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1. Die Geschichte der letzten 50 Jahre (1816 - 1866) ; in abgerundeten Gemälden - S. V

1867 - Köln : DuMont-Schauberg
D 0 r iu o r t. Indern der Herausgeber den vierten und letzten Baild der „Histo- rischen Darstellungen und Charakteristiken" dein dritten Bande (1864) erst nach zwei Jahren folgen läßt, kann er nicht verhehlen, daß die Darstellung der neuesten Zeit, wiewohl sie nur 50 Jahre, und nur selbst erlebte Begebenheiten umfaßt, ihm ungleich größere Schwierig- keiten geboten hat, als diejenige einer der früheren drei größeren Perioden der Weltgeschichte. Einmal war er hier viel weniger auf eine gewisse Anzahl von allgemein anerkannten Hauptwerken unserer zahlreichen, verdienstvollen Geschichtschreiber hingewiesen, um denselben einzelne, besonders gelungene Abschnitte unmittelbar und mit wenigen Veränderungen zu entnehmen. Denn gerade die gründ- lichsten Bearbeitungen der neuesten Geschichte, wie die von Gervinus (bis jetzt 8 Bde.) und „Staatengeschichte der neuesten Zeit" von ver- schiedenen Bearbeitern (bis jetzt 10 Bde.), umfassen kaum mehr als den ersten Zeitraum (bis 1830), nur einige den zweiten (bis 1848) und den Anfang des dritten, und sind dabei nüt solcher Ausführlich- keit angelegt, daß die aus denselben benutzten Abschnitte in der Regel gänzlich umgearbeitet werden mußten, um einen einheitlicheil Maß- stab des Umfanges zu gewinnen (vgl. die Uebersicht des Inhaltes). Da es für den dritten Zeitraum fast gänzlich an Hauptwerken fehlte, so sind hier vorzugsweise Monographieeil und Zeitschriften, für den „Nachtrag" selbst die Tagesblätter als Quellen herangezogen worden. Eine zweite Schwierigkeit bei der Darstellung der nächsten Ver- gangenheit „für Schule und Haus" bestand dariil, dieselbe fern zu halten von einseitiger Partei-Auffassung, die gerade bei den Ereig-

2. Die Geschichte der letzten 50 Jahre (1816 - 1866) ; in abgerundeten Gemälden - S. VI

1867 - Köln : DuMont-Schauberg
Vi nissen der Gegenwart am häufigsten hervortritt, und vielmehr über- all den festen und sicheren Standpunkt der objectiven Auffassung zu bewahren, wie er für einen Leserkreis geeignet erscheint,'der erst die Thatsachen kennen lernen soll, ehe er die sich dem Einflüsse der wandelbaren Tagesmeinung schwer entziehenden Reflexionen über die- selben würdigen kann. Die unvermeidliche Folge der großen Maß- haltung, mit welcher dem zufolge Lob und Tadel, namentlich über noch lebende Zeitgenossen, hier gespendet wird, muß natürlich die sein, daß die Beurtheilung von Personen und Ereignissen dem entschiede- nen Partei-Standpunkte selten genügt und dem Einen zu weit nach rechts, dem Andern zu weit nach links hin sich zu neigen scheint. Mit Rücksicht auf diese zweifache Schwierigkeit glaubt daher der Herausgeber bei diesem Schlußbande,»und namentlich auch für den mit einigem Bedenken hinzugefügten Nachtrag („der Krieg im Jahre 1866"), die wohlwollende Nachsicht der Leser ganz besonders in An- spruch nehmen zu müssen. Seine Arbeit hat keinen weiteren Zweck, als von dieser fünfzigjährigen Periode, welche, neben einem wunder- baren Aufschwünge der geistigen und materiellen Cultur, zugleich eine Reihe von Kümpfen, sowohl um die Erhaltung des politischen Gleich- gewichts, als um die Verbesserung der politischen und socialen Zu- stände innerhalb der einzelnen Staaten, aufzuweisen hat, eine klare, leicht faßliche Uebersicht, in einfacher Form, nach den bewährtesten Quellen und Hülfsmitteln zu geben und damit die Charakteristik der hervorragendsten Persönlichkeiten, theils in besonderen Abschnitten, theils in kleineren, die Erzählung der Begebenheiten unterbrechenden Episoden, zu verbinden. Köln, 15. August 1866.

