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1916 -
Trier
: Lintz
- Autor: Genniges, E., Buschmann, Johannes
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): Jungen
25
Zweiter Abschnitt.
Deutsche Dichtung vom Beginn des 17. bis um Hie
Mitte des 18. Jahrhunderts. 1b24—1748.
(Zeit der Nachahmung; die volkstümliche Poesie verwandelt sich in eine gelehrt-
klassische. Poetische Form (Alexandriner) und Inhalt lehnen sich nicht an die klassische
Poesie selbst, sondern an ihre gekünstelte Nachahmung durch ausländische Dichter. Un-
wahrheit und Unnatur kennzeichnen die meisten dichterischen Erzeugnisse dieser Zeit; nur
Vas Kirchenlied bewahrt noch Wahrheit und Einfachheit. Erst gegen Beginn des 18.
Jahrhunderts gestalten sich die Verhältnisse freundlicher nach dem Erwachen einer
literarischen Kritik.)
1. Die trostlosen politischen Verhältnisse zu Anfang des 17. Jahrhunderts
und vollends der Dreißigjährige Krieg mit der neben ihm belaufenden Ver-
wilderung der Sitten konnten nur den ungünstigsten Einfluß auf die Entwicklung
der deutschen Literatur ausüben. Die Teilnahme des Volkes an der Literatur
verschwand gänzlich; der größte Teil der Gelehrten hatte sich seit der Wieder-
belebung des klassischen Altertums der lateinischen Sprache bedient, und seitdem
Frankreichs Einfluß auf die Geistes- und Kulturzustände Deutschlands mächtig
wurde, singen die Gebildeten an französisch zu schreiben und zu sprechen.
Man kam allmählich zu der Überzeugung, daß die deutsche Poesie hinter der
der anderen Völker zurückgeblieben sei; um ihr aufzuhelfen, ahmte man die
fremden Muster nach und gab so der Poesie den Charakter schulmäßiger Nach-
ahmung und künstlicher Einübung des Fremden. Die Dichter setzten ihren
Ruhm in die formale Behandlung der Sprache und des Verses, selten in die
Wahrheit der Stimmung und die lebendige Durchdringung des Stoffes. Trotz-
dem treten einzelne Dichter hervor, die mehr Selbständigkeit in ihren Werken
zeigen und größere Beachtung verdienen.
2. Gleich zu Beginn dieses Zeitraums begegnen wir einigen wohlgemeinten
Versuchen, der Sprachverderbnis entgegenzuwirken. Zu diesem Zwecke wurden
mehrere Sprachgesellschaften gestiftet nach dem Muster der italienischen
Akademien. Die wichtigsten sind: 1. Die fruchtbringende Gesellschaft oder
der Palmenorden, gestiftet 1617 auf Schloß Hornstein in Anhalt von
mehreren Fürsten und Edelleuten. Den Hauptzweck der Gesellschaft bestimmten
die Gründer dahin, daß die „hochgeehrte deutsche Muttersprache in ihrem
gründlichen Wesen und rechten Verstand ohne Einmischung fremder ausländischer
Flickwörter im Reden, Schreiben, Gedichten aufs allerzierlichste erhalten und
ausgeübt werden sollte." 2. Die deutsch-gesinnte Genossenschaft,
gestiftet 1643 in Hamburg durch Philipp von Zesen, der sich durch seine
Berdeutschungssucht bei seinen Zeitgenossen lächerlich machtez. 3. Die Ge- *)
*) Pallas sollte Kluginne, Venus Lustinne, Jupiter Erzgott, Vulkan Glutfaug
heißen; für Fenster sagte er Tageleuchter, für Kabinett Beizimmer u. dgl. Doch hat
Zesen auch manche Neubildungen geschaffen, die noch heute gelten, z. B. Abstand, Außen-
werk, Einwand, Gesichtskreis, Heerschau, Schaubühue, Urbild, Vollmacht, Wortgepränge.
1911 -
Leipzig
: Dürr
- Autor: Lorentzen, Theodor, Meyer, Alfred Gustav, Weise, Paul, Rode, Albert, Nagel, Louis
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt, Oberrealschule, Realgymnasium, Realschule
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
K. Bartsch, Der Parzival des Wolfram von Eschenbach als psycholog. Epos. 115
Ein Dichter ragt in Frankreich durch Fruchtbarkeit und Vielseitig-
keit hervor: Crestien de Troyes, der fast alle bedeutenden Stoffe dieses
Sagenkreises behandelte und dessen Gedichte den Hauptstoff der Nach-
ahmung für die deutschen Dichter boten. Crestien verdient das Lob
eines verständigen und gefälligen Dichters, der aus der Menge der von
ungeheuerlicher Phantasie strotzenden keltischen Sagen- und Märchen-
überlieferung mit Geschmack und Besonnenheit ausschied und das Aus-
geschiedene in klarer und glatter Weise darstellte. Aber ein bedeutender
dichterischer Geist war er so wenig wie ein anderer seiner französischen
Zeitgenossen.
Seine Dichtung von Parzival ist uns erhalten und damit die
eine der Quellen, auf welchen Wolframs Parzival nach des Dichters
eigener Aussage ruht. Die andere, auf die sich Wolfram beruft, die
Dichtung des Provenzalen Guiot scheint verloren, und doch wäre gerade
sie für die Beurteilung des deutschen Dichters die wichtigere, da
Wolfram deutlich zu verstehen gibt, daß er mehr Guiot als Crestien
gefolgt sei.
Solange diese zweite Quelle uns unzugänglich ist, bleibt unent-
schieden, wieviel der deutsche Dichter von seinem Eigenen hinzutat und
wieviel er nicht nur stofflich, sondern auch in den Ideen vorgebildet
und vorgearbeitet fand. Indeß, wir kennen nachgerade genug Belege
von dem Verhältnis französischer Quellen und deutscher Bearbeiter,
um auch ohne im Besitz von Guiots Werken zu sein, nach Analogie
ziemlich sicher urteilen zu können. Überall ist es nur das Stoffliche,
das mit großer, beinahe zu großer Gewissenhaftigkeit die deutschen
Dichter befolgen, während sie die sittlichen Gedanken je nach Maßgabe
ihrer Kraft hineinlegen.
Wie sollte es nun anders, ja nicht in viel höherem Maße der
Fall sein bei einem Dichter, der an sittlicher Hoheit und Würde seine
Zeitgenossen überragt, der Gedanken an die Spitze seines Werkes stellt,
wie sie der schon damals sehr frivolen französischen Poesie nur allzufern
lagen. Wahrlich, wenn der Provenzale Guiot unserem Wolfram nicht
nur den Stoff bot, sondern auch die leitenden und sittlichen Gedanken,
dann war er ein Phänomen unter seinen Landsleuten — und dann
ließe es sich allerdings zur Not erklären, daß er ganz unverstanden
blieb, daß sein Werk spurlos untergehen konnte, weil er in einsamer
Größe so weit seine Nation überragte. Allein die Unwahrscheinlichkeit
einer solchen Annahme liegt auf der Hand, wenn wir den Geist der
französischen, wie provenzalischen Dichtung im zwölften Jahrhundert
betrachten.
Die Gestalt, in welcher Wolfram bei Guiot und Crestien den
Stoff vorbereitet fand, ist schon keine einfache mehr, sondern durch ver-
schiedene Stufen der Entwickelung hindurchgegangen. Den Mittelpunkt
1858 -
Weimar
: Böhlau
- Autor: Zeiß, Gustav
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Gymnasium
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Geschlecht (WdK): Jungen
459
und politischen Schwärmerei, welche sich bei Klopstock riuch in seiner
begeisterten Begrüßung der französischen Revolution kund gab.
Ein großes Verdienst Klopstocks ist es, daß durch ihn zuerst die
Maße und Formen des klassischen Alterchums für die deutsche Poesie
gewonnen und in ihnen deutscher Geist und deutsche Stoffe dargestellt
wurden. Länger als zwei Jahrhunderte war die Literatur der Griechen
und Römer in Deutschland Gegenstand des eifrigsten Studiums gewe-
sen, aber noch herrschte in Deutschland völlige Bewußtlosigkeit von dem
inneren Werthe jener großen antiken Dichtungen. Man mißhandelte
jene edlen Erzeugnisse deß römischen und griechischen Geistes als bloße
Phraseologien und brachte nur hölzerne, geistesleere Nachahmungen des
Antiken zu Markte. Man blieb Jahrhunderte lang aus dem Standpunkte
des unmündigen, sich plagenden Schülers stehen, bis endlich mit Klop-
stock die lange Schulzeit vorüber war, und das durch so lange Uebun-
gen Erlernte, in Saft und Blut Verwandelte als freies Eigenthum des
frei gewordenen Geistes an das Licht trat. Die Deutschen sind, wie
kein anderes Volk, hinausgekommen über die bloß handwerksmäßige Be-
schäftigung mit den Alten; die Maße und die Formen der Alten sind
die unsrigen, ihre Anschauung ist unsere Anschauung, ihre Gedanken
unsere Gedanken. Alles dieses beginnt mit Klopstock in Entwickelung
und Blüthe zu treten. Er hat der deutschen Poesie die Versmaße der
Alten gegeben, deren Nachahmung so oft versucht, aber niemals gelun-
gen war. Durch die antiken reimlosen Verse hat uns Klopstock von
dem handwerksmäßigen Klingeln mit Reimen, von dem todten Forma-
lismus, in welchen unsere Poesie versunken war, frei gemacht, und
uns die Richtung auf große Gedanken, als das den Vers Erfüllende
und die Dichtung Erzeugende, auf eine edle, erhabene und wahrhaft
dichterische Sprache gegeben.
