1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
161. Der Elephant.
351
auf Raub aus; dann greift er frech den
Wanderer an, springt mit weit geöff-
netem Nachen an den Reiter auf. Vom
Heißhunger getrieben, schleicht er des
Nachts ans dem Walde, schwärmt um
die Wohnungen der Hirten, fällt über
die Gänse her, gräbt unter Thürschwellen,
bricht in den Stall und würgt Schafe und
Rinder. Dann achtet er nicht des nahen-
den Hirten, scheut nicht das Feuergewehr
und hält die Beute zwischen den Zähnen
fest, entweicht nur mit dieser oder erliegt
in seiner Raserei.
Bei strengem Winter rotten sich die
Wölfe zusammen; Heißhunger treibt sie
auf die freie Landstraße; heulend ver-
folgen sie den Schlitten; wie eine Woge
im Sturm schwingen sie wüthend sich
über den Flüchtenden; haben sie die
Beute zerrissen, verschlungen, dann Zer-
stäuben sie in die Wildniß.
Nur der Hunger macht den Tücki-
schen frech und spornt ihn zur blinden
Wuth. Wenn er gesättigt ist, ist er
feige, fürchtet das Horn das Ochsen und
des Pferdes Huf. Er zittert vor dem
Bären, der ihn zerdrückt und mit seiner
Tatze ans den ungelenken Rücken trifft;
er flieht vor dem Hunde, welcher ihn er-
jagt, überwindet, aber verächtlich einem
andern Wolfe zum Fraße überläßt. So
fein er im Erschleichen ist, so schnell im
Jagen, grausam und blind im Rauben,
so bleibt er dennoch feig und scheu. Eine
Geige macht ihn zittern und heulen, er
wagt nicht den Spieler anzugreifen; er
traut seiner Herrschaft, seinem Gebisse
nicht; darum wittert er überall Gefahr.
Thüren sind ihm verdächtig und ge-
spannte Stricke versperren ihm den Weg:
er setzt lieber über Hecken und Bäche
hinweg. Er fürchtet das Klirren einer
Kette; des Stahles Funken und ein
Pulverkorn jagen ihn davon.
Und doch zeigt der Feige stets sein
spitzes Gebiß, die langen Hakenzähne,
hält den tief gespaltenen Rachen immer
offen und reckt die lange Zunge weit
hervor. Sein aufgerichtetes Ohr erspürt
den Gang des Rehes; seine Nase wittert
die Hirsche von ferne her; das schiefe
kleine Auge schießt den tückischen, leuch-
tenden Blick; seine Sinne alle sind auf
den Fraß geschärft; der braun gewellte
Leib verhehlt ihn im dunkeln Gebüsch,
und wenn er auf dem Boden liegt.
Auf langen Füßen jagt er mit gestreck-
tem Leibe, mit buschigem, fliegendem
Schweife davon. Stark ist seine Brust;
doch die Klauen sind stumpf und liegen
fest; er steht auf schwachen, unsicheren
Füßen und ein Muthiger wirft ihn
leicht. Kann er dem Sieger entfliehen,
dann schleicht er scheu mit eingezogenem
Schwänze in das Dickicht.
Die Wölfin wirft ihre Jungen in
finsterer Schlucht; am Stamme eines
Baumes gräbt sie den Kessel. Sie jagt
nie in der Nähe ihres Lagers und ver-
birgt die Jungen vor der Gier des
Wolfes. Sie werden blind geboren,
aber mit scharfem Gebiß, und kaum
haben sie die Augen geöffnet, sind sie
auch schon lüstern nach Fleisch; in
wenigen Wochen fallen sie schon zankend
über die Hühner und über die Hasen
her, welche die Wölfin ihnen bringt.
So der Wolf, der Verwandte des
Hundes. Doch läßt er sich zähmen;
gibt man ihm nur Schafe genug und
Prügel zur rechten Zeit, so versöhnt er
sich mit dem Hunde, lernt Sprünge,
Spiele und sogar das Tanzen.
161. Der Elephant.
Mitten in Ceylon und ^Sumatra,
wo Palmen, Bananen und Zimmet-
bäume in mächtigen Wäldern von den
Bergen in die Ebenen sich ausbreiten,
dort ist die Heimat des Elephanten. In
zahlreichen Heerden durchstreift er die
duftende Wildniß, das Reich, welches
ihm angehört. Im tiefsten Schatten, am
Ufer der Flüsse,' fliegt er mit ausge-
streckten Beinen und badet sich in den
Wellen. Er weidet die schmackhaften
Kräuter, bricht die Zweige von den
Bäumen, die süßen Früchte und erlabt
sich an dem Wohlgeruch der Blumen.
Und wo er in Heerden zieht, tritt er die
Büsche in den Boden und wirft die
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- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
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352
Iv. Naturbilder.
jungen Bäume zur Seite; dennoch ver-
mag er die Wälder nicht zu verwüsten
und zu lichten. Die Heerde ist nicht
gefürchtet, friedlich bleibt sie in ihrem
Waldbezirk; nur einzelne, ausgestoßen
aus der Gesellschaft, stürzen wüthend
hervor in die Gärten, zerstampften Reis-
felder und Zuckerrohr, reißen die Palmen
aus dem Boden und zertreten die nie-
deren Hütten der Malapen. Aber dieser
grinimige Feind fängt sich in Schlingen;
er fällt in Gruben, welche der Mensch
ihm gräbt. Dieser dringt in die Wälder
und sucht in ihrer Heimat die Heerde
auf. Sie wird umgangen, mit einem
Kranze heller Flammen umstellt. Fackeln
werden ihr von allen Seiten her ent-
gegengetragen; tausend fremde Stimmen
ängstigen sie, schweben wie Gespenster
über ihr und um sie her, wohin sie sich
auch wenden mag. Da zieht sich immer
enger der Zauberkreis unter Jauchzen und
Trompetenschmettern: feurige Schlangen
fahren ihr aus der Mündung des Ge-
schützes brüllend entgegen. Raketen stei-
gen zu den schwarzen Gewölben der
Bäume empor, schütteln den feurigen
Regen donnernd über die Aeste nieder,
Blätter glänzen, Blumen erbleichen. Da
fliehen die Elephanten dicht gedrängt, die
Rüssel in die Höhe gehoben, die großen
Ohren ausgestreckt, wo der Weg ihnen
offen gelassen. Ihre Augen glühen; mit
den Füßen stampfen sie den Boden. Aeste
krachen, Bäume stürzen, die Erde erzittert.