3. Die Geschichte der letzten 50 Jahre (1816 - 1866) ; in abgerundeten Gemälden - S. 3

1867 - Köln : DuMont-Schauberg
2. Die Lage Europa's im Anfange der neuesten Zeit. 3 2. Die Lage Europas im Anfange der neuesten Zeit (1815). (Nach Hermann von Keyserling!), kritisch-geschichtliche Uebersicht der Ereignisse in Europa seit dem Ausbruche der französischen Staatsumwälzung, und nach Anderen, zum Theil bearbeitet vom Herausgeber.) Nach dem ersten Sturze Napoleon's I. kehrte Portugal unter den Scepter des Hauses Braganza zurück. Allein in Bezug auf die innere Verwaltung und Verfassung ward nichts verändert. Das Volk versank daher bald wieder in seine alte Unthätigkeit, Schlaffheit und Geistesstumpfheit. Portugal ward von Neuem ein Vasallenstaat Englands, und blieb es. Auf Spaniens Thron kehrte König Ferdinand Vii. aus der bonaparte'schen Haft zurück. Die von den Cortes in Cadix gegebene Verfassung, die allerdings gar nicht für den Bildungszustand utld das geistige Bedürfniß des spanischen Volkes paßte, und die königliche Würde und Macht zu einem nichtssagenden Schattenbilde machte, ward vernichtet, ohne daß ein Ersatz dafür gegeben worden wäre; vielmehr wurdeil die Urheber und Vertheidiger derselben, gerade die tapfersten, edelsten und gebildetsten Männer, und alle die nur irgend in Verdacht standen, Freunde und Anhänger der neuen Ideen, oder der eingedrungenen Fremdherrschaft zu sein, mit blutiger Strenge im Namen eben des Königs verfolgt und bestraft, der durch die heldenmüthige Ausdauer und Standhaftigkeit dieser Männer Thron und Reich wieder erhalten hatte. Dies veranlaßte natürlich Gäh- rungen und gewaltsame Ausbrüche, die nur mühsam unterdrückt wurden, und sich immer von Neuem wiederholten. So mußte Spa- nien, das durch seinen heldenmüthigen Widerstand zuerst das Zeichen und Beispiel zum Widerstand wider Napoleon's Macht und Herrschaft gegeben hatte, in einen Zustand der.schwäche, Zerrüttung und in- nern Auflösung versinken, die es ganz bedeutungslos im großen Rathe der europäischen Mächte machte. Daß Frankreich nach außen ohne Ansehen und Einfluß war, konnte nur als eine natürliche Folge der erlittenen Umwälzung und des Umstandes angesehen werden, daß sich der zurückgekehrte Regen- tenstamm der Bourbonen nicht sogleich wahrhaft mit dem Volke zu verschmelzen vermochte. Zwar hatte König Ludwig Xviii. eine Ver- fassung gegeben, die, obgleich sie eine Nachbildung der englischen war, dennoch im Wesentlichen dem Bedürfnisse und den vernünftigen Wünschen des französischen Volkes genügen konnte. Allein sie faßte nicht Wurzel: das Mißtrauen und die rege werdenden Parteien hiu- derten es. Wenn es die große Mehrheit des Volkes nothwendig beunruhigen und aufregen mußte, daß König Ludwig Xviii. theils stillschweigend, theils laut erklärte, wie er Alles, was seit 1789 ge- 1*

