1877 -
Ruhrort
: Selbstverl. W. Ricken und C. Schüler
Autor: Schüler, C., Ricken, W. M.
Auflagennummer (WdK): 28
Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
Schultypen (WdK): Volksschule
Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
Geschlecht (WdK): koedukativ
20
55» Lied vom Reifen.
1. Seht meine lieben Bäume an,
Wie sie so herrlich steh'n,
Auf allen Zweigen angethan
Mit Reifen wunderschön! -
2. Von unten an bis oben aus,
Auf allen Zweigelein
Hängt's weiß und zierlich, zart und
kraus
Und kann nicht schöner sein.
3. Und alle Bäume rund umher,
All', alle weit und breit
Steh'n da geschmückt mit gleicher Ehr',
Mit gleicher Herrlichkeit.
4. Wir seh'n das an und denken noch
Einfältiglich dabei,
Woher der Reif, und wie er doch
Zu Stande kommen sei.
5. Denn gestern Abend — Zweiglein rein,
Kein Reifen in der That! —
Muß einer doch gewesen sein,
Der ihn gestreuet hat.
6. Ein Engel Gottes geht bei Nacht,
Streut heimlich hier und dort,
Und wenn am Morgen man erwacht,
Ist er schon wieder fort.
7. Du Engel, der so gütig ist,
Wir sagen Dank und Preis.
O mach' uns doch zum heil'gen Christ
Die Bäume wieder weiß!
Matthias Claudius.
56. Lied hinter dem Ofen zu singen.
1. Der Winter ist ein rechter Mann, kernfest und auf die Dauer; sein
Fleisch fühlt sich wie Eisen an und scheut nicht süß noch sauer.
2. War je ein Mann gesund, ist er's; er krankt und kränkelt nimmer,
weiß nichts von Nachtschweiß, noch Vapeurs, und schläft im kalten Zimmer.
3. Er zieht sein Hemd im Freien an und läßt's vorher nicht wärmen und
spottet über Fluß im Zahn und Kolik in Gedärmen.
4. Aus Blumen und aus Vogelfang weiß er sich nichts zu machen, haßt
warmen Drang und warmen Klang und alle warmen Sachen.
5. Doch wenn die Füchse bellen sehr, wenn's Holz im Ösen knittert und
um den Ofen Knecht und Herr die Hände reibt und zittert;
6. Wenn Stein und Bein vor Frost zerbricht und Teich und Seen krachen;
das klingt ihm gut, das haßt er nicht, dann will er sich todt lachen.
7. Sein Schloß von Eis liegt ganz hinaus beim Nordpol an dem Stran.de;
doch hat er auch ein Sommerhaus im lieben Schweizerlande.
8. Da ist er denn bald dort, bald hier, gut Regiment zu führen, und
wenn er durchzieht, stehen wir und seh'n ihn an und frieren.
Matthias Claudius.
57. Winterliecl
1. Wie ruhest du so stille
In deiner weissen Hülle,
Du mütterliches Land!
Wo sind des Frühlings Lieder,
Des Sommers bunt Gefieder
Und dein beblümtes Festgewand?
2. Du schlummerst nun entkleidet;
Kein Lamm, kein Schäflein weidet
Auf deinen Au’n und Höh’n.
Der Vöglein Lied verstummet,
Und keine Biene summet;
Doch bist du auch im Winter schön.
3. Die Zweig’und Aestlein schimmern,
Und tausend Lichter flimmern,
Wohin das Auge blickt.
Wer hat dein Bett bereitet,
Die Decke dir gespreitet
Und dich so schön mit Reif ge-
schmückt?
4. Der gute Vater droben
Hat dir dein Kleid gewoben,
Er schläft und schlummert nicht.
So schlumm’re denn in Frieden;
Der Vater weckt die Müden
Zu neuer Kraft, zu neuem Licht.
5. Bald in des Lenzes Wehen
Wirst du verjüngt erstehen
Zum Leben wunderbar;
Sein Odem schwebt hernieder,
Dann, Erde, stehst du wieder
Mit einem Blumenkranz im Haar.