Und wie vom Sturm gepeischt, wälzt
sich in dunkeln, tosenden Wogen die
Heerde und stürzt in die Umzäunung.
Da bricht der Morgen an, die Kolosse,
eingeschlossen, treffen in ohnmächtiger
Wuth gegen die Stämme, die ihnen den
Weg versperren. Von hohen und sicheren
Gerüsten schaut man auf sie hinab. Da
wird das Thor geöffnet, ein Elephant
drängt sich hindurch; aber hinter ihm
schieben sich die Balken vor. Er ist im
engen Raume gefangen. Der Schall der
Trompete schmettert in sein Ohr. Die
Jäger nahen, wie er auch toben mag, sie
fesseln seine stämmigen Glieder und wer-
fen ihm die Schlinge um den Hals. Run
treten die Seelenverkäufer, seine Brüder,
ihm zur Seite, sie halten ihm den Rüssel,
der wird an seine eigenen Zähne festge-
bunden; sie bändigen, sie züchtigen ihn,
bis er gedemüthigt ihnen folgt.
Der mächtige Riese steht, ein leben-
diger Felsblock aus der Urwelt, da.
Er hält das große Haupt gesenkt, als
sei der Jubel seiner Ueberwinder ihm
Hohn und als schäme er sich; denn er
ist eine Mißgestalt, mit seinem Leib auf
Säulenfüßen, wie auf Stämmen mit
borkiger Rinde; in dem dicken, runzligen
Fell mit einzelnen Haaren besetzt; mit
seinem kleinen borstigen Schwanz. Sein
Haupt, wenig beweglich, zeigt die hohe
Stirn, das kleine Auge und voll Runzeln
die bewimperten Lider. Eine Mißgestalt
ist er mit den breiten, hängenden Ohren,
die spitze Unterlippe, die gekrümmten
Vorderzähne, Sparren gleich hervor-
stehend, und mit dem Rüssel, der zwi-
schen ihnen niederhängt; dieser ist einer
Schlange gleich, mit zwei Röhren, an
deren Oeffnung ein Finger. Und den-
noch ist der Elephant ein edles Wesen
und wie durch Zauber verwandelt; mensch-
licher Verstand wohnt in ihm, und sein
Auge zeigt den klaren, klugen Blick. Und
der Rüssel ist sein Arm, er kann ihn
strecken und einziehen und überall hin-
wenden und biegen. Er ist ihm eine
Hand, womit er tastet, womit er die
Knoten löst, Blumen pflückt, Aeste bricht
und Bäume ausreißt. Er zieht den
Pfropf aus der Flasche, gießt den Wein
in seinen Rüssel; der ist sein Trinkhorn,
das leert er in den Mund. Durch den
Rüssel athmet er, läßt seine Stimme
wie eine Trompete ertönen und fordert
sich selber zum Kampfe auf. Aber auch
Streitkolbe und Waffe ist er ihm, wo-
mit er den Tiger packt, ihn schüttelt,
ihn zerschmettert und unter die Füße
wirft. So schwer der Elephant auch
ist, dennoch bewegt er sich stets und
leicht, ist immer wachsam, achtet auf
jedes Geräusch, hat den Blick auf weite
Ferne hin und schläft wenige Stunden.
Langsam wächst er und zählt Jahr-
hunderte. Aus seinen Wäldern ent-
führt, unterwirft er sich dem Menschen.
Ein halbes Jahr vergeht, und er ist
gehorsam dem Winke seines Herrn ge-
worden und hält das Auge auf ihn ge-
richtet. Er streckt seinem Führer den
Rüssel dar und hebt ihn damit auf den
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358
Iv. Naturbilder.
dasteht. Der Obstgärtner und der Forst-
mann sehen in der Regel diese verbor-
genen Feinde nicht eher, bis sie am
Absterben des Baumes ihre Gegenwart
erkennen, wo es zu spät ist. Da kommt
ihnen der Specht zu Hülfe. Sein Auge
erkennt gar leicht die schädlichen Ge-
sellen, sein kräftiger Schnabel spaltet
das mürbe Holz, fingerlange Splitter
fliegen umher, und die Baumverderber
erhalten ihre wohlverdiente Strafe. Plötz-
lich hält der fleißige Arbeiter mit seinem
Hämmern inne und läuft behende auf
die andere Seite des Stammes; hier
sieht er aufmerksam sich jedes Ritzchen
an. Warum thut er dies wohl? Will
er etwa sehen, ob er mit seinem Loch
bald fertig ist, ob es vielleicht gar schon
durch den Baum hindurch geht? Nein,
die Würmer, die bis dahin seinem Schna-
bel noch entgangen waren, flohen, von
ihrem eifrigen Verfolger erschreckt, nach
der entgegengesetzten Seite des Baumes
und wähnen sich hier sicher; doch er
eilt auch dorthin, und sie werden hier
seine Beute. Alle Theile des Spechtes
sind auf seine Lebensart berechnet. Seine
Zunge ist lang und dünne, und er
vermag sie sehr weit aus dem Schnabel
vorzustrecken. Sie ist nicht wie andere
Zungen fleischig und weich, sondern hart
und spitz, so scharf wie eine Nadel.
