470 Xxii. §. 14. Wiedererhebung Frankreichs rc.
Reich hineinspielte, in seine eigne Hand zu bringen und zugleich die
schönen italienischen Länder des Papstes zu gewinnen wünschte? Doch
nicht auf diese Weise sollte die alte Weltmonarchie wiederher-
gestellt werden. Sie sollte überhaupt nicht wiederkehren. Nur das
sollte geschehen, daß die bedeutendsten und religiös angeregtesten Völker
der europäischen Christenheit, daß Deutschland und die Niederlande mit
Spanien und Italien noch einmal unter denselben Scepter gebracht
wurden, damit der große Geisterkampf, der jetzt bevorstand, auf eine
ehrliche und gründliche Weise zwischen ihnen könnte zu Ende gekämpft
werden, wie es denn ja auch geschehen ist.
$. 14. Wiedererhebung Frankreichs als Deutschlands
Widerpart und Verderben der Schweiz.
Indem wir die Gesammtheit der Länder überschauen, welche beim
Beginn der Reformation durch das gemeinsame Herrschergeschlecht
wieder mit einander in Berührung, in die engste Verbindung getreten
sind, fällt es uns sogleich auf, daß der alte Gegner Deutschlands,
daß Frankreich auch jetzt noch in seiner vereinzelten und feindlichen
Stellung bleibt und der gesummten übrigen abendländischen Christen-
heit als ein losgesondertes Glied gegenübertritt. Auch dem fränki-
schen Volke sollte das reine Evangelium wieder angeboten werden,
oftmals, reichlich, dringend; es sollten auch viele einzelne Seelen
durch die lautere Predigt dem Verderben entrissen werden, wiewohl
das Volk als Ganzes durch den bewußten und grimmigen Wider-
stand gegen das Wort Gottes erst völlig zu der antichristischen Stel-
lung und zu dem Verderben heranreifte, dem es vor unseren Augen
entgegengeht. Aber aus dem Schooße Frankreichs konnte keine
Kirchenresormation selbständig hervorgehen, die deutsche Reforma-
tion blieb den romanischen Völkern fremd und reizlos. Es fand sich
aber ein anderer Boden, der, obwohl ursprünglich Deutschland ange-
hörig und mit deutschem Wesen gesättigt, doch seit längerer Zeit schon
in gefährlicher Weise nach Frankreich hinüberneigte. Hier bildete
sich eine zweiter Quell- und Mittelpunkt der Reformation, und neben
der deutschen, germanischen Reformation in Sachsen begründete sich
eine welsche, romanische Reformation in der Schweiz. Nicht
so schnell waren die bedenklichen Folgen der allmäligen Los-
reißung aller schweizer Cantone von den angestammten deut-
schen Gewalten und althergebrachten Verpflichtungen sichtbar ge-
worden. Ein halbes Jahrhundert hindurch hatten die verbundenen
Schweizer nicht bloß den Ruhm unvergleichlicher Tapferkeit, ja Un-
überwindlichkeit, sondern auch echter deutscher Treue und Biederkeit,
TM Hauptwörter (50): [T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T34: [Krieg Frankreich England Deutschland Preußen Frieden Rußland Napoleon Kaiser Jahr], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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Extrahierte Ortsnamen: Frankreichs Deutschland Niederlande Spanien Italien Frankreichs Deutschlands Schweiz Deutschlands Frankreich Gottes Frankreichs Deutschland Frankreich Sachsen Schweiz
Xxv. §. 10. Deutschlands sittliche und politische Wiedergeburt. 621
den, ehe es um uns anders wird. War auch das Ziel, das zu errei-
chen sei, noch völlig unklar, so war doch schon das ein großer Gewinn,
daß man anfing, sich nach etwas Besserm zu sehnen. Und noch ein
anderer Gewinn ging damit Hand in Hand, in den sittlichen Zu-
ständen der deutschen Nation. Wie war man auch da auf der einen
Seite so gar reich und satt gewesen und glaubte nichts zu bedürfen;
und auf der andern Seite bei erkanntem Verderben so gleichgültig, lau
und träge und wollte nichts abändern lassen an den althergebrachten
verkommenen Zuständen. Welch ein Segen nun, daß man einmal
das Brod der Thränen essen mußte, daß die freche Rüuberhand den
Reichthum und die Ueppigkeit hinweggenommen hatte, mit der man
sich so schwer versündigte. Welch ein Segen, daß auch die Trägsten
einmal aufgeweckt wurden aus ihrem Schlendrian, daß die Fürsten und
Regierungen erkannten, hier handle es sich um Leben und Dasein.
