Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
Geschlecht (WdK): koedukativ
510
Iii. Bilder aus der deutschen Geschichte.
an den Hausthüren; öffnet sich eine Thür nicht schnell, so wird sie zornig
erbrochen. Und nun folgt der wüste Streit, welchen der schutzlose Bürger
mit dem gereizten Feinde auszumachen hat; unerschwingliche Forderungen,
Drohung, nicht selten Mißhandlung und Todesgefahr, überall Geschrei,
Jammern und Gewaltthat. Schränke und Truhen werden erbrochen,
Wertvolles und Wertloses geraubt, verdorben, zerschlagen, am meisten bei
solchen, welche geflohen sind, denn die Habe ihres ungastlichen Hauses ist
nach Soldatenbrauch dem Eindringenden verfallen. Die Behörden der
Stadt werden auf das Rathaus geschleppt und die Quartiere der Truppen,
über Lieferung von Lebensmitteln und Fourage, und über eine unmögliche
Kontribution, welche die Stadt zahlen soll, beginnt die peinliche Ver-
handlung.
Können die feindlichen Führer nicht durch Geschenke befriedigt werden,
oder soll die Stadt eine Strafe erhalten, so werden angesehene Einwohner
zusammengetrieben, festgehalten, bedroht, vielleicht beim Aufbruche als
Geiseln fortgeführt. Lagert ein größeres Corps um die Stadt, so
bivouakiert auch wohl ein Bataillon auf dem Markte. Schnell ist der
Franzose eingerichtet, aus den Vorstädten hat er sich Stroh herbeigeholt,
die Lebensmittel hat er unterwegs geraubt, zum Brennholz zerschlägt er
die Thüren und Möbel, häßlich dröhnt das Krachen der Äpte in den Balken
und Schränken. Hell flackern die Lagerfeuer auf, lautes Lachen, fran-
zösische Lieder klingen um die Flammen.
Und zieht am Morgen nach einer Nacht, die der Bürger ängstlich
durchwachte, der Feind wieder ab, dann sieht der Städter erstaunt die
schnelle Verwüstung in der Stadt, und vor dem Thore die plötzliche
Verwandtschaft der Landschaft. Das unabsehbare Getreidemeer, welches
gestern um seine Stadtmauern wogte, ist verschwunden, von Roß und Mann
zerwühlt, niedergestampft, zertreten; die Holzzäune der Gärten sind zer-
brochen, Sommerlauben, Gartenhäuser weggerissen, Fruchtbäume abgehauen.
In Haufen liegt das Brennholz um die erlöschenden Wachtfeuer, der Bürger
mag darin die Bretter seines Wagens, die Thore seiner Scheuer finden;
kaum erkennt er die Stelle, wo sein eigener Garten war, denn mit Lager-
stroh und wüstem Unrat, mit dem Blut und Eingeweide geschlachteter Tiere
ist der Platz bedeckt. Und in der Ferne, wo die Häuser des nächsten
Dorfes aus dem Baumlaube ragten, erkennt er auch die Umrisse der
Dächer nicht mehr; nur die Wände stehen wie ein Trümmerhaufe.
Herb war es, solche Stunden zu durchleben und auf Tage fiel wohl
manchem der Mut. Auch dem Begüterten würde es jetzt schwer, den
Seinen nur das Leben zu fristen. Alles war aufgezehrt und verwüstet,
die Lebensmittel der Stadt und Umgegend, und kein Landmann brachte
das Unentbehrliche auf den Markt, weit in das Land mußte man senden,
um den Hunger zu stillen. Aber der Mensch wird bei einer schnellen
Folge großer Ereignisse kälter, zäher, härter gegen sich selbst; der starke
Anteil, welchen jeder einzelne an dem Schicksal des Staates nahm, machte
gleichgültiger gegen die eigene Not. Nach jeder Gefahr empfand man mit
Behagen, daß man das liebste, das Leben doch gerettet. Man hoffte.
Gustav Freytag.
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512
Iii. Bilder aus der deutschen Geschichte.
sturms, ebenfalls vom 17. März, war durch einen passenden Aufruf ein-
geleitet, welcher die schönen Worte am Schluß enthielt: „Meine Sache ist
die Sache meines Volkes."
Gleichzeitig mit diesen Aufrufen erschien die Verordnung über die
Stiftung des eisernen Kreuzes, datiert Breslau vom 10. März 1813, eine
überaus glückliche und zeitgemäße Institution, die im ganzen Volke den
freudigsten Anklang fand und die eiserne Zeit, die man durchmessen, höchst
sinnreich bezeichnete.
