ins Wasser. In dem Augenblicke warf sich ein junger Artillerist in den Fluß, erreichte schwimmend das eine Kind und brachte es glücklich ans Ufer, während die Mutter und das andere Kind ihren Tod unter den Eisschollen fanden. Der brave Jüngling behielt die kleine Waise bei sich; aber ob er den Kleinen und sich selbst bis Frankreich gerettet habe, ist nicht bekannt. Eine der gräßlichsten Scenen ist folgende, die ein Augenzeuge erzählt. „Die schöne 25jäh= rige Frau eines französischen Obersten, die ihren Mann wenige Tage früher, ehe wir die Beresina erreichten, in einem Gefechte verloren hatte, hielt unweit der Brücke, die zu unserm Uebergange bestimmt war, nahe bei mir. Gleichgültig gegen alles, was um sie her vorging, schien sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihre Tochter, ein sehr schönes Kind von vier Jahren, das sie vor sich auf dem Pferde hatte, zu richten. Vergebens suchte sie mehrere Male die Brücke zu erreichen, wurde aber immer wieder zurückgedrängt. Dumpfe Verzweiflung schien ihr ganzes Wesen zu erfüllen; sie weinte nicht; starr waren ihre Augen bald zum Himmel, bald auf ihre Tochter gerichtet, und einmal vernahm ich die Worte: „0 Gott, wie bin ich so grenzenlos elend, daß ich nicht einmal beten kann!" Gleich darauf fiel ihr Pferd, von einer Kugel getroffen, und ihr selbst wurde von einer Kugel der linke Schenkel über dem Knie zerschmettert. Mit der Ruhe stiller Verzweiflung nahm sie ihr weinendes Kind, küßte es öfters, löste ihr mit Blut getränktes Strumpfband von dem zerschmetterten Beine und erwürgte das Kind damit. Hierauf schloß sie die kleine Leiche in die Arme, drückte sie fest an sich, legte sich neben ihr gefallenes Pferd und erwartete so, ohne einen Laut von sich zu geben, ihr Ende. Bald darauf wurde sie von den Pferden derer, die sich gegen die Brücke drängten, zertreten."

5. Weltgeschichte in Lebensbildern für Mittelschulen, höhere Mädchenschulen und verwandte Anstalten - S. 257

1897 - Leipzig : Baedeker
— 257 — aber Hunger und Frost rafften viele dahin. Dazu kamen unaufhörliche Angriffe der russischen Kofacken, die den ermatteten Feinden keine Ruhe gönnten. Der Zug Hungriger, Zerlumpter und vor Kälte Zitternder mußte rastlos weiter. An der Beresina erreichte das Elend seinen Gipfel. Napoleon hatte zwei Brücken über den Fluß schlagen lassen. Aber als die Truppen im Begriff waren, hinüberzurücken, erschienen plötzlich die Russen und feuerten mit Kartätschen in die dichten Haufen. Nun entstand eine entsetzliche Verwirrung. Alles stieß und drängte, um sich über die Brücken zu retten. Viele stürzten nieder und wurden von den Rädern der Wagen und Kanonen zermalmt, andere fielen in den Fluß und fanden in den kalten Fluten ihren Tod. Endlich brachen die Brücken zusammen: Tausende versanken in den Wogen und alle, die noch am andern User waren, gerieten in russische Gefangenschaft. Nach diesem Übergang hatten die Franzosen nur noch 8000 Bewaffnete. Napoleon, der sein Heer verloren sah, eilte auf einem Bauernschlitten über Warschau und Dresden nach Paris, um wieder neue Rüstungen zu betreiben. Mit ihm schwand alle Zucht und Ordnung im Heere: Soldaten aller Abteilungen liefen wild durcheinander, jeder dachte nur an seine Rettung, denn Hunger und Frost quälten fürchterlich. Mit Gier verzehrten die Hungrigen die gefallenen Pferde, und sank ein Soldat tot zu Boden, so rissen ihm seine Kameraden die Kleider vom Leibe, um sich damit Hände und Füße zu umwickeln. Hatten die Halberfrorenen sich ein Feuer angezündet, so trieb der Schreckensruf: „Die Kosacken kommen!" sie alsbald wieder in jähe Flucht, oder man fand sie des Morgens als starrgefrorene Leichen bei der erloschenen Glut. Von der großen Armee, die vor einem halben Jahre mit so stolzen Erwartungen den Niemen überschritten hatte, erreichte nur ein armseliger Rest von hohläugigen, zerlumpten, halbverhungerten Menschen, die nicht wie Soldaten, sondern wie wandelnde Leichen aussahen, die Grenze wieder. Als die Kunde von diesem schrecklichen Untergange sich in Deutschland verbreitete, erkannten Alle: „Das hat Gott gethan." Wie verhielten sich nun die Preußen gegen die armen Flüchtlinge? Sobald der Durchmarsch derselben im Lande angekündigt wurde, loderte hier und da der Zornmut über begangene Frevelthaten empor, und es erhoben einzelne die Frage, ob es nicht wohlgethan sei, die Franzosen allesamt zu erschlagen. Aber wenn man die Elenden sah, schwanden Zorn und Rachegefühle und mitleidig bot man ihnen Obdach und Pflege. Doch schien es, als sei die Kälte nicht aus ihren Leibern fortzubringen und ihr Heißhunger nicht zu stillen. Wurden sie in ein warmes Zimmer geführt, so drängten sie mit Gewalt an den heißen Ofen, als wollten sie hineinkriechen. Gierig verschlangen sie das trockene Brot; einzelne vermochten nicht aufzuhören, bis sie starben. Im Volke entstand der Glaube, daß sie vom Himmel mit ewigem Hunger gestraft feien; denn einst hätten sie die schönsten Weizengarben mutwillig im Lagerfeuer verbrannt, hätten gutes Brot ausgehöhlt, verunreinigt und Wollschläger, Weltgeschichte. 17