4. Die Geschichte der letzten 50 Jahre (1816 - 1866) ; in abgerundeten Gemälden - S. 6

1867 - Köln : DuMont-Schauberg
. 6 2. Die Lage Europa's im Anfange der neuesten Zeit. Gemüthern, die bei der ersten günstigen Gelegenheit in einen offenen Aufstand auszubrechen drohte. Diejenigen Stücke Italiens, welche Oesterreich nicht sich selbst un- mittelbar aneignen konnte, besetzte es mit Erzherzögen, die Souve- raine hießen. Erzherzog Franz Iv., Erbe des als Herzog von Brers- gau 1803 gestorbenen letzten Este, stellte sich in Modena ein, dem 1829 durch Erbschaft auch datz. Herzogthum Massa-Carara anheim- fiel; in Parma trat kraft der Verträge mit Napoleon (April 1814) dessen Gemahlin, und seit 5. Mai 1821 dessen Wittwe, die Erzher- zogin Marie Luise, in dem blühenden Alter von 25 Jahren, die Regierung an. Lucca, welches kleine Ländchen Napoleon 1805 als eigenes Herzogthum an seine Schwester Elisa, Gemahlin von Felix Bacciocchi, geschenkt hatte, behielt auch jetzt bis zum Absterben der Exkaiserin Marie Luise in Parma seine eigene Herzogin, die Exköni- gin von Etrurien, die Infantin Marie Luise. Die Habsburg- Lothringische Linie kehrte in der Person des Erzherzogs Ferdinand Iii. aus ihrem Großherzogthum Würzburg nach Toscana zurück, wie der fromme Dulder Pius Vii. aus der Gefangenschaft nach seinem durch den Wiener Congreß im Norden (durch die Po-Linie) zu Gunsten Oesterreichs etwas verkürzten Kirchenstaate. In Deutschland war der Rheinbund aufgelöst worden, und man erwartete die Wiederherstellung eines deutschen Reiches, das, mächtig nach außen und frei im Innern, die ihm gebührende Stellung im Rathe der europäischen Hauptmächte einnehmen könnte. Dem stand aber einerseits die selbstsüchtige Staatskunst der auswärtigen Mächte entgegen und andererseits die Eifersucht der deutschen Mächte gegeneinander. Rußland, England, Frankreich sahen nur zu gern aus verschiedenen Gründen in Deutschland einen zerstückelten, ohn- mächtigen und schwachen Staat, als daß sie nicht Alles hätten auf- bieten sollen, um es zu einem solchen zu machen. Die deutschen Mächte aber hatten die ihnen von Napoleon eingeräumte unbeschränkte Machtvollkommenheit bereits zu lieb gewonnen, als daß sie sich leicht zur Äufgebung derselben hätten entschließen können, was gleichwohl schlechthin nothwendig gewesen sein würde, sofern in der deutschen Kaiserwürde nicht bloß eine leere Würde, sondern auch eine wahre und wirkliche Macht wiederhergestellt werden sollte. Am schwersten aber war die Wiederherstellung der deutschen Kaisermacht mit der Stellung zu vereinbaren, die Preußen in Europa in Folge der Er- eignisse von 1813—1815 wieder eingenommen hatte. Denn da es sich wieder zu dem Range einer europäischen Hauptmacht empor- geschwungen hatte, so konnte es nicht freiwillig auf denselben Ver- zicht leisten, indem es sich Oesterreich unterordnete. Eben so konnte sich Oesterreich Preußen nicht unterordnen. So mußte also entweder eine von diesen beiden Hauptmächten außer dem Vereine, also ihm fremdartig, wo nicht feindlich, bleiben, oder das Ganze aus zwei besondern Reichen, nämlich aus einem norddeutschen mit Preußen,