Hundert ehemalige kleinere deutsche Herrscher, Grafen und Aebte, Für-
sten und Ritter waren wie mit Einem Schlage zermalmt, über jedem
Haupte hing das Damoklesschwert. Und wie stand es um die Liebe
ihrer Unterthanen? Sie harren sie fast alle verscherzt und durften bei
ihnen auf keinen Eifer zur Erhaltung ihres Thrones und Hauses rech-
nen ■— da mußte Wandel geschasst werden. Das begriss man an kei-
nem Ort so schnell und gründlich wie innerhalb des hohen und erlauch-
ten Fürstenhauses der Hohenzollern. War Preußen am tiefsten
von den Schlägen des Gewalthabers in den Staub gebeugt, so hat es
auch am ehesten erkannt, wo der Schaden liege und wie zu helfen sei.
Was ist durch die großen Staatsmänner Stein und Hardenberg
nicht alles aufgeräumt unter den unsittlichen, verkommenen, lähmenden
Einrichtungen im preußischen Staate. Vielleicht im ersten Eifer zu
viel, so daß eine spätere Zeit Manches hat wieder aufnehmen müssen.
Wie ist der Bauernstand, wie sind die Städte gepflegt und gehoben,
wie trefflich sind die Verwaltungsbehörden eingerichtet, vor allen Din-
gen welch eine Heereskraft ist in den wenigen Jahren, fast unbemerkt
vor den Argusaugen des toddrohenden Verfolgers entwickelt. Es war,
wie wenn hier und da und aller Orten eine Anzahl Pulvertonnen be-
dächtig gefüllt würden — nur ein Signal, ein Funke und allüberall
brechen unter furchtbarem Krachen die Flammen hervor und verschlin-
gen und vernichten Alles, was sich sicher und sorglos in ihrer Nähe
hielt.
§. 10. Deutschlands sittliche und politische Wieder-
geburt.
Und endlich kam die Zeit, die große, die denkwürdige Zeit, da
der Herr das Seufzen der Elenden erhörte und seine Herrlichkeit of-
fenbarte und Rechnung hielt mit dem übermüthigen Werkzeug seiner
Gerechtigkeit und es zu Boden stürzte, zerschlug und zerschmetterte. Na-
poleon's unersättliche Eroberungsgier war zu einer unheilbarenkrank-
heit bei ihm geworden. So lange er noch fremde und unabhängige Für-
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622 Xxv. §. io. Deutschlands sittliche und politische Wiedergeburt.
sten neben sich sah, konnte er seiner bisherigen Eroberungen nicht ftoh
werden. Nicht belehrt durch das Beispiel Spaniens, wo die gereizte,
bis zur Tigerwuth gesteigerte Volkskraft ihm ein Heer nach dem an-
dern vernichtete, und heute scheinbar zu Boden gestreckt, morgen desto
gefährlicher und grimmiger wieder hervorbrach, glaubte er, daß seinem
Feldherrntalent und Glücksstern nichts unmöglich sei. Was war denn
noch auf dem europäischen Festland, das ihn reizen konnte? Denn
auf dem Festlande mußte es sein; Englands Jnselreich blieb ihm
unantastbar. Der schmale Meeresarm zwischen Frankreich und Eng-
land bildete damals eine unübersteigliche eherne Mauer, die aller Wuth
und toddrohendem Verderben des Weltbezwingers spottete. Wie oft
hatte er eine Landung, einen Einbruch in England angekündigt, wie
lange und mühselig Alleö dazu vorbereitet; aber er ist nie damit zu
Stande gekommen. Das Meer war sein Element nicht. An Schiffs-
macht waren ihm die Engländer entschieden überlegen. Sie belager-
ten ihn fast in seinen Häfen, sie vernichteten den ganzen französischen
Seehandel, sie zerstörten ihm seine Flotten, sie nahmen alle französi-
schen Colonieen weg: sie reizten alle seine Feinde unaufhörlich durch
Geldsendungen und Hülfleistungen, in Spanien und Portugal hatten
sie ihre Truppen dem erbitterten Volke zu Hülfe gesandt. Was konnte
Napoleon gegen sie machen? Um ihnen einen gewaltigen Schlag bei-
zubringen, verbot er allen Staaten Europa's den Handel mit Eng-
land, englische Maaren ließ er wegnehmen und verbrennen. Der thö-
richte Mann bedachte nicht, daß er durch solches Verbot seine eignen
Unterlhanen am schwersten traf, zugleich aber einer ungeheuren und
