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Diagramm für Aktuelle Auwahl statistik

1. Staats- und Bürgerkunde - S. 59

1910 - Wittenberg : Herrosé
59 Freizügigkeit, Unterstützungswohnsitz. Der Arbeiter Bergmann kam von Hof nach Burgstädt und arbeitete hier in der Maschinenfabrik. Er wurde nach 1% Jahren invalide und war nicht mehr in der Lage, sich und seine Familie zu versorgen. Eigene Krankheit und Krankheit in der Familie verwiesen ihn auf die Hilfe der öffentlichen Armenpflege. Ein wenig wohlwollendes Mitglied der Armenkommission machte seinem Mistmute Luft und sagte: „Mit der Familie haben wir uns eine schöne Last aufgeladen. Die hätten wir gar nicht aufnehmen sollen." Ein anderer sagte zu ihm: „Herr 3t., Sie stecken mit Ihren Anschauungen noch weit zurück in der Zeit, wo der einzelne in seiner Freiheit beschränkt war. Sie scheinen das Gesetz über die Freizügigkeit nicht zu kennen. Jeder Reichsangehörige ist be- rechtigt, sich an jedem Orte unseres Vaterlandes niederzulassen, überall Grundeigentum zu erwerben oder ein Gewerbe zu be- treiben." „Das weist ich wohl," sagte 3t., „aber das sah man dem doch schon an, dast der nicht imstande sein würde, sich den not- dürftigen Lebensunterhalt zu verschaffen." „Das ist Ihre wenig wohlwollende Ansicht," antwortete B., „aber bloste Besorgnis vor künftiger Armut ist noch kein Grund zur Abweisung. Und, Gott sei Dank, dast es so ist, sonst würden sich alle ^warmherzigen^ Menschenfreunde, wie Sie einer sind, erst jeden Zuziehenden daraufhin ansehen, und wenn ihm bloster Verdacht käme, gute Leute zurückweisen. Unsere Gesetzgeber haben es da doch besser gemeint: Wer über zwei Jahre an einem Orte ist, hat damit das Recht auf Unterstützung erworben, wenn er in Rot gerät." „Von welchem Lebensalter beginnt denn dieses Recht?" „Vom 18. Lebensjahre." „Ist also ein zwanzigjähriger Mensch, der ein Jahr an einem Orte ist, krank, dast er der öffentlichen Unterstützung bedarf, so kann er der Heimatgemeinde wieder zugewiesen werden. Ist er so krank, dast er nicht transportfähig ist, so fordert die neue Ge- meinde die Kur- und Pflegekosten von der Heimatgemeinde ein." „Also mit zwei Jahren verliert man den alten und erwirbt den neuen Unterstützungswohnsitz. Die Sache ist für die einzelne Gemeinde nicht so schlimm; denn es schließen sich oft mehrere Gemeinden und Gutsbezirke zu einem Ortsarmenverbande zu- sammen." „Wie aber, wenn der alte Unterstützungswohnsitz verloren und der neue noch nicht erworben ist, d. h. wenn der Arme vor Ablauf von zwei Jahren schon wieder einen neuen Wohnsitz nimmt?" „Dann^ hat der Mann überhaupt keinen Unterstützuugs- wohnsitz. In einem solchen Falle tritt der Landarmenverband