In der Messiade besingt Klopstock die Erlösung des Menschen
durch Christus. Auf dieses religiöse Epos in zwanzig Gesängen gründet
sich vorzüglich Klopstock's Ruhm, dasselbe ist in fast alle europäischen
Sprachen übersetzt und vielfach erklärt und beurtheilt worden. Der hohe
Werth des Gedichtes liegt in den lyrischen Partien; als Epos ist daß
Gedicht vielfach getadelt worden. „Die Messiade, sagt Schiller, ist mir
als ein Schatz elegischer Gefühle und identischer Schilderungen theuer,
wie wenig sie mich auch als Darstellung einer Handlung und als epi-
sches Werk befriedigt." Die Passionsgeschichte ist nicht geeignet zur epi-
lcheir Behandlung, da sie für die Gestaltung wahrer Charaktere und die
Schilderung wechselnder Handlungen wenig Stoff bietet und überdies
als geheiligte Ueberlieferung dem freien Schaffen der Phantasie unüber-
steigliche Schranken setzt.
Die eigenthümliche Klassicität Klopstocks liegt in seinen Oden.
Der lyrische Schwung, der in der erzählenden Dichtung ermüdet, ent-
faltet sich hier zu einem majestätischen Fluge. In den Oden haben wir
das vollständige Abbild von der Dichterpersönlichkeit Klopstock's; sie finb
nicht nur der Ausdruck seiner tiefen religiösen Gefühle, sondern er feiert in
denselben auch die Freundschaft, die Liebe und das Vaterland, und beglei-
tet mit diesen Accorden sein ganzes langes Leben, so daß wir in den
Oden Zeugnisse seiner frühesten wie seiner spätesten Productivität haben.
Klopstock hat auch eine Reihe älterer Kirchenlieder umgestaltet und eigene
1854 -
Weimar
: Böhlau
- Autor: Zeiß, Gustav
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Gymnasium
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt: Zeit: Mittelalter
- Geschlecht (WdK): Jungen
463
zu ihnen. Die Franzosen eigneten sich wohl die Formen der pro-
venzalischen Poesie an, sie besaßen aber nicht das warme Gefühl
und die glühende Phantasie der provenzalischen Troubadours; in
ihren besten Gesängen läßt ein kalter Ton die Nachahmung empfin-
den. Der berühmteste lyrische Dichter dieser Zeit ist Thibaut,
König von Navarra.
Während Romane, Chansons und andere Gedichte in großer
Zahl in französischer Sprache verfaßt wurden, bediente man sich
doch in der Wissenschaft, auf der Kanzel und im Gerichtssaale der
lateinischen Sprache. Man betrachtete die volksthümliche Prosa
nur als ein Mittel, sich im Umgänge des Privatlebens verständlich
zu machen. Die Entwickelung der französischen Sprache ist aber
der der anderen Sprachen lateinischen Ursprungs vorangegangen.
Der klare Verstand, die gesellige Gewandtheit und vielleicht auch
die Leichtfertigkeit der Franzosen haben sie frühzeitig von dem
Uebergewicht befreit, welches ein überliefertes und dem Leben
fremdes Wissen in der Bildung aller anderen neueren Völker
lange behauptet hat. Wilhelm der Eroberer drang die französische
Sprache den Rechtsgelehrten und selbst der Geistlichkeit Englands
auf, und im 13. Jahrhundert sprach man sie an allen Höfen. Die
französische Prosa stand bereits im 13. Jahrhundert unter dem Ein-
flüsse des Lebens und nicht der Schule. Die ersten französischen
Prosaiker, die einen ehrenvollen Platz in der Literatur behaupten,
sind nicht in Klöster eingeschlossene Gelehrte, es sind Ritter und
Staatsmänner, welche schreiben was sie während eines bewegten
Lebens gesehen, gefühlt und gethan haben. Die ersten Meisterwerke
der französischen Prosa sind Memoiren, d. h. historische Erzäh-
lungen, welche die Ereignisse so darstellen, wie der Verfasser sie
gesehen hat, ohne auf gelehrte Genauigkeit Anspruch zu machen.
Zwei Werke dieser Art aus dem 13. Jahrhundert geben uns ein
treueres Bild von dem Leben der Zeit als alle lateinischen Chroni-
ken. Das erste dieser Werke ist die Chronik von der Eroberung
von Constantinopel von Geoffrey de Villehardouin, das andere die
Geschichte Ludwig's Ix. von des» Lire de Jomville.
Bei dem allgemeinen Aufschwung erhob sich auch der deutsche
Adel zu feinerer Sitten- und Geistesbildung. Während im 11.
Jahrhundert deutscher Gesang nur unterm niederen Volke, in den
Klöstern nur deutsche Prosa und lateinische Dichtung und selbst am
Hofe nur letztere zu finden war, ließ sich im 12. Jahrhundert an
den Höfen und in Klöstern deutsche Dichtung vernehmen. Die
Geistlichkeit nahm einen größeren, der Adel einen neuen Antheil an
der deutschen Literatur. Die Vorliebe für den Reim bewirkte die
Ausbildung desselben zur Form der Poesie und das Zurücktreten der
Prosa. Zu dem bisher allein üblichen Singen kam nun auch ein
davon verschiedenes Sagen, ein bloßes Lesen der Gedichte. Die
Geistlichen trugen einander und den Laien Stoffe der ihnen zunächst
angemessenen Gattung vor, religiös und sittlich belehrende und ge-
lehrt erzählende nach lateinischen Duellen, bis sie und noch mehr die
Ritter nach französischen Epopöen griffen und diese in deutscher
Sprache nachahmten. Es waren das keine Lieder mehr, sondern
Die deutsche
Literatur.
5. Bd. 1
- S. 763
1883 -
Leipzig
: Engelmann
- Autor: Weber, Georg
- Auflagennummer (WdK): 19
- Sammlung: Kaiserreich Geschichtsschulbuecher
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schulformen (OPAC): Höhere Schulanstalt, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
§. 423.
Die Uehermacht der Kirche im Zeitalter der Kreuzzüge.
763
4. Cultur und Bildungsftaud im dreizehnten Jahrhundert.
A) Poesie und Kunstbildung.
§. 423. Wie die Institutionen der Kirche, des Feudalwesens, der Ritterschaft in dem französisch-normannischen Volksstamme ihre hauptsächlichsten Träger gefunden und von dort aus die Kreuzzüge ihren Ausgang genommen haben; so ist auch für die Art der Dichtung, welche sich an die Vorstellungen und Jdeen-kreise der Wirklichkeit anlehnte, und als die romantische bezeichnet zu werden pflegt, im westlichen Europa, im provenyalischen Süden und im französisch-nor-mannisch-bretagnischen Norden die eigentliche Heimath zu suchen. Die religiöse Poesie, die, im Anfang unserer- Periode dort wie in Deutschland von Geistlichen gepflegt, die dichterische Thätigkeit fast ausschließlich in Anspruch nahm, trat unter dem Einflüsse der treibenden Zeitideen bald in den Hintergrund: die Dichter mußten entweder die Interessen und Vorstellungen, welche das lebende Geschlecht fesselten, in ihren Kreis ziehen und den weltlichen Stoffen eine religiöse Unterlage geben, oder sie mußten den fremden Sagen- und Phantasiegebilden den Platz räumen. So kam es, daß man zunächst die in der Volkstradition erhaltenen Heldensagen aus Karls des Großen Zeiten im Sinne der herrschenden Anschauungen bearbeitete, indem man bald die Conflicte des königlichen Herrschers und seiner getreuen Paladine gegen eine trotzige Lehnsaristokratie poetisch gestaltete und großartige Heldencharaktere sich entwickeln ließ, bald seinen Kampf gegen die Ungläubigen, die Sachsen wie die Saracenen, im Geiste der Kreuzzüge darstellte. Als aber das verfeinerte Ritterthum und der Frauendienst in den Vordergrund traten und das gesellschaftliche Leben der adeligen Kreise zu beherrschen anfingen, verlor sich der Geschmack für die derben, in naturwüchsiger Kraft und altgläubiger Frömmigkeit auftretenden Heldengestalten aus einer fremdartigen Vergangenheit; die Ritter und Frauen sehnten sich nach einer Unterhaltung, die mehr ihren Sitten und Neigungen entsprach; sie wollten von Personen und Verhältnissen hören, in denen sich ihr eigenes Dasein, die „höfische" Bildung der Zeit, abspiegelte, deren Thaten und Schicksale, deren Bestrebungen und Lebensziele mit ihren eigenen Interessen und Seelenrichtungen, mit ihren eigenen Anliegen und Erlebnissen in Beziehung und Uebereinstimmung standen. Einen solchen Boden fand die Dichtkunst in den Sagengebilden eines halberstorbenen Volksstammes, der, seit Jahrhunderten aus dem öffentlichen Leben ausgeschieden, ein stilles, wenig beachtetes Dasein verbracht hatte, bis er in der zweiten Hälfte des elften Jahrhunderts durch ein großes weltgeschichtliches Ereigniß wieder aus der Verborgenheit hervortrat. Es waren dies die Sagen von Arthur und seiner Tafelrunde, die bei den keltischen Volksresten der Altbriten in Wales, Cornwallis und Bretagne sich von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzt hatten und durch den Eroberungszug des Normannenherzogs Wilhelm (§. 338), an dem sich viele Ritter aus der Bretagne betheiligten, einen neuen Impuls erhielten und die Aufmerksamkeit anderer Nationen erweckten. So wenig auch diese wunderlichen Sagen von Irrfahrten und Abenteuern, von Kämpfen und Schlachten ohne geschichtliche Unterlage, ohne Plan und Ziel den Anforderungen der Poesie genügen konnten, in ihrer losen Gestalt, in ihrer