unvermeidlichen Schmuggelei die Thüren öffnete, die am Ende doch
den Engländern Vortheil bringen mußte. Oestreich und Preußen nebst
den übrigen kleineren Staaten hatten sich diesem Machtgebot des Kai-
sers fügen müssen. Oestreich war ohnehin durch den letzten Krieg
(1809) gänzlich vom Meer abgeschnitten und Preußen war der
Willkür des stolzen und ungerechten Ueberwinders völlig preisgege-
den. Aber daß das mächtige und noch unüberwundene Rußland
sich ebenfalls zum Gehorsam gegen solch schmachvolles, den eignen
Handel zerstörendes Decret herbeiließ, mag uns billig Wunder neh-
men. Napoleon hatte sein „Continentalsystem" dem Kaiser von Ruß-
land im Frieden von Memel (1807) aufgedrungen, und Kaiser Alex-
ander hatte es bis dahin für nützlich erachtet, mit dem mächtigen
Eroberer gute Freundschaft zu halten, war auch 1808 zu einer per-
sönlichen Unterredung mit Napoleon in Erfurt zusammengekommen
— die beiden fremden Kaiser mitten in Deutschland gleich als in
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Extrahierte Personennamen: Napoleon Oestreich Oestreich Napoleon Napoleon
Extrahierte Ortsnamen: Deutschlands Spaniens Englands Frankreich England Spanien Portugal Erfurt Deutschland
Xxv. §. 10. Deutschlands sittliche und politische Wiedergeburt. 025
Kräfte, seine Person, sein Leben, sondern sein Letztes und Bestes, sein
Größtes und Schönstes gab Jeder freiwillig und freudig hin, nicht um
desto größere Belohnungen zu erwerben, nicht um den angeborenen Tha-
tendurst zu befriedigen, nicht um die auch sonst gewohnte Lebensweise
nur auf einem andern Schauplatz weiter zu führen, nicht um aus
drängenden äußeren Verhältnissen sich zu retten — nein nicht für sich,
nicht für die Seinigen — für Freiheit und Recht, für König und Va-
terland opferte ein Jeglicher auf, was er hatte oder was er hoffte.
Familienvater ihre feste Stellung, ihren ruhigen Besitz, ihr Geschäft,
ihre Verbindungen, die gewohnten Lebensgenüsse, den Umgang mit
Weib und Kind, Jünglinge ihre Aussichten, ihren eben angetretenen
Beruf, ihr höchstes Erdenglück, ihre bräutliche Liebe. Greise kamen
aus ihrem behaglichen Ruhewinkel, Knaben von ihren Schulbänken
und Spielplätzen. Da stellte sich der Regierungsbeamte neben den
Bauer und Tagelöhner, da reihte sich der gelehrte Professor dem Hand-
werker an; es war nur ein Gefühl, nur ein Gedanke in Allen, und
darin waren sie Alle gleich: hinaus, hinaus, zum Kampf für deutsche
Ehre, deutsche Freiheit, deutsche Sitte, deutsche Zucht. O wie schwol-
len da die Herzen beim Klange der kriegerischen Hörner, höher noch
beim Gesang jener urkräftigen Freiheitslieder eines Arndt, Körner,
Fol len, Schenkendorf. Da wehrte keine Mutter ihrem Sohne,
keine Braut ihrem Geliebten fortzuziehen; sie grämten sich nur, daß
sie die Themen nicht begleiten konnten. Daheim aber, was schwach
und gefesselt zu Hause bleiben mußte, das gab doch Alles, auch das
Letzte hin, den letzten Schmuck, das letzte Pferd, das letzte Kleid, daö
letzte Brod, daß es den ausziehenden Freiwilligen nicht fehle. So
ward ganz Preußen ein Waffenlager, und mehr als das, es ward
eine große, große Betkammer. Wie haben da die Alten und die
Jungen wieder beten gelernt, zu Hause und im Heere, wie war ihr
ganzes Herz dabei und drängte und stürmte das ewige Gottesherz,
daß doch endlich, endlich das Elend sich wenden und Sieg und Se-
gen wiederkehren möge. Aber derherr machte es auch hier wie er eö
immer macht. Nicht dem ersten, gleichsam versuchsweisen Bitten, Ru-
fen und Anklopfen läßt er eö sofort gelingen, sondern erst wo die Sehn-
sucht und das Verlangen zugleich mit der Erkenntniß der eignen Ohn-
macht tief unter sich gewurzelt hat und eine unwiderstehliche Macht
geworden ist, erst da öffnet er die Gnadenthür, und laßt nun erst die
Fluth seiner Segnungen Welle auf Wette Hereinbrechen.