Die Aufrufe des Königs, welche nun durch das ganze Land und
weit über dessen Grenzen hinaus hallten, brachten im Verein mit allem
Vorhergegangenen eine Wirkung hervor, die sich nicht genügend be-
schreiben läßt. Das nachfolgende Geschlecht wird immer davon nur
eine schwache Vorstellung haben, man mußte diese Zeit selbst durchlebt
haben. Alle Herzen wurden bis auf den Grund erschüttert. Auch die
Frauen, sonst wenig bekümmert um öffentliche Angelegenheiten, teilten gleich-
mäßig das allgemeine Gefühl. Es war kein Mann, kein Weib, keine
Familie im ganzen Lande, die nicht schwere Unbill von den Franzosen
erlitten hatte. Ganz abgesehen von der politischen Schmach, die tief ge-
fühlt wurde, hatte fast jeder persönliche Beleidigung zu rächen und bittere
Verluste zu beklagen. Seit beinahe sieben Jahren waren tausend und
abertausend Feinde im Lande, die auf Kosten desselben lebten und denen
man noch eine unerschwingliche Kriegssteuer hatte zahlen müssen. Der
Sieger ist niemals sanft, sein Übermut und Hohn hatte beleidigt, aus
Kriegstrotz war so mancher von ihm gemißhandelt, nicht wenige, die
Widerstand versucht, geschlagen, viele beraubt worden. Noch tiefer war
gefühlt worden, was die Frivolität des Feindes in den Familien verschuldet,
die man außer stände gewesen zu rächen. Beständige Einquartierung,
nie aufhörende Lieferung aller Art, immerwährendes Liegen mit den Ge-
spannen auf der Landstraße rc. hatten Bürger und Landmann zur Ver-
zweiflung gebracht. Daher in allen Herzen das eine Gefühl, das schimpf-
liche Joch abzuwerfen und blutige Rache zu nehmen; daher der freudige
Entschluß, mit Daransetzung des letzten Blutstropfens und des letzten
Gutes bis zur Vernichtung zu kämpfen; daher der Aufstand des ganzen
Volkes auf den Ruf des Königs.
Schon vor der Kriegserklärung an Frankreich eilte die kriegsfähige
Jugend auf allen Landstraßen, Wegen und Stegen zu den bezeichneten
Sammelorten, daß die Franzosen mit Bangigkeit erfüllt wurden. Von
Berlin und der Mark aus erfolgte eine völlige Auswanderung nach Schlesien,
wo der verehrte König sich befand und wo ein ansehnliches Heer zusammen-
gezogen wurde. Im östlichen Teile eilte man zu den Truppen des Generals
Hork, an der Weichsel zu denen von Bülow, in Pommern und der Neu-
mark suchte man zu den Truppen von Borstell nach Kolberg durchzu-
kommen. Hier an letzterem Orte erregte es einen besonderen Enthusias-
mus, als am 25. Februar abends der tapfere Verteidiger von Kolberg,
Oberst Gneisenau, auf einem schwedischen Schiffe anlangte und nachdem
TM Hauptwörter (50): [T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T12: [König Paris Jahr Napoleon General Frankreich Mann Tag Kaiser Minister]]
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Extrahierte Personennamen: Bülow Gneisenau
Extrahierte Ortsnamen: Breslau Frankreich Berlin Schlesien Pommern Kolberg Kolberg
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492
Ii. Kulturbilder aus Welt und Werkstatt.
ernstlich daran denken, sich durch solide Arbeit in allen Zweigen des Ge-
werbes die Stellung zu sichern, die ihm gemäß seiner Leistungen in der
Wissenschaft, in der bildenden Kunst, in der Musik und Litteratur, ganz
abgesehen von seiner politischen Stellung, zukommt. Dr. Julius Lessing.
192. Die Aufgabe des Handwerks in der Gegenwart und
Zukunft.
Es hat das Handwerk vielfach gegen das Maschinenwesen geklagt:
Klagen von Thoren einer Macht gegenüber, die einmal da ist, die nicht
mehr verdrängt werden kann, die sich immer mehr erweitert und vergrößert,
die anstatt beklagt, freudig begrüßt werden muß als eines der aus-
gezeichnetsten und glänzendsten Erzeugnisse des menschlichen Geistes, das
die Menschen von harter Sklavenarbeit befreit, vielen Tausenden Unterhalt,
Millionen bessere Nahrung, Kleidung und Wohnung, überhaupt ein schöneres
menschliches Dasein verschafft hat, bei dem es nun auch möglich ist, den
höheren Zwecken des menschlichen Lebens sich zu widmen. Aber auch dem
Bedrohlichen, das das Maschinenwesen an sich hat, kann der Handwerks-
stand siegreich entgegentreten, sobald er sich eben dahin erhebt, wohin jenes
nicht folgen kann, wozu eben nur die Hand gebraucht werden kann, und
das ist eine tüchtige, kunstreiche Arbeit, in deren Erzeugnissen Kunstsinn
und technische Fertigkeit, Kunstgeschmack und sorgfältiger Fleiß, Schönheits-
gefühl und materielle Brauchbarkeit verbunden sind. Höhere Geschicklichkeit,
kunstvolle Produktion — das ist die Zauberformel, um von Seiten der
Gewerbe die Gefahr, welche von den Maschinen droht, zu überwinden.