Dazu ist sie wie ein Pfeil mit vielen
feinen Widerhaken versehen. Mit dieser
sonderbaren Waffe sticht er blitzschnell
in die Wurmlöcher, spießt die Käfer-
larven an, zieht sie heraus und ver-
zehrt sie mit großem Wohlbehagen. Im
Winter fehlt ihm freilich diese Fleisch-
nahrung, und er muß sich nach anderer
Kost umsehen. Dann sucht er Nüsse
von Buchen und Haselsträuchern, oder
faßt mit den Füßen die Tannenzapfen
und pickt die Samenkörnchen heraus.
Viele von den Löchern, welche der Specht
bei seinem Würmersuchen in die Bäume
einhauet, kommen anderen kleinern Vö-
geln sehr erwünscht, da sie dieselbe als
Wohnung benützen. Meisen, Staare
und Kleiber bauen ihre Nester hinein
und der letztgenannte Vogel klebt mit
Lehm soviel von der großen Oeffnung
zu, daß nur eben noch Platz genug für
ihn übrig bleibt, um selbst durchzukom-
men. So ist der Specht recht eigentlich
der Vögel Zimmermann, der ihnen die
Häuser baut. Doch vergißt er auch nicht,
für sich selbst zu sorgen. Im Frühjahr
sucht er in Gemeinschaft mit seinem
Weibchen sich einen geeigneten Baum
und hackt in denselben ein tiefes Loch,
wohl zwei Spannen lang, schräg in den
Baum, erweitert es dann innen und
glättet ganz sauber die Wände dieses
sichern Gemaches. Vorsichtig trägt er
alle Späne ein gutes Stück vom Baume
weg, damit kein böser Knabe es merken
soll, daß hier ein Nest mit Eiern und
Jungen sei. Auf die feinen Holzspähne
oder das Wurmmehl legt das Weibchen
schöne weiße Eier und brütet die Jungen
aus. Eifrigst sorgen die Alten dann
für ihre Sprößlinge, indem sie umher-
fliegen und unermüdlich Futter nach
dem Neste tragen. Sind die Jungen
flügge, so müssen auch sie bald auf
ihren eignen Broderwerb gehen. Sie alle
treiben das Handwerk des Vaters. Die
Lehrlings- und Gesellenzeit haben sie
in Kurzem hinter sich und hacken mit
der Geschicklichkeit von Alten schon nach
wenigen Wochen frisch und munter an
den stämmigen Waldbäumen herum.
165. Die Krammetsvogel und der Dohnenstrich.
1. Die Vorzüge eines schönen Herbst-
morgens weiß wohl eigentlich nur der
Jäger so recht zu würdigen, denn ihm
bietet ein solcher des Angenehmen und
Lockenden so viel, wie kein anderer
Morgen im ganzen Jahre. Schon gar
früh ist der Grünrock dann auf dem
Gange, die wohlgeputzte Flinte über'm
Rücken, die mit allerlei Vorrath reich-
lich versehene Jagdtasche an der Seite
und vor sich an der Leine die unge-
duldigen Gefährten, die lechzenden laut-
jagenden Bracken, die pfiffigen derben
Dächsel, oder den auf Wort und Blick
achtenden und pünktlich gehorchenden
Hühnerhund. Und so geht es munter
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165. Die Krammetsvogel und der Dohnenstrich.
359
quer durch's Kartoffelfeld, über Berg
und Thal, hinein in den dunkel-wunder-
vollen Wald.
Doch nicht lange, da umhüllt uns
rings dichter Nebel, welcher jeden Um-
blick bis auf wenige Schritte raubt und
dann als feiner Staubregen herabrieselt.
Dies ist so recht das Bild des Herbstes
— das trostlose, weithin Alles um-
hüllende Grau des Nebels, dazu der
einförmige Regen und all überall die
die lautloseste, gleichsam trauernde Stille,
welche kaum hier und da von einem
Lockton vorüberziehender Vögel unter-
brochen wird.
Wir wandern weiter, dem Dickicht
vorbei, bis zu den innerhalb des Wald-
saumes sich hinziehenden Höhen. Hier
finden wir das, was wir suchen, den
mit vieler Umsicht und Ortskenntniß
vom Jäger angelegten Dohnenstieg oder
Dohnenstrich, den Fangort der geschätzten
Krammetsvögel. Die Dohnen sind
einfache, zu beiden Seiten eines Fuß-
steiges in kurzen Zwischenräumen und
in der Höhe von etwa drei Fuß ange-
brachte Fangwerkzeuge, in denen ver-
mittelst starker Pferdehaarschlingen und
eines Büschels lockender rother Eberesch-
beeren die armen Arglosen dem Tode
und der Küche der Leckermäuler über-
liefert werden. — Gleich vornan hängen,
schon todt, steif und starr, eine Anzahl
Weindrosseln, welche wir an dem
Roth der inneren Flügel erkennen. Wahr-
scheinlich sind sie heute ganz früh hungrig
und ermattet hier eingetroffen und haben
gleich willkommene Nahrung, doch auch
den Tod gefunden.
Sie hängen fast in einer Reihe, hier
und da auch zwei in derselben Dohne
neben einander. Es ist merkwürdig, daß
sich die armen Thierchen nicht durch das
Beispiel ihrer Gefährten belehren lassen.
Der eine fängt sich, merkt es erst dann,
wenn er weiter fliegen will, daß er das
Todesband am Halse hat, flattert nun
einige male im Todeskampf hin und
her und hängt dann schlaff und ruhig
herunter; einige Augenblicke später
kommt ein anderer, durch das Geflat-
ter aufgescheucht, wieder herbei, setzt
sich ruhig neben den Todten, frißt und
würgt sich die Schlinge ebenfalls um
den Hals. Ja, alte Jäger wollen be-
obachtet haben, daß die armen Wesen
arglos und einfältig genug seien, um
mit den tödtlichen Haaren zu spielen
und sie sich absichtlich umzuschlingen.
Es macht einen eigenthümlichen Ein-
druck, wenn man die schönen Vögel so
reihenweise, steif und doch im Tode noch
so zierlich, dahängen sieht.