So ging's den Preußen. Nach den ersten leichten Erfolgen gegen die
Franzosen, die nur dazu dienen sollten, die Begeisterung zu nähren, die
v. Rohden, Leitfaden. ^0
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern]]
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Xxv. §. 11. Entwicklung neuer Gegensätze. 637
scharfe und tiefgreifende Gegensätze in den Gemüthern, die bisher
noch nicht überwunden sind und schwerlich noch je wieder überwun-
den werden. Zwar jene erste Unzufriedenheit der deutschen Jugend,
namentlich der studirenden Jünglinge und ihrer Lehrer, die selbst in
den Freiheitskämpfen mitgefochten und jetzt statt eines einigen großen
und mächtigen Deutschlands in mittelalterlicher Herrlichkeit, wie sie es
gehofft und erträumt hatten, nur einen schwächlichen Staatenbund ent-
stehen sahen — die ist nachher bald und mit großer Schärfe unter-
drückt, und leider hat man dabei das Kind mit dem Bade ausgeschüt-
tet. Aber eine andere politische Unzufriedenheit und steigender Gegen-
satz gegen die Maßregeln der Regierung ließ sich nicht so schnell un-
terdrücken trotz aller von Jahr zu Jahr verschärften Unterdrückungs-
versuche. Das waren die Forderungen der sogenannten Liberalen, d. h.
der Leute, welche auch nach der Franzosenverjagung doch innerlichst
von französischen Ideen und Anschauungen geknechtet blieben und sich
keine andere Volksbeglückung denken konnten, als durch Verfassungen
nach französischem Muster. In Deutschland hatten von Alters her
die Fürsten mit den Ständen regiert, und so war denn auch auf
dem Wiener Congreß 1814 allen deutschen Staaten die Wiederher-
stellung der alten ständischen Verfassung versprochen. Das mochte
nun wohl seine Schwierigkeit haben, denn durch Willkürherrschaft
der meisten deutschen Fürsten nach Ludwig's X!V. Muster, dann
durch die Revolution und Napoleon's Alles verwirrendes Dazwi-
schenfahren waren die alten Stände in den meisten Landschaften so
gut wie verschwunden, wußten wenigstens nichts mehr von ihren alten
Rechten und Pflichten, und das Wohl des Landes schien in ihren
Händen nicht zu§t besten aufgehoben. Man machte hie und da Ver-
suche mit Wiederherstellung oder neuer Einführung der Landstände,
aber sie geriethen übel und gaben den Liberalen Vorwand und Anlaß
genug, um die französischen Einrichtungen als allein segenbringend
für daö Volk zu preisen. Und worin bestand denn eigentlich die be-
glückende französische Verfassung? Es war nichts Anderes, als ein
Abklatsch jener unglücklichen „Charte" von 1789, die der auf's Aeu-
ßerfte gedrängte Ludwig Xvi. damals den Ständen oder der Na-
tionalversammlung vorlegte, um durch freiwilliges Nachgeben ihre un-
sinnig übertriebenen Forderungen wo möglich zu dämpfen und abzu-
kaufen. Darin waren nämlich statt der Stände zwei Kammern von
unterschiedlos erwählten Abgeordneten bewilligt, die jährlich vom Kö-
nig einberufen werden mußten, nicht bloß um jedes Jahr die Befteu-
rung des Landes neu zu bestimmen, sondern auch um alle zu erlassen-
TM Hauptwörter (50): [T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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Extrahierte Personennamen: Ludwig_Xvi Ludwig
Extrahierte Ortsnamen: Deutschlands Deutschland Ludwig's
Xxv. §. 13. Nordamerikanische Zustände. 66z
weise von aller kirchlichen Gemeinschaft lossagen sollten (schlimmer ist
es mit den eingewanderten Deutschen, die sich meist freuen, dem ver-
meintlichen kirchlichen Zwang ihrer Heimath entronnen zu sein); aber
dennoch ist die Zahl Derjenigen überaus groß, die entweder gar nicht
getauft oder nicht confirmirt sind und nie in ihrem Leben das heilige
Abendmahl genießen. Die Zahl aller Communicanten in sämmtlichen Kir-
chen und Gemeinden Nordamerika's beläuft sich, heißt es, höchstens auf fünf
Millionen; das wäre kaum der fünfte Theilder Gesammtbevölkerung. Und
auch von diesen Communicanten muß man sagen, daß viel Lausende
unter ihnen kein Haar besser sind, als die schlimmsten Weltmenschen.