2. Staats- und Bürgerkunde - S. 117

1910 - Wittenberg : Herrosé
117 auf beiden Ufern breitet, sammelte der Andrang sich. Die Mauern einer Stadt vermochten nicht das deutsche Volk zu fassen. Am rechten Ufer spannten ihr Gezelt die Sachsen samt der slawschen Nachbarschaft, die Bayern, die Ostfranken und die Schwaben; am linken lagerten die Rheinschen Franken, die Ober- und die Nieder-Lothringer. So war das Mark von Deutschland hier gedrängt und mitten in dem Lager jedes Volks erhub sich stolz das herzogliche Zelt. Da war ein Grüßen und ein Händeschlag, ein Austausch, ein lebendiger Verkehr! Und jeder Stamm verschieden an Gesicht, an Wuchs und Haltung, Mundart, Sitte, Tracht, an Pferden, Rüstung, Waffenfertigkeit, und alle doch ein großes Brüdervolk, zu gleichem Zwecke festlich hier vereint! Was jeder im besondern erst beriet im hüllenden Gezelt und im Gebüsch der Inselbuchten, mählich war's gereift zum allgemeinen offenen Beschluß. Aus vielen wurden wenige gewählt, und aus den wenigen erkor man zween, all' beide Franken, fürstlichen Geschlechts, erzeugt von Brüdern, Namensbrüder selbst, Uunrade, längst mit gleichem Ruhm genannt. Da standen nun auf eines Hügels Saum, im Ureis der Fürsten, sichtbar allem Volk, die beiden Männer, die aus freier Wahl das deutsche Volk des Thrones wert erkannt vor allen, die der deutsche Boden nährt, von allen Würdigen die Würdigsten, und so einander selbst an Würde gleich, daß fürder nicht die Wahl zu schreiten schien, und daß die Wage ruht im Gleichgewicht. Da standen sie, das hohe Haupt geneigt, den Blick gesenkt, die Wange schamerglüht, von stolzer Demut überwältiget. Ein königlicher Anblick war's, ob dem die Träne rollt' in manches Mannes Bart. Und wie nun harrend all die Menge stand und sich des Volkes Brausen so gelegt, daß man des Rheines stillen Zug vernahm, denn niemand wagt' es, diesen oder den zu küren mit dem hellen Ruf der Wahl, um nicht am andern Unrecht zu begehn, noch aufzuregen Eifersucht und Zwist,

3. Staats- und Bürgerkunde - S. 204

1910 - Wittenberg : Herrosé
204 Auf landwirtschaftlichem Gebiete war es der Bürgermeister Raiffeisen aus Neuwied, der die Anregung zur Begründung der landwirtschaftlichen Kreditgenossenschaften, der „Raiffeisen- Kassen", gab. Die Genossenschaften lehren uns: „Verbunden werden auch die Schwachen mächtig." Zusammenschlug zur Genossenschaft ist daher die Losung unserer Zeit. Leider bringen unsere Handwerker diesem Gedanken nicht das rechte Vertrauen entgegen, und das Genossenschaftswesen hat noch lange nicht die Ausbreitung, die es zum Besten des Hand- werks haben müßte. Der Staat hat hier wieder helfend eingegriffen mit Geld- mitteln und Gesetzgebung. Die Selbsthilfe der Handwerker wird vom Staate unterstützt durch die Z e n t r a l - E e n o s s e ti- sch a f t s k a s s e in Berlin, die im Jahre 1895 mit einem Kapital von 5 Millionen eröffnet wurde, schon % Jahre später wurde das- selbe auf 20 Millionen erhöht. 1898 aus 50 Millionen, seit April 1905 stellt sich das Betriebskapital auf 52,4 Millionen. Diese Anstalt ist gedacht als eine Zentralstelle des genossen- schaftlichen Personalkredits, die den Zu- und Abfluß der Geldmittel von und zu den Genossenschaften in vorteilhafter Weise regeln soll. Sie soll die Mitglieder der Genossenschaften von den Großbanken unabhängig machen. — Die Bedingungen des Geldverkehrs sind nach festen Grundsätzen geregelt. Das geschieht durch das Gesetz über die Erwerbs- und Wirt- schaftsgenossenschaften vom 1. Mai 1889. Zur Gründung einer Genossenschaft gehören mindestens sieben Personen, nach oben hin ist die Mitgliederzahl unbegrenzt, se mehr, je besser. Sie muß geleitet werden von einem Vorstande und wird beaufsichtigt durch einen Aufsichtsrat und die General- versammlung. welcher mindestens alle Jahre wenigstens einmal Rechnung zu legen ist. Sie werden eingetragen bei dem Gerichte in das Eenossenschaftsregifter und unterliegen in ihrer ganzen Wirt- schaftsführung: Zu- und Abgang von Mitgliedern, Ein- und Aus- zahlung von Geschäftsanteilen, Bilanz usw. der gerichtlichen Aufsicht. Betreffs der Haftpflicht unterscheidet man Genossenschaften mit unbeschränkter Haftpflicht, d. h. die Genossenschafter haften für die Verpflichtungen der Genossenschaft mit ihrem ganzen Vermögen (e. G. m. u. H.), oder es gibt welche mit unbeschränkter Nachschuß- pflicht (e. G. m. u. N.). Bei dieser Form haften zwar auch die Mitglieder persönlich für die Schulden, aber nicht unmittelbar, sondern die Genossenschaft kann von ihnen die erforderlichen Nach- schüsse verlangen. Bei den Genossenschaften mit beschränkter Haft- pflicht (e. G. m. b. H.) haftet das einzelne Mitglied mit der irrt Statut bezeichneten Haftsumme, niemals darüber hinaus. Diese Form empfiehlt sich als Regel für die Handwerksgenossenschaften. Der Art und dem Zwecke nach haben wir 1. Kreditgenossenschaften (Vorschußvereine).