5. Die Geschichte der letzten 50 Jahre (1816 - 1866) ; in abgerundeten Gemälden - S. 11

1867 - Köln : DuMont-Schauberg
2. Die Lage Europa s im Anfange der neuesten Zeit. 11 Verhältnisse und Bedürfnisse hat es sich an England angeschlossen und so stand es Deutschland wo nicht feindlich, doch wenigstens entfremdet gegenüber. Dazu kommt noch, daß der innere Zusammenhang und Bestand des neuen Königreichs nur schwach und lose war, weil es aus ganz fremdartigen, uiib einander widerstrebenden Bestandtheilen widernatürlich zusammengesetzt worden war. Denn nicht leicht können größere und schroffere Gegensätze gedacht werden, als die sind, welche zwischen den kalt-berechnenden, nüchternen, fleißigen, gewerb- samen und der reformirten Lehre streng ergebenen Holländern, und den feurigen, beweglichen, lebhaften, Genuß liebenden, katholischen Belgiern bestanden. Nicht einmal die Zeit und die verständige Re- gierung König Wilhelm's I. haben diese Gegensätze mit einander verschmelzen können: so lange sie bestanden, war dies neue König- reich nie wahrhaft mächtig und stark, sondern dem Auseinander- fallen nahe. England hatte nun den Preis des heißen und gewaltigen Kampfes mit Frankreich, den Alleinbesitz des Welthandels und der Meeresherrschaft, erhalten. Es Hattein Europa weder einen Mitbewerber, noch einen Nebenbuhler in dieser Hinsicht zu besorgen; nur in dem jugendlichen Amerika blühte ihm für die Zu- kunft ein solcher empor. Daher war es dem britischen Cabinette weit weniger um Begründung einer zeit- und vernunftgemäßen Ver- fassung und Einrichtung in Europa, als um Behauptung und Be- festigung seiner Seeherrschaft zu thun. Demnach sah es die Schwäche der Continental-Mächte nicht nur gern, sondern förderte sie sogar, so weit es dies vermochte. Aus diesem Grunde hatte es zur Wie- dereinführung der Bourbonen in Frankreich mitgewirkt, und wirkte im Stillen der Vereinigung Deutschlands entgegen, während es zu- gleich eifrig für die Errichtung von ihm ergebenen und von ihm ab- hängigen Vasallen-Staaten, wie es die Niederlande, Hannover, Däne- mark, Schweden und Portugal waren, sorgte, und der innern Zer- rüttung Spaniens mit geheimer Freude, oder wenigstens mit Gleich- gültigkeit zusah. Doch im innersten Herzen des stolzen Insel-Staates nagte der Todeswurm. Dies war das hier herrschende schreiende Mißverhältniß zwischen bittrer Armuth und übermüthigem Reich- thume, das immer mehr überhand nahm; die veraltete Form der Parlaments-Wahl, und die dadurch bedingte Abhängigkeit des Par- laments vom Systeme der herrschenden Minister, indem es mehr der Hebel war, dessen sie sich bedienten, um Gesetze zu machen und Auf- lagen zu erheben, als der Verfechter und Bewahrer der Volksrechte; das zeitwidrige Verhältniß der Katholiken zu der herrschenden hohen bischöflichen Kirche; die schlechte und veraltete Rechtspflege; die un- erschwingliche Abgabenlast und unermeßliche Staatsschuld und end- lich das immer mehr hervortretende Streben der Minister nach un- umschränkter Alleinherrschaft. Dänemark hatte durch den Verlust Norwegens einen empfind-