Dieselben Tugenden, die im 15. Jahrhundert, wo Deutschland der Mittel-
punkt aller Gewerbe, alles Handels, aller Bildung war, dieselben Tugenden
sind es, an die sich heute noch der deutsche Handwerksstand zu halten hat,
es sind die Tugenden einer tüchtigen, kunstreichen, ehrlichen und
rechtschaffenen Arbeit. —
Wie alles in der Welt der Veränderung unterworfen ist, so auch
das Gewerbewesen und das Handwerk insbesondere. Nachdem es Jahr-
tausende hindurch durch Handarbeit, nur mit wenigen Werkzeugen unter-
stützt, sich ernährt und bloß in kleinen Werkstätten mit Meister, Lehr-
lingen und Gesellen gearbeitet hat, so droht jetzt das Maschinenwesen und
die Großindustrie der Fabriken, mit ungeheurer Geldmacht ausgerüstet,
alle die einzelnen kleinen Meisterschaften und Werkstätten zu zernichten,
wobei zugleich die allgemeine Gewerbefreiheit alles aufzulösen scheint. Und
es ist kein Zweifel, daß das Gewerbewesen schon seil längerer Zeit im
Übergang zu einer durchgehenden Umgestaltung begriffen ist. Da gilt aber
kein Klagen und Sichsperren, sondern frisch und mutig und männlich das
Unvermeidliche zu fassen, es zu seinem Vorteile umzuwandeln, sich im
Sturze zu erhalten. Und dies wird gelingen: der deutsche Gewerbestand
hat schon noch viel größere Hindernisse und Mißstände überwunden, wie
z. B. damals, als er sich in den Tagen des Mittelalters aus der Schmach
und dem Elend der Sklaverei, der Hörigkeit und der Leibeigenschaft los-
gerissen hat, und er hat gesiegt. So wird auch der gegenwärtige Gewerbe-
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T29: [Handel Industrie Land Ackerbau Fabrik Stadt Deutschland Mill Viehzucht Gewerbe], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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Geschlecht (WdK): koedukativ
I. Lebensbilder,
21
vorgenommen hatte, standhaft in der Ausübung des Guten zu sein, und
dann doch wieder gefallen war, weil ich eine Leidenschaft nicht besiegen
konnte." Dann tröstete er sich auch wieder, daß diese Unzufriedenheit mir
sich selber ein sicheres Anzeichen der begonnenen Besserung sei. — Die
damaligen Weltbegebenheiten, namentlich die Erschütterungen des alten
Europas durch die französische Revolution, versetzten ihn oft in große
Aufregung. Es ging Perthes wie so manchem Edlen jener Tage, der
erste Enthusiasmus für die Kämpfer der Freiheit ging nach den wilden
Gräuelthaten derselben in Abscheu über. „Ich kann nicht ohne Schmerzen
auf die politische Welt sehen," schrieb er im Frühjahr 1793. „Ich glaubte
sonst immer noch, daß wenn auch der einzelne Mensch fiel, dennoch das
menschliche Geschlecht sich stufenweise veredeln würde, aber auch das scheint
Traum zu sein. Daß sie verdammt wären, die französischen Bluthunde,
welche die heilige Sache der Freiheit schänden."
Die Thätigkeit, welche Perthes innerhalb und außerhalb seines nächsten
Berufes übte, die politischen und die allgemeinen menschlichen Bewegungen,
welche auch ihn ergriffen, hatten seinen Verstand gebildet, seinen Blick für
die Verhältnisse des Lebens geschärft und ihn mit lebendigem Interesse
erfüllt, aber sie ließen doch eine Lücke in seinem geistigen Leben, welche
er schmerzlich empfand. Er sehnte sich nach einem Altersgenossen, der
mit ihm empfinden könne, was ihn selbst bewegte. „Mein sehnlichster
Wunsch, den ich jetzt habe," schrieb er, „ist ein Freund, dem ich mein
Innerstes ganz ausschließen könnte, der mich stärkte, wenn ich schwach
würde, der mir Mut gäbe, wenn ich an meiner Besserung verzweifle, aber
ich finde keinen, und doch muß ich mich mitteilen, doch möchte ich manch-
mal jeden an mein Herz drücken und sagen, auch du bist ein Kind
Gottes." Es ist wohl nichts natürlicher, als daß Perthes zunächst in
seinem jüngeren Kollegen Nessig diesen Freund suchte, doch fand er auch
andere sittlich gesunde junge Leute, an welche er sich innig anschloß. Ein
lebendiger Umgang mit geistig regsamen Leuten war das beste Stärkungs-
mittel seines edlen Wollens und Strebens. Der Zufall hatte ihn mit
sieben in Freundschaft eng verbundenen Schwaben bekannt gemacht, welche
ihn lieb gewannen und eng an sich zogen. Es waren verständige, sehr
unterrichtete junge Männer, voll guter Laune und poetischen Schwunges.
Bald war Perthes alle freie Stunden mit ihnen zusammen. Durch sie
wurde er mit Herder, Schlier und Goethe und mit einem fröhlichen
Jünglingsleben bekannt. „Seit meinem Hiersein," schrieb er, „habe ich
noch keine so fröhlichen, herzstärkenden Stunden genossen, als jetzt mit meinen
lieben neuen Freunden." —
Doch die Lehrzeit ging zu Ende. Beschränkt und klein waren freilich
die Verhältnisse, in denen Perthes zum Jüngling heranwuchs, aber dennoch
hatten sie sein Inneres durch bedeutende Erfahrungen gebildet und gestählt.
„Wenn ich jetzt," schrieb er im April 1793, „an die Jahre zurückdenke,
die ich hier durchlebte, wenn ich mich in den Jdeeenkreis zurückstelle, den
ich mit hierher brachte, so erstaune ich, wie sich alles in mir verändert
hat. Stets werde ich mit Liebe und mit Segenswünschen auf Leipzig
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Ii. Kulturbilder aus Welt und Werkstatt.
121
Blumen wird in diesen Jahrhunderten nicht erwähnt — dann zog das
Stadtvolk' mit Fahnen und den Abzeichen seiner Korporationen würdig auf,
neben dem Germanen und Inländischen auch fremde Landsleute, z. B.