1. Poesie.
Die Äa v,2 jagt.
Die bre» tonischfränkischen Saneri-kreise.
1893 -
München
: Pohl
- Autor: Zitzlsperger, Joseph, Riedl, Otto
- Auflagennummer (WdK): 10
- Sammlung: Kaiserreich Geschichtsschulbuecher
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
124
Um die Mitte des 15. Jahrhunderts drang aus Italien eine neue Kunstrichtung ein, die Renaissance". Sie wurde der Kunststil der neueren Zeit und blieb es in Deutschland, bis mit ihrer Ausartung (Sptrenaissance oder Barockstil, Rokoko oder Zopsstil) die Kunst berhaupt ganz in Verfall geriet.
Das Charakteristische der Renaissance besteht in der Rckkehr zur antiken, zunchst altrmischen Kunst mit teilweiser Verschmelzung und Anwendung gotischer Formen. Maler, Bildhauer und Bau-meister gingen nun nach Italien, die neue Kunst und die Kunst ber-Haupt bei den groen Meistern in Rom, Florenz, Mailand, Venedig 2e. zu studieren.
Sprache und Literatur, Wissenschaft und Bildung. Die Zeit von 1150 1525 umschliet die zweite Entwickelnngsstuse der deutschen Sprache und Literatur: die Periode des Mittelhochdeutschen.
Infolge der Begnstigung, welche der Poesie durch die hohen-staufischen Kaiser zu teil ward, gewann die a l am an nis ch e oder schwbische Mundart so an Bedeutung und Einflu, da sie zur Grundlage fr die nun zur allgemeinen Geltung gelangende Umgangs-und Literatursprache: das Mittelhochdeutsche, wurde. Da dieses zunchst an den Hfen Eingang und Pflege fand, nannte man es auch hfische Sprache".
Doch auch die bayerische Mundart hatte aus die Aus-bildung einer allgemeinen deutschen Schriftsprache einen Einflu von entscheidender Bedeutung, und zwar durch die vielen, während der langjhrigen Regierung Kaiser Ludwigs des Bayern in deutscher Sprache erlassenen Urkunden.
In der Bltezeit des Mittelhochdeutschen, welche zugleich auch von 11501300 die erste Blteepoche unserer Nationalliteratr ist, nahm die Poesie, die Trgerin der sprachlichen Entwickelung in Deutschland eine zweifache, verschiedene Richtung, die man als Kunst-und Volkspoesie bezeichnet.
Durch den Verkehr der deutscheu Ritterschaft in den Kreuzzgen mit der romanischen, besonders franzsischen, lernte jene die Sagen-kreise der letztern kennen und nahm deren Art und Pflege der Dichtung zum Vorbilde. So wurde die deutsche Dichtkunst zunchst zu einer ritterlichen oder h fis ch e n K n n st. Da sie vorzugsweise in den Hnden adeliger Dichter lag, so unterschied sie sich durch Stoff und uere Form von der lteren, einheimischen Volkspoesie.
Den Stoff der epischen Kunst Poesie bildeten hauptschlich der frnkische und bretouisch-keltische Sagenkreis. Der Minnesang, die hfische Lyrik, hatte neben politischen und religisen Stoffen Ver-ehrnng und Huldigung der Frauen zum Hauptgegenstande. Die bedeutendsten hfischen Dichter waren: Heinrich von Veldeke (Eneit), Hartmauu von der Aue (Jwein mit dem Lwen), Gottfried von Stra brg (Tristan und Isolde) und Wolfram von Esllicnbach, der grte mittelalterliche Epiker (Parzival). Unter den Minnesngern, deren uns der 150 bekannt sind, nimmt Walther von der Vogelweide (ein Zeitgenosse Philipps von
1855 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Kiesel, Karl
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
308 Die Kreuzzüge und der Osten im zwölften Jahrhundert
13. Das Nitterthum hat sich mit allen seinen Eigentümlichkeiten
auch in einer ans seiner Mitte hervorgegangenen Dichtung abgespiegelt.
Eine den alten Germanen schon eigene Neigung, Thaten der Helden
in Liedern zu feiern, war den Eroberern der römischen Provinzen in
ihre neue Heimath gefolgt, aber erst die allmälige Entwicklung der
Landessprachen gestattete eine kunstmäßige Gestaltung der Dichtung und
machte die Entstehung besonderer Literaturen möglich, welche lange Zeit
sich auf die Dichtung beschränkten, während die lateinische Sprache für
das romanische und germanische Europa die allgemeine Sprache der
Wissenschaft blieb. Am frühesten war dies der Fall auf dem Gebiete
der provenyalischen Sprache, das außer der südlichen Hälfte von Frank-
reich auch das mit der eigentlichen Provence und andern südfranzösischen
Landschaften durch dynastische Verbindungen zusammenhängende nordöst-
liche Spanien umfaßte. Hier waren schon im Anfänge des zwölften Jahr-
hunderts Dichtung und Musik die Würze geselliger Unterhaltung an den
Höfen, und zu den dortigen Dichtern, die man Troubadours oder Erfinder
nannte, gehörten viele der angesehensten Herren des Landes. Hier
wurden in Liedern Ritterthum und Frauenliebe gefeiert und Wünsche
und Aufforderungen in Bezug auf das Leben der Zeit, Theilnahme und
Freude, Unwillen und Rüge aus Anlaß gleichzeitiger Begebenheiten
ausgesprochen. Neben dieser lyrischen Dichtung des Nitterthums, die
im Süden Frankreichs ihren Ursprung hat, entwickelte sich in Nord-
frankreich und England eine ritterliche Epik, die theils an Karl den
Großen und an Artus, einen Fürsten der durch die Sachsen in den
Westen Englands zurückgedrängten Britten, Erzählungen, wie sie dem
Sinne der Zeit entsprachen, anknüpfte, theils Helden, die aus der
lateinischen Literatur bekannt waren, wie Aeneas und Alexander den
Großen, zu Helden im Sinne der Gegenwart umgestaltete. Hierzu kam
als ein Stoff, durch dessen Behandlung wenigstens in sinnbildlicher
Weise das Ritterthum sich in seiner religiösen Bedeutung zeigen ließ,
die Sage von dem heiligen Grale oder der von dem Heilande bei dem
Abendmahle gebrauchten Schale, um deren Besitz, weil daran der höchste
Segen sich knüpfte, Ritter sich mit größter Beharrlichkeit bemühten.
Die ritterliche Dichtung, die von Rittern gepflegt wurde und das ritter-
liche Leben der Zeit spiegelte, verpflanzte sich in dem durch die Kreuz-
züge vermittelten Verkehr aus Frankreich nach Deutschland und trat hier
im Laufe des zwölften Jahrhunderts allmälig an die Stelle einer von
Geistlichen gepflegten, auch ihrem Inhalte nach geistlichen Dichtung,
welche mit der Erzählung der heiligen Geschichte und der Erörterung
christlicher Lehre die deutsche Sprache seit Ludwigs des Frommen Zeiten
erzogen hatte. Auf die Belebung der ritterlichen Dichtung hatten die
Kreuzzüge den hauptsächlichsten Einfluß, da den Kreuzfahrern sich im
1892 -
München [u.a.]
: Franz
- Autor: Stöckel, Hermann
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Kaiserreich Geschichtsschulbuecher
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Mittelschule
- Inhalt: Zeit: Mittelalter
Blüte der deutschen Dichtung des Mittelalters. 97
Rundbogenstil der sächsischen und fränkischen Kaiserzeit verließ und zum kühneren und freieren Spitzbogenstil, dem „gotischen", überging, der sich iu Nordfraukreich zuerst und am Rhein am schönsten entwickelte.