2. Die Weindrossel ist einer der
nur vorüberziehenden Gäste, welche im
hohen Norden, bei uns nur höchst selten,
nistet. Sie singt gar nicht, sondern
läßt nur zuweilen einen wenig melodi-
schen Locklaut hören. Ihren Namen
hat sie wohl daher, weil sie im Spät-
sommer und Herbst in großen Schaaren
in den Weinbergen sich einfindet, wo
sie aber wirklich nicht den großen Scha-
den anrichtet, dessen man sie beschuldigt,
da ihre Hauptnahrung kleine Beeren
und schädliche Insekten sind, welch letz-
terer Umstand den Verlust einer bei-
läufig verspeisten Weinbeere doch gewiß
vollständig ausgleichen dürfte.
Um eine Ecke biegend, laufen wir
schnell hinzu, denn vor uns flattert
schreiend ein Gefangener noch lebendig
in der Schlinge. Behutsam ausgelöst,
haben wir einen unserer lieblichsten
Frühlingssänger, die Singdrossel,
in der Hand. Sie unterscheidet sich von
der vorigen dadurch, daß ihre innere
Flügelwand statt roth gelb ist. Sonst
hat sie dasselbe olivenbraune Kleid an,
welches auf dem Rücken fast schwarz,
dagegen an der Brust, dem Halse und
Bauche gelblichweiß und mit großen
rostbraunen Punkten übersäet ist. Sie
nistet meistens im Wachholdergebüsch,
und legt in ein großes, wie bei allen
Droffelarten mit Thon oder Lehm aus-
gemauertes, künstliches Nest 4—6 hell-
grüne, dunkelbraun punktirte Eier. Sie
stellt die größte Anzahl zu den Krammets-
vögeln, unter welcher Bezeichnung man
eigentlich alle die in den Dohnen ge-
fangenen Vögel versteht, doch oft aus-
schließlich auch nur diese Drossel meint.
So finden wir nach und nach noch
eine beträchtliche Anzahl ihrer Schwestern,
die meisten schon todt und steif, durch
ein schnelles Ende ihrer Qual befreit;
doch leider zeigt sich uns auch ein Bild
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Iv. Naturbilder.
154. Das Nachtleben in der Natnr.
Wenn die Sonne hinter den Bergen
untergegangen ist und im Walde ein
Vöglein um's andere aufhört zu singen,
sich in's Nest duckt und das Köpfchen
unter die Flügel verbirgt; wenn das
Abendroth blasser wird und am däm-
mernden Himmel da ein Stern erscheint
und dort einer und ans die stille Erde
herniederschaut; da sagen die Menschen,
es sei Nacht geworden. Sie beschließen
ihr Tagewerk und pflegen der Ruhe.
Und wie das Treiben der Menschen,
so scheint auch das Leben und Weben
der Natur stille zu stehen und einzu-
schlummern. Aber wie die Kinder träu-
men und selbst im Schlafe noch wachsen
— ja da am allerbesten — so bleibt
auch das Leben außer uns nicht stille
stehen in der Nacht, und gar manches,
außer Mond und Sternen, was sich den
Tag über fern im Verborgenen gehal-
ten hat, kommt in der Dunkelheit erst
hervor und führt sein besonderes Leben,
wenn dieses gleich die allgemeine Ruhe
nicht sonderlich stört.
Der luftige Wind, der oft den gan-
zen Tag gerastet, macht sich Nachts auf,
weit vom fernsten Himmelsrande her
durchschweift er Felder und Matten,
schüttelt Busch und Baum und stört
dadurch hin und wieder eine tagesmüde
Creatur aus dem Schlafe. Recht wie
ein Segen des Himmels senkt sich der
Thau hernieder, ein sorgsamer Gärtner
tränkt er alle Halme und Blumen und
Blätter und richtet die Köpfchen wieder
empor, die sich vor dem Blicke der stol-
zen Sonne tief zu Boden gebeugt. Und
auf der Erde geht trotz Stille und Dun-
kelheit gar manches Merkwürdige vor.
I.
Schon äußerlich und das gleichgil-
tigste Auge überraschend zeigt beim Ein-
tritte der Nacht die Pflanzenwelt auf-
fallende Veränderungen. Viele Blumen-
knospen zwar, wenn sie einmal aufge-
brochen, bleiben ihre ganze Blüthenzeit
hindurch bis zum Abblättern Tag und
Nacht geöffnet. Bei andern dagegen
legen sich mit Eintritt der Nacht die
feinen Blättchen gegen einander, schlie-
ßen sich gleichsam wieder Zur Knospe,
wie das geöffnete Auge zum Schlafe.
Zu diesen Tagblumen im Gegensatz
stehen die Nachtblüthen, die gerade
Nachts sich öffnen, während sie Tags
über geschlossen zu schlummern schienen.
Die Wunder- und die Zaserblume er-
schließen ihre Blüthenkelche gegen 6 bis
7 Uhr Abends und behalten sie offen
bis in den folgenden Morgen hinein.
Noch bekannter ist, wie die prächtigen
Blüthenblätter der großblumigen Cactus
Abends zwischen 7 und 8 Uhr sich aus-
zubreiten beginnen und nach kurzer
Dauer ihrer Herrlichkeit bald nach Mit-
ternacht schon, wie vom Todeshauch an-
geweht, zusammen sinken und verwelken.
Manche Blumen sind sogar Wetter-
prophetinnen. Schließt die sibirische
Gänsedistel Nachts ihren Blüthenknopf,
so wird der kommende Tag ein heiterer
sein, bleibt er aber geöffnet, so ist auf
nahen Regen zu zählen. Bekannt ist
auch, wie manche Blumen mit dem
Eintritt der Dunkelheit einen besonders
starken Richstoff entwickeln; so beson-
ders die Nachtviole, dann noch der
Kranichschnabel, die Siegwurz, das Leim-
kraut, der zweiblättrige Orchis, die alle
den Tag über kaum oder gar nicht
geduftet.