Allein dies ist bei Weitem nicht der wundeste Punkt im kirchlichen Le-
den der Amerikaner, denn die Zustände in den protestantischen Ländern
Europa's sind ja zum Theil noch viel schlimmer. Auch mit dem dort
eindringenden Katholicismus steht es nicht so sehr schlimm, und der
Kampf gegen ihn wird in Amerika meist siegreicher geführt als in
Europa, weil ihm dort die altgeschichtlichen Grundlagen fehlen und
keinerlei Staatsmächte da sind, die ihm Vorschub leisten. Eben so dür-
fen wir über die immer noch fortdauernde Duldung der Greuelwirth-
schaft des Sklavenwesens in den südlichen Staaten nicht allzu hart ur-
theilen, denn es ist eben ein von Alters her vererbtes Uebel, und es
ist leichter zu sagen, daß es entfernt werden muß, als Mittel anzuge-
den, wie es zu entfernen ist, ohne Staat und Kirche, ohne Herren
und Sklaven, Weiße und Schwarze in die allerbedenklichste Krisis zu
stürzen. Auch manches Andere, was uns sehr grell und schneidend
in den kirchlichen Zuständen der Amerikaner entgegentritt, wie z. B. der
lasterhafte Unsinn des Mormonismus, dürfen wir doch nicht als Kenn-
zeichen des christlichen Lebens in Amerika überhaupt ansehen, sondern
nur als ein böses Geschwür, das sich dort angesetzt hat und früher oder
später jedenfalls aufgestochen werden wird. An den weiter verbreiteten
Teufelsspuk des Geisterklopfens und Tischrückens und sonstiger Zauber-
wirthschaft dürfen wir gar nicht mal allzu stark erinnern, denn leider
haben wir Europäer, ja wir besonnenen Deutschen, auch diese Tollhei-
ten mit höchster Begeisterung von dorther aufgenoimnen und nachgeäfft.
Was aber schlimmer als das alles und von viel weiter greifenden
Folgen ist, das ist die protestantischezerrissenheit, diespaltung in eine
fast unglaubliche Zahl von kleineren oder größeren Kirchen, Secten,
Parteien und Denominationen, die sich von Jahr zu Jahr, man möchte
sagen, von Tage zu Tage vervielfältigen, und in's Unendliche sich zu
steigern drohen. Dadurch werden nicht bloß die schon bestehenden Ge-
meinden, sondern die einzelnen Familien in kläglicher Weise beunruhigt
und zerriffen, und das ganze Land mit einer höchst verderblichen, wahr-
haft heillosen kirchlichen Fehde, mit einem beständigen Kriege Aller
gegen Alle erfüllt. Und wären nur noch die Mittel da, um solche
Fehden in gründlicher und erschöpfender Weise zu Ende zu bringen!
Aber bei der Zerrissenheit und Zerstückelung der Kirchen und bei der
allgemeinen Richtung auf das Aeußere, ist es kaum möglich, für allsei-
tige gründliche Durchbildung der Theologen, für Heranbildung tüchti-
ger und wahrhaft zum Himmelreich gelehrter Geistlicher zu sorgen.
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28 ni. §. 5. Spuren des wahren Glaubens in Aegypten.
langen, durch vielfache Fieberparorhsmen unterbrochenen Abnehmungs-
krankheit von fast 800 Jahren fremden Eroberern vollends zur Beute
fiel. Wir werden sehen, wie darnach Gott der Herr noch einmal und noch
einmal sich den Aeghptern geoffenbart, und sein Heil ihnen dargeboten hat.
Aber wir wissen schon, der Erfolg war kein anderer, als daß es nach
einem kurzen herrlichen Sonnentage wieder in die alte Nacht und Fin-
sterniß zurückgesunken ist.
§. 5. Spuren d es wahren Glaubens in Aegypten.