4. Staats- und Bürgerkunde - S. 187

1910 - Wittenberg : Herrosé
187 Aber diese Ersparnisse bieten wenig Sicherheit für dauernde Erhaltung. Das Häufchen Geld auf dem Tellerbrette oder der Ofenbank ist so leicht zu erreichen: der Gelegenheiten, es zu ver- brauchen, sind so viele, und ehe wir uns versehen, ist am Samstag verschwunden, was wir am Montag zurückgelegt hatten. Und selbst wenn wir stark genug sind, jeder Versuchung zur Vergeudung zu widerstehen, so kann die eigene Aufbewahrung der Ersparnis diese nicht aus sich selbst vermehren: sie entbehrt des Wachstums durch die Verzinsung. Anders die Sparkasse: sie hebt unser Geld sicher auf. schreibt uns neue Einlagen auf unser Sparkassenbuch zu, verwaltet dieselben zum allgemeinen Besten, vergütet am Jahresende Zinsen auf unser Guthaben und zahlt uns dasselbe nach Wunsch zurück. Die ersten Sparkassen wurden zu Ende des vorigen Jahr- hunderts errichtet, zunächst um arme Kinder zur Genügsamkeit an- zuregen: ihre Erfolge waren so durchschlagend, daß gemeinnützig denkende Personen zusammentraten, um auch erwachsenen Tage- löhnern, Dienstboten und Handarbeitern die gleichen Dienste zu leisten. Allenthalben wurde bei der Gründung der Kassen hervor- gehoben, daß diese ganz besonders den weniger bemittelten Volks- schichten Gelegenheit zur nutzbaren und sicheren Unterbringung ihrer Ersparnisse geben sollen, um ihnen die Möglichkeit zu er- leichtern, sich für den Fall der Verheiratung, für Zeiten der Krank- heit und des Alters, sowie für andere Fälle der Not das be- ruhigende Bewußtsein selbsterworbener Hilfe zu verschaffen. Diese Grundsätze hob auch schon König Friedrich Wilhelm Iii. von Preußen in seinem Erlaß vom 12. Dezember 1838 hervor, welcher ausdrücklich betonte, daß die Einrichtung der Sparkassen haupt- sächlich auf das Bedürfnis der ärmeren Klasse, welcher Gelegen- heit zur Anlegung kleiner Ersparnisse gegeben werden solle, be- rechnet werde. In Deutschland bestanden Ende 1001 — 63 Jahre nach diesem Erlasse — 2715 öffentliche Sparkassen mit 8073 Annahmestellen: die Zahl der Einleaer betrug 15 432 211 Personen, die Summe der Einlagen 9552 Millionen Mark, d. h. auf den Kopf der Bevölke- rung rund 150 Mk. Welch gewaltige Summe, angesammelt aus den Ersparnissen unseres Volkes! Und auch heute noch sind es hauptsächlich unsere in bescheidenen Verhältnissen lebenden Mit- bürger, die Fabrikarbeiter, Tagelöhner. Handarbeiter. Dienst- boten. gewerblichen Gehilfen u. a. m.. welche die Sparkasse speisen. Von den Einlegern im Königreich Preußen besitzen 29 % Spar- kassenbücher in Beträgen bis zu 60 Mk.. 17 % Bücher in Veträaen von 61 bis 150 Mk.. 30 yo Bücher in Beträgen von 151 bis 600 Mk. Für viele indessen, welche sparen wollen, ist die Sparkasse von ihrem Wohnorte und von ihrer Arbeitsstelle zu weit entfernt: nament- lich die Landbewohner müssen nicht selten erst einen weiten Weg zur Stadt machen, bevor sie die nächste Sparkasse finden. Auch sind die Sparkassen hier und da nicht den ganzen Tag offen, son-