Ungleich bedeutsamer sind indeß die
Veränderungen, welche in der Nacht
mit den Blättern der Pflanzen vor sich
gehen. Die meist sehr zart gebauten
und zusammengesetzten Blätter biegen
sich mit dem Einbrechen der Nacht ent-
weder herab, wie bei der gelben Bal-
samine, oder richten sich, wie bei der
Gartenmelde, empor und schmiegen sich
an den Stengel oder Blattstiel so an,
daß die untere Seite aufwärts gekehrt
ist, während doch über Tags die Ober-
fläche der Blätter dem Sonnenlichte zu-
gewendet war. Die Blätter von Malva-
ceen rollen sich gar mit ihren Rändern
um den Stengel und die Aeste, wobei
sie häufig noch die Blüthen wie ein
Mantel schützend umschließen. Beim
Steinklee richten sich die einzelnen Blätt-
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172. Deutsche Waldbäume.
369
Die
In den Nacken des Gebirges schlägt
sie ihre Wurzeln und steigt, eine erhabene
Pyramide, in schwindelnder Steil-Linie
empor, indeß sich ihre Zweige schwer
hinabsenken. Majestät und Schwermuth
mischen sich mit einem Zuge kühnen
Trotzes in diesem Baume. Seine düst're
Macht faßt uns ernstgebietend. Aber
der wolkenanklimmende Wuchs selbst, das
Sonnenlicht, das durch die Wipfel glimmt,
der Sammetteppich zu seinen Füßen,
ewig frisch erhalten von den überall
rieselnden Quellen, die Waldblumen um-
her gemischt mit dem Purpur reifende^
Beeren, all' dieses warme, farbige Leben
lös't das in sich zurückgescheuchte Ge-
müth, so daß es befreit sich neu erhebt.
• Wie gerne denke ich hier deiner, ein-
sames Erzgebirg, mit den finster schat-
tenden Schluchten und den sanftum-
blumten Höhen! Ringsum schreiten die
stolzen Bäume hinan, und von Zweigen
tropft duftig goldenes Harz. Kein Laut
unterbricht das Schweigen, nur daß
drüben vom Felsen der Wildbach sich
brausend niederstürzt. Schon ist die
Nacht hinabgesunken in die Thäler: aber
auf den Bergen ragt die Tanne, das
Die
Dem Froste und dem Sturme, dem
Blitze und selbst der Fäulniß trotzend,
im Sumpfmoor wie im dürren Sande
gedeihend, bedarf die zierliche, schlanke,
zartgegliederte Birke nur einer Spanne
Erde, ihre Wurzeln hineinzusenken. Auf
den norddeutschen Grasebenen steht sie
in zerstreuten Gruppen, weite, schim-
mernde Waldstrecken füllt sie in den
Tiefthälern von Norwegen, und da selbst,
wo einiger Schnee den Fjölengrat um-
hüllt, klammert sie sich an die stiefmüt-
terliche Scholle. Es ist die Zwergbirke,
deren Samen allein im Winter den
Lemming und das weiße Rebhuhn nährt.
— Vielleicht erstreckte sich ehedem das
Reich der Birke weiter hinauf, als heute.
Auf Island wenigstens stand sie vor
Alters im dichten Walde von dem Meeres-
ufer bis zum Fuße der Gebirge und
Marschall. Lesebuch.
Haupt in Sonnenglorie leuchtend, wie ein
Priester Gottes, die müde Erde zu segnen.
Es ist, als ob die Weltruhe, die
auf dem schwarzen, schlafenden Gebirge
lagert, Rede gewönne. Wunderbare
Stimmen klingen h erüber, alle die Wünsche,
die Leidenschaften verstummen, aber aus
der Tiefe der Seele, wie aus einer ge-
heiligten Fluth, hebt sich der Engel des
Gebets. In den Hochebenen, welche
den Polarkreis einschließen, breiten unge-
heure Fichtenwälder ihr Dunkel unun-
terbrochen über das Land. Die mäch-
tigsten Stämme werden zu Tausenden
niedergeworfen, und dennoch scheint der
Wald noch so dicht, wie vordem. Der
schäumende Strom trägt sie zum Fjord,
zum Meer hinab, wo sie abermals be-
stimmt sind, ihre schlanken Gestalten
emporzurichten, entkleidet von den lan-
gen Aesten und den dunkelgrünen Nadeln,
aber mit einer neuen, schneeweißen Hülle
von Segeln angethan.
Die biegsame Faser des Krautes ist
des Baumes Herr geworden, und der
König des Waldes, vor Kurz.em noch
so fest in der Erde wurzelnd, muß der
weitgespannten Leinwand gehorchen.
warf so um die damals fruchtbare
Insel ein wärmendes Gewand, von dem
jetzt kaum die Fetzen in Busch und
Strauch zu sehen sind. In leicht ge-
schwungener, oft unmuthig geschlängelter
Linie steigt der schlanke, gerundete Stamm
hinauf, nach oben schwach gebogen, doch
mit geschmeidiger Härte der Gewalt der
Elemente widerstrebend. Grau bemooste
Furchen zerreißen wohl unten die glatte,
atlasartige Rinde, die aus dem Blätter-
grün hervorleuchtet,
* „als wäre d'ran aus heller Nacht,
das Mondlicht blieben hangen."
Kein mächtiger Ast tritt aus dem
zähen Holz, vielmehr fällt ringsum ein
zierliches Reisernetz in langen Flechten
herab, das sich immer lockerer aufbaut,
bis die Krone wie in einem Federbüschel
endet. Da ist auch nicht Raum für des
24
1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
173. Die Mistel.
371
ihn die zottige Mooshülle mit dichtem
Schilde. So hat er seinen Fuß droben
eingegraben, der Alte vom Berge, ein
reisiger, riesiger Held. Vom Boden aber
rankt Eppich und Geisblatt hinauf, und
Fink und Amsel spinnen frische Lieder
um seine Zweige.