6. Die Geschichte der letzten 50 Jahre (1816 - 1866) ; in abgerundeten Gemälden - S. 12

1867 - Köln : DuMont-Schauberg
12 2. Die Lage Europa's im Anfange der neuesten Zeit. lichen Verlust erlitten, der keineswegs durch Schwedisch-Pommern, und später durch Lauenburg, welches es für das an Preußen abgetre- tene Schwedisch-Pommern erhielt, ausgewogen oder ersetzt worden ist. Dänemark ward dadurch zu einem so schwachen Staate, daß es sein Dasein nicht durch die eigene Kraft, sondern nur durch die Recht- lichkeit, oder gegenseitige Eifersucht der andern europäischen Mächte behaupten kann. Schweden hatte Norwegen erhalten; allein dies war in keiner Beziehung eine angemessene Entschädigung für Finnlands Verlust, da die Abneigung der Norweger gegen Schweden und der große Starr- sinn derselben eine innere Spaltung und Schwäche erzeugte, welche die Macht Schwedens wesentlich lähmte, und durch die es genöthigt ward, sich nur mit sich zu beschäftigen. Auch beobachtete die schwe- dische Regierung wirklich das ihr durch ihre Lage gebotene und da- durch begünstigte System der Abgeschlossenheit mit großer Klugheit und strenger Folgerichtigkeit. Rußland hatte so eben den Angriff des vereinten Europa unter Leitung des außerordentlichsten und genialsten Feldherrn des Jahrhunderts zurückgeschlagen, zwar nicht durch die überlegene Tapfer- keit und Kriegskunst seiner Feldherren und Kriegsheere, aber doch durch seine eiserstarrte Winternatur. Die natürliche und unmittel- bar nothwendige Folge von diesem eben so unerwarteten, als außer- ordentlichen Ereignisse war, daß es sich an die Spitze Europa's ge- stellt sah, und gewissermaßen als Frankreichs Erbe betrachten durfte. Es machte nun Anspruch auf eine angemessene Entschädigung für die gebrachten Opfer und für seine zerstörte Hauptstadt, die nur in dem Herzogthume Warschau gefunden werden konnte. Dadurch drang Rußland in Herz und Mark des preußischen Staates gleichsam wie mit einem spitzen Keile ein. Es schien daher, als ob Preußen das nächste und wichtigste Interesse dabei haben müsse, sich dieser Ver- größerung und drohenden Annäherung Rußlands durch Polens Besitz zu widersetzen. Allein Preußen hatte sich der Großmuth Rußlands durch den Vertrag zu Kalisch unbedingt anvertraut. Die Erinnerung an die alte Freundschaft und Dankbarkeit für eine, durch die in Rußland erfolgte Vernichtung des großen französischen Heeres mittel- bar bewirkte Befreiung vom französischen Joche kamen hinzu, um alle politische Bedenklichkeiten zu unterdrücken. Die ottomannische Pforte befand sich noch fortwährend in ihrer alten, wüsten und wilden Anarchie, und ging immer mehr ihrer gänzlichen Auflösung entgegen. Nur durch die gegenseitige Eifersucht der europäischen Hauptmächte ward und wird sie aufrecht erhalten. Der Zusammensturz eines Reiches, das seit mehr als 300 Jahren mit dem europäischen Staatensysteme so eng verflochten war, würde nicht erfolgen können, ohne zugleich einen allgemeinen Krieg zu entzünden, dessen Ausgang und Ende kein sterbliches Auge zu übersehen vermag.

7. Die Geschichte der letzten 50 Jahre (1816 - 1866) ; in abgerundeten Gemälden - S. 15

1867 - Köln : DuMont-Schauberg
3. Die ersten 15 Jahre des deutschen Bundes. 15 und Frivolität des deutschen Charakters aber, wie er sich in Wien kund gab und von da aus verbreitete, konnte das Erwachen des bessern Bewußtseins bei den andern, Oesterreich unterworfenen Natio- nen um so weniger verhindern, als sich Oesterreich gegen das übrige Deutschland so schroff verschlossen, die Stärkung des deutsch-österrei- chischen Elements von Preußen, Sachsen und dem deutschen Westen her erschwert und verpönt hatte. Zuerst fingen die Böhmen, später die Ungarn an, ihre Sprache und Alterthümer mit einem Eifer zu ftudiren, der erst nur eine gelehrte und unschuldige Spielerei schien, bald aber einen politischen Charakter annahm. Je mehr Oesterreich sich allen patriotischen Hoffnungen in Deutsch- land versperrte, und den letzten großen Nationalkrieg nur als einen gewöhnlichen Cabinetskrieg, der die Nation nichts angehe, betrachtet wissen wollte, um so mehr war Preußen aufgefordert, im eigenen Interesse alle Herzen zu gewinnen, die sich von Oesterreich abwandten. Ein neues freies Deutschland war der geheime Gedanke, wenigstens das dunkle Gefühl seit dem Wiederauftreten Stein's. Jede Aussicht auf eine bessere Gestaltung und Erweiterung des deutschen Reiches war verschwunden, desto mehr Werth legte man auf die Entwicklung im Innern mittelst einer neuen Verfassung Preußens. Am 22. Mai 1815 hatte König Friedrich Wilhelm Iii. vom Wiener Congreß aus ein Decret erlassen, worin „eine Repräsentation des Volks" zugesagt wurde. Allein die dafür thätige Partei am preußischen Hofe wurde mehr und mehr durch russischen und österreichischen Einfluß zurück- gedrängt. Schon während des Krieges war der „Rheinische Merkur", in welchem Görres zu Coblenz am feurigsten für Vaterland und Freiheit, und zwar in preußischem Interesse unter den Auspicien des provisorischen Gouverneurs für die Rheinprovinz, Justus Grüner, geredet, im „Boten aus Tirol" von Gentz, Metternich's berühmter Feder, heftig angegriffen und als revolutionär verdächtigt worden. Auch aus den ehemaligen Rheinbundstaaten erhoben sich bittere Klagen über den „Merkur". Denn an einer Erhebung Preußens durch die Begeisterung der deutschen Nation war den ehemaligen Rheinbund- staaten eben so wenig gelegen als Oesterreich. Diesem gemeinschaft- lichen Angriffe erlag nun Görres; die preußische Regierung ließ ihn fallen, stellte den „Merkur" im Juli 1815 unter Censur, und unter- drückte ihn kurz darauf gänzlich. Görres wurde sogar vor Gericht gezogen und mußte sich vor den Assisen von Trier vertheidigen. Er selbst bemerkte damals, es sei doch seltsam, daß ein deutscher und preußischer Patriot, der unversöhnlichste Feind Frankreichs, zu franzö- sischen Gerichten seine Zuflucht nehmen müsse, um sich vor denen zu schützen, für die er Alles gethan und geopfert. Unmittelbar darauf, im Spätjahr 1815, schrieb ein preußischer Beamter in Berlin, Schmalz, eine Schmäh- und Anklageschrift gegen den Tugendbund, behauptend, dieser Verein bestehe noch fort und sei durchaus revolutionär. Zwar erließen viele der hochgestelltesten Ehrenmänner der Monarchie, wie