5. Staats- und Bürgerkunde - S. 191

1910 - Wittenberg : Herrosé
191 hinan. Der schöne Rappe bekommt einen Herzschlag und stürzt tot hin. Wer ersetzt nun dem armen Manne den großen Verlust? Die Viehversicherung. Der Reisende hat Gefahren auf seiner Reise zu bestehen, er kann ums Leben kommen, verunglücken, daß er zum Krüppel wird. Wer sorgt dann für seine Familie? Wer entschädigt die verloren gegangene Arbeitskraft? Das tut die Unfallversicherung. Sie gibt den Ausfall, der durch einen Unfall entsteht. Endigt der Unfall mit dem Tode, so erhalten die Hinterbliebenen entweder eine feste, jährliche Rente oder das festgesetzte Abfindungskapital. Beim Tode tritt außerdem noch eine andere Versicherung ein, der jeder fürsorgliche Mann und Vater beitreten sollte. Das ist die Lebensversicherung. Sie ist eigentlich eine Zwangssparkasse. Die jährlich gezahlte Prämie gibt ein Anrecht auf ein bestimmtes Kapital, welches den Hinterbliebenen gezahlt wird, so daß sie vor Not und Sorge sichergestellt sind. Bei der großen Unsicherheit der letzten Zeit, speziell durch die immer raffinierter ausgeführten Diebstähle und Beraubungen, hat sich ein neuer Zweig der Versicherung aufgetan, die Versiche- rung gegen Einbruchdieb st ah l. Kaufleute, die stets Waren erhalten oder versenden, erleiden großen Schaden, wenn so ein Transport verunglückt, d. h. wenn das Schiff untergeht oder wenn die Sachen durch Kollision auf der Eisenbahn verbrennen usw. Sie sichern sich gegen diese Gefahren durch Transportversicherungen. Nun kann es vorkommen, daß jemandem ein Schaden geschieht, den ich durch Fahrlässigkeit verschuldet: z. V. ich beleuchte den Flur meines Hauses nicht, trotzdem ich dazu verpflichtet bin. Ein Be- sucher fällt im Dunkeln die Treppe hinunter und bricht sich das Bein, ich bin haftbar, ich muß Arzt, Heilkosten, Schadenersatz, Schmerzensgeld u. a. m. zahlen. Nicht für mich allein bin ich ver- pflichtet zu haften, sondern auch für die Handlungen meiner An- gehörigen, meiner Angestellten, meiner Tiere. Das hat schon oft böse Folgen gehabt. Es ist mancher, der vom Gericht ver- urteilt wurde, eine lebenslängliche Rente zu zahlen, wirtschaftlich ruiniert worden. Dagegen schützt die Hastpslichtversiche- r u n g. So breitet sich das auch unter der Aufsicht des Staates stehende Versicherungswesen immer weiter aus und umfaßt heute schon fast alle Verhältnisse und Gebiete des Lebens zum Segen der eifrig schaffenden Menschheit. „In dem Reichsgesetz über die privaten Ver- sich e r u n g s u n t e r n e h m e n vom 12. Mai 1901, durch das die Rechtsverhältnisse der deutschen Versicherungsgesellschaften ein- heitlich geregelt worden sind, ist genau bestimmt, von welchen Be- dingungen die Gründung einer Versicherungsgesellschaft abhängig gemacht wird, in welchen Werten sie ihr Kapital und ihre Prämienreserven anlegen muß und welche Angaben durch Publika-