9. Während dieser neue Baustil vornehmlich in den Städten, also beim erstarkenden Bürgertum, Pflege fand, widmete sich der Adel einer anderen Kunst, der Poesie.
* Blüte der deutschen Dichtung im Mittelalter.
Die deutsche Literatur erreichte um 1200 ihre erste Blütenperiode.
Die epischen Dichtungen jener Zeit behandelten entweder nationale oder fremde Sagenstoffe. Die letzteren drangen besonders aus Frankreich zu uns und gehören meist in den Sagenkreis vom König Artus oder iu den vom heiligen Gral. Der erstere bildete sich nm keltische Sagen, die Artus, den mythischen National-helden der Britannen im Kampfe gegen die Angelsachsen, verherrlichten, durch die Bretonen nach Frankreich wanderten und dort in dem Sinne umgebildet wurden, daß Artus als das leuchtende Muster und Vorbild des mittelalterlichen Rittertums erscheint. — Während die Artus sage keltischen Ursprungs ist, stamml die Gralsage aus Spanien. Unter dem Hl. Gral dachte man sich eine kostbare Schüssel, welcher sich Christus beim Abendmahl bedient, zu deren Schutz ein Königssohn von Anjou eine herrliche Burg (etwa in den spanischen Pyrenäen) erbaut und den Ritterorden der Templeisen gestiftet haben soll.
Eine Verschmelzung dieser beiden Sagenkreise zeigt das Epos „Parzival", das Wolfram von Eschenbach um 1212 dichtete. Während dessen Sprache kraftvoll, aber wegen ihrer tiefsinnigen Andeutungen auch schwer verständlich ist, entfaltete das Mittelhochdeutsche in dem Epos „Tristan" des Dichters Gottfried von Straßburg den höchsten Wohllaut der Sprache und des Versbaues. — Neben diesen aus der Fremde stammenden Stoffen erlebte aber auch die nationale Sage ihre herrlichste Entfaltung in den beiden Volksepen, dem Nibelungenlied und dem Liede von Gudrun. In dem letzteren sind Überlieferungen aus den Kämpfen der Nordseegermanen zu einem Epos verschmolzen, während das Nibelungenlied den großartigsten Nachklang an die Landfahrten der Germanen enthält, die sich an der großen Völkerwanderung beteiligten. In Etzel ist die Erinnerung an Attila, in Dietrich von Bern das Gedächtnis Theodorichs d. Gr., in Günther das Andenken eines Burgunderkönigs Gundahar erhalten. Aber auch mythologische Elemente birgt das Nibelungenlied, wie die Tarnkappe, den Drachen u. v. a.
Artussage.
Gralsage.
Wolfram von Eschenbach.
Gottfried von Straßburg.
Gndrunlied.
Nibelungen-
lied.
1916 -
Trier
: Lintz
- Autor: Genniges, E., Buschmann, Johannes
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Geschlecht (WdK): Jungen
90
Dritter Abschnitt.
Deutsche Dichtung von Her Mitte Hes 18. Jahrhunderts
bis zu Goethes Tode. 1748—1832.
(Die Zeit der klassischen Vollendung der deutschen Poesie. Nachdem die Herrschaft
des Französischen gebrochen und durch die neu erschlossene Kenntnis des Altertums der
Dichtung neue Wege gewiesen sind, Rückkehr zur nationalen Dichtung. Entwicklung,
Mittelstufen und Höhepunkt bezeichnen: Klopstock und Wieland, Lessing und Herder,
Goethe und Schiller.)
1. Die deutsche Literatur hat eine eigenartige Erscheinung aufzuweisen:
Sie ist zweimal zur höchsten Vollendung emporgewachsen, hat zweimal in dem
Glanze der Jugendblüte gestrahlt. Das erstemal von 1100 —1300; die zweite
Blütezeit hob an mit der Mitte des 18. Jahrhunderts. Nachdem der Einfluß
des Französischen, durch des großen Friedrich Siege mit dem Schwerte, durch
Lessings Kritik mit der Feder, gebrochen war, wurde auf dem Wege des
in seiner wahren Bedeutung neu erschlossenen Altertums auch die Rückkehr zur
nationalen Dichtung gefunden. Die Dichter behandelten nicht mehr sklavisch
der Fremde entlehnte Stoffe, spielten nicht mehr mit angelernten Gefühlen
und Empfindungen; sie sangen von dem Höchsten und Herrlichsten, was das
Menschenherz bewegt, und über der Bildung ihres Volkes stehend, wurden sie
seine Lehrer und Erzieher. Drei Dichterpaare sind es, welche die Entwicklung,
die Mittelstufen und den Höhepunkt dieser zweiten Blüteperiode unserer Lite-
ratur kennzeichnen: Klopstock und Wieland, Lessing und Herder, Goethe
und Schiller.
2. Der Höhepunkt liegt um die Wende der beiden Jahrhunderte und
fällt in die Zeit des hinsterbenden deutschen Reiches. Während sonst die Kunst
nur nach einer Zeit gewaltiger Regungen auf politischem Gebiete ihre Blüten
treibt, sollte jetzt gerade die Dichtkunst Deutschlands politische Wiedergeburt
mit vorbereiten helfen.
3. Klopstock (1724—1803) und Wieland (1733—1813) gingen
noch unmittelbar aus den literarischen Kämpfen der vorigen Periode hervor,
Klopstock im Anschluß an die ausmalende religiöse Poesie der Engländer,
Wieland im Anschluß an die sinnlich leichte Poesie der Franzosen. Klopftocks
„Messias" (1748 die drei ersten Gesänge) war die erste nationale Dichtung;
durch den tiefreligiösen Sinn, dem es entstammte, durch die Großartigkeit der
Schilderung und den sittlichen Ernst, der das Ganze erfüllt, übte dieses Werk
eine unermeßliche Wirkung auf die Nation. In Klopstocks „Oden" erklangen
zum ersten Male wieder aus der Tiefe eines reichen Gemütes die Töne er-
habener, frommer Begeisterung, inniger Freundschaft und Liebe und eines
hinreißend starken Baterlandsgefühles. — Wielands Werke sind niemals
recht zum geistigen Eigentum des deutschen Volkes geworden; auch fallen seine
besseren Schöpfungen, „Die Abderiten" (1774) und der „Oberon" (1780),
bereits in eine Zeit, wo der Genius der deutschen Dichtkunst Männern wie
Goethe und Schiller den Weg zur Höhe bahnte. Dennoch ist seine Bedeutung
1911 -
Stuttgart
: Bonz
- Autor: Frohnmeyer, Immanuel
- Auflagennummer (WdK): 3
- Sammlung: Kaiserreich Geschichtsschulbuecher
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Antike, Mittelalter
- Geschlecht (WdK): Jungen
272 ^
Aufnahme des Christenwms im deutschen Volk zwei Dichtungen, der Heliand (Heiland), ein stabreimendes Epos in altschsischer Sprache (c. 830), das den Heiland in echtem Volkstones Heerknig dem Volk nahe-bringt, und die Evangelienharmonie des Weienburger Mnches Otfried (der Krist" c. 868). In der Folgezeit verschwinden deutsche Dichtungen |ast ganz vor der gelehrten lateinischen Dichtung der Geistlichen, wenn auch fahrende Snger und Spielleute im Volk das Gedchtnis der alten Sagen erhielten. Lateinisch dichtete unter den Ottonen die Gandersheimer Nonne Hroswitha ihre dem Terenz nachgebildeten Dramen neben epischen Versuchen. Auch das Tierepos tritt in dieser Zeit in lateinischer Gestalt aus. 2) Mit dem 12. Jahrh. (11001180) trat die Zeit der Vorbereitung fr die Bltezeit unserer Literatur ein. Mancherlei Umstnde fhrten den Aufschwung herbei. Die Kreuzzge fhrten aus der Enge des Lebens und bereicherten das geistige Leben mit einer Flle neuer Anschauungen. Dazu kam der Glanz der Hohenstansenzeit, der auch dem dichterischen Schaffen frderlich war. Und in dieser Zeit fand das Rittertum feine Ausbildung, und damit entwickelte sich der Stand, der auch in der Poesie die Fhrung bernahm. Das franzsische Ausland war dabei von wesentlicher Bedeutung. In dieser Zeit der Vorbereitung suchten die Geist-liehen es noch den Spielleuten, die alte Sagen mit fremden Zustzen schmckten und seltsame Mren aus dem} Morgenland sangen, gleichzutun: so der Pfaffe Lamprecht am Rhein mit seinem Alexanderlied (c. 1125), Konrad mit dem Rolandslied (c. 1130). 3) Die Bltezeit der mittelhochdeutschen Poesie (11801250) hat wesentlich hfischen, ritterlichen Charakter. Im sdlichen und westlichen Frankreich, in England und Wales entwickelte sich dieses Rittertum mit seinen Idealen und seiner Sanges-knnst. In Frankreich sind groenteils die Sagenstoffe zu Hause, die unsere hfischen Dichter besangen. Feste, wie Friedrichs I. Vermhlung mit Beatrix von Burgund, Heinrichs des Lwen mit der englischen Mathilde, erleichterten der fremden Kunst den Zugang. Sie drang im Westen der die Rheinlande, im Sden von Italien ans ein. Der Hof der Babenberger in sterreich, des Landgrafen Hermann I. auf der Wartburg waren Haupt-sitze des ritterlichen Gesangs. Manche der hohenstanfifchen und welfischen Herrscher waren Freunde des Gesangs, wohl auch selbst Snger. Die be-deutendsten Snger gehrten dem niederen Adel an und verherrlichten den Ruhm und die Milde der greren Fürsten, auf deren Huld sie etwa angewiesen waren. In dieser Bltezeit haben ritterliche Dichter den groen volkstmlichen Epen, dem Nibelungenlied (c. 1200) und dem Gudrunlied (c. 1210), ihre jetzige Gestalt gegeben. Lange vergessen, sind diese Seitenstcke der beiden griechischen Epen erst in der zweiten Hlfte des 18. Jahrh. wieder entdeckt und noch spter recht gewrdigt worden. Ihre Entstehung hat die Forscher beschftigt wie die der Jlias. Einzelne Lieder mgen auch hier frher von Spielleuten gedichtet und gesungen worden sein. Die beiden Werke verherrlichen die altgermanischen Tugenden des Heldentums und der Treue. Ihre Dichter sind nicht mehr festzustellen, ihre Heimat ist ohne Zweifel sterreich. Neben diese Volksepen treten, in dieser Periode die Erzeugnisse des Kunstepos und der Lyrik des Minne-gesangs. Die Stoffe des Kunstepos sind vielfach undeutsch, fremden, franzsischen Vorlagen entnommen, fo die britische Sage von dem König Artus (Artur) und seiner Tafelrunde und die Gralsage, aber die Dichter
1869 -
Hannover
: Hahn
- Autor: Beck, Joseph
- Auflagennummer (WdK): 3
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Unterrichtsanstalt
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
- Geschlecht (WdK): Jungen
250
und insbesondere durch die Anregungen des großen Kulturhistorikers
Ioh. Joachim Winkelnrann (ff 1768), des Philologen Chr.