8. Die Geschichte der letzten 50 Jahre (1816 - 1866) ; in abgerundeten Gemälden - S. 17

1867 - Köln : DuMont-Schauberg
3. Die ersten 15 Jahre des deutschen Bundes. 17 Burschenschaft, eine allgemeine Verbrüderung „christlich-deutscher" Jünglinge. Als nun im Jahre 1817 das dreihundertjährige Jubelfest der Reformation bevorstand, lud die Burschenschaft von Jena alle andern zu einer Feier auf die Wartburg bei Eisenach ein, auf welcher Luther lange verborgen gelebt und die Bibel übersetzt hatte. Man erkennt aus dieser Wahl, wie die Begeisterung von 1813 bereits von der großdeutschen Ausdehnung auf die kleindeutsche eingeschränkt wurde, und einen einseitig norddeutsch-protestantischen Charakter annahm. Das Wartburgfest fand bei schönem Wetter am 18. Oc- tober 1817 mit Gottesdienst in aller Ordnung Statt. Alles hatte einen feierlichen und ganz gesetzlichen Charakter. Erst am Schluß, als ein großes „Octoberfeuer" zu Ehren des Schlachttages von Leipzig auf der Berghöhe angezündet wurde, überraschte Maßmann, ein Student aus Berlin, den versammelten Kreis durch Herbeiholung von Büchern, die er hier verbrannte, wie Luther einst'die päpstliche Bulle verbrannt hatte. Es waren zum Theil gehässige Bücher, wie Kotzebue's deutsche Geschichte, die Schrift von Schmalz, andere, die übel gewählt waren, wie Haller's Restauration der Staatswissenschaft, Kamptz' Codex der Gensd'armerie, endlich ganz bedeutungslose. Am meisten Spaß machte, daß Maßmann zuletzt noch einen österreichischen Corporalstock, einen Zopf und einen preußischen Garde-Schnürleib verbrannte, als Sinnbilder einer verhaßten Vergangenheit. Ein neuer Vorfall führte zu Maßregeln gegen die Presse. Der weltbekannte Theaterdichter und russische Staatsrath August v. Kotze- bue hatte sich in Weimar niedergelassen, redigirte ein Wochenblatt im russischen Sinne und schickte dem Kaiser Alexander regelmäßig Bulletins über die deutschen Zustände zu, worin er jede patriotische und freisinnige Regung verdächtigte und die würdigsten Männer ver- höhnte. Man entwandte aus der Druckerei ein solches Bulletin und Professor Luden ließ es in seiner „Nemesis" abdrucken. Die öffent- liche Meinung faßte die Berichterstattung Kotzebue's nicht als Phan- tasiestück, sondern als Amtshandlung auf, bezeichnete ihn als einen russischen Schergen (nicht bloß als Spion), und gab ihn der ganzen Rache des beleidigten Nationalstolzes Preis. Denn man wußte, er sei in der That nicht ohne Einfluß, und was er dem Kaiser Alexander glauben mache, das wisse dieser auch am preußischen Hofe wieder geltend zu machen. Noch in demselben Jahre übergab der walachische Bojar und russische Staatsrath Stourdza dem Aachener Congreß eine Denkschrift, in welcher er den Geist der deutschen Universitäten als revolutionär bezeichnete und strenge Unterdrückung desselben em- pfahl. Die Burschenschaft von Jena schickte ihm eine Herausforderung zu. Ein dort Theologie studirender Jüngling aber, Sand aus Wun- siedel, wurde von patriotischer Entrüstung über die Macht, welche der frivole Kotzebue in Deutschland noch immer üben durfte, so überwältigt, daß er ihm, der nach Mannheim übergesiedelt war, von Jena aus nachreiste, ihn in seiner Wohnung aufsuchte, und mit einem einzigen Pütz, Histor. Darstell, u. Charakteristiken. Iv. 2