6. Theil 4 - S. 89

1862 - Breslau : Max
Rückzug der Franzosen aus Rußland. 89 Napoleon erhielt die Nachricht von einer Verschwörung, welche in Paris ein General Mallet entworfen habe, zugleich aber auch, daß sie gescheitert sei. Dennoch hielt er für nöthig, nach Paris zurückzueilen. Auf einem einfachen Schlitten, in Pelze ge- hüllt, reiste er, nur in Begleitung des Generals Caulaincourt, den Trümmern seines Heeres schnell voraus. Gräßlich war in- dessen das Elend seiner unglücklichen Soldaten. Nie hatte ein Heer ein ähnliches Unglück betroffen. Bleich, wie Schatten, zum Theil durch Hunger und Kälte ohne Besinnung und Sprache, wandelten sie daher. Nur wenn der Ruf: Kosack! erscholl, setzte sich die gespenstergleiche Schaar in Trab. Des Nachts war an Wachtfeuer nur selten zu denken. Daher drängten sie sich zu Zehn bis Zwanzig, wie Thiere dicht aufeinander, um sich vor Kälte zu schützen. Solche Haufen wurden häufig am Morgen von den Russen todt gefunden. Aehnliche schauerliche Todten- versammlungen traf man des Morgens um die erloschenen Wacht- feuer. Hatten Einige Holz gefunden und Feuer angemacht, so hockte eine Menge dieser Gestalten umher; Manche krochen grin- send und gefühllos ins Feuer hinein, und verbrannten elendiglich. Andere fand man hinter Gemäuer, in Scheunen, selbst in Back- öfen todt, weil ihnen die Kraft gefehlt hatte, weiter zu gehen. Um todte Pferde herum war man sicher, Leichen zu finden; Manche hielten noch das Messer in der Hand, mit welchem sie sich Stücke abgeschnitten hatten. Bon Theilnahme war auch die letzte Spur verschwunden. Vergebens streckten die Hingesunkenen, denen die Kraft zum Aufstehen fehlte, die Hände nach den Vor- übergehenden aus, welche sie lieber umkommen ließen, ehe sie sich einen Augenblick verweilt hätten. Die Kälte nahm von Tage zu Tage fürchterlicher zu und die Verzweiflung löste allen Gehor- sam auf. Soldaten von allen Regimentern liefen durcheinander. Pferde hatte die Reiterei längst nicht mehr, Stiefeln und Schuhe sah man nur noch bei Wenigen; mit Stücken von Tornistern, Hüten und Kleidern hatten die Meisten sich die Füße umwunden. von einer Kugel der linke Schenkel über dem Knie zerschmettert. Mit der Ruhe stiller Verzweiflung nahm sie ihr weinendes Kind, küßte es öfters, löste ihr mit Blut getränktes Strumpfband von dem zerschmetterten Beine und erwürgte das Kind damit. Hierauf schloß sie die kleine Leiche in die Arme, drückte sie fest an sich, legte sich neben ihr gefallenes Pferd und erwartete so, ohne einen Laut von sich zu geben, ihr Ende. Bald darauf wurde sie von den Pferden Derer, die sich gegen die Brücke drängten, zertreten!"

7. Hilfsbuch für den Geschichtsunterricht in Präparandenanstalten - S. 269

1892 - Breslau : Hirt
Gottes Strafgericht in Rußland. 269 Schlachtenbericht verkündete Napoleon der Welt: „Moskau, eine der reichsten und schönsten Städte der Welt, existiert nicht mehr!" c. Rückzug. Jetzt bot Napoleon dem Kaiser Alexander den Frieden an, der aber (besonders durch Steins Einfluß) nicht angenommen wurde. Aus Rache ließ er den Kreml in die Lust sprengen. Sein Heer betrug nur noch 100000 Mann; überwintern konnte er hier nicht; denn es fehlte an Obdach und Lebensmitteln, die zahlreichen Feinde umschwärmten ihn, und der gefürchtete russische Winter war im Anzuge. Daher ward (18. Oktober) der Rückzug angetreten. Die Kälte betrug bereits 18 0 R. und stieg bald auf 27 °. Von den Russen gezwungen, mußte man denselben Weg wählen wie auf dem Hinmärsche, durch eine ausgeraubte, verwüstete Gegend. Die mangelhafte Kleidung vermochte der Kälte nicht zu widerstehen; ganze Abteilungen fand man morgens erfroren um die Wachtfeuer liegen. Die Haufen, welche sich vor Hunger in die Nachbardörfer begaben, wurden von den umherschwärmenden Kosacken niedergemacht, andere fielen den wilden Tieren zum Opfer. Als das Heer Smolensk erreichte, zählte es nur noch 40000 streitbare Krieger; 30000 Nachzügler folgten den Vorausgegangenen ohne Zucht, Ordnung und Führung. Westlich der Stadt gelangte es an die sumpfige Beresina, über die schnell zwei Brücken geschlagen wurden. Aber nun entstand ein dichter Menschenknäuel, in den der Feind mit Kartätschen schoß. Jeder wollte zuerst hinüber, drängte und stieß seinen Nachbarn; der eine stürzte von der Brücke, der andere fiel zu Boden und wurde von den Wagen oder Kanonen zermalmt, Tausende suchten sich über das Eis zu retten und fanden ihren Tod in den kalten Fluten. Vier Tore währte dieser Übergang über die Beresina; da mußte die Brücke abgebrochen werden, um die Russen am Nachrücken zu hindern, und fast alle Nachzügler fielen in russische Gefangenschaft. Von der „großen Armee" waren noch 8000 halb kampffähige Soldaten übrig. Wie mit einem weißen Grabtuche deckte der Schnee die gefallenen Krieger; 240000 Leichen der Feinde wurden von den Russen eingescharrt. Halb Europa hatte zu trauern. Gegen Ende des Jahres schwankten die letzten Reste, Leichen gleich und in Lumpen gehüllt, über die preußische Grenze: kein Brot schien sie sättigen, kein Feuer sie wieder erwärmen zu können. Napoleon hatte seine Truppen längst verlassen. In Betten und Pelze gehüllt, eilte er unter fremdem Namen über Warschau und Dresden nach Paris und ließ der Welt verkünden: „Die Gesundheit Sr. Majestät war nie besser!"