Italiener, Syrer, Juden. Wenn ein König begrüßt wurde, sang jedes
Volk einen langen, schön gefügten Glückwunsch in seiner Sprache, der
vorher einstudiert wurde.
Für den Beifall, welchen ein Germanenfürst fand, und für die Ge-
schenke, welche er beim Einzug erhielt, war er dem Stadtvolke dankbar;
er machte einzelnen Gegengeschenke und erließ der Stadt Abgaben. Denn
obwohl der germanische König zuweilen gegen seine Städte harten Willen
bewies, er hatte doch einige Scheu vor der Menschenmenge. Wie ihm
der freudige Zuruf wohlthat, weil er aus guten Wünschen eine gute
Wirkung für sich hoffte, so fürchtete er auch die Vorbedeutung ihres Zorn-
geschreis und die Gefahren eines lauten Fluchs. Als König Gunthram
einmal durch einen Anschlag gegen sein Leben aufgeregt war, wandte er
sich in der Kirche an das versammelte Volk und bat ernstlich, ihn nicht
umzubringen, wie man mit seinen Brüdern gethan, sondern ihn wenigstens
noch drei Jahre leben zu lassen, bis er seinen Neffen groß gezogen.
Und diese königliche Bitte bestimmte das Volk zu lauten Wünschen für
sein Heil.
War der König in recht guter Laune, so gab er den Städtern auch
Schaufeste. Wie der Vandalenherr in Afrika und König Leuvigild in
Spanien, saß 543 auch der Frankenkönig im Circus von Arles, angethan
mit dem Prachtgewande eines römischen Konsuls, unter Germanen und
Provinzialen als Veranstalter der Circusspiele. Sie bestanden in Wett-
reiten und Wagenrennen. — In den Amphitheatern aber wurden große
Jagden veranstaltet. Die Kämpfe mit wilden Tieren waren unter den
Franken sicher eben so blutig, als in römischer Zeit; die Tierkämpfer und
Gladiatoren wurden nicht mehr von den Königen in großer Schule ge-
züchtet, aber sie bildeten immer noch eine Genossenschaft, welche sich an
Fürsten und Große hing oder abenteuernd in der Fremde zu Festkämpfen sich
vermietete; sie waren unehrliche Leute auch in den Augen der Germanen,
aber sie blieben als Raufbolde und Meuchelmörder verdorbener Großen,
trotz dem Hohn, mit welchen das Gesetz sie behandelte und trotz dem Haß
der Kirche durch das ganze Mittelalter lebendig.
Unendlich viel war verwüstet worden, aber in den Ländern des
Mittelmeers hatten vier Jahrhunderte des kaiserlichen Roms so reichlich
schöne Gebilde und kluge Lehre, so viel Erfindung und Lebensgenuß ab-
gelagert, daß die Germanenstämme immer noch sehr vieles fanden, was
unmerklich in ihr Leben überging, von ihnen bis zu uns; und was einen
Zusammenhang der Kultur erhielt, den wir uns wohl geringer denken,
als recht ist. — Denn der Schmied hämmerte und der Zimmermann
hieb die Späne von den Balken während der ganzen Wanderzeit; der
Steinschneider schnitt dem Frankenkönig seinen Siegelring wie einst dem
römischen Cäsar. Die Technik des Lupushandwerks war zu jener Zeit noch
ziemlich erhalten und wurde von den Fürsten und der Kirche eifrig in
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Extrahierte Personennamen: Cäsar
Extrahierte Ortsnamen: Afrika König_Leuvigild Spanien Arles Frankenkönig
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208
Ii. Kulturbilder aus Welt und Werkstatt.
Der schmalkaldische Krieg, gleichfalls aus religiösen und politischen Motiven her-
vorgegangen, hatte zwar manches Unheil über Deutschland und besonders über einzelne
deutsche Länder gebracht, aber den sittlichen Kern des Volkes hatte er nicht angegriffen.
Fast um die gleiche Zeit, wo Deutschland von dem dreißigjährigen Kriege an den
Rand des sittlichen und politischen Verderbens gebracht ward, entbrannte in England
ebenfalls ein politisch-religiöser Bürgerkrieg; aber wotz der Leiden und Einbußen, die er
über das Land brachte, ging doch England aus demselben schließlich naüonal gekräf-
tigt, politisch und religiös geläutert hervor.
So war es vielleicht die gegenseiüge Befehdung der verschiedenen Glieder des
Reiches unter einander mit Hülfe des Auslandes, die Knechtung und Brandschatzung
der Nation durch fremde Übermacht, was die so beispiellos verderblichen Wirkungen
des dreißigjährigen Krieges erklärt? Teilweise wohl. Aber auch diese beiden Erschei-
nungen sind zu anderen Zeiten ebenfalls wirksam gewesen, ohne daß doch die gleichen
Folgen sich gezeigt haben. Auch im siebenjährigen Kriege kämpften Deutsche an der
Seite von Auswärügen gegen Deutsche und zu Anfang dieses Jahrhunderts lastete
eine fast zwanzigjährige Demütigung und zum Teil Unterjochung durch fremde Über-
macht auf Deutschland. Dennoch datteren wir von diesen beiden Ereignissen weit mehr
eine aufsteigende als eine abwärts gehende Bewegung unseres allgemeinen National-
und Kulturlebens.