9. Die Geschichte der letzten 50 Jahre (1816 - 1866) ; in abgerundeten Gemälden - S. 19

1867 - Köln : DuMont-Schauberg
3. Die ersten 15 Jahre des deutschen Bundes. 19 Bonn, Fries in Jena. Oken sollte seine Zeitschrift „Isis" unterdrücken, wollte aber nicht und wanderte mit ihr nach der Schweiz aus. Görres war schon 1817 dem Fürsten Hardenberg mit einer Adresse der Stadt Coblenz, worin die Einführung der versprochenen preußischen Ver- fassung gefordert wurde, beschwerlich gefallen und hatte im Sommer von 1819 eine flammende Flugschrift: „Deutschland und die Revolu- tion" herausgegeben, worin er die deutschen Machthaber warnte, nicht so zu verfahren, daß am Ende die wirkliche Revolution hereinbräche. Diese Prophetenstimme, deren Worte erst dreißig Jahre später in Erfüllung gingen, wurde eben, weil die Gefahr noch nicht nahe war, verlacht. Gentz soll damals gesagt haben: „Uns hält's aus", und Metternich: „Après nous le déluge.“ Dem gegen ihn erlassenen Verhaftbefehle aber kam Görres zuvor, indem er nach Straßburg, später nach der Schweiz flüchtete. Noch mehrere jüngere Männer, Ludwig Follen, Redacteur einer elberfelder Zeitung, damals berühmt als Dichter kühner Freiheitslieder, und viele Studenten wurden ver- haftet oder flohen nach der Schweiz oder Amerika. Der Fürst von Metternich hielt die in Karlsbad gefaßten Beschlüße noch nicht für hinreichend zur Erreichung seiner Absichten, und lud seine Collegen zu einer Fortsetzung der Berathungen für den Spätherbst nach Wien ein. Am 25. Rov. 1819 ward ein Minister-Congreß in Wien eröffnet. Das Bestreben des österreichischen Staatskanzlers war besonders darauf gerichtet, aus den süddeutschen Verfassungen alles zu entfernen, was seiner Meinung nach an eine wirkliche Volksvertretung erinnerte und dem Begriffe von Landständen zu widersprechen schien. Es wurde von ihm hervorgehoben, daß, da der deutsche Bund, mit Ausnahme der vier freien Städte, aus monar- chischen Staaten bestehe, die allgemeine volle Regierungsgewalt in der Person des Souverains vereinigt sein müsse, und derselbe nur bei Ausübung bestimmter einzelner Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden sein könne. Auch wären die Verpflichtungen gegen den Bund, mit oder ohne Zustimmung der Kammern und Stände, unter allen Umständen zu erfüllen. Es wurde in diesem Sinne eine Reihe von Bestimmungen entworfen, deren Gesammtheit unter dem Namen der Wiener Schlußacte bekannt ist, und am 16. Mai 1820 von den Bevollmächtigten der einzelnen Staaten unterzeichnet. Am 8. Juni desselben Jahres ward die Wiener Schlußacte von der Bundesversammlung bestätigt, für ein Grundgesetz des deutschen Bundes erklärt, und ihr gleiche Kraft mit der Bundesacte beigelegt. b. Das Verfassungswesen in Deutschland. Während die kleine, aber begeisterte Partei der Patrioten, die von dem großen Siege der deutschen Nation auch einen dauernden Gewinn für dieselbe gehofft hatte, zum Schweigen gebracht, und zugleich die Erwartung, Preußen werde sich eine Verfassung geben 2*