173. Die Mistel.
Wald und Garten stehen im Winter
kahl; die Blätter modem am Boden und
die neuen Triebe schlummern noch, um-
hüllt von den schützenden unansehnlichen
Knospendecken. Aber sieh dort auf dem
Zweige des Birnbaumes bemerkst du ein
kugelrundes Büschchen, grün mitten im
Winter. Es ist die Mistel, ein Sträuch-
lein, welches beim Birnbaum in Kost
und Logis steht. Draußen im Walde
wirst du sie auch in den Baumkronen
der Laub- und Nadelwälder sehen, in
manchen Gegenden häufiger, in anderen
seltener. Sie ist ein Glied der reichen Fa-
milie der Riemenblumen (Iwravtlisöv),
und man zählt an 400 Arten, die über
alle Erdtheile verbreitet sind. Die zahl-
reichsten und schönsten bewohnen die tro-
pischen Gebiete Asiens und Amerika's.
Diese prunken in schöner Blüthenpracht
und werden umflattert von köstlichen
Schmetterlingen und von goldstrahlenden
Honigvögeln zu der Zeit, in welcher unser
Mistelbüschchen sich unter der Last des
Schnees und Reifes herabbeugt. Aber
auch unsere Mistel hat ihre Verehrer
unter der Vogelwelt, und namentlich ist
es die Misteldrossel, welche nicht nur die
weißen Beeren dieses Gewächses besonders
liebt, sondern auch ihr Quartier in deren
Zweigen aufschlägt. Schon am Ende des
Winters erscheint sie, baut ihr Nest in
die Zweiggabel und bekleidet es so mit
Flechten, daß nur ein geübtes Auge es
zu entdecken vermag. Mit Eifersucht
hütet sie die Mistelbeeren ihres Reviers
gegen andere Vögel, selbst gegen solche
ihres eignen Geschlechts. Kreischend und
flügelschlagend empfängt sie jeden Ein-
dringling und ruhet nicht, bis sie ihn
vertrieben; dann aber erschallt auch der
düstere Wald von ihrem flötenden Sieges-
liede. Diese Drossel hat allerdings einiges
Anrecht an die Früchte des Zweiges;
denn sie ist gewissermaßen dessen Säe-
mann gewesen. Nach ihrer Mahlzeit flog >
sie auf einen andern Baum, setzte sich
auf einen Ast und wetzte das Schnäbelein
daran. Mit dem zähen klebrigen Safte
der Beeren leimte sie absichtslos ein
Samenkörnlein an die rauhe Rinde. Ja
man will behaupten, daß die Keimkraft
des Samens im Magen des Vogels be-
sonders geweckt und erregt werde, so
daß diejenigen Körnchen am leichtesten
aufgingen, welche die Drossel wieder aus-
geschieden. Regen und Nebel speisten
das winzige Korn, daß es keimte. Das
Würzelchen des Keimlings kroch die Rinde
entlang, bis es eine Ritze fand, in die
es sich hinein senkte. Lag das Mistel-
korn etwa auf dürrem Astende, so kroch
das Würzelchen weiter bis zum leben-
digen Holze, wenn dieses nicht zu weit
entfernt war; es wollte durchaus auf
einen grünen Zweig kommen.
Auf den lebendigen Ast des Baumes
wirkt die Wurzel in sonderbarer Weise
ein. Sie reizt die Zellen und Gewebe
desselben in ähnlicher Weise, wie das
Ei der Gallmücke das Blatt der Eiche
und Buche. Die Rinde des Baumes
lockert sich, ihr Zellgewebe wächst und
bildet eine Anschwellung rings um die
junge Mistel. Die Wurzel des Gastes
dringt tiefer und immer tiefer ein. Im
Innern verschmelzen die Endzellen der
Mistelwurzel innig mit dem Holz und
haften in diesem, wie die Wurzeln an-
derer Pflanzen in der Erde. Vom Baume
ziehen sie ihre Nahrung. Die Mistel
ist in uns'rer Gegend das einzige Ge-
wächs, das nie am Boden gedeiht, son-
dern von frühester Jugend bis zum Alter
nur auf Bäumen lebt, der einzige ächte
Baumparasit. Blätter, Stengel und
Zweige haben dieselbe gelblich - oliven-
grüne Farbe. Die Mitte jedes Triebes,
jedes Zweigende wird zur Blüthe. Das
ganze Büschchen besteht aus einem Gewirr
sparriger, gleichmäßig vertheilter Gabel-
zweige, die an ihren Enden die Blätter
24*
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- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
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- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
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- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
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398
I. Lyrische Dichtungen.
29. Mein Vaterland.
Von H. Zeise.
1. Mein Vaterland mit deinen blauen Seeen,
Mit deinen reichen Triften, deiner Flur,
Mit deiner Buchenwälder heil'gem Wehen,
Mit deiner einfach kräftigen Natur,
Wie stolz kann ich auf deinen Boden treten,
Der Väter Asche birgt dein heil’ger Sand,
Ich muss gerührt aus tiefster Seele beten:
„Mein Vaterland!“
2. Und doch, die Wehmuth will mich stets beschleichen,
Wenn ich durchschweife deine duft’gen Au’n,
Noch grünen deine Buchen, deine Eichen,
Die stolzen Wuchses auf mich niederschau’n.
Noch kann ich ihrer Blätter Säuseln deuten,
Und zum Allvater heb’ ich Herz und Hand,
Und durch die Seele zieht’s wie Glockenläuten:
„Mein Vaterland!“
3. Es ist verstummt im Wald’ und im Gefilde
Der jugendfrische, fröhliche Gesang,
Der stürmisch brauste, und dann weich und milde
Wie Flötenton im Dämmerlicht erklang.