8. Bd. 3 - S. 64

1873 - Neuß : Schwann
— 64 — Er fand sie verlassen, verödet, Thüren und Fenster geschlossen, und kaum waren die Franzosen eingezogen, so brach verborgenes Feuer aus den verschlossenen Häusern, und bald war die ungeheure Stadt eine himmelhohe Flamme. Mit Schrecken gewahrte es Napoleon, in Moskau hatte er Winterquartier nehmen wollen, um seine Truppen ausruhen zu lassen. Doch die Russen opferten die Stadt zur Rettung des Reiches. Napoleon, ohne Lebensrnittel und ohne Quartier für sein gewaltiges Heer, rnußte zurückziehen. Ans derselben verbrannten und durch Leichen verpesteten Straße, auf der er gekommen war, führte er seine Truppen gegen Westen. Aber welch' ein Rückzug! Ein ungewöhnlich strenger Winter trat ein, Menschen und Pferde sanken von Hunger und Kälte erschöpft dahin. In der unermesslichen, mit Schnee bedeckten Steppe sah man die große Armee dem Tode entgegen wanken. Magere Gestalten, bleich, hohläugig, in der seltsamsten Vermummung, in Pelzen, Weiberkleidern drängten sie sich vorwärts, schlugen sich um ein fallendes Pferd, dem sie heißhungerig das Fleisch vom Leibe schnitten und stürzten nach einander in den Schnee, um nicht wieder aufzustehen. Nach jeder Nacht lagen die Erfrorenen reihenweise um die erloschenen Feuer. Dazu waren jetzt die Russen dem fliehenden Heere immer auf der Ferse. Tausende von Nachzüglern fielen unter den Lanzen der Kosacken, unter den Keulen der ergrimmten Bauern. Hoffnungslos floh Napoleon dem Heere voraus durch Deutschland nach Frankreich. So endete der große mit so stolzen Hoffnungen unternommene Zug nach Rußland. Moskau war der Scheiterhaufen der Macht und Größe Napoleons. Nach genauen Berechnungen sind mit Napoleon 610,000 Mann, 182000 Pferde und 1370 Kanonen nach Rußland gekommen, 58,000 Mann, 18,000 Pferde und 120 Kanonen davon wieder zurückgekehrt und 306,Ooü Leichen von den Russen verbrannt oder verscharrt und 200,000 Gefangene gemacht worden.

9. Theil 3 - S. 414

1827 - Breslau : Max
414 alsbald vom Schnee wie mit einem großen Leichentuche bedeckt. Tausende von Naben zogen ihnen nach, um die Leichen zu zer- fleischen, und ehe noch die Ermatteten todt waren, wurden ihnen schon von den Starkern die Kleider abgerissen. Das Gepäck mußte, aus Mangel an Pferden, bald stehen bleiben, und gierig sielen die Hungrigen über die gefallenen Pferde her. In Smo- lensk hofften sie Vorräthe zu finden; aber theils war wenig da, theils ließen ihnen die nacheilenden Kosacken keine Zeit zum Aus- ruhen. Nun eilten von drei Seiten russische Heere herbei, den täglich mehr schmelzenden französischen Heerhaufen den Rückzug über die Beresina, einen Nebenfluß des Dniepers, abzuschneiden. Von den 600,000 waren nur noch — 40,000 übrig. Zwar ge- lang es Napoleon, eine Brücke über den Fluß zu schlagen; aber noch war kaum die Halste hinüber, als man das Hurrah der anrennenden Kosacken, und das Sausen der russischen Kanonen- kugeln hörte. Jetzt stürzte sich Alles in wildester Verwirrung nach der Brücke; Jeder wollte der Erste seyn; Jeder kämpfte um sein Leben. Der Soldat warf den Ofsicier, der Freund den Freund ins Wasser, wer zu Boden siel, war verloren; denn ohne Erbarmen walzte sich die ganze Menschenfluth über ihn hin, bis er ertreten war. Wie viele wurden nicht von den Rädern der Kanonen und Wagen zerquetscht, und die über den eistrei- benden Strom sich retten wollten, erstarrten oder ertranken. Das geschah am 27sten November. Zuletzt brach die Brücke ein, und was noch jenseits war, meist Schwache, Weiber und Kin- der, siel den Russen in die Hände. An 5000 hatten allein bei diesem Uebergange das Leben eingebüßt. Jetzt eilte Napoleon auf einem einsamen Schlitten, in meh- rere Pelze gehüllt, den Trümmern seines Heeres schnell vorauf. Gräßlich war indessen das Elend seiner unglücklichen Soldaten. Nie — nie hat ein Heer ein ähnliches Unglück betroffen. Blau und bleich, wie Schatten, zum Theil durch Hunger und Kälte ohne Verstand und Sprache, wandelten sie daher. Nur wenn der Ruf: Kosack! erscholl, setzte sich die gespenstergleiche Schaar in Trab. Des Nachts war an Wachtfeuer nur selten zu denken. Daher drängten sie sich zu Zehn bis Zwanzigen wie Thiere dicht auf einander, um sich vor Kälte zu schützen. Solche Haufen wurden häufig am Morgen von den Russen todt gefunden.

10. Bd. 3 - S. 603

1879 - Calw [u.a.] : Verl. der Vereinsbuchh.
§ 13. Der Russische Krieg. 603 Gerippe verhungernd liegen. Sie sahen am Abend die Trümmer eines verheerten Ortes und strebten dahin, um zwischen den Mauerresten ein Feuer anzuzünden und während der Nacht gegen den eisigen Wind geschirmt zu sein; und sanken zum großen Theil vor dem Ort noch entseelt in den Schnee. Die Hineingelangenden waren so gierig nach Wärme, daß sie sich am Feuer die Füße verbrannten, ja manche, wahnsinnig geworden, stürzten sich mit tollem Lachen in die Flammen. Am Morgen lagen die Erfrorenen hausenweise um die Feuerstelle her. Noch mehrere aber blieben draußen liegen in der unermeßlichen Schneesteppe. Neugefallener Schnee deckte sie zu; so entstanden kleine Hügel auf der Ebene. Nachziehende, die vor Ermattung nicht weiter konnten, setzten sich darauf und erstarrten auf den erstarrten Brüdern. Einer hatte die abgenagten Finger im Munde, ein Anderer in den Leichnam des Kameraden gebissen rc. Es war ein furchtbares Gottesgericht, daß der Sünder den noch immer lebendigen Gott erkennen möge. Noch 40,000 Bewaffnete Zogen 9. Nov. in Smolensk ein, wo man neue Truppen fand und mitnahm. Der Rest gelangte 26. Nov. an die Beresina, und ihrer 30,000 erkämpften hier mit Lift und bewundernswerter Tapferkeit den Uebergang über den Fluß gegen zwei, von Nord und Süd heranrückenden Russenheere, wenn auch mit großem Verluste. Von der Beresina bis nach Wilna löste sich aber alles in ungeordnete Flucht auf, während Hunger, Kälte und umschwärmende Kosacken an den Flüchtenden würgten. Ueber den Grenzfluß Niemen kamen von dem riesigen Hauptheere noch 1600 Kampffähige. Napoleon hatte schon vor Wilna seine Kriegsgefährten verlassen. Auf einem Bauernschlitten, tiefverhüllt neben drei vermummten Generälen sitzend, flog er nach Warschau. Mehrmals äußerte er, „daß vom Erhabenen zum Lächerlichen nur ein Schritt sei." Sein Herz war von dem schreckensvollen Gottesgerichte nicht gerührt: „Ich habe mich noch nie so wohl befunden als jetzt! Wenn ich den