Gottlob Heyne (1729—1812) u. A. ein tieferes Berständniß
des klassischen Alterthums und ein edlerer Kunstgeschmack ange-
bahnt worden waren, erschienen gleichzeitig drei Dichtergenien,
Klopstock. Lessing, Wieland, welche auf eine gänzliche Um-
gestaltung der deutschen Literatur und dadurch auf die gesammte
Bildung des deutschen Volkes den gewaltigsten Einfluß ausübten.
4) Friedr. Gottlieb Klop stock (1724—1803) ist dnrch
Ernst und Tiefe des Geistes, lebendiges Gefühl für Religion,
Vaterland und Natur, Eigenschaften, die bei ihm mit antik-
klassischem Geiste zu harmonischer Einheit verbunden waren, einer
der am meisten nationalen Dichter Deutschlands, an dessen acht
deutschem Wesen der deutsche Volksgeist gleichsam zum vollen
Bewußtsein seiner Selbst gekommen ist. Gerade durch diese eigen-
thümlichc Größe seines Geistes hat Klopstock auf die nationale
Richtung und Entwickelung der vaterländischen Literatur einen ent-
scheidenden Einfluß erlangt, wenn auch seine Gedichte selbst (das
Epos Messias, Oden u. a.) später mehr in den Hintergrund
getreten sind.
5) Gotthold Ephraim Lessing (1729—1781), dessen
ganzes Leben dem unermüdlichsten Suchen und Forschen nach
Wahrheit gewidmet war, repräsentirt die kritische und philo-
sophische 'Richtung der deutschen Literatur, für welche sein un-
gemein scharfer, durch das Studium des klassischen Alterthums
erleuchteter Verstand ein neues Licht angezündet hat. Dies gilt
insbesondere hinsichtlich der dramatischen Dichtkunst, für
welche er in Übereinstimmung mit den Lehren des Aristoteles
die ewig wahren und richtigen Gesetze wieder empfohlen und
zugleich in mehreren dramatischen Dichtungen so meisterhaft prak-
tisch angewendet hat, daß diese wahre Musterstücke für die Zu-
kunft geworden sind. Zugleich ist Lessing durch Klarheit und
Bestimmtheit der Gedanken, Schärfe und Kürze des Ausdrucks
der Schöpfer der deutschen klassischen Prosa, für welche seine
prosaischen Schriften kaum erreichte Vorbilder geworden sind.
6) Christoph Martin Wieland (1733-1812) steht zu
den beiden Genannten in einem starken Gegensätze, indem er in
der deutschen Literatur eine eigenthümliche Richtung vertritt, die
an den neufranzösischen Geschmack sich anschließt. Wieland ist
der Dichter des verfeinerten Lebensgenusses, des Scherzes und der
heitern Laune, denen er in seinen zahlreichen Schriften, in Versen
und in Prosa, in gewandter leichter Darstellung Ausdruck verleiht.
Sein tüchtigstes auch in der Form vollendetes Werk ist „Oberon",
ein Epos, durch dessen mittelalterlichen Stoff und Behandlung
1893 -
Trier
: Lintz
- Autor: Buschmann, Johannes
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
23
die sonn hett anch jr freüd damit,
130. daß so dapffer das schiff fortschritt,
und schin so hell in druder rinnen,
das sie von fern wie spigel schinen.
das gestad schertzt auch mit dem schiff;
wann das Wasser dem land zuliefst
dann gab es einen Widerthon,
gleich wie die rüder thäten gon.
ein flut die ander trib so gschwind,
das sie eim undern gsicht verschwind;
ja, der rein Wurf auch ans klein wällen,
140. die dantzten umb das schif zu gsellen.
inn summa, alles freudig war,
die schiffart zu vollbringen gar;
die Vertröstung, rhnm zu erjagen,
erhitzigt ihr Hertz nicht zuzagen.
Zweiter Abschnitt.
Deutsche Dichtung vom Beginn des 17. Ins um die
Witte des 18. Jahrhunderts. 1624—1718..
(Periode der Nachahmung: die nationale Poesie verwandelt sich in eine gelehrt-
klassische. Nicht nur die poetische Form (Alexandriner), sondern auch der Inhalt
lehnt sich, nicht an die klassische Poesie selbst, sondern an ihre gekünstelte Nachahmung
durch ausländische Dichter. Unwahrheit und Unnatur kennzeichnen die dichterischen
Erzeugnisse dieser Zeit; nur das Kirchenlied bewahrt noch Wahrheit und Einfachheit.
Erst gegen Beginn des 18. Jahrh, gestalten sich die Verhältnisse freundlicher nach dem
Erwachen einer litterarischen Kritik.)
1. Die trostlosen politischen Verhältnisse zu Anfang des 17. Jahrhunderts
und vollends der 3ojährige Krieg mit der neben ihm herlaufenden Verwilderung
der Sitten konnten nur den ungünstigsten Einfluß aus die Entwicklung der
deutschen Litteratur ausüben. Die Teilnahme des Volkes an der Litteratur
verschwand gänzlich; der größte Teil der Gelehrten hatte sich seit der Wieder-
belebung des klassischen Altertums der lateinischen Sprache bedient, und seitdem
Frankreichs Einfluß aus die Geistes- und Kultnrzustände Deutschlands mächtig
wurde, fingen die Gebildeten an, französisch zu schreiben und zu sprechen. Man
kam allmählich zu der Überzeugung, daß die deutsche Poesie hinter der der
anderen Völker zurückgeblieben sei; um ihr aufzuhelfen, ahmte man die fremden
Muster nach und gab so der Poesie den Charakter schulmäßiger Nachahmung
und künstlicher Einübung des Fremden. Die Dichter setzten ihren Ruhm in
die formale Behandlung der Sprache und des Verses, selten in die Wahrheit
der Stimmung und die lebendige Durchdringung des Stoffes. Trotzdem treten
einzelne Dichter hervor, die mehr Selbständigkeit in ihren Werken zeigen und
größere Beachtung verdienen
2. Gleich zu Beginn dieses Zeitraums begegnen wir einigen wohlgemeinten
Versuchen, der Sprachverderbnis entgegenzuwirken. Zu diesem Zwecke wurden
mehrere Sprachgesellschaften gestiftet nach dem Muster der italienischen
Akademieen. Die wichtigsten sind: 1. Die fruchtbringende Gesellschaft
oder der Palmenorden, gestiftet 1617 zu Weimar von mehreren Fürsten
und Edelleuten. Den Hauptzweck der Gesellschaft bestimmten die Gründer dahin,
daß die „hochgeehrte deutsche Muttersprache in ihrem gründlichen Wesen und
rechten Verstand ohne Einmischung fremder ausländischer Flickwörter im Reden,
1861 -
Leipzig
: Brandstetter
- Autor: Weber, Georg, Schröer, Tobias Gottfried
- Auflagennummer (WdK): 5
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Töchterschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Töchterschule
- Regionen (OPAC): Preußen
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Mädchen
468
Orientalist Hammer-Purgstall hat uns die Schätze der arabischen
und persischen Literatur aufgeschlossen.