6. Staats- und Bürgerkunde - S. 294

1910 - Wittenberg : Herrosé
Da ich ihn nicht verstand, so gab ich keine Antwort. „Was kann uns geschehen?" fuhr der Pate fort, „wenn's die andern tun, warum nicht wir auch? Ich laß mir's kosten." Er schwätzt iin Traum, dachte ich bei mir selber und horchte mit Fleiß. „Da werden sie einmal schauen," fuhr er fort, „wenn wir heimkommen und sagen, daß wir auf dem Dampfwagen ge- fahren sind!" Ich war gleich dabei . . . Als wir am andern Tage heimwärts lenkten, da meinte der Pate nur. er wolle sich dieweilen gar nichts vornehmen, er wolle nur den Semmeringbahnhof sehen, und wir lenkten unseren Weg dahin. Beim Semmeringbahnhof sahen wir das Loch auf der anderen Seite. War auch kohlfinster. — Ein Zug von Wien war angezeigt. Mein Pate unterhandelte mit dem Bahnbeamten, er wolle zwei Sechser geben, und gleich hinter dem Berg, wo das Loch aufhört, wollten wir wieder absteigen. „Gleich hinter dem Berg, wo das Loch aufhört, hält der Zug nicht." sagte der Bahn- beamte lachend. „Aber wenn wir absteigen wollen!" meinte der Iochem. „Ihr müht bis Spital fahren. Ist für zwei Personen zweiunddreihig Kreuzer Münz." Mein Pate meinte, er lasse sich was kosten, aber soviel wie die hohen Herren könne er armer Schlucker nicht geben; zudem sei an uns beiden ja kein Gewicht da. — Es half nichts; der Beamte lieh nicht handeln. Der Pate zahlte; ich muhte zwei „gute" Kreuzer beisteuern. Mittlerweile kroch aus dem nächsten, unteren Tunnel der Zug hervor, schnaufte heran, und ich glaubte schon, das gewaltige Ding wolle nicht an- halten. Es zischte und spie und ächzte — da stand es still. Wie ein Huhn, dem man das Hirn aus dem Kopfe geschnitten, so stand der Pate da, und so stand ich da. Wir wären nicht zum Einsteigen gekommen; da schupfte der Schaffner den Paten in einen Waggon und mich nach. In demselben Augenblicke wurde der Zug abgeläutet, und ich hörte noch, wie der ins Eoupä stolpernde Iochem murmelte: „Das ist meine Totenglocke." Jetzt sahen wir's aber: im Waggon waren Bänke, schier wie in einer Kirche; und als wir zum Fenster hinausschauten — „Iessas!" schrie mein Pate, „da draußen fliegt ja eine Mauer vorbei!" — Jetzt wurde es finster, und wir sahen, dah an der Wand unseres knarrenden Stüb- chens eine Öllampe brannte. Draußen in der Nacht rauschte und toste es, als wären wir von gewaltigen Wasserfällen umgeben, und ein ums andere Mal hallten schauerliche Pfiffe. Wir reisten unter der Erde. Der Pate hielt die Hände auf dem Schoß gefaltet und hauchte: „Jetzt geb' ich mich in alles drein. Warum bin ich der dreidoppelte Narr gewesen." Zehn Vaterunser lang mochten wir so begraben gewesen sein, da lichtete es sich wieder, draußen flog die Mauer, flogen die Telegraphenstangen und die Bäume, und wir fuhren im grünen Tale. Mein Pate stieß mich an der Seite: „Du, Bub'! Das ist