11. Lesebuch für Ober-Klassen in katholischen Elementar-Schulen - S. 423

1886 - Münster i.W. : Aschendorff
423 Könige von Neapel. Seitdem wich alle Zucht und Ordnung, und das Elend der Franzosen überstieg jedes Maß. Soldaten von allen Regimentern liefen wild durch einander. Die we- nigsten Reiter hatten noch Pferde, vielen fehlte es sogar an Schuhen, und sie umwickelten kläglich die Füße^ mit abge- rissenem Tuche. Da wütete der Hunger so entsetzlich, daß selbst gefallene Pferde mit Gier verzehrt wurden. Wie Todes- gestalten wanderten die Soldaten über die Schnee- und Eis- felder; ganze Wolken von Kosacken zogen hinter ihnen her. Nirgends Ruhe, nirgends Rast. Kaum hatten sie ein Feuer angemacht und sich um dasselbe gelagert; augenblicklich störte sie wieder das Hurrah der Kosacken auf. Der bloße Ruf: „Kosacken!" setzte ganze Haufen in schnellen Trab; wen die Kraft zum Fliehen verließ, der streckte vergebens die Hand nach den atemlos Vorübereilenden aus. Betäubt vor Kälte wan- derten viele wie Wahnsinnige mitten in das Feuer. Die Russen fanden oft des Morgens um die erloschenen Wacht- feuer schauerliche Totenversammlungen. So endete das große, in so stolzen Hoffnungen ausgezogene Heer, und nur wenige sahen ihre Heimat wieder. Moskau war der Scheiterhaufen der Macht und Größe Napoleons. Jene sechs verhängnis- vollen Monate hatten über 300 000 Menschen und 130 000 Pferde gekostet. Jni Jahre 1813 verbrannte man noch in Rußland über 200 000 erstarrte Leichen. 26. Die Völkerschlacht bei Leipzig. Das niedergebeugte Europa sah in jenem grausigen Un- tergänge das Strafgericht Gottes selbst und erhob sich in kühner Begeisterung für die Wiedereroberung seiner Freiheit. Preußen ging mit seinem Beispiele voran. Der König schloß mit den Russen Friede und Freundschaft und rief, von Bres- lau aus, am 3. Februar 1813 sein Volk zu den Waffen auf. Und freudig drängten sich Knaben und Jünglinge, Männer und Greise, Reiche und Arme, das ganze Volk ohne Unterschied des Ranges und Standes, zum harten Dienste des Krieges. Von Weib und Kind schieden die Krieger, männlich entschlossen, alles für alles zu wagen. Und die Alten, welche nicht mitziehen konnten, waffneten und segne- ten ihre Söhne. Frauen und Mädchen, selbst Kinder leg- ten Geld und Gut, oder die Arbeit ihrer Hände, auf den Altar des Vaterlandes; das ganze Volk wetteiferte in Dar-

12. Lehrbuch der Weltgeschichte für Schulen - S. 404

1869 - Münster : Coppenrath
404 auf ihrem kläglichen Rückzuge. Menschen und Pferde sanken von Kälte und Hunger erschöpft dahin, und wie mit einem Leichentuche bedeckte der Schnee die gefallenen Opfer. Tau- sende von Nachzüglern fielen unter den Lanzen der nachfetzen- den Kosaken, unter den Keulen der ergrimmten Bauern. Am gräßlichsten war das Unglück an der Berefina. Während die Franzosen, von den Russen auf's Hitzigste verfolgt, athem- los im wilden Gedränge durch- und übereinander über die Brücke setzten, brach diese krachend zusammen. Tausende fan- den ihren Tod in dem Strome; und alle noch übrigen Trup- pen am jenseitigen Ufer waren abgeschnitten und gefangen. Ueber 30,000 Mann verloren die Franzosen bei diesem Ueber- gange am 27. November. Wie Lerxes einst, der Führer von Millionen, aus Griechenland fiiehend, in einem Kahne in fei- nem Asien wieder anlangte; so durchjagte jetzt Napoleon in einem Schlitten, den Trümmern feines Heeres voraus, die öden Schnee- und Eisfelder Rußlands, um aus feinem Reiche schnell ein neues Heer heranzuholen. Seitdem wich alle Zucht und Ordnung, und das Elend der Franzosen überstieg jedes Maß. Soldaten von allen Regimentern liefen wild durch einander. Die wenigsten Reiter halten noch Pferde, vielen fehlte es sogar an Schuhen, und sie umwickelten kläglich die Füße mit abgerissenem Tuche. Dazu wüthete der Hunger so entsetzlich, daß selbst Pferde mit Gier verzehrt wurden. Wie Todesgestalten wanderten die Soldaten über die Schnee- und Eisfelder dahin. Ganze Wolken von Kosaken zogen hinter ihnen her. Nirgends Ruhe! Nirgends Rast! Kaum hatten die Müden ein Feuer angemacht und sich um dasselbe gelagert; augenblicklich stöberte sie wieder das Hurrah der Kosaken auf. ' Der bloße Ruf „Kosaken!" setzte ganze Haufen in schnellen Trab. Wen die Kraft zum Fliehen verließ, der streckte verge- bens die Hände nach dem athemlos Vorübereilenden aus. Be- täubt vor Kälte wanderten viele wie wahnsinnig mitten in die angezündeten Feuer. Oft fanden die Russen des Morgens um die erloschenen Wachtfeuer schauerliche Todtenversammlungen. So kläglich endete das große, in so stolzer Hoffnung hinauf- gezogene Heer, und nur wenige sahen ihre Heimath wieder.