Unmittelbar in's Leben eingreifend und, um den Kreis zu vollenden,
zur Philosophie zurückkehrend, nennen wir zum Schlüsse noch einige edle
Männer der Theologie, welche in redlicher Forschung und gläubigem
Willen nach Wahrheit strebten, wie Schleiermacher, Ammon, Neander,
Sailer und Wessenberg.
Gesegnet der Boden, welcher einen solchen Reichthum an Geist, Gemüth
und Gelehrsamkeit erzeugen und großziehen konnte! Doppelt gesegnet, da
auch die Krone der Dichtkunst unserem Vaterlande gehört! Wir werden
die Entwickelung der poetischen Literatur, als ganz besonders in den Bill
dungskreis der weiblichen Jugend gehörend, so ausführlich, als es eben
der Raum und Zweck des Buches gestatten will, zum Schlüsse unserer
weiten Wanderung vorüberziehen lassen.
§.2. Deutsche Poesie.
Goethe und Schiller.
Der gegenwärtige Abschnitt knüpft sich unmittelbar da an, wo wir
die Schilderung der deutschen Poesie der vorigen Periode gegen Ende des
letztvergangenen Jahrhunderts abgebrochen haben, da ihre Vollendung und
Blüthe in die ersten drei Jahrzehnte des neunzehnten Jahrhunderts herüber-
reicht. Der herrliche Bau war bis auf den letzten Schlußstein heran-
gewachsen; Talente der verschiedensten Gattung hatten das Ihrige zusammen-
getragen, um dem Erscheinen des größten unserer Dichter vorznarbeiten,
um seine Steige richtig zu machen!
„Die vollendete Dichtung kündigt sich dadurch an, daß sie durch ein
weltliches Evangelium,' durch innere Heiterkeit, durch äußeres Behagen
uns von den irdischen Lasten zu befreien weiß, die auf uns ruhen, daß
sie uns in höhere Regionen hebt und die Jrrgänge des Lebens zurückläßt,"
so lauten Goethe's eigene Worte, der gegen den Schluß des vorigen
und zum Beginn unseres jetzigen Jahrhunderts über der Menge der
Schriftsteller und Dichter, Alle überstrahlend, hoch erhaben stand. — Trotz
diesem Loslösen aber von den „Jrrgängen des Lebens" war kaum ein
Dichter, Shakespeare und die Alten vielleicht ausgenommen, so mit Geist
und Sinnen, mit voller Lebenskraft dem Wirklichen hingegeben, als Goethe,
dessen Genius die Wirklichkeit als bildsamen Stoff leicht und natürlich,
wie es ihm eigen war, in vollkommener Form zum wahrhaftigen Kunst-
ideal erhob.
Wohl durfte sich überhaupt nicht leicht ein von der Natur hochbe-
gnadigtes Talent herrlicherer, glücklicherer und reicherer Gaben erfreuen
1880 -
Braunschweig
: Bruhn
- Autor: Dahn, Ernst
- Auflagennummer (WdK): 1
- Jahr der Erstauflage_wdk: 1880
- Sammlung: Kaiserreich Geschichtsschulbuecher
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrer- und Schülerbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Mittelalter
- Geschlecht (WdK): Jungen
- Konfession (WdK): offen für alle
— 124 —
Ritterpoeftc.!)
Einfluß der Kreuzzüge auf die Dichtkunst:
1. Die romanischen Dichtungen wurden in Deutschland verbreitet.
(Daher der Ausdruck „romantisch.")
2. Die Muse des Gesanges erwachte.
3. Die Erlebnisse der Ritter lieferten reichen und passenden Stoff.
(In der Poesie spiegelt sich das ganze Rittertum ab.)
Mit der höchsten Blüte des Rittertums fällt zusammen die erste Glanz-
periode der deutschen Literatur.
Das Ritterwesen erzeugte Poesie, die Poesie wurde Stütze des Rittertums (sie erhielt Begeisterung).
Die deutsche Dichtkunst wurde Ritterpoesie, sie zog aus den Klöstern in die Ritterburgen.
Sprache: Mittelhochdeutsch.
Charakter: Sprachlicher Wollaut, höchst graziöser und energischer Ausdruck.
Dichter und Sänger:
In England Minstrels (Blondel), in Frankreich Troubadours.^
In Deutschland brachten Fürsten und Ritter die Poesie zur höchsten Blüte.
Haupterscheinungen:
1. Volksepos — entstanden aus im Volke gesungenen, nationalen Sagen-
kreisen entnommenen Einzelliedern.
Dichter unbekannt, a. Gudrun. b. Nibelungen. (S. §. 4. p. 16 und 17.)
2. Kunstepos — meist fremde Stoffe; kunstmäßig schaffende Dichter. Stoffe: Mit dem Rittertum wurden auch die fremden Sagenstoffe
und Lieder aus der Fremde nach Deutschland gebracht.
a. Hartmann von Aue — Jivein, Erek, der arme Heinrich.
b. Wolfram o. Eschenbach ') - Parzival und die Fragmente:
Titurel, Wilhelm v. Oranse.
c. Meister Gottfried von Straßburg2) (Bürger, der ganz in Rittermanier dichtete) — Tristan und Isolde.
Daneben Bearbeitung des trojanischen Krieges (Konrad von Würzburg), der Aeneis (Heinrich v. Veldeke), der Aleranderund Karlssage.
1) Neben den oben angeführten Quellen G. Weber „Lesebuch zur deutschen Literatur" (nhd.); Karl Bartsch „Deutsche Liederdichter des Xii.—Xiv. Jh." 2. Aufl. Stuttgart 1879 (mhd.).
2) Er sagt selbst, daß er keinen Buchstab schreiben kann.
3) Er ist in der Liederhandschrift schreibend dargestellt.
1893 -
Trier
: Lintz
- Autor: Buschmann, Johannes
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
77
Vollendung emporgewachsen, hat zweimal in dem Glanze der Jugendblüte
gestrahlt. „Zweimal hat der edelste und reinste Lebensinhalt unserer Nation
sich in gleich edle und reine, in naturgemäße und darum vollendete Formen
gegossen, und beide Glanzperioden geben an Frische und Fülle der Formen,
an Gediegenheit und Reichtum des Stoffes einander wenig nach. Aber während
sich jenes frühere Blütenalter unserer Poesie selbständig, in voller Ruhe der
Entfaltung schlummernder Keime und Knospen, durch inneren, sicheren und
seiner selbst gewissen Naturtrieb entwickelte: vermochte sich das zweite nur aus
langem Irrtum, aus schwerer Verirrung, aus dem Wege der Kritik, durch
Streit und Widerstreit zu gestalten." Nachdem aber einmal der Einfluß des
Französischen, durch des großen Friedrich Siege mit dem Schwerte, durch
Lessiugs Kritik mit der Feder, gebrochen war, da wurde auf dem Wege des
in seiner wahren Bedeutung neu erschlossenen Altertums auch die Rückkehr zur
nationalen Dichtung gefunden. Die Dichter behandelten nicht mehr sklavisch
der Fremde entlehnte Stoffe, spielten nicht mehr mit angelernten Gefühlen
und Empfindungen: sie sangen von dem Höchsten und Herrlichsten, was das
Menschenherz bewegt, und über der Bildung ihres Volkes stehend, wurden sie
seine Lehrer und Erzieher. Drei Dichterpaare sind es, welche die Entwickelung,
die Mittelstufen und den Höhepunkt dieser zweiten Blüteperiode unserer Litte-
ratur kennzeichuen: Klopstock und Wieland, Lessing und Herder,
G ö t h e und S ch i l l e r.
2. Der Höhepunkt liegt um die Wende der beiden Jahrhunderte und
fällt in die Zeit des hinsterbenden deutschen Reiches. Während sonst die Kunst
nur nach einer Zeit gewaltiger Regungen auf politischem Gebiete ihre Blüten
treibt, sollte jetzt gerade die Dichtkunst Deutschlands politische Wiedergeburt
mit vorbereiten helfen.
3. Klopstock (1724—1803) und Wieland (1733 — 1813) gingen
noch unmittelbar aus den litterarischen Kümpfen der vorigen Periode hervor,
Klopstock im Anschluß an die malerisch religiöse Poesie der Engländer, Wieland
im Anschluß an die sinnlich leichte Poesie der Franzosen. Klopstocks „Messias"
(1748 die drei ersten Gesänge) war die erste nationale Dichtung; durch den
tiefreligiösen Sinn, dem es entstammte, durch die Großartigkeit der Schilderung
und den sittlichen Ernst, der das Ganze erfüllt, übte dieses Werk eine uner-
meßliche Wirkung aus die Nation. In Klopstocks „Oden" erklangen zum
ersten Male wieder ans der Tiefe eines reiches Gemütes die Töne erhabener
frommer Begeisterung, inniger Freundschaft und Liebe und eines hinreißend
starken Vaterlandsgefühles. Wielands Werke sind niemals zum eigentlichsten
geistigen Eigentum des deutschen Volkes geworden; auch fallen seine besseren
Schöpfungen, die „Abderiten" (1774) und der „Oberon" (1780), bereits in
eine Zeit, wo der Genius der deutschen Dichtkunst Männern wie Göthe und
Schiller den Weg zur Höhe bahnte. Dennoch ist seine Bedeutung nicht zu
unterschätzen; er gab der deutschen Sprache Natürlichkeit, Anmut und Freiheit
und machte sie geeignet zum Ausdruck hellenischer Heiterkeit und seiner Ironie.