Auf die Masse des ägyptischen Volks machte die große Offen-
barung Gottes bei der Ausführung seines auserwählten Geschlechts
aus dem Diensthause wenig nachhaltigen Eindruck. Aber sollten sich
denn gar keine Spuren unter den Aegyptern finden von suchenden
und angeregten Seelen, welche sich durch die gewaltigen Predigten
Gottes mit herausziehen ließen aus der heidnischen Finsterniß, die sie
umgab, und dem Gott Jsrael's anhingen? Es finden sich wirklich
solche Spuren. Dürfen wir vielleicht schon des Pharao's Tochter zu
ihnen rechnen? Die heilige Geschichte berichtet uns mitten unter
den Strafgerichten, die Schlag auf Schlag auf das unglückliche Land
fielen, von solchen Knechten Pharao's, die des Herrn Wort fürch-
teten, im Gegensatz zu den übrigen, die sich nicht kehrten an deö
Herrn Wort (2 Mos. 9, 20. 21). Ja, es zog auch mit den Israe-
liten aus Aegypten heraus viel Pöbelvolk mit ihren Schafen und
Rindern und sehr viel Vieh (2 Mos. 12, 38. 3 Mos. 24, 10.
4 Mos. 11, 4). Was waren das für Leute, und weshalb zogen
sie mit? Verachtete Leute scheinen sie in Aegvpten gewesen zu sein,
aus den niedrigsten Kasten, vielleicht auch Ausgestoßene und Sklaven.
5 Mos. 29, 11 erscheint das ägyptische Pöbelvolk als arm und die
niedrigsten Dienste verrichtend. Wir finden auf den Denkmälern
etliche Aegypter den arbeitenden Israeliten völlig gleichgestellt und
gleich ihnen als Sklaven behandelt (wie die Parias in Indien).
Da war es kein Wunder, daß viele von diesen mit ihren Leidensge-
fährten ihr Vaterland verließen. Aber immer war es doch ein Gro-
ßes, sich von ihrer religiösen Gemeinschaft, Heimath und Umgebung
zu trennen, und mit dem Volk Gottes zu ziehen. Denn sie mußten
ja ihren Göttern den Abschied geben und den Dienst deö wahrhafti-
gen Gottes annehmen. Soll man nicht meinen, daß unter diesen
Armen und Geringen doch manche Seele gewesen ist, welche in Wahr-
heit den Herrn, den lebendigen Gott suchte, mit aufrichligem Herzen
den Götzen den Abschied gab, und sich im Glauben dein geoffenbar-
ten Gott Abraham's, J saac's und Jacob's zuwendete? Frei-
lich es waren keine Heiligen. Ihr Ruhm 4 Mos. 11, 4 ist nicht
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T26: [Gott Christus Christ Volk Herr Jahr Kirche Land Zeit Jude], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T95: [Bewohner Sprache Volk Land Bevölkerung deutsche Stamm Religion Neger Einwohner], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit]]
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Vi. §• 7. Auflösung und Zerstreuung des Gottesvolks. 67
Volk Israel für seinen Abfall zu strafen und zur Buße zu leiten, und
auch zur selben Zeit es den Heiden noch einmal und wirksamer als
bisher zum Segen zu setzen und die Strahlen des ewigen Lichtes
durch das Volk Israel abermals weit in die heidnische Fisisterniß zu
verbreiten? Allerdings. Der göttlichen Weisheit fehlt es nimmer an
Mitteln und Wegen, wo es gilt, den ewigen Heilsplan zu erfüllen
und die Menschheit zum Heil zu rufen. Eben jetzt traf der Herr
seine Vorbereitungen zll einem neuen Wunderwege seiner Barmherzig-
keit. Dieser Weg war kein anderer als: das Volk Israel in seiner
Gesammtheit aufzulösen, es als ein Ganzes, ein zusammenhängendes
Reich zu nichte zu machen, und die vereinzelten Juden über die Län-
der hin zu zerstreuen und unter die Heiden zu vertheilen. Wo sie
auch nur hinkamen, predigten sie dann, wenn auch nicht mit ihrem
Munde, so doch durch ihr Dasein und ihr Schicksal von der Gnade
und dem Gericht des heiligen und allmächtigen Gottes und verkün-
digten die Nichtigkeit der Götzen, denen sie gedient hatten, und die
Eifersucht des starken Gottes, den sie verworfen, durch ihr eignes
Elend.