13. Theil 4 - S. 88

1862 - Breslau : Max
88 Neueste Geschichte. 2. Periode. Frankreich. Seiten russische Heere herbei, um dem täglich mehr schmelzenden französischen Heerhaufen den Rückzug über die Beresina, einen Nebenfluß des Dneprs, abzuschneiden. Von den 600,000 waren nur noch — 40,000 übrig. Zwar gelang es Napoleon, zwei Brücken über den Fluß zu schlagen; aber noch war kaum die Hälfte hinüber, als die breitere einbrach, und das Geschütz und die Wagen wandten sich daher nach der schmälern, die mit kei- nem Geländer versehen war. Dazu kam, daß man schon das Hurrah der anrennenden Kosacken und das Sausen der russischen Kanonenkugeln hörte. Jetzt stürzte sich Alles in wildester Ver- wirrung nach der Brücke; Jeder wollte der Erste sein; Jeder kämpfte um sein Leben. Der Soldat warf den Offizier, der Freund den Freund ins Wasser; wer zu Boden fiel, war verlo- ren; denn ohne Erbarmen wälzte sich die ganze Menschenfluth über ihn hin, bis er zertreten war. Wie Viele wurden nicht von den Rädern der Kanonen und Wagen zerquetscht, und die über den eistreibenden Strom sich retten wollten, erstarrten oder er- tranken. Das geschah am 27. November. Zuletzt brach die Brücke ein, und was noch jenseits war, meist Schwache, Weiber und Kinder, fiel den Russen in die Hände. An 5000 hatten allein bei diesem Uebergange das Leben eingebüßt.*) *) Man sah Mütter mit ihren Kindern auf dem Arme sich in den Fluß stürzen und im Strome so lange die Kinder in die Höhe halten, bis die Kräfte nachließen und beide ertranken. Eine Mutter hatte eines kleinen Kahns sich be- mächtigt und suchte ihre beiden Kinder über den Strom zu retten. Aber eine große Eisscholle stieß dagegen, der Kahn schlug um und Mutter und Kinder fielen ins Wasser. In dem Augenblicke warf sich ein junger Artillerist in den Fluß, erreichte schwimmend das eine Kind und brachte es glücklich ans Ufer, während die Mutter und das andere Kind ihren Tod unter den Eisschollen fanden. Der brave Jüngling behielt die kleine Waise bei sich; aber ob er den Kleinen und sich selbst bis Frankreich gerettet habe, ist nicht bekannt. Eine der gräßlichsten Scenen ist folgende, die ein Augenzeuge erzählt. „Die schöne 25jäh- rige Frau eines französischen Obersten, die ihren Mann wenige Tage früher, che wir die Beresina erreichten, in einem Gefechte verloren hatte, hielt unweit der Brücke, die zu unserm Uebergange bestimmt war, nahe bei mir. Gleichgül- tig gegen Alles, was um sie her vorging, schien sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihre Tochter, ein sehr schönes Kind von vier Jahren, das sie vor sich aus dem Pferde hatte, zu richten. Vergebens suchte sie mehrere Male die Brücke zu erreichen, wurde aber immer wieder zurückgedrängt. Dumpfe Verzweiflung schien ihr ganzes Wesen zu erfüllen: sie weinte nicht; starr waren ihre Augen bald zum Himmel, bald auf ihre Tochter gerichtet, und einmal vernahm ich die Worte: ,,O Gott, wie bin ich so grenzenlos elend, daß ich nicht einmal beten kann!" Gleich darauf fiel ihr Pferd, von einer Kugel getroffen, und ihr selbst wurde

14. Theil 4 - S. 88

1880 - Stuttgart : Heitz
88 Neueste Geschichte. 1. Periode. Frankreich. auf einer andern Straße ziehen; aber die Russen warfen ihn auf die zurück, welche auf dem Herwege verwüstet war, während sie selbst seitwärts zogen. Von allen Seiten wurden die Franzosen von den Kosacken umschwärmt, die ihnen Tag und Nacht keine Ruhe ließen. Zu dem Hunger, der, vom Anfange des Rückznges au, am Leben der Menschen und Pferde nagte, kam vom 7. November an noch eine fürchterliche Kälte. Meist ohne Pelze, mit Lumpen nur bedeckt, fielen die Franzosen schaarenweis erstarrt zu Boden und wurden alsbald vom Schnee wie mit einem großen Leichentuche bedeckt. Tausende von Raben zogen ihnen nach, um die Leichen zu zerfleischen, und ehe noch die Ermatteten todt waren, wurden ihnen schon von den stärkeren die Kleider abgerissen. Das Gepäck mußte aus Mangel an Pferden bald stehen bleiben, und gierig fielen die Hungrigen über die gefallenen Pferde her. In Smolensk hoffte man Vorräthe zu finden; aber theils war wenig da, theils ließen die nacheilenden Kosacken keine Zeit zum Ausruhen. Nun eilten von drei Seiten russische Heere herbei, um dem täglich mehr schmelzenden französischen Heerhaufen den Rückzug über die Beresina, einem Nebenfluß des Dneprs, abzuschneiden. Zwar gelang es Napoleon, zwei Brücken über den Fluß zu schlagen; aber noch war kaum die Hälfte hinüber, als die breitere einbrach, und das Geschütz und die Wagen wandten sich daher nach der schmälern, die mit keinem Geländer versehen war. Dazu kam, daß man schon das Hurrah der anrennenden Kosacken und das Sausen der russischen Kanonenkugeln hörte. Jetzt stürzte sich alles in wildester Verwirrung nach der Brücke; jeder wollte der erste sein; jeder kämpfte um sein Leben. Der Soldat warf den Offizier, der Freund den Freund ins Wasser; wer zu Boden fiel, war verloren; denn ohne Erbarmen wälzte sich die ganze Menschen-fluth über ihn hin, bis er zertreten war. Wie viele wurden nicht von den Rädern der Kanonen und Wagen zerquetscht, und die über den eistreibenden Strom sich retten wollten, erstarrten oder ertranken. Das geschah am 27. November. Zuletzt brach die Brücke ein, und was noch jenseits war, meist Schwache, Weiber und Kinder, fiel den Russen in die Hände. An 5000 hatten allein bei diesem Uebergange das Leben eingebüßt. *) *) Man sah Mütter mit ihren Kindern auf dem Arme sich in den Fluß stürzen-und im Strome so lange die Kinder in die Höhe halten, bis die Kräfte nachließen und beide ertranken. Eine Mutter hatte eines kleinen Kahns sich be-