Im übrigen schließen Klopstock und Wieland einander ans: der eine stellt
die ideale Richtung der Seele zur Unendlichkeit dar, der andere die materielle
Richtung des Körpers zum sinnlichen Genuß.
4:. Begeisterung für Klopstocks religiös patriotische, Haß gegen Wielands
leichtfertig sinnliche Richtung vereinigte im Jahre 1772 mehrere junge Dichter,
1875 -
Leipzig
: Brandstetter
- Autor: Schröer, Tobias Gottfried, Weber, Georg
- Auflagennummer (WdK): 7
- Sammlung: Kaiserreich Geschichtsschulbuecher
- Schultypen (WdK): Töchterschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Töchterschule
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Mädchen
230
einen mächtigen Strom, und durch die Einflüsse der mit den Deutschen in Berührung kommenden fremden Völker einen neuen Umschwung nahm, welcher die bisherige einförmige Behandlung der alten Stoffe brach und eine neue Geistesepoche über Deutschland herausrief. Es liegen Beweise vor, daß selbst die poetischen Sagen von den Nibelungen im Auftrag des Bischofs Piligrhn von Passau von einem Geistlichen in lateinischer Sprache ausgeschrieben worden sind. So wurde, was im Herzen des deutschen Volkes lebte, von dem deutschen Klerus, der damals in der Mitte des Volkes stand und an allen Anliegen Theil nahm, der Sprache der Kirche anvertraut, die er allein zu schreiben verstand
Durch Heinrich von Veldeke wurde zuerst „die Minne" in das Reich der Dichtung eingeführt, welche von nun an in die Hände der Laien überging und ans den stillen Klostermauern in die stattlichen Burgen der Ritter, an den glänzenden Hof der Könige übersiedelte. Unter dem Einfluß, welchen die schwärmerische Begeisterung der Kreuz-züge über das ganze Abendland verbreitete, entwickelte sich nun die ritterlich-romantische Poesie des Mittelalters.
5. Kunst und Gewerbe.
Noch ausschließender als die Poesie standen die übrigen Künste im Dienste der Kirche. Wenn auch musikalische Weisen in den Gesängen des Volkes heimisch waren, so galt doch die Musik als Kunst nur von dem Kirchengesange und zwar in seiner allereinfachsten Weise, als Melodie. Der musikalischen Instrumente waren nur wenige und ihre Konstruktion noch ungenügend. Die Begleitungsinstrumente zum Gesänge entwickelten sich erst zu der Zeit der Minnesänger. Der Spruch des Psalmisten: „wessen Herz fröhlich ist, der singe Psalmen/' erhielt seine volle Geltung.
Auch in der bildenden Kunst sehen wir erst die Versuche und Ansänge zu einer, der Volkseigenthümlichkeit zugesandten Kunstform durchdringen. In der Baukunst galt der römische und griechische Styl lange als einziges Muster, doch begann schon der Geist des Mittelalters aus der fremden, angenommenen Form in Spitzbogen, gothischen Giebeln und Thürmen mächtig emporzustreben und es war zunächst Frankreich, welches in der Erfindung des gothischen Styls sich versuchte. In Deutschland war bis zum 14—15. Jahrhundert nur der romanische Styl
heimisch. ,
Den wachsenden Reichthum in Deutschland zeigten die zahlreichen und stets in's Großartigere gehenden Bauwerke. Zu Konrad's und
1908 -
Halle a.S.
: Buchh. des Waisenhauses
- Autor: Neubauer, Friedrich, Rösiger, Ferdinand
- Auflagennummer (WdK): 12
- Sammlung: Kaiserreich Geschichtsschulbuecher
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Regionen (OPAC): Südwestdeutschland
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
- Geschlecht (WdK): Jungen
Deutschland im dreizehnten Jahrhundert.
101
schwer ersteigbare Stelle bot und man eines schützenden Grabens gar nicht bedurfte. In der Ebene hat man an wichtigen Straßen, bei der Einmündung von Tälern Wasserburgen gegründet. Bekannt ist unter den zahlreichen Burgen Thüringens die erneuerte Wartburg.
Die zweite Hälfte des zwölften und die erste des dreizehnten Jahr- ^"-ruche Hunderts bilden die Blütezeit des Rittertums, das damals der ganzen Kultur einen weltfreudigen, von der asketischen Stimmung der letzten Jahrhunderte sich scharf abhebenden Charakter aufdrückte. Das war auch die Zeit, wo mehr noch als die Geistlichkeit der Ritterstand das geistige Leben der Nation beherrschte. Zwar die Geschichtschreibung ward auch unter den Hohenstaufen noch von Geistlichen ausgeübt; als ihr hervorragendster Vertreter erscheint der Oheim Friedrich Barbarossas,
Bischof Otto von Fr ei sing. Aber die erste Blüteperiode unserer $t“»bn0 Poesie trägt den Charakter des Rittertums. Das deutsche Kunstepos suchte seine Stoffe gern in der Fremde und entlehnte sie mit Vorliebe französisch-keltischen Sagenkreisen. Als Begründer dieses höfischen Epos gilt Heinrich von Veldeke, der Schöpfer der Eneit (Aneide); ihm folgten H a r t m a n n von Aue, der u. a. den Jwein und den armen Heinrich, Gottfried von Straßburg, der den Tristan, Wolfram von E s ch e n b a ch, der den Parzival schuf. In derselben Zeit entstanden die großen deutschen V o l k s e p e n, die sich an die germanische Sage anschlossen, das Nibelungenlied und die Kudrun. Es erblühte endlich in den Gedichten Walthers von der Vogelweide und so vieler anderer Minnesänger zum ersten Male eine deutsche Lyrik. Die höfische Dichtung erwuchs im Westen, am Niederrhein war der von Veldeke zu Hause, Hartmann ein Schwabe, Gottfried im Elsaß daheim, Wolfram ein Franke. Dagegen hat sich die volkstümliche Dichtung, welche den alten Sagen von den Nibelungen, von Gudrun, die eigentlich an der Nordsee heimisch war, von dem Gotenhelden Dietrich, die letzte poetische Gestalt gab, im sangreichen Volk von Bayern und Österreich erhalten. Hier ist auch der größte Lyriker der Zeit geboren. Unter den Höfen, welche dem Sänger offen waren, sind die edelsten der der Thüringer Landgrafen auf der Wartburg und der der Babenberger zu Wien; auch die Staufer selbst sind Freunde der Poesie gewesen. Die Dichtung war ganz weltlich geworden, aber der Laienmund sagte jetzt auch das Tiefste über die religiösen Angelegenheiten des Volks.
Die letzte Großtat des deutschen Rittertums ist die Gründung des Ordensstaates in Preußen (s. § 103). Allmählich aber tritt ein Verfall
1884 -
Mainz
: Kirchheim
- Autor: Hoffmann, Ernst
- Sammlung: Kaiserreich Geschichtsschulbuecher
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
214 Artus. Die Gralsage.
Du tost min, ich bin dm, des solt du gewis sin.
Du bis beslozzen (eingeschlossen) in minem herzen! verloren ist daz sluzzelin: du müost immer darinne sin.
9. Das höfische Heldengedicht.
Noch reicher fast als in der Sieberbichtung (Lyrik) zeigt sich die mittelalterliche Poesie in der Gestaltung der Helbensagen (Epos). Anch hier lieferte Frankreich größtenteils die Stoffe, welche die bentfchen Dichter freilich mit solcher Meisterschaft be-Hanbelten, daß sie ihre französischen Vorbilber weit Himer sich ließen. Die norbfranzösifchen Wanberfänger (in der Normanbie und Bretagne), die „Menestriers" waren nach der normannischen Eroberung Englanbs nach der benachbarten Insel hinübergezogen und hatten hier die altkeltifchen und die altsächsischen Barben gänzlich verbrängt ober in sich aufgenommen (die englischen Mieftrels). Neue Lieberstoffe kamen gleichzeitig aus der alt-briltifchen Laubfchaft Wales nach der Bretagne hinüber. In der Zeit als die Angelsachsen England unterwarfen, kämpfte ein alter keltischer König Artus (Arthur) helbenmütig für feines Laubes Freiheit, und feine Person hatte das Volk im Laufe der Jahrhunberte mit Wunb erjagen umsponnen. Dieser Stoff würde nun in der benachbarten Bretagne weiter ausgebilbet. König Artus, das unerreichbare Vorbilb eines weltlichen Ritters, sammelt um sich feine selben, und nur die, welche sich durch beson-bere Thaten auszeichnen, nehmen Platz an der runben Tafel des Königs (Artus und die Tafelrunbe). Mit biefer Sage verflochten ist die Erzählung von Tristan und Jfolbe, in welcher uns im Gegensatz zu der erheuchelten Liebe eine wirkliche glühenbe Leibenfchaft gefchilbert wirb. Ein zweiter in der Bretagne ausgebildeter Stoff ist die Sage vom heiligen Gral, eine Verherrlichung des geistlichen Rittertums. Der heilige Gral ist ursprünglich das Waschbecken der keltischen Göttin Ceribwen, dann nach Einführung des Christentums bei den keltischen Völkern die Diamantfchüffel, in welche Joseph von Arimathäa das Blut des gekreuzigten Heilanbes aufgefangen haben soll. Der Gral (sang real, fönigl. b. H. heiliges Blut) war mit wunberbaren Kräften ausgestattet, und nur vollkommen reine Ritter bürsten sich feinem Dienste weihen. Als das Abenblanb später in Sünbe verfiel, würde der Gral nach dem Morgenlanbe gebracht, wo ihm an unbekannter Stelle ein Tempel errichtet würde. Karl der Große
1881 -
Trier
: Lintz
- Autor: Buschmann, Johannes
- Sammlung: Lesebuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Lehranstalt
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
- Inhalt: Zeit: Mittelalter
- Geschlecht (WdK): Jungen
32
Zweiter Abschnitt.