10. Die Geschichte der letzten 50 Jahre (1816 - 1866) ; in abgerundeten Gemälden - S. 22

1867 - Köln : DuMont-Schauberg
22 3. Die ersten 15 Jahre des deutschen Bundes. Universitätsgebäude, einer neuen Bibliothek, der die Gemälde umfas- senden Pinakothek, der die Antiken aufbewahrenden Glyptothek, einer gothischen Kirche in der Au, der byzantinischen Ludwigskirche rc. Auch baute er bei Regensburg eine sog. Walhalla, bestimmt, die Büsten aller großen Deutschen aufzunehmen. München wurde seit- dem eine Heimat der besten und zahlreichsten Künstler Deutschlands, eine Metropole des Kunstschönen, wie Berlin die der Wissenschaft war. Das allgemeinste Verdienst um Deutschland erwarb sich König Ludwig dadurch, daß er bald nach seinem Regierungsantritt mit Württemberg einen Zollverein abschloß, der in der Folge erweitert werden sollte. Preußen ahmte das Beispiel nach, indem es sich zu- nächst nur mit Hessen-Darmstadt zu einem ähnlichen Zollverbande einigte; sodann Hannover, Kurhessen und Sachsen, die einen mittel- deutschen Verein bildeten. Im Jahre 1828 kam auf Betrieb des großen Naturforschers Oken die erste Versammlung deutscher Natur- forscher in Berlin zu Stande und hier bemühte sich der geniale Frei- herr v. Cotta, Deutschlands erster Buchhändler, eifrig um eine Ver- schmelzung des nord- und süddeutschen Zollvereins zu einem Ganzen, die auch glücklich erreicht, zu Berlin am 27. Mai 1829 unterzeichnet und allgemein in Deutschland mit Jubel begrüßt wurde. Die tief- gesunkenen Hoffnungen auf nationale Einheit lebten wieder auf. Richteten sich nun auch die Mittel- und Kleinstaaten mit ihren Constitutionen auf einen gemeinschaftlichen Fuß ein, so schloffen sie doch keine engere Einigung unter sich, sondern jeder suchte seine be- sondere Stütze bei dem oder jenem Großstaat, und jeder sperrte sich vom andern durch Mauthen ab. Die freie Rheinschifffahrt stand in der Bundesacte, wurde aber erst 1831 verwirklicht, weil die undank- baren Holländer, welche allein durch deutsche Kraft vom Joche Frank- reichs frei geworden waren, jetzt die Worte der Bundesacte, wonach der Rhein jusqu’à la mer frei sein sollte, nur bis „ans", nicht bis „ins" Meer übersetzten. Die Thätigkeit, welche die Volksvertretungen in den mit Reprä- sentativ-Verfassungen versehenen deutschen Ländern entwickelten, war bei der Neuheit des Gegenstandes, dem Mangel an Vorbereitung für denselben, dem Vorhandensein entgegengesetzter Meinungen und An- sprüche, nicht von Fehlgriffen frei geblieben und schien dem öffent- lichen Wohle nicht die von dieser Staatsform erwarteten Dienste zu leisten. Es ward daher den Gegnern freisinniger Einrichtungen nicht schwer, den König von Preußen, Friedrich Wilhelm Iii., mit der Ueberzeugung zu erfüllen, daß eine einsichtsvolle und thätige Ver- waltung das Glück des Volkes mehr, als die Zuziehung einer Ver- tretung desselben bei der Gesetzgebung, zu befördern geeignet sei. Hierzu kam der Eindruck der im Namen der constitutionellen Ideen unternommenen Revolutionen in Spanien, Neapel und Sardinien (s. Nr. 7). Es gelang, diesen König, wie die meisten gleichzeitigen Souveraine zu überreden, daß die Einführung des constitutionellen
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