15. Theil 2 - S. 289

1821 - Nürnberg : Campe
— 289 — Anfälle auf Anfälle. Bald ließ sich drückender Mangel fühlen; und Hunger, Blöße, Ermattung wurden durch die eingetretene Winterkälte noch empfindlicher. Die Wege waren mit Schnee und Eis bedeckt; Menschen und Pferde fielen zu tausenden und blieben liegen. Viele erfroren an dem Feuer, das sie sich angezündet hatten, weil sie vor Mattigkeit nicht mehr aufstchen konnten; viele wurden von den Kosacken niedergehauen, ehe ihre erstarrten Hände erwärmt waren. Je weniger die Fran- zosen zu widerstehen vermochten, desto ungestümer und hartnäckiger wurden die Gefechte. Halb vernichtet erreichte endlich das fliehende Heer die Stadt Smolensk, wo es Ruhe und in seinen reich- gefüllten Magazinen, Nahrung und Kleidung zu finden hoffte. Allein umsonst; der russische General Tschit- schakoff drohete, mit Wittgenstein vereinigt, den Franzosen an dem Berescinastrom znvorzueilen, und sie gänzlich von ihrer Heimath abzuschneiden. Napo- leon mußte daher Smolensk sogleich verlassen, um einen Vorsprung vor den Feinden zu gewinnen. Hun- ger, Kälte, Krankheiten und Tod wütheten jetzt aufs neue unter seinen Schaaren; ganze Zuge wurden gefan- gen genommen und in das Innere von Rußland zurück- geschleppt. Endlich erreichten die Trümmer dieses noch vor kur- zem so zahlreichen und stolzen Heeres die Ufer der Ve- res eina, im russischen Gouvernement Minsk. Hier wartete ihrer noch tue schwerste Prüfung. Ilm 27. No- vember 1812 erfolgte auf zwei Brücken der Uebergang. Kaum waren sie hergestellt, so entstand ein fürchterltches Gedränge, denn der Feind war in der Nähe, und feu- erte Schuß auf Schuß mit Kartätschen unter die dichtett Haufen. Jeder wollte der erste seyn, der sich rettete, so lange Rettung noch möglich war. Um schneller über Lveil. X

16. Lesebuch für Ober-Klassen in katholischen Elementar-Schulen - S. 422

1886 - Münster i.W. : Aschendorff
422 Silber und andere Kostbarkeiten in Fülle hatten, fehlte es ihnen bald am Nötigen, an Brot, und Napoleon sah sich ge- zwungen, jetzt selbst den Besiegten den Frieden anzutragen. Der Kaiser Alexander hielt den Feind listig hin, verwarf dann endlich alle Anträge mit den Worten: „Erst jetzt werde der Krieg für die Russen eigentlich anfangen!" Durch die äußerste Not gedrängt, trat Napoleon am 18. Oktober den Rückzug an, und zwar auf demselben Wege, den er gekommen war. Aber welch ein Rückzug ! Kein Beispiel gleicher Gräß- lichkeit hat die Geschichte aufzuweisen. Der Himmel schien selbst mit den Russen in einen Bund getreten zu sein; denn ein ungewöhnlich früher und strenger Winter trat ein und überraschte die Feinde auf ihrem kläglichen Rückzüge. Menschen und Pferde sanken vor Kälte und Hunger erschöpft dahin, und wie mit einem Leichentuche bedeckte der Schnee die ge- fallenen Opfer. Der Weg durch die unwirtbare Wüste war bald mit toten Menschen und Pferden, mit Trümmern von Geschütz und Gepäck bedeckt. Jeder Tag lieferte Tausende von Gefangenen in die Hände der nachsetzenden Russen, Tau- sende von Nachzüglern fielen unter den Lanzen der Kosacken, unter den Keulen der ergrimmten Bauern. Am gräßlichsten war das Unglück an der Beresina, über welche Napoleon eine Brücke hatte schlagen lassen. Kaum war die Hälfte hinüber gerückt, als plötzlich das fürchterliche Hurrahgeschrei der Ko- sacken und das Donnern der russischen Kanonen gehört wurde. Und aus einmal stürzte sich der ganze Haufen der Franzosen, Menschen, Pferde, Wagen und Kanonen in rat- und thatloser Flucht durch- und übereinander aus die Brücke. Jeder wollte der erste sein; hier galt kein Befehl, kein Rang mehr; jeder kämpfte um sein Leben. Viele wurden in dem Gedränge er- drückt, viele von den Rädern der Kanonen und Wagen zer- quetscht, viele von der Brücke hinunter in den Strom ge- stürzt. In diese wilde Menschenflut hinein donnerten die Ka- nonen der Russen und richteten eine entsetzliche Verwüstung an. Zuletzt brach die Brticke ein; Tausende fanden ihren Tod in den Wellen, und alle, welche noch am jenseitigen User waren, wurden gefangen. Über 30 000 Mann verloren die Franzosen bei diesem Übergange am 27. November. Napoleon selbst, die Hoffnungslosigkeit seiner Lage einsehend, verließ am 3. Dezember das Heer. In einem elenden Schlitten, den Trümmern seines Heeres voraus, durchjagte er die öden Schnee- und Eisfelder Rußlands nach Wilna und von da über Warschau, Dresden und Mainz nach Paris, um schnell die Bildung eines neuen Heeres zu veranstalten. Den Ober- befehl über die zurückgebliebenen Trümmer überließ er dem