Was also war es, daß gerade dem dreißigjährigen Kriege diese so furchtbare
Gewalt des Zerstörens aller Grundlagen nationaler Größe, politischer Freiheit, sozialen
gusammenhanges und sittlichen Haltes im deutschen Volke verlieh und ihn zu einem
Wendepunkte in unserer Geschichte machte, dergleichen kaum irgend ein anderes Volk
der Neuzeit auch nur in entfernt annähernder Weise aufzuzeigen hat?
1. Mehrfache Ursachen, in verhängnisvoller Weise zusammentreffend und auf
einen Punkt hinwirkend, brachten dies beklagenswerte Resultat hervor. Zunächst wirkte
schon die lange Dauer des Krieges verhängnisvoll, indem ein ganz neues Ge-
schlecht von Menschen heraufwuchs, das von frühester Kindheit an bis zum Mannes-
alter fast nur mit Anschauungen wilder Greuel groß gezogen wurde.
2. Der m a t e r i e l l e D r u ck, die Körper- und Gemütsleiden, welche die von Freund
und Feind gedrangsalte und gebrandschatzte, oft bis zum Tode gemarterte Bevölkerung
zu erdulden hatte, ward durch die lange Dauer des Krieges dermaßen gesteigert, daß
zuletzt nicht bloß die physischen, sondern auch die moralischen und geistigen Kräfte der
Menschen erschöpfen und alle Sehnen des Widerstandes völlig' erlahmen mußten.
Wir können uns kaum eine Vorstellung von dem Elend machen, welches unsere Vor-
fahren damals erduldet haben, da Scheußlichkeiten der Art, wie sie damals fast täglich
hier und da begangen wurden, Gott sei Dank, jetzt kaum mehr denkbar sind. Doch
die Chroniken der schwer betroffenen Städte und andere zeitgenössische Schilderungen
z. B. im Simplizissimus, geben uns annähernd ein Bild von der damaligen Not
und Drangsal, daß die Menschen zuletzt umhergeschlichen, taumelnd, wie Träumende,
schwarz im Gesicht, als wären sie vom Feuer verbrannt.
3. Näher noch treten wir allerdings dem eigentlichen Herd des Übels, wenn
wir uns vergegenwärtigen, wie der innere Zwiespalt vergrößert, der Haß der
Parteien verschärft ward durch die von beiden Seiten herbeigerufene ausländische
Hülfe. Dies mußte das sittliche Urteil des Volkes irre führen und seinen Patriotis-
mus an der Wurzel angreifen, da der deutsche Protestant in dem Schweden,
der die deutschen Gauen verwüstete, ja in dem Franzo sen, dem gefährlichsten Feinde
seines Vaterlandes, nur den willkommenen Bundesgenossen gegen den ihm weit ver-
haßteren Katholiken im eignen Lande erblickte; der deutsche Katholik dagegen mit
den gleichen schadenfrohen Gefühlen, jeder patriotischen Empfindung bar, dem grau-
samen Wüten der Spanier und wilder Kroaten gegen die eigenen Landsleute zusah —
weil es Protestanten waren. Die Kriegsfurie mußte erst nahezu ein Menschenalter
gewütet haben, Deutschland mußte zur Wüste geworden, das deutsche Volk in seinem
Wohlstände völlig ruiniert sein, ehe das überwältigende Gefühl der allgemeinen Not
den Haß der inneren Parteien wenigstens soweit zum Schweigen brachte, daß einzelne
pawioüsche Sffmmen es wagen durften, an die Nation als ein Ganzes zu appellieren,
sie zum .Zusammenhalten gegen die Ausländer", zum „Hinauswerfen der Fremden
TM Hauptwörter (50): [T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
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Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Deutschland England England Deutschland Schweden Franzo Deutschland
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Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
Geschlecht (WdK): koedukativ
Ii. Kulturbilder aus Welt und Werkstatt.
297
Eine Gesellschaft, die sich früher hierzu gebildet hatte, endete 18-53 mit einem
Bankerott, nachdem das Unternehmen kaum zur Hälfte vollendet war. Da nahm der
Kaufmann Cyrus Field den Ahnen Gedanken einer transatlantischen Telepraphenver-
bindung zwischen Europa und Amerika auf. Ihm gebührt der Ruhm, der eigentliche
Gründer eines Unternehmens zu sein, das an Thätigkeit, Energie, an Geld und Zeit
nicht bloß ganz außerordentliche Opfer in Anspruch nahm, sondern auch einen festen
Glaubm und ein tiefes Vertrauen zu den Fortschritten unserer Zeit erforderte, wie
dies nur in großen Geistern lebt.
Im Sommer 1855 wurde zunächst die Legung eines Kabels zwischen Newfound-
land und Amerika versucht. Dies mißlang indessen, weil ein Smrm das für die
Last des Kabels zu kleine Segelschiff erfaßte und die Mannschaft nötigte, das Kabel
abzuschneiden, um das Schiff zu erhalten. Jedoch im nächsten Jahre gelang es,
das Kabel hier zu legen, womit diese Einleitungsaufgabe gelöst war.
Im Jahre 1856 gründete Field die „^.Hantle Telöaraptt Company“ mit einem
Kapital von über 6 Millionen Mark und nahm die Vorbereitungen der Legung nun
sofort in Angriff.