Dmtsdjc Dichtung mm der Mitte des 12. bis M Mitte
dos 14. Jahrhunderts.
(Blütezeit der mittelalterlichen Litteratur. Die Sprache ist die mittelhochdeutsche,
die poetische Form zeigt eine kunstvolle Bildung in Vers und Stropheubau. Die Poesie,
anfangs noch in den Händen der Geistlichen, gebt bald ganz in die Hände der Ritter
über. Neben dem Volks- und Kunstepos blüht die Lyrik.)
1. Im Lause des 12. Jahrhunderts vereinigten sich eine Reihe von
Umständen zur Hebung und Förderung der deutschen Poesie. Einmal regten
die Kreuzzüge die Geister gewaltig an, erweiterten den Jdeenkreis der abend-
ländischen Volker, belebten die Phantasie und gewährten eine Fülle neuer
Stoffe. Von nicht geringer Bedeutung für den Aufschwung des deutschen
Gesanges war dann auch der Glanz des staufischen Kaiserhauses und
des deutschen Rittertums. Gerade die Ritter glaubten sich zur Pflege dev
edlen Sangesknnst vor allem berufen, und es galt als eine ehrenvolle Aufgabe
nicht nur des kaiserlichen Hofes, sondern auch der Fürsten, die Dichtkunst und
ihre Vertreter auf alle Weise zu schützen und zu heben. Große Anregung
fand die deutsche Poesie endlich noch durch die französischen Dichten
(Troubadours im südlichen, Trouveres im nördlichen Frankreich genannt),
welche für die Deutschen geradezu Muster und Vorbild wurden.
2. Die poetischen Gattungen, welche vorzugsweise gepflegt wurden, find
das Epos, die Lyrik und die Didaktik. Das Epos erscheint in zwei
nach Form und Inhalt geschiedenen Gestaltungen, als Kunst- und als Volks-
epos. Träger des Kunstepos waren die Dichter ritterlichen Standes, die
höfischen Dichter, während das Volksepos von Sängern aus dem Volke (varnde
liute, spilman, videlaere) gepflegt wurde. Die höfischen Dichter behandeln fast
nur fremde Stoffe, und auch diese meist nach französischen Vorlagen; die Volks-
dichter dagegen sind die Hüter und Erneuerer der alten Nationalsagen. Das
Kunstepos erhielt von der Persönlichkeit des Dichters eine subjektive Färbung,
der Volksgesang blieb überwiegend objektiv. Die Form des Kunstepos bilden
die sogenannten Reimpaare, während die Volkssänger ihre Stoffe in der Ni-
belungenstrophe oder doch in einer derselben ähnlichen Strophenform behandelten.
3. Die Reimpaare sowohl wie die Nibelungenstrophe sind eine
Fortbildung der althochdeutschen Langzeile. Die Reimpaare sind stumpf oder
klingend gereimte Verse mit wier Hebungen. Die Nibelungenstrophe besteht
aus vier paarweise gereimten Langzeilen; die Halbzeilen der vorderen Hälfte
haben vier Hebungen und meist klingenden Schluß, die der hinteren Hälfte
aber drei Hebungen und stumpfen Schluß; ausgenommen ist aber die achte
Halbzeile, welche wieder vier Hebungen aufweist. Vgl. Anhang § 7.
Anmerkung 1. In den Reimpaaren finden sich bei klingendem Reim nicht selten
vier volle Hebungen, meistens aber gilt als vierte Hebung die nachklingende Silbe. —
Ähnlich fällt auch in der Nibelungenstrophe die vierte Hebung der ersten Vershäffte meist,
auf ein tonloses e.
1858 -
Weimar
: Böhlau
- Autor: Zeiß, Gustav
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Gymnasium
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Begeisterung, welche sich auf das Unmögliche richtete, suchte in einem
unklaren Schauen, in phantastischen Träumen und in einer weichen Sen-
timentalität Befriedigung. Es fehlte den romantischen Dichtern die Gabe
der Gestaltung und die Kraft, für die Bewegungen des Innern concrete
Lebensbilder zu erfinden. Es blieb ihnen nichts übrig als die Repro-
duction. Sie gaben es auf, in Dichtungen modernen Inhalts die Ein-
heit der Idee und des Lebens darzustellen und führten von neuem Bil-
dungen aus jenen Zeiten altdeutscher Vergangenheit herauf, in welchem
das Leben wahrhaft dichterisch, jene Einheit des Glaubens, der poeti-
schen Ideale und der äußeren Zustände wirklich vorhanden gewesen war.
Das Mittelalter mit der Herrlichkeit der Kirche und des Ritterthums,
mit dem Werben um Ehre und Minne, wie es sich in den glänzendsten
Scenen dargestellt hatte, war der Stoff der romantischen Dichter. Hier
hatten sie in sagenhafter Verklärung den ganzen Reichthum einer poeti-
schen Lebensform, die sie in der Gegenwart aufzufinden und herzustellen
verzweifelten. Wie die Kreuzzüge alle Völker Europa's durcheinander
gemischt und den Orient mit dem Abendlande verbunden hatten, so er-
weiterte sich in raschem Wachsthums die Literatur der romantischen
Schule zu einer Weltliteratur. An den Poesien uncultivirter Völker
liebte man die unmittelbare Sprache der Natur; der Orient verschaffte
sich besonders durch seine Symbolik das Bürgerrecht; Spanien und Ita-
lien hatten an der christlichen Kunst des Mittelalters Antheil gehabt.
Die romantische Schule hat das Verdienst, die Liebe zu den älte-
ren deutschen Dichtungen wieder erweckt zu haben; aber ihre gelungensten
Erzeugnisse sind nur Reproductionen, in denen aus Frömmigkeit die an
manchen Stoffen haftende Beschränktheit und Unklarheit der Ideen bei-
behalten wurde. Die neuere Zeit hat an die Stelle solcher Repcoductio-
nen die Übersetzung der alten Dichtungen selbst, ihre Geschichte und
Erläuterung treten lassen. Verderblich war es, daß die romantische
Schule die strenge Sonderung der Kunstformen aufhob, daß sie die
Dichtungsgattungen verwirrte, Poetisches und Prosaisches vermischte.
Die Romantiker schrieben dramatisirte Sagen und Romane, wo Erzäh-
lung, Dialog, Gesang in buntem Gemisch wechselten. Eine Kunst der
Gestaltung und der Darstellung in dem Sinne der Alten haben diese
Dichter nicht erstrebt. Dagegen entwickelten sie den Wortschatz unserer
Sprache und zeigten, hauptsächlich in Uebersetzungen, durch gewandte
Behandlung der Rhythmen und Reime die Biegsamkeit der Formen.
Deshalb hat auch die neuere deutsche Lyrik die Formen dieser Schule
angewendet, und die moderne Poesie verdankt den Romantikern manche
wohlthätige Anregung. Dieser Einfluß erstreckte sich auch auf andere
Künste, wie die Malerei, und auf die Wissenschaften. Die neue deut-
sche historische Sprachforschung der Brüder Jakob und Wilhelm
Grimm ist auf dem Boden dieser Schule gewachsen. Zu der romanti-
schen Schule gehören August Wilhelm von Schlegel, Friedrich
von Schlegel, Novalis oder, wie er eigentlich hieß, Friedrich
von Hardenberg, Ludwig Tieck, Ludwig Joachim von Arnim
und Clemens Brentano, Hölderlin, Ernst Schulze, der gebo-
rene Franzose Chamisso, welcher ein vortrefflicher deutscher Dichter ge-
worden ist. Auch Ludwig Uhland, dessen Lyrik vorzugsweise eine vater-
ländische Richtung eingeschlagen hat, gehört zu den Romantikern.