7. Staats- und Bürgerkunde - S. 298

1910 - Wittenberg : Herrosé
Schon am Tage vorher wurde die Lokomotive, welche den Namen „Borsig" trug, nach dem Anhalter Bahnhof gebracht, dort noch einmal montiert und dann früh am Morgen des bestimmten Tages geheizt. Die ganze Nacht harrte Borfig bei seinen Ar- beitern treulich aus, anordnend und arbeitend, tüchtig mit ein- greifend. Mit banger Erwartung sah er der Stunde der Entschei- dung entgegen. Dieselbe kam. Eine stattliche Anzahl sich für die Sache interessierender Per- sonen hatte sich auster dem Sachverständigenkollegium eingefunden, auch englische Ingenieure. Im gegebenen Augenblicke schritt Borsig dem Maschinenschuppen zu und bestieg dort den seiner schon mit feurigem Schnauben harrenden Eisenrenner. Mutig und mit stolzer Sicherheit bewegte sich das erste deutsche Dampfrost vor- wärts. Von seinem Erbauer selbst gelenkt, brauste es an denr Bahnsteig vorüber, eine Strecke die Bahn entlang, dann im schnellsten Laufe zurück, und auf einen Wink stand es unter der Halle still. Stürmischer Beifall empfing Borsig und seinen „Borsig". Die Engländer machten lange Gesichter, als der Führer ihnen zurief: „Sehen Sie, meine Herren, sie geht! Sie ist also in Wahrheit eine Lokomotive!" Nun wurde ein offener Wagen angehängt, die Herren stiegen ein. und auf einer Fahrt bis Grostbeeren führte Borsig seinen Eisenhengst in allen Gangarten noch einmal vor, wobei sich der- selbe vollkommen bewährte. In Grostbeeren, wo schon einmal deutsche Kraft über die Fremdherrschaft gesiegt hatte, wurde deutschem Streben, deutschem Fleiste und deutscher Arbeit wieder- um der Siegespreis zuerkannt. Das Richterkollegium sprach sich einstimmig dahin aus, dast die Borsigsche Lokomotive als durchaus gelungen anzuerkennen sei. — Borsig. der diesen Tag zu den schönsten seines Lebens zählte, schlost darauf mit der Direktion einen Vertrag ab, wonach sich dieselbe verpflichtete, ferner alle aus seiner Maschinenbauanstalt hervorgehenden Lokomotiven auf der Anhalter Bahn zu verwenden. So wurde Borsig durch diese Tat. welche unsere heimische Eisenindustrie von der Herrschaft Englands befreite, der deutsche Stephenson, der nun unter entsprechender Er- weiterung seiner Fabrik seine Haupttätigkeit fortan auf den Bau von Lokomotiven verlegte. Schon im Jahre 1846 verliest das hundertste und zwei Jahre später das zweihundertste Dampfrost das Borsigsche Gestüt. Immer gröster wurde die Zahl derselben, und immer weiter dehnten sich die Räume der Anstalt. Borsig blieb nicht dabei stehen, den deutschen Eisenbahnen zuerst deutsche Lokomotiven zu liefern. Hatte er bisher Kohlen und Schmiedeeisen aus England beziehen müssen, so suchte er sich jetzt auch davon frei zu machen, indem er in Moabit ein grostartiges Eisenwerk anlegte, wo deut- sches Roheisen zu künstlichen Fabrikaten, wie er sie für seine An- stalt gebrauchte, bereitet werden sollte. In Königshütte und Ruda in Schlesien erwarb er Steinkohlenbergwerke, die ihm inländisches

8. Staats- und Bürgerkunde - S. 311

1910 - Wittenberg : Herrosé
311 sichern, in denen es auch im 20. Jahrhundert seinen Bedarf an Erzeugnissen der gemäßigten und der Tropenzone unter den denkbar günstigsten Bedingungen beschaffen kann. Bietet es keinen Raum mehr für die Vermehrung der deutschredenden Bevölkerung, und hat es für diese keine Abzugskanäle in Gefilde, auf denen deutsche Saat weiter gedeihen kann, so werden die Nachbarn die Ströme ablenken und alsbald ihm die Herrschaft auch im eigenen deutschen Lande bestreiten. Kann es sich nicht freien Zutritt überall in der Welt nötigenfalls mit den Waffen offenhalten, so wird sich ihm diese auch wirtschaftlich verschließen. Die Verträge der Zukunft werden nur zwischen Gleichmächtigen geschlossen und gehalten, den Schwachen aber aufgezwungen werden. Wenn Deutschland sich den Zutritt zur See nicht wahren kann, so muß sich an ihm das Wort eines berühmten Mannes erfüllen: „Die See ist die Hochstraße des Erdballs, die See ist der Paradeplatz der Nationen, die See ist der Tunrmelplatz der Kraft und des Unternehmungsgeistes für alle Völker der Erde und die Wiege ihrer Freiheit. Wer an der See keinen Teil hat, der ist ausgeschlossen von den guten Dingen und Ehren der Welt, der ist unsres lieben Herrgotts Stiefkind. Eine Nation ohne Schiffahrt ist ein Vogel ohne Flügel, ein Fisch ohne Flossen, ein zahnloser Löwe, ein Ritter mit hölzernem Schwert, ein Knecht der Menschheit." Nach Dr. Ernst von Halle (Volks- und Seewirtschaft). 118. Unser tägliches Leben und der Überseeverkehr. Wir erheben uns morgens, um an unser Tagewerk zu gehen; wir entschlüpfen, wie man scherzhaft zu sagen pflegt, den Federn. Soeben noch träumten wir von fernen Ländern mit fremdartigen Dingen und fremdartigen Menschen, — sollten vielleicht gar die Federn daran schuld sein? Nicht unmöglich, erzählte uns doch neulich der Großhändler drüben, daß ein großer Teil des deutschen Bettfedernbedarfs aus dem Reiche der Mitte, aus China, dem Lande der bezopften Leute, stammt. Und wirklich verhält es sich so. Schon seit lange vermag Deutschland seinen Bedarf an Bett- federn nicht mehr zu decken, und so bezahlte es ini Zähre 1900 für die Mehreinfuhr an solchen bereits 16v2 Millionen Mark. Unser Nachbarland Österreich-Ungarn mußte an erster Stelle aus- helfen, nächst diesem aber das im fernen Ostasien gelegene China mit 55000 Zentnern. Da schwammen dann die luftigen Gesellen üiele Wochen lang auf wogender See einher, bis sie nun, zu Tausenden von Kissen und Betten verarbeitet, umhüllt von schimmernder Leinwand, deutschen Schläfern als Ruhepolster dienen. Auch die Leinwand könnte mancherlei erzählen von fremder Erde und Seefahrtabenteuern; denn auch ihre Wiege