Durch diese Führung des Volks Israel in die Gefangenschaft
und Knechtschaft der Heiden ward die allzusehr in den Hintergrund
getretene Idee der Erlösung wieder auf's Neue in dem Bewußt-
sein der Völker lebendig gemacht. Aus Aegypten hatte der Herr
Israel erlöset, wie er die ganze sündige Menschheit aus der schlim-
mem ägyptischen Gefangenschaft der Sünde und des Satans erlö-
sen will. Aber durch die Glanzregierung des David und Salomo
hatte sich die andere Erwartung in den Vordergrund gedrängt von
einer Herrschaft des theokratischen Königs über alle Völker der Erde.
Jetzt aber ward Israel wieder zum Knecht, zum geplagten und ge-
jagten Knecht der Heiden, auf daß er zu der Ehre gelangen möchte,
ein wahrhaftiger Knecht Gottes zu sein, ein williges und bräuch-
liches Werkzeug zu seinem Dienst, und vorbilden könnte den heiligen
Knecht Gottes, den Jes. 53 in so ergreifender Weise uns schildert.
Diese Knechtung und Zerstreuung des Volkes Israel konnte aber nicht
durch diejenigen kleineren Völker bewirkt werden, mit denen bisher
Israel als mit seinen nächsten Nachbarvölkern in beständigem Kampf
begriffen war. Zwar war das Reich der damascenischen Syrer in den
letzten Jahrhunderten sehr mächtig geworden. Schon unter Baesa,
dem dritten König des Reiches Ephraim und Begründer der zweiten
Dynastie, kam der Syrerkönig Ben hadad und eroberte (im Bunde
mit Assa, dem König von Jerusalem) die nördlichsten Gebiete, die an
das damascenische Reich angrenzten (1 Kön. 15, 20). Sogar zur Be-
5'
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T11: [Reich König Land Stadt Jerusalem Jahr Syrien Sohn Aegypten Zeit]]
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Extrahierte Personennamen: David David Baesa Assa
Extrahierte Ortsnamen: Israel Israel Israel Gottes Gottes Israel Israel Gottes Israel Israel Jerusalem
152 Xii. §. 1. Die Einwohnerschaft Jerusalcm's ic. unter heidnischem Einfluß.
und Wissenschaft. Eben so viel mußten aber auch die Orientalen
opfern von ihrer weichlichen und dumpfen Hingebung tm materiellen
Lebensgenuß. Aber es entstand dadurch doch wirklich eine neue Form
geistiger Entwicklung, die wir mit dem Namen Hellenismus zu be-
zeichnen pflegen, ein mit orientalischen Elementen geschwängertes Grie-
chenthum, welches allen Theilen der zerfallenden Monarchie Alexan-
der's gemeinsam war und ihnen den Stempel der Einheit und Zu-
sammengehörigkeit trotz der Zerstückelung aufprägte. Deshalb stellt
auch die Weissagung Dan. 7, 6 das Thier, welches das griechische
Weltreich abbildet, noch immer als ein einiges Reich dar, obgleich es
schon vier Köpfe hat und mit seinen vier Flügeln nach entgegengesetzten
Richtungen strebt.
Uebrigens hat doch nicht das ganze Reich Alerande'rs des
Großen dieser Entwicklung folgen, auf dieser neuen Bahn sich fortbe-
wegen können. Die Länder hinter dem Eufrat machten sich balv von
dem neuen hellenisch-orientalischen Geistesleben der vorderen Küsten-
länder los und kehrten wieder zu ihrem altorientalischen Wesen zurück,
sei es zu der altpersischen Reiterwirthschaft (Parther) oder zu der neu-
persischen Zoroasterlehre (Saffaniden). Der Eufrat wurde die Grenz-
scheide des hellenistischen und des echt asiatischen Völkerlebens und ist
es mehr als ein halbes Jahrtausend hindurch geblieben. Der Mittel-
punkt, der Schwerpunkt des Weltreichs wird um einen bedeutenden
Schritt weiter nach Westen gerückt. Der Grund und Boden der alt-
orientalischen Pracht und Geistesblüthe entzieht sich allmälig unserm
Auge und verschleiert sich wie mit einem schweren dichten Nebel. Die
Sonne der Gerechtigkeit, welche aus Bethlehem hervorbricht, vermag
kaum diesen Nebel zu durchbrechen. Auf kurze Zeit hat sie ihn über-
wältigt. Aber schnell hat er sich wieder zusammengezogen und fester
und umfassender als zuvor Alles überschleiert und verdeckt. Nur spar-
same Strahlen des ewigen Lichtes vermögen noch in diese Finsterniß
hineinzudringen ; der ganze volle Schein muß sich nach Westen wenden,
und über weite Nebelstrecken, die auch im Westen sich erhoben haben,
nach Norden hin, in die Herzen der evangelischen Christenheit, in die
Herzen der gläubigen Gottesgemeinden hinein.