17. Geschichte der neueren und neuesten Zeit - S. 323

1840 - Münster : Coppenrath
323 Kanonen, in rath- und thatloser Flucht durch- und über einander auf die Brücke. Jeder wollte der Erste sein; hier galt kein Befehl, kein Rang mehr, Jeder kämpfte um sein Leben. Viele wurden in dem Gedränge erdrückt, viele von den Rädern der Kanonen und Wagen zerquetscht, viele von der Brücke hinunter in den Strom gestürzt. In diese wilde Mcnschenfluth hinein donnerten die Kanonen der Russen und richteten eine entsetzliche Verwüstung an. Zuletzt brach die Brücke ein; Tausende fanden ihren Tod in den Wellen, und Alle, welche noch am jenseitigen Ufer waren, wurden gefangen. Über 30,000 Mann verloren die Franzosen bei diesem Übergange am 27. November. Napoleon selbst, einsehend die Hoffnungslosigkeit seiner Lage, verließ am 5. December das Heer. Wie Lerxes einst, der Führer von Millionen, aus Griechenland fliehend, in einem Kahne in feil* Asien wiederanlagte, so durchjagte Napoleon in einem elenden Schlitten, den Trümmern seines Heeres voraus, die öden Schnee- und Eisfelder Rußlands, nach Wilna, und von da über War- schau, Dresden und Mainz nach Paris, um schnell die Bildung eines neuen Heeres zu veranstalten. Den Oberbefehl über die zurückgebliebenen Trümmer überließ ec dem Könige von Neapel. Seitdem wich alle Zucht und Ordnung, und das Elend der Fran- zosen überstieg jedes Maß. Soldaten von allen Regimentern liefen wild durch einander. Die wenigsten Reiter hatten noch Pferde, vielen fehlte es sogar an Schuhen, und sie umwickelten kläglich die Füße mit Kleidern. Dazu wüthete der Hunger so entsetzlich, daß selbst Pferde mit Gier verzehrt wurden. Wie Todesgestalten wanderten die Soldaten über die Schnee- und Eisfelder; ganze Wolken von Kosaken zogen hinter ihnen her. Nirgends Ruhe! nirgends Rast! Kaum hatten sie ein Feuer an- gemacht und sich um dasselbe gelagert; augenblicklich schreckte sie wieder das Hurra der Kosacken auf. Der bloße Ruf: „Kosacken!" setzte ganze Haufen in schnellen Trab; wen die Kraft zum Fliehen ver- ließ, streckte vergebens die Hand nach den athemlos Vorübereilen- den aus. Betäubt vor Kalte wanderten viele wie Wahnsinnige mitten in das Feuer. Die Russen fanden oft des Morgens um 21 *

18. Die neue Zeit - S. 394

1866 - Leipzig : Brandstetter
394 Winter trat ein und überraschte die Feinde auf ihrer Flucht. Menschen und Pferde sanken von Hunger und Kälte erschöpft nieder und wie mit einem Leichentuche bedeckte der Schnee die gefallenen Opfer. Der Weg durch die wüsten Ebenen war bald mit todten Menschen und Pferden, mit Trümmern von Geschütz und Gepäck übersäet. Viele erfroren an dem Feuer, das sie sich angezündet hatten, Viele wurden von den Kosaken niedergemacht, ehe die erstarrten Hände sich regen konnten. In Smo- lensk gedachte Napoleon sich auszuruhen, aber der russische General Tschitschakoff, mit Wittgenstein vereinigt, drohte den Franzosen zuvorzu- kommen und ihnen den Uebergang über die Beresina abzuschneiden. So durfte Napoleon nicht rasten und am 27. November erreichte er den Beresinafluß, über den schnell zwei Brücken geschlagen wurden. Aber nun entstand ein fürchterliches Gedränge, denn der Feind war in der Nähe und feuerte Schuß auf Schuß mit Kartätschen unter die dichten Haufen. Jeder wollte der Erste sein, der sich rettete, so lange Rettung noch mög- lich war. Um schneller über die Brücke zu kommen, stieß Einer den An- dern in's Wasser; Viele stürzten nieder und wurden von den Rädern der Wagen und Kanonen zermalmt, Andere suchten auf treibenden Eisschollen das jenseitige Ufer zu erreichen und fanden ihren Tod in den Fluthen. Zugleich brach die Brücke ein und Alle, welche noch am anderen Ufer waren, wurden abgeschnitten und gefangen. Ueber 30,000 Mann verloren die Franzosen bei diesem Uebergange. Am 5. Dezember verließ Napoleon das Heer. Wie Xerxcs einst, der Führer von Millionen, aus Griechenland auf einem kleinen Kahne stoh, so durchjagte Napoleon in einem elenden Schlitten, den Trümmern seines Heeres voraus, die öden Schnee- und Eisgefilde Rußlands, um nach Frankreich zu eilen und schnell ein neues Heer zu bilden. Den Oberbefehl über die zurückgebliebenen Heerestrümmer überließ er dem König von Neapel. Seitdem wich alle Zucht und Ordnung; Soldaten, Offiziere, Generale liefen wild durcheinander und Jeder dachte nur an seine Rettung. Die wenigsten Reiter hatten noch Pferde; über die gefallenen Thiere stürz- ten die Hungrigen her und verzehrten sie mit Gier. Fiel ein Soldat, so stürzten seine Kameraden auf ihn, um mit seinen Kleidern Hände und Füße zu umwickeln. Hatten die Erstarrten sich ein Feuer angemacht, so ertönte der Schreckensruf: „die Kosaken!" und die Ohnmächtigen streng- ten ihre letzten Kräfte an zur Flucht. Ueber 300,000 Menschen und 150,000 Pferde waren geblieben; zerlumpt und elend kam der armselige Rest der großen Armee in Deutschland an. So endete der stolz begonnene Zug des Eroberers! 12. Als der General Jork, welcher mit der preußischen Hülfsarmee an der Ostsee stand, Napoleon's Rückzug erfuhr, schloß er am 30. Dezember mit den Russen einen Vertrag ab, kraft dessen die unter seinem Befehl stehenden Truppen für parteilos (neutral) erklärt wurden und sich zwischen