9. Staats- und Bürgerkunde - S. 438

1910 - Wittenberg : Herrosé
438 164. Auf dem Torpedoboot. „Also das sind die berühmten Torpedos?" sagte mein Freund und zeigte auf die schwarzen Fahrzeuge, die am Bollwerk lagen. „Nee!" erwiderte ich. „Das sind nicht die berühmten Torpedos, sondern diese Dinger nennt man Torpedoboote, nämlich aus dem höchst einfachen Grunde, weil sie noch keine Schiffe sind wegen ihrer Kleinheit, und weil sie die Torpedos gegen den bösen Feind vorschießen sollen. Die laufen dann unter Wasser, während die Boote hübsch oben bleiben! Nu merk dir mal den Unterschied!" „Werd' mich bemühen!" versetzt mein Freund, und dann stiegen wir an Bord. Wir wollten eine Fahrt mitmachen, wozu uns der Kommandant eingeladen hatte. „Morgen, meine Herren! Es geht gleich los!" begrüßte er uns und stieg mit uns eine Treppe hinauf. „Wohin?" fragte Freund H. „Auf die Kommandobrücke!" antwortete ich. „Siehst du. von hier hat man einen feinen Überblick über das Boot selbst und alles rund um. Paß auf, wir legen ab!" Einer der Offiziere ließ einen lauten Pfiff auf einer Trillerpfeife erschallen! Eine Anzahl Matrosen rannten über Deck und stellten sich an verschie- denen Stellen auf! Dann kam irgendein Kommando; zugleich läutete oder klingelte es irgendwo! Einige Matrosen nahmen ein paar lange Stangen und fingen an, das Fahrzeug damit abzu- schieben. während es im Wasser rauschte und bullerte, und das Boot leise erzitterte. „Was ist da los?" erkundigte sich H. „Siehst du, unten im Raum geht jetzt die Maschine, die hinten die Schraube dreht," erklärte ich. „Dagegen bewegt sich das Wasser, und die Leute schieben das Boot frei, damit wir wegkommen. Das ganze Manöver heißt .Ablegen'." Während unser Fahrzeug aus dem Hafen hinausdampfte, machten wir einen Rundgang über Deck. „Sehn Sie, hier, das sind die Ausstoßrohre!" äußerte der erste Offizier, auf ein paar mit geteertem Segeltuch verhüllte Gestelle zeigend, die auf Rädern standen und auf einer kreisrunden Schiene rundum gedreht wer- den konnten. „Und wie wird damit geschossen?" fragte H. „Die Torpedos, die für gewöhnlich vorne unten im Lagerraum liegen, werden an Deck gebracht, herangefahren und eingeschoben. Darauf schwenkt man die Kanone nach der Seite, wohin man schießen will, zielt und drückt auf einen Knopf. Dann tritt aus einem Behälter- komprimierte (verdichtete) Luft hinter den Torpedo und schleudert ihn aus dem Rohr! Er taucht unter und läuft dann mittels seiner Luftmaschine allein weiter. Im Weiterschlendern besahen wir uns das kleine Boot, das umgekippt an Deck lag, und die Rettungsgürtel, die am Schorn- stein und am Geländer hingen. Jeder trug eine Nummer oder Bezeichnung, wie „Kommandant", „I. Offizier" usw. „Für den Fall einer Kollision!" erläuterte der Offizier. „Jeder Mann an Bord weiß ganz genau, wo sein Gürtel hängt und muß ihn selbst