Die Anfertigung des Kabels wurde zwei englischen Fabrikanten übergeben. An-
fangs Juni 1857 waren die beiden Hälften vollendet, deren Trmisport und Aufwicklung
auf die von der englischen und amerikanischen Regierung zur Verfügung gestellten Schiffe
„Niagara" und „Agamemnon" fast zwei Monate in Anspruch nahm. Der „Niagara"
sollte nun von der irischen Küste aus seine Hälfte bis in die Mitte des Ozeans legen.
Dort wollte man dann eine Verbindung der Kabelenden vornehmen und dem „Aga-
memnon" die Legung bis Newfoundland überlassen. Anfangs ging alles gut. Am
6. August 1857 begann die Legung von der Bucht der kleinen irischen Insel Valentta
aus. Als mau jedoch etwa 600 Irin gelegt hatte, trat am 11. August eine Störung
sehr bedenklicher Art ein und das Kabel riß entzwei.
Über dies Mißglücken des ersten Unternehmens wußte man sich zu trösten. Man
ging sofort auf eiuen im nächsten Jahre neu zu unternehmenden Versuch ein, bestellte
die nöüge Anzahl Kilometer Kabel und benutzte die gemachten Erfahrungen zur Ver-
besserung des Apparats, der das Kabel ins Meer versenken sollte.
Am 10. Juni 1858 steuerten die beiden Schiffe ins Meer. Eine Modifikation
der Legung fand darin statt, daß man diesmal in der Mitte des Ozeans die Ver-
bindung der Kabelhälften vornahm und dann von hier aus den „Agamemnon" bis
Irland, den „Niagara" bis nach Newfoundland legen ließ. Nach einer dreimaligen
Störung und Ünterbrechung mußten die Schiffe unverrichteter Sache nach Irland zu-
rückkehren.
Aber schon im Laufe des nächsten Monats begann man mit dem alten Kabel
einen neuen Versuch, der ohne wesentliche Störung auch richüg vollendet wurde. In
cirka 8 Tagen waren beide Enden von der Mitte des Ozeans aus glücklich auf New-
foundland und Irland angelangt und am 16. August empfing der damalige Präsi-
dent der Bereinigten Staaten, James Buchanan, die erste englische unterseeische Depesche,
den Glückwunsch der Königin Viktoria zu dem herrlich vollendeten Werke.
Leider sollte dieser Triumph nur von kurzer Dauer sein. Es stellte sich bald
heraus, daß die Umhüllung durch die vielen Strapazen, denen es beim Transport,
bei der Verladung und Legung ausgesetzt war, lädiert sein müsse, da es sehr unregel-
mäßig arbeitete und nur ganz schwache Zeichen gab. Nach kurzer Zeit hörten auch
diese schwachen Zeichen auf und mit diesem Verstummen schien auch jede Hoffnung
aus einen neuen glücklichen Versuch zu schwinden. Die englische Regierung verlor den
Akut, ein Unternehmen von so zweifelhaftem Erfolge durch Zinsgarantie zu unter-
stützen. In Nordamerika brach der Bürgerkrieg aus, der den Bestand der Vereinigten
Staaten in Frage stellte. Die Kapitalisten weigerten sich, ihr Geld wiederum aufs
Spiel zu setzen und die ideellen Verehrer des Unternehmens waren dem Gespötte
derer ausgesetzt, die beim Gelingen den Ruhm ihres Zeitalters auch für sich in An-
spruch zu nehmen pflegen.
Nur einen Mann gab's, den Thatkraft, Opfermut und moralischer Willen nimmer
verließ, dies war Cyrus Field, der Ünermüdliche.
Im Jahre 1863, noch mitten im Kriegsjahre Nordamerikas nahm Field wiederum
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Extrahierte Personennamen: Cyrus August August August James_Buchanan Cyrus_Field Cyrus
Extrahierte Ortsnamen: Europa Amerika Newfound- Amerika Irland Newfoundland Irland Irland Königin_Viktoria Nordamerika Nordamerikas
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Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
Geschlecht (WdK): koedukativ
362
Ii. Kulturbilder aus Welt und Werkstatt.
über die Seine und ihre Arine. Paris liegt auf beiden Ufern dieses
300 in breiten Flusses, der schönere Teil auf der nördlichen Seite und
hier die bekannten Königs- und Kaiserschlösser, die Tuilerien, Louvre,
Palais Royal u. a., die Kirchen (über 300), die Theater, die Denkmäler,
die großen Markthallen, die Brunnen, die öffentlichen Gärten und Spazier-
gänge — alles ist großartig und prächtig. Schaulust ist der gewaltige
Götze, der hier seinen Weltthron hat. Paris ist die Gebieterin der Mode
für die ganze gebildete Welt. Der Franzose liebt das Theatralische, die
ganze Nation will sehen und sich sehen lassen; sogar ihre Tapferkeit bedarf
des Ruhmes, der Bewunderung, um zu bestehen. Gloire ist das Zauber-
wort der französischen Nation. Schon im Knaben steckt das; daher ist
jeder Franzose ein geborener Soldat. So erinnern auch die Namen der
Hauptbrücken, der neuen Straßen, der schönen Plätze an gewonnene
Schlachten, an den Ruhm der großen Nation.