F. A, Krummacher.
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T0: [Blatt Baum Pflanze Blüte Frucht Wurzel Blume Erde Zweig Stengel]]
TM Hauptwörter (100): [T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T42: [Körper Wasser Luft Blut Mensch Pflanze Haut Tier Speise Stoff]]
TM Hauptwörter (200): [T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T152: [Auge Haar Gesicht Nase Krankheit Körper Mensch Mund Ohr Kopf]]
1877 -
Ruhrort
: Selbstverl. W. Ricken und C. Schüler
Autor: Schüler, C., Ricken, W. M.
Auflagennummer (WdK): 28
Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
Schultypen (WdK): Volksschule
Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
Geschlecht (WdK): koedukativ
21
58. Lied von den grünen Sommervögelein.
1. Es kamen grüne Vögelein
Geflogen her vom Himmel
Und setzten sich im Sonnenschein
Im fröhlichen Gewimmel
All' an des Baumes Aeste,
Und saßen da so feste,
Als ob sie angewachsen sei'n.
2. Sie schaukelten in Lüften lau
Auf ihren schwanken Zweigen,
Sie aßen Licht und tranken Thau
Und wollten auch nicht schweigen;
Sie sangen leise, leise
Auf ihre stille Weise
Von Sonnenschein und Himmelblau.
3. Wenn Wetternacht auf Wolken saß,
So schwirrten sie erschrocken,
Sie wurden von dem Regen naß
Und wurden wieder trocken;
59.
Die Tropfen rannen nieder
Vom grünenden Gefieder,
Und desto grüner wurde das.
4. Da kam am Tag der scharfe Strahl,
Ihr grünes Kleid zu sengen,
Und nächtlich kam der Frost einmal,
Mit Reif es zu besprengen;
Die armen Vöglein froren,
Ihr Frohsinn war verloren,
Ihr grünes Kleid war bunt und fahl.
5. Da trat ein starker Mann zum Baum
Und hub ihn an zu schütteln,
Vom obern bis zum untern Raum
Mit Schauer zu durchrütteln;
Die bunten Vöglein girrten
Und auseinander schwirrten;
Wohin sie flogen, weiß man kaum.
Rückert.
Räthsel.
1. Vier Brüder geh'n Jahr aus, Jahr ein im ganzen Land spazieren; doch
jeder kommt für sich allein, uns Gaben zuzuführen.
2. Der erste kommt mit leichtem Sinn, in reines Blau gehüllet, streut
Knospen, Blätter, Blüthen hin, die er mit Düften füllet.
3. Der zweite tritt schon ernster auf, mit Sonnenschein und Regen, streut
Blumen aus in seinem Lauf, der Ernte reichen Segen.
4. Der dritte naht mit Ueberfluß und füllet Küch' und Scheune, bringt
uns zum süßesten Genuß viel Aepfel, Rüss' und Weine.
5. Verdrießlich braust der vierte her, in Nacht und Graus gehüllet, sieht
Feld und Wald und Wiesen leer, die er mit Schnee erfüllet.
6. Wer sagt mir, wer die Brüder sind , die so einander jagen? Leicht
räth sie wohl ein jedes Kind; drum brauch' ich's nicht zu sagen.
60. Die Bremer Stadtmusikanten.
Es hatte ein Mann einen Esel, der ihm schon lange Jahre treu
gedient, dessen Kräfte aber nun zu Ende gingen, so daß er zur Arbeit
immer untauglicher ward. Da wollt' ihn der Herr aus dem Futter
schaffen, aber der Esel merkte, daß kein guter Wind wehte, lief fort
und machte sich auf den Weg nach Bremen; dort, dachte er, kannst du
ja Stadtmusikant werden. Als er ein Weilchen fortgegangen war,
fand er einen Jagdhund auf dem Wege liegen, der jappte, wie einer,
der sich müde gelaufen. „Nun, was jappft du so?" sprach der Esel.