19. Erzählungen aus der Weltgeschichte - S. 161

1884 - Hannover : Helwing
Gottes Strafgericht in Rußland. 161 am nchsten Morgen an der Stelle der Stadt eine Brandsttte. Anfang September war das franzsische Heer nahe vor Moskau gekommen. Diese ihnen heilige Stadt wollten die Russen nicht ohne Schwertstreich bergeben, und es erfolgte die blutige Schlacht bei B o r o d i n o, in welcher Napoleon siegte. Nach einigen Tagen rckte er ohne Widerstand in Moskau ein; aber ein Empfang seltener Art ward ihm zu teil. Kein Neugieriger drngte sich herbei, um den gewaltigen Eroberer zu sehen; kein Stadtverordneter erschien gnadeflehend vor dem Sieger. Die Stadt war wie ausgestorben. Mimutig bezog Napoleon den Kreml, die alte Zarenburg. Die Brger hatten sich mit ihrer wertvollen Habe entfernt; die leeren Wohnungen waren mit Zndstoffen gefllt, alle Lsch-Werkzeuge vorsichtig entfernt; einzelne Vaterlandsfreunde waren zurck-geblieben, um Feuer anzulegen. Schon in der ersten Nacht nach Napoleons Einzge loderten die Flammen empor, die nur mit Mhe gelscht wurden; in der folgenden trat das Feuer mit vergrerter Gewalt auf. Funken und Flammen schlugen gegen die Fenster Napoleons; starr sah er in das Feuermeer hinaus. Er mute aus der Stadt weichen; erst nach 7 Tagen lschte ein Regen den gewaltigen Brand. In einem Schlachten-bericht verkndete Napoleon der Welt: Moskau, eine der reichsten und schnsten Städte der Welt, ist nicht mehr vorhanden." c. Rckzug. Jetzt bot Napoleon dem Kaiser Alexander den Frieden an, der aber, besonders durch Steins Einflu, nicht angenommen wurde. Aus Rache lie er den Kreml in die Luft sprengen. Sein Heer betrug nur noch 100000 Mann; berwintern konnte er hier nicht, denn es fehlte an Obdach und Lebensmitteln; die zahlreichen Feinde umschwrmten ihn, und der gefrchtete russische Winter war im Anzge. Daher ward am 15. Oktober der Rckzug angetreten. Die Klte betrug bereits 18 R- und stieg bald auf 27. Man whlte denselben Weg wie auf dem Hinmarsche, durch eine ausgeraubte, verwstete Gegend. Die man-gelhafte Kleidung vermochte der Klte nicht zu widerstehen; ganze Ab-teilungen fand man morgens erfroren um die Wachtfeuer liegen. Die Haufen, welche sich vor Hunger in die Nachbardrfer begaben, wurden von den umherschwrmenden Kosacken niedergemacht, andere fielen den wilden Tieren zum Opfer. Als das Heer Smolensk erreichte, zhlte es nur noch 40 000 streitbare Krieger. Westlich der Stadt gelangte es an die sumpfige Beresina, der die schnell zwei Brcken geschlagen wurden. Aber nun entstand ein dichter Menschenknuel, in den der Feind mit Karttschen scho. Jeder wollte zuerst hinber, drngte und stie seinen Nachbarn; der eine strzte von der Brcke, der andere fiel zu Boden und wurde von den Wagen oder Kanonen zermalmt; Tausende suchten sich der das Eis zu retten und fanden ihren Tod in den kalten Hossmeyer und Hering, Erzhlungen. .

20. Die neue Zeit - S. 394

1877 - Leipzig : Brandstetter
304 Winter trat ein und überraschte die Feinde auf ihrer Flucht. Menschen und Pferde sanken von Hunger und Kälte erschöpft nieder und wie mit einem Leichentuche bedeckte der Schnee die gefallenen Opfer. Der Weg durch die wüsten Ebenen war bald mit todten Menschen und Pferden, mit Trümmern von Geschütz und Gepäck übersäet. Viele erfroren an dem Feuer, das sie sich angezündet hatten, Viele wurden von den Kosaken niedergemacht, ehe die erstarrten Hände sich regen konnten. In Smolensk gedachte Napoleon sich auszuruhen, aber der russische General Tschitschakoff, mit Wittgenstein vereinigt, drohte den Franzosen zuvorzukommen und ihnen den Uebergang über die Beresina abzuschneiden. So durfte Napoleon nicht rasten und am 27. November erreichte er den Beresinafluß, über den schnell zwei Brücken geschlagen wurden. Aber nun entstand ein fürchterliches Gedränge, denn der Feind war in der Nähe und feuerte Schuß auf Schuß mit Kartätschen unter die dichten Haufen. Jeder wollte der Erste sein, der sich rettete, so lange Rettung noch möglich war. Um schneller über die Brücke zu kommen, stieß Einer den Andern in's Wasser; Viele stürzten nieder und wurden von den Rädern der Wagen und Kanonen zermalmt, Andere suchten auf treibenden Eisschollen das jenseitige Ufer zu erreichen und fanden ihren Tod in den Fluchen. Zugleich brach die Brücke ein und Alle, welche noch am anderen Ufer waren, wurden abgeschnitten und gefangen. Ueber 30,000 Mann verloren die Franzosen bei diesem Uebergange. Am 5. Dezember verließ Napoleon das Heer. Wie Terxes einst, der Führer von Millionen, ans Griechenland auf einem kleinen Kahne floh, so durchjagte Napoleon in einem elenden Schlitten, den Trümmern seines Heeres voraus, die öden Schnee- und Eisgefilde Rußlands, um nach Frankreich zu eilen und schnell ein neues Heer zu bilden. Den Oberbefehl über die zurückgebliebenen Heerestrümmer überließ er dem König von Neapel. Seitdem wich alle Zucht und Ordnung; Soldaten, Offiziere, Generale liefen wild durcheinander und Jeder dachte nur an seine Rettung. Die wenigsten Reiter hatten noch Pferde; über die gefallenen Thiere stürzten die Hungrigen her und verzehrten sie mit Gier. Fiel ein Soldat, so stürzten seine Kameraden auf ihn, um mit seinen Klei- dern Hände und Füße zu umwickeln. Hatten die Erstarrten sich ein Feuer angemacht, so ertönte der Schreckensruf: „die Kosaken!" und die Ohnmächtigen strengten ihre letzten Kräfte an zur Flucht. Ueber 300,000 Menschen und 150,000 Pferde waren geblieben; zerlumpt und elend kam der armselige Rest der großen Armee in Deutschland an. So endete der stolz begonnene Zug des Eroberers! 12. Als der General 2)orf, welcher mit der preußischen Hülfsarmee an der Ostsee stand, Napoleon’s Rückzug erfuhr, schloß er am 30. Dezember mit den Russen einen Vertrag ab, fräst dessen die unter seinem Befehl stehenden Truppen für parteilos (neutral) erklärt wurden und sich zwischen