Die Menge der Spaziergänger in Festkleidern auf den Boulevards,
die Menge der Fahrenden im höchsten Putz, in eleganten Kutschen aller
Art, die Menge der Genießenden in den Kaffeehäusern und den vielen
Vergnügungsorten, — das alles sieht aus, als sei man hier nur zur
Lust, nur zum Genießen auf der Welt. Dies sind übrigens meist Fremde
und Vornehme, der Pariser spart das für den Sonntag auf. Und auch
nur in den eleganten Stadtteilen ist es so; denn solche Weltstädte haben für alles
besondere Gebiete: für die vornehme Welt, für die gelehrte Welt, die
Fabrikwelt, die große Handelswelt. In der inneren Stadt ist ein Kauf-
laden an dem andern, immer schöner als der andere; die eigentliche Arbeits-
welt wohnt in den Vorstädten, wo die größte Thätigkeit in allen Gewerben
herrscht.
Paris ist auch die erste Fabrikftadt Frankreichs, am meisten freilich
für die unzähligen Luxus- und Modewaren, mit denen es die ganze Welt
versorgt. Auch eine der bedeutendsten Handelsstädte des Reiches und
ebenso die erste und fast in ganz Frankreich die einzige Stadt der Gelehr-
samkeit und der Kunst, der Mittelpunkt der geistigen Kultur, des geistigen
Lebens von Frankreich. Paris giebt in allem den Ton an, bis auf die
Straßenrevolutionen und Empörungen hinaus. — In den Museen und
Galerieen sind unendlich reiche Kunstsammlungen aller Art, im Louvre ist
eine der herrlichsten Gemäldesammlungen der Welt. Schon die vielen
interessanten Gebäude sind wie eine Geschichte von Paris und ganz Frank-
reich. In der That, Paris hat eine Fülle der Erinnerungen, der Denk-
mäler, der Prachtpaläste, der glanzvollen Plätze, wie wenige Städte der
Erde.
In Paris ist Tag und Nacht keine Ruhe. Fährt von ihren Ver-
gnügungen die vornehme Welt in ihren Equipagen nachts um 2, 3 Uhr
nach Hause, so fahren schon die Karren der Landleute in die Stadt hinein,
um ihre riesigen Märkte wieder auf einen Tag mit Lebensmitteln zu ver-
sorgen. Ja was muß allein der Stadt tagtäglich an Lebensmitteln zuge-
führt werden, die an Einwohnerzahl dem Königreich Würtemberg gleich-
steht. Und was es heißt, die tägliche Zufuhr abgeschnitten zu sehen, das
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Extrahierte Ortsnamen: Paris Paris Paris Frankreichs Frankreich Frankreich Paris Frank- Paris Paris Königreich_Würtemberg
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Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
Geschlecht (WdK): koedukativ
in. Bilder aus der deutschen Geschichte.
505
um einen Teil der Kriegssteuer an Frankreich zu bezahlen. Die ruhige,
gefaßte Würde des Königs, die herablassende, mildthätige, herzerquickende
Freundlichkeit der Königin mit ihren damals schon fünf Kindern, brachten
in Memel eine enthusiastische Anhänglichkeit hervor, welche das Königspaar
für so viel Kleinsinn, Maltherzigkeit und Verrat an andern Orten ent-
schädigte.
Die Reform des Staates legte der König vorzugsweise in die Hände
zweier Männer — Stein und Scharnhorst —, die für immer der Stolz
und die Zierde des Vaterlandes sein werden.
Stein's Reformen wurden von einem großen Gedanken getragen: Es
galt ihm, ein wahrhaft deutsches Staatswesen herzustellen, gegründet auf
ein freies Bürgertum, gestützt und getragen durch die Selbstregierung der
Gemeinde und Provinzen, vergeistigt durch die echte Freiheit auf den Fun-
damenten der Gesetze. Denn erst dann, wenn die drückenden Vorrechte
der wenigen abgeschafft und vor dem Gesetze alle gleich gestellt würden,
wenn jeder an der Verwaltung der Gemeinbesachen und dadurch an der
Lenkung der Geschicke des ganzen Staates mit Rat und That teilnehme
und eine ständische Volksvertretung den Thron umgebe, dann erst werde
die Nation rechte Liebe zum Vaterlande und unbezwingliche Kraft zu dessen
Verteidigung bekommen. Seine Staatskunst hatte, wie er selbst sagt, den
Endzweck, „einen sittlichen, religiösen, vaterländischen Geist in der Nation
zu heben"; zugleich sollte sie ihr wieder Mul, Selbstvertrauen, Bereit-
willigkeit zu jedem Opfer für die Unabhängigkeit und für die Nationalehre
einflößen, um bei der ersten günstigen Gelegenheit den blutigen wagnis-
vollen Kampf für beides zu beginnen. Stein's Reformen waren daher
der Anfang zur Kriegsrüstung und deren bestes Stück.
Mit außerordentlicher Vollmacht betraut (am 5. Oktober 1807), das
Staatswesen volkstümlich umzugestalten, fand Stein für sein großes Werk
auch treffliche Gehülfen. Es gab unter den preußischen Beamten tüchtige
Männer genug, sie waren nur bisher nicht zu gehöriger Geltung und
Verwendung gekommen. Stein wußte sie zu würdigen und sie arbeiteten
ihm aufs beste in die Hände, vor allen die Minister und Räte v. Schön,
v. Schrötler, v. Vincke, Stägemann, Niebuhr u. a. Sie hatten die Re-
formen, die not thaten, längst gewußt und gar manche zur Sprache und
zu Papier gebracht; aber das Gewünschte war Wunsch, das Vorgenommene
Entwurf geblieben; jetzt bekam alles Wirklichkeit und Leben. Denn Stein
konnte durchsetzen, was er wollte; er stand allein und fest am Steuer.