10. Staats- und Bürgerkunde - S. 396

1910 - Wittenberg : Herrosé
stecken und dem Burgwächter zurufen: sie hätten einen Königs- brief in den Kerben gesteckt und eine Urkunde mit sich genommen, und er solle dem, der in der Burg ist, sagen, daß er seines Rechts- tages warte an dem freien Stuhl bei den höchsten Rechten und des Kaisers Bann. Erschien der Beklagte nicht, nachdem er wiederholt geladen war, so mußte der Kläger kniend mit zwei Fingern der rechten Hand auf dem blanken Schwerte schwören, daß der Angeklagte schuldig sei, und wenn sechs Freischöffen eidlich bekräftigten, der Kläger schwöre rein, nicht mein, so wurde die Anklage als er- wiesen genommen. Nun wurde das Schuldig über den An- geklagten ausgesprochen. Der Freigraf verfemte ihn, indem er sprach: Den beklagten Mann, mit Namen N. N., den nehme ich aus dem Frieden, mi5 dem Rechte und aus den Freiheiten, die Kaiser Karl gesetzt und Papst Leo bestätigt hat urtb ferner alle Fürsten, Herren, Ritter und Knechte, Freie und Freischöffen gelobt und beschworen haben im Lande zu Sachsen, und werfe ihn nieder vom höchsten Grad zum niedrigsten Grad, und setze ihn aus allen Freiheiten, Frieden und Rechten in Königsbann und Wette und in den höchsten Unfrieden und Ungnade, und mache ihn unwürdig, achtlos, rechtlos, siegellos, ehrlos, friedlos und unteilhaftig alles Rechts, und verführe ihn und verfeme ihn und setze ihn hin nach Satzung der heimlichen Acht, und weihe seinen Hals dem Stricke, seinen Leichnam den Tieren und den Vögeln in der Luft, ihn zu verzehren, und befehle seine Seele Gott im Himmel in seine Gewalt, wenn er sie zu sich nehmen will, und setze sein Lehen und Gut ledig, sein Weib soll Witwe, seine Kinder sollen Waisen sein. Hierauf, so heißt es in den alten Femrechtsbüchern weiter, soll der Graf nehmen den Strick von Weiden geflochten und ihn werfen aus dem Gerichte. Und der Freigraf soll sofort gebieten allen Freigrafen und Freischöffen und sie ermahnen bei ihren Eiden und Treuen, die sie der heimlichen Acht getan, sobald sie den verfemten Mann bekommen, daß sie ihn hängen sollen an den nächsten Baum, den sie haben mögen, nach aller Macht und Kraft. Die Urkunde, welche die im Jahre 1429 ausgesprochene Ver- femung des Herzogs Heinrichs des Reichen von Bayern enthält, lautet: So habe ich Albert, Freigraf, mit den obengenannten Frei- grafen, die zu der Zeit den Stuhl mit mir besetzt halten, den obengenannten Heinrich, der sich schreibt Pfalzgraf bei Rhein, Herzog in Bayern, von Königsgewalt genommen und fort ver- femt und verführt von der rechten Zahl in die unrechte Zahl, aus der echten Zahl in die unechte Zahl, aus der oberen Zahl in die niedere Zahl, von allen Rechten ausgeschieden, und habe ihn gewiesen von den vier Elementen, die Gott den Menschen
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