0, sprich sie aus die tiefverhalt’nen Schmerzen,
Und wecke rings den lichten Flammenhrand,
Dein Weh ruht eingesargt in tausend Herzen,
„Mein Vaterland!“
4. Und der Allmächtige, der seine Lettern
Mit Sternenschrift der Himmelswölbung schreibt,
Und der in Sonnenschein und Sturmeswettern
Der Eiche Stamm bis zu den Wolken treibt,
Der lässt dich nie und nimmermehr zerspalten,
Der spannt auch über dich die Biesenhand,
Er wird dein Banner prächtiger entfalten,
„Mein Vaterland!“
30. Geharnischte Sonette.
Von F. Rückert.
1. Der Mann ist wacker, der, sein Pfund benutzend,
Zum Dienst des Vaterland's kehrt seine Kräfte:
Nun denn, mein Geist! geh' auch an dein Geschäfte,
Den Arm mit den dir eignen Waffen putzend.
Wie kühne Krieger jetzt, mit Gluthblick trutzend,
In Reih'n sich stellend, heben ihre Schäfte,
So stell' auch Krieger, zwar nur nachgeäffte,
Geharnischter Sonette ein paar Dutzend!
Auf denn, die ihr aus meines Busens Ader
Aufquellt, wie Riesen aus des Stromes Bette,
Stellt euch in eure rauschenden Geschwader!
Schließt eure Glieder zu vereinter Kette,
Und ruft, mithadernd in den großen Hader,
Erst: Waffen! Waffen! und dann: Rette! Rette!
2. Was schmied'st du Schmied? „Wir schmieden Ketten, Ketten!"
Ach, in die Ketten seid ihr selbst geschlagen.
Was pflügst du Bau'r? „Das Feld soll Früchte tragen!"
Ja, für den Feind die Saat, für dich die Kletten.
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36. Die bayerische Hochebene.
zweiten: das 'Erdinger Moos am östlichen
Ufer der Isar, nahe bei München begin-
nend und bis Moosburg hinziehend, das
Dachauer Moos, im Süden Haspelmoor
genannt; zur dritten endlich: die Filze
südlich des Chiemsee's, das Weitmoos
und Filz bei Rosenheim, das Murnauer
Moos südlich vom Staffelsee und das
Haselmoos nordwestlich vom Kochelsee.
Kaum ein Fluß, dessen Säume nicht
irgendwo solche Moosgründe aufzuweisen
haben; und manche Eintiefungen, wie
das Loisach-, Amper- und Innthal sind
daran nur zu reich.
Diese Moose sind entweder mit
sauern Halbgräsern bewachsen, oder sie
weisen röthlich-braune Flächen auf, be-
standen mit Zwergwäldern von krüppel-
hasten Kiefern, Filzkoppen genannt.
Die rothe Farbe rührt von einer eigenen
Moosgattung her, dem Torfmoos, wel-
cher das Wasser aus der Tiefe empor- !
zieht und festhält. Die erste Art der
Moore nennt man Wiesen-, die letztere
Hochmoore, das Volk aber bezeichnet
erstere als Möser, letztere als Filze.
In ihrem ursprünglichen Zustande sind
die Moore hauptsächlich nutzbar durch
Torf, Streu und etwas Brennholz. Den
Torf findet man in beiden Arten von
Mooren, und seit er als Brennmaterial
verwendet wird, beschäftigt der Torfstich
viele Hände, und der Preis eines Tag-
werks Moorgrund ist von 5—10 auf 200 fl.
gestiegen. Vielfach hat man auch die
Moose trocken gelegt und für die Kultur
gewonnen, doch geht diese Umgestaltung
nur langsam voran und noch immer
„kann Bayern durch Entwässerung und
Anbau seiner Moose ein ganzes Fürsten-
thum im Innern erobern;" denn von
der Gesammtfläche der Moorgründe zu
20 Meilen ist noch wenig für den
Anbau gewonnen. Das Wiesenmoor und
die Heide, der überfeuchte und über-
trockene Boden, finden sich merkwürdiger
Weise oft in unmittelbarster Nähe; so
im Lechfelde, so im Dachauer und Er-
dinger Moos, in der Garchinger Heide.
Beide aber finden ihren Uebergang zu
Wiese oder Wald in der Trift, die,
halb Wiese, halb Wald, von ihrer Be-
nutzung zum Viehtrieb den Namen er-
halten hat. Auf magerem Grasboden
Marschall, Lesebuch.
65 '
stehen gruppenweise und in schlechtem,
fast verkümmertem Zustande einzelne
Bäume, Maßholder, Elzbeerbäume, Ei-
chen, Hagebuchen, Espen, Birken, Kiefern,
umgeben von wenig nutzbarem Unter-
holz: Haselsträuchern, Salweiden, Weiß-
! schlehe und Kreuzdornen, Pfaffenkäppchen
und Faulbaum. An den Flüssen, beson-
ders an Isar, Donau und Lech, finden
sich die Auen, in welchen Wiesen und
Triften, Sumpf und Wald abwechseln.
Schon im Einzelnen zeigen diese Auen
! eine große Manchfaltigkeit der Vegetation;
auffallend aber ist der Unterschied der
Auen am Oberlaufe der Alpenflüsse ge-
gen die am Unterlaufe. An der obern
Isar z. B. wechseln blumige Rasenstrecken
und saftige Wiesen bald mit lichten
Nadelholzbeständen, bald mit Gebüschen
von Weiden und Erlen, um welche sich
die Alpenliane mit ihren großen präch-
tigen Purpurblüthen rankt, bald mit
Büschen von Alpenrosen, bald mit Knie-
holzwäldchen.