Die erste große Verbesserung galt dem Zustande der Landbevölkerung,
die noch größtenteils in mittelalterlicher Unfreiheit schmachtete. Am 9. Ok-
tober 1807 erschien das „Gesetz über den erleichterten Besitz
und den freien Gebrauch des Grundeigentums", welches
schon fertig vorlag und Stein's vollständige Billigung gefunden hatte.
Darnach waren fortan zum eigentümlichen und Pfandbesitz unbeweglicher
Grundstücke alle Einwohner des Staates berechtigt. Jeder Edelmann
durfte bürgerliche Gewerbe treiben, jeder Bürger in den Bauernstand,
jeder Bauer in den Bürgerstand treten. Es ward gestattet, Grundstücke
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TM Hauptwörter (100): [T41: [Staat Recht Volk Adel König Land Verfassung Gesetz Stand Verwaltung], T98: [Volk Land König Krieg Zeit Feind Mann Macht Freiheit Kaiser], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T72: [Bauer Arbeiter Steuer Jahr Stadt Staat Abgabe Gemeinde Land Verwaltung]]
TM Hauptwörter (200): [T35: [König Bismarck Wilhelm Kaiser General Minister Stein Berlin Graf Moltke], T54: [Staat Zeit Volk Deutschland Leben Reich Jahrhundert Macht Entwicklung Gebiet], T33: [Gott Liebe Mensch Herz Leben Volk Ehre Vaterland gute Zeit], T145: [Bauer Adel Land Stadt Bürger Herr Stand Recht Gut König], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen]]
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Geschlecht (WdK): koedukativ
Iii. Bilder aus der deutschen Geschichte
511
198. Hoher Aufschwung Preußens.
Der Würfel war gefallen: Preußen hatte am 16. März 1813 dem
gewaltigen französischen Imperator den Krieg erklärt. Es handelte sich
um Sein und Nichtsein und nur die ausdauernde Kraft des Volkes konnte
den Sieg verleihen. Da der Monarch zu seinem eigenen Bestehen diese
Kraft vor allem nötig hatte, so hielt er es für erforderlich, vom Throne
herab zu seinem Volke zu sprechen, das erste Mal, so lange Preußen be-
stand, daß ein König desselben sich unmittelbar an die Nation wandte.
Es geschah dies durch den bekannten Aufruf: „An mein Volk!" Bres-
lau, den 17. März, in den Berliner Zeitungen bekannt gemacht unterm
23. März. Der Aufruf durfte nicht die Form eines Befehls, nichts von
einem Kurialstil an sich tragen, an dessen Schwerfälligkeit alle deutschen
Erklärungen bisher gekrankt hatten. Vor allen Dingen durfte er keine
Unwahrheiten enthalten, von denen bisher kaum ein einziges Aktenstück srei
gewesen. Wahr, tief und warm mußte zu dem Volke gesprochen werden,
und diese notwendigen Anforderungen sind in dem Aufrufe beobachtet
worden: „Brandenburger, Preußen, Schlesier, Pommern, Litauer! Ihr
wißt, was ihr seit fast sieben Jahren erduldet habt. Ihr wißt, was
euer trauriges Los ist, wenn wir den beginnenden Kampf nicht ehrenvoll
enden!" war eine inhaltschwere Mahnung, sowie „daß es keinen anderen
Ausweg gäbe, als einen ehrenvollen Frieden oder einen ruhmvollen Unter-
gang." Aber der Aufruf war auch darauf berechnet, den Kampf bis auf
das alleräußerste zu führen, und wie die Würfel des Schicksals fallen
möchten, auf wie viel Schlachtfeldern man sich auch herumzuiummeln haben
werde, gemeinschaftlich bis zum Ende auszuharren. „Selbst kleinere Völker
sind für gleiche Güter gegen mächtigere Feinde in den Kampf gezogen und
haben den Sieg errungen: erinnert euch an die heldenmütigen Schweizer
und Niederländer," sagt der Aufruf. Also Völker, die gegen ihre legiti-
men Herrscher aufgestanden waren, wurden als nachahmenswerte Muster
empfohlen, unbekümmert um die Entfesselung des Volksgeistes, nur trach-
tend, die äußerste Volkskraft auf den Kampfplatz zu führen. „Große Opfer
werden von allen Ständen gefordert werden," bekennt der König, „ diese
aber wägen die heiligen Güter nicht auf, für welche gestritten und der Sieg
errungen werden muß." Als Versprechen und Ergebnis! wird freilich nichts
Anderes hinzugefügt, als „nach errungenem Siege ein sicherer und glor-
reicher Friede und die Wiederkehr einer glücklichen Zeit."
Auch an das Kriegsheer fand der König für notwendig, zu derselben
Zeit einen Aufruf zu richten. Er ist kernhaft, würdig und seinem Zwecke
vollkommen angemessen. Am Schluffe sagt er, er, der König, bleibe stets
beim Heer, mit ihm der Kronprinz und die Prinzen des Hauses. Sie
und das ganze Volk würden mit ihnen kämpfen und ihnen zur Seite
ein zu Preußens und Deutschlands Hülfe gekommenes tapferes Volk (die
Russen).
Auch die Verordnung über die Bildung der Landwehr und des Land-
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