Xii. Zsrael's Kampf und Sieg wider das feindliche
Weltreich.
Motto: Der Gottlosen Sccptcr wird nicht bleiben über
dem Häuflein der Gerechten.
§. I. Die Einwohnerschaft Jerusalem's und die zer-
streuten Juden unter heidnischem Einfluß.
Mitten in die gährende Bewegung der feindlich wider einander
stürmenden Staaten des griechischen Weltreichs war das Volk Israel
gestellt. Natürlich konnte es von den Kämpfen und Entwicklungen
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168 Hü- 8- 1. Nothwendigkeit noch einer neuen Form des Weltreichs.
Völkerlebens zuzuwenden, und unwiderstehlich vordringend erst Grie-
chenland, dann Asien mit seinen eisernen Klammern zu umgürten und
in die strengen politischen Formen zu pressen, welche diese Weltmacht
vor allen bisherigen auszeichnet. Denn nicht die despotische Herrschaft
eines vergötterten Fürstengeschlechts über die rohen Massen, wie im
Orient, nicht der Geist und die Kraft eines einzelnen hoch über seine
Zeitgenossen hervorragenden Mannes, wie Alerander, nicht die höhere
Bildung und geistreiche Staatsverwaltung der eingedrungenen Herr-
scher wie in den hellenistischen Staaten, nicht dies oder etwas Aehn-
liches war es, was dem spätem römischen Reich die Weltherrschaft
in die Hand gab und sicherte. Sondern es war die strenge, starre
rücksichtslose Konsequenz, die eiserne Beharrlichkeit in der Verfolgung
der politischen Pläne, die feste, unabänderliche Norm und Regel, nach
welcher es sich selber seine eigenthümliche politische Gestalt und bür-
gerliche Einrichtung gegeben hatte, und welche es nun mit.scho-
nungsloser Gewalt allen unterworfenen Städten und Ländern in
gleicher Weise aufprägte. Daher vergleicht schon die Weissagung in
dem Traumbild des Nebucadnezar das Römerreich mit Eisenfüßen,
welche Alles zertraten und zermalmen, was ihm widerstehen möchte,
und jegliche noch bildsame Masse eines fremden Völkergeschlechts in
die unabänderliche Form der römischen Gesetze und des römischen
Staatslebens einstampfen sollten (Dan. 2, 40).
War das Leben und Streben der orientalischen Völker ein
mehr fleischliches, der sinnlichen Seite zugeneigt, und der Griechen-
völker ein mehr geistiges (spirituelles), auf dem künstlerischen und wissen-
schaftlichen Gebiete schaffend und gestaltend, so beruht das römische
Wesen vorwiegend auf der Thätigkeit des praktischen Verstandes, auf
der scharfen Unterscheidung und raschen Aussonderung des Zweckmä-
ßigen und Erreichbaren für die äußere Eristenz und das bürgerliche
Leben. Herrschte im Orient das Gefühlsvermögen vor, welches bald
aufflammend zu wunderbar großartigen Kundgebungen in kolossalen
Hervorbringungen fortriß, bald in dumpfer Trägheit hinbrütend Alles
über sich ergehen ließ, und nur im augenblicklichen genießlichen Wohl-
sein eine Entschädigung suchte, war dagegen unter den Griechen das
Denkvermögen ganz absonderlich ausgebildet, also daß nichts Großes
oder Kleines ihren Forschungen entging und kein Gebiet menschlichen
Wissens von ihnen unbearbeitet blieb, so trat bei dem Römer vielmehr
das Willensvermögen ganz entschieden in den Vordergrund, und was
sich mit Selbstbeherrschung, Charakterfestigkeit, Ausdauer erreichen läßt,
das hat er in glänzendster Weise erreicht und Niemand hat es ihm
darin zuvorgethan. Wenn im Orient der despotische Wille eines Ein-
zelnen gewaltige Volksmassen beherrschte und nach seinen Launen lenkte
im Griechenreich dagegen die freieste Entfaltung der einzelnen Per-,
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