Nahe der Einmündung der Isar in
die Donau aber herrscht der Wald in
solcher Ueberfülle vor, daß er einem
tropischen Urwalde gleicht. Manche
Bäume erreichen eine ebenso riesige Höhe
als Dicke, und man hat Schwarzpappeln
von 30 Fuß Umfang gefunden. Stau-
nenerregend ist die Manchfaltigkeit und
Ueppigkeit der Baumarten, unter welchen
man nicht selten auch Nadelhölzer, eine
pinienartige Kiefer oder eine säulenartige
Fichte trifft, dazwischen dichtes und blü-
thenreiches Unterholz, umschlungen von
unserer deutschen Liane, der schlanken
Waldrebe; der Boden bedeckt mit üppig
wuchernden, krautartigen Gewächsen. Das
Dickicht ist oft undurchdringlich und es
kostet dem Jäger und Botaniker Mühe,
sich durchzuarbeiten. Aber er wird auch
entschädigt durch reiche Ausbeute und
seltenen Naturgenuß. Da liegt, im tief-
sten Waldesschatten versteckt, ein schilf-
bewachsener Teich, ein sogenanntes „Alt-
wasser", geschmückt mit Seerosen und
gelbblühender Iris; dort läd't ein Rasen-
teppich, umsäumt von Weidengebüsch und
überschattet von malerischen Baumgrup-
pen, zur Ruhe ein, und da blinkt durch's
wildverwachsene Gezweig der Strom im
Sonnenschein, und sein Rauschen klingt
1867 -
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194
Ii. Bilder aus der Länder - und Völkerkunde.
auf denen kurz zuvor kein Blatt zu
sehen war, kleiden sich wieder in das
üppigste Grün. Die Bäche und Flüsse
füllen sich wunderbar schnell; eine brau-
sende Fluth stürzt nieder in das aus-
getrocknete Bett, überschwemmt die Ufer
und treibt Alles, was sie auf ihrem
Laufe trifft, in weißem Schaume vor
sich her.
Ueberall rundet sich das Land mäßig
ab, entbehrt der Buchten, welche für
die Entwickelung der Pflanzen, noch
mehr aber der Menschenwelt so wichtig
erscheinen; nirgends erheben sich hohe
Schneegebirge, welche die Feuchtigkeit
unveränderlich bewahren und durch Wind
oder Flüffe der Ebene mittheilen tonn-
ten. Nur ein Umstand wirkt, so weit
sein Einfluß genug ist, wiederum günstig
auf Klima, Gewächse und Thierwelt
ein; dies ist die unabsehbare Wasser-
menge, die an allen Seiten der großen
Erdmasse ab- und zuwogt. Ihr Ein-
fluß kommt aber nur den Küsten zu
gute, an deren begünstigten Gegenden
daher auch Wälder emporragen, die an
Höhe und Fülle des Wuchses Amerika's
Urwäldern zur Seite stehen; und wäh-
rend wir im Nord- und Südosten in
der tropischen Zone der Palme begeg-
nen und den Edelfrüchten der europäisch-
tropischen Getreidearten, z. B. Mais,
Reis re., gehört der südliche Theil Austra-
liens einem Klimagürtel an, der ver-
möge seiner oceanischen Lage eine ge-
ringere Sonlmertemperatur hat, und
durch das Gedeihen des Weinstocks und
europäischer Getreidearten charakterisirt
wird. Landein von den Küsten deckt
die Erde kein Baum, so weit sie eben
ist; nur in den Bergen findet sich einige
Vegetation, die sich nach dem Innern
zu mehr und mehr verliert, bis endlich
die Wüste nur noch niedrige Sträucher
hervorbringt.
Die geringe Abwechselung der klima-
tischen Verhältnisse, wie der äußern und
innern Bodenbeschaffenheit, prägt sich
auch in der Thier- und Pflanzenwelt,
selbst in dem Menschen wieder aus,
ohne zugleich bei etwaigem Mangel
eigenthümlicher Formen eines besonderen
australischen Typus beraubt zu werden,
der gerade in den sonderbarsten und
auffallendsten Bildungen auftritt. Außer-
halb der gesegneten Flußthäler des austra-
lischen Berglandes und der tropischen
Vegetation des Nordens herrscht auf
weiten Räumen eine Thier-, eine
Pflanzenart vor und drückt den Land-
schaften den Stempel steppenartiger Ein-
tönigkeit auf. Die mit einförmigem
Rasen überzogenen Ebenen der Gebirge
sind von einzelnen gleichartigen Bäumen
beschattet und tragen bei gänzlichem
Mangel an buschigem Unterholz oder
krautartigen Gewächsen das Ansehen
eines lichten, parkähnlichen Waldes, wo-
gegen in den unabsehbaren Tiefebenen
wieder solche Wälder fehlen und die
krautartigen Gewächse und Gebüsche in
einzelnen Arten ihre Stelle vertreten.
Wie die Einförmigkeit in der Pflanzen-
welt durch das Vorherrschen weniger
Hauptfamilien hervortritt, so auch in
der Thierwelt, durch das entschiedene
Ueberwiegen der Beutelthiere.
Man hat Australien das Land der
Gegensätze genannt und dies rechtfertigt
sich eben sowohl durch Erscheinungen
des Pflanzen- als des Thierreichs. Die
Blumen sind schön, honigreich, haben
aber größtenteils keinen Geruch; die
meisten Bäume haben lederartige, senk-
recht auf den Stengeln sitzende Blätter,
tragen nur dünnbelaubte, wenig Schat-
ten gebende Aeste, bisweilen auf dem
Stamm nur lange, grasähnliche Aus-
wüchse. Sie verlieren in der trockenen
Jahreszeit ihre Rinde, während die
unsrigen im Winter die Blätter ab-
werfen; Birnen von schönem Ansehen
sind holzig und haben den Stiel am
dicken, statt am dünnen Ende; die
Kirsche hat dort ihren Kern außerhalb
der fleischigen Frucht an der Spitze des
Blüthenstiels. Gerade so auffallend für
den Europäer ist im Thierreich das Zu-
nehmen unvollkommener organisirter Ge-
schöpfe nach Menge und Art, aber
auch die abweichenden Erscheinungen
schwarzer Schwäne, weißer Adler, be-
haarter, statt befiederter Vögel. Zu-
gleich haben letztere keinen Gesang, son-
dern häufig nur unangenehme, krei-
schende Töne; dann gibt es Vögel,
deren Zunge einem Besen gleicht; die
Eulen schreien am Tage und der Kukuk