„Ach," sagte der Hund, „weil ich alt bin und jeden Tag schwächer
werde und auf der Jagd nicht mehr fort kann, hat mich mein Herr
wollen todtschlagen, da habe ich Reißaus genommen; aber womit soll
ich nun mein Brot verdienen?" „Weißt du was," sprach der Esel,
„ich gehe nach Bremen, dort Stadtmusikant zu werden, geh' mit und
laß dich auch bei der Musik annehmen." Der Hund war's zufrieden,
und sie gingen weiter. Es dauerte nicht lange, so saß da eine Katze
auf dem Wege und machte ein Gesicht, wie drei Tage Regenwetter.
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T0: [Blatt Baum Pflanze Blüte Frucht Wurzel Blume Erde Zweig Stengel]]
TM Hauptwörter (100): [T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann]]
TM Hauptwörter (200): [T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T50: [Haus Pferd Bauer Herr Wagen Mann Tag Kind Weg Leute], T13: [Baum Wald Feld Wiese Garten Gras Winter Mensch Sommer Haus]]
1877 -
Ruhrort
: Selbstverl. W. Ricken und C. Schüler
Autor: Schüler, C., Ricken, W. M.
Auflagennummer (WdK): 28
Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
Schultypen (WdK): Volksschule
Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
Geschlecht (WdK): koedukativ
44
und ein fleissigcr Schüler soll mir ausrechnen: Wie viel Spitz-
mäuslein müsste man haben, die zusammen so schwer sind, als ein
einziger Elephant?
Das kleinste Thierlein auf der Erde hat auch mit dem stärksten
Yergrösserungsglase wohl noch kein Mensch gesehen. Aber das
grösste ist der Walisisch, der bis zu einer Länge von einhundert
und zwanzig Fuss wachsen kann und seine tausend Centner und
darüber wiegt.
In den fabelhaften Zeiten hat man geglaubt, dass es eine
ganze Nation von Menschen gebe, die vom Boden weg nur zwei
Fuss hoch seien. Der Lügenprophet Mahomed aber behauptete
einmal, er habe den Erzengel Gabriel gesehen, und es sei von
seinem rechten Auge über den Nasenwinkel bis zum linken ein
Zwischenraum von 70,000 Tagereisen. Hebel.
102. Die Stufenleiter.
1. Ein Sperling fing auf einem Ast die fettste Fliege. Weder Streben,
noch Jammern half, sie ward gefaßt. „Ach," rief sie flehend, „laß mich leben!"
„Nein," sprach der Mörder, „du bist mein, denn ich bin groß, und du bist klein."
2. Ein Sperber fand ihn bei dem Schmaus. So leicht wird kaum ein
Floh gefangen, als Junker Spatz. „Gieb," rief er aus, „mich frei! Was
hab' ich denn begangen?" „Nein," sprach der Mörder, „du bist mein, denn
ich bin groß, und du bist klein."
3. Ein Adler sah den Gauch und schoß auf ihn herab und riß den Rücken
ihm auf. „Herr König, laß mich los!" rief er, „du hackst mich ja in Glücken."
„Nein," sprach der Mörder, „du bist mein, denn ich bingroß, und du bist klein."
4. Er schmauste noch, da kam im Nu ein Pfeil ihm in die Brust geflogen."
„Tyrann!" rief er dem Jäger zu, „warum ermordet mich dein Bogen?" „Ei,"
sprach der Mörder, „du bist mein, denn ich bin groß, und du bist klein."
Pfeffel.
103. Das Riefenspielzeug.
1. Burg Nideck ist im Elsaß der Sage wohlbekannt, die Höhe,
wo vor Zeiten die Burg der Riesen stand. Sie selbst ist nun zer-
fallen, die Stätte wüst und leer; du fragest nach den Niesen, du
findest sie nicht mehr.
2. Einst kam das Riesenfräulein aus jener Burg hervor, erging
sich sonder Wartung und spielend vor dem Thor und stieg hinab
den Abhang, bis in das Thal hinein, neugierig, zu erkunden, wie's
unten möchte sein.
3. Mit wen'gen raschen Schritten durchkreuzte sie den Wald, er-
reichte gegen Haslach das Land der Menschen bald; und Städte dort
und Dörfer und das bestellte Feld erscheinen ihren Augen gar eine
fremde Welt.
4. Wie jetzt zu ihren Füßen sie spähend niederschaut, bemerkt sie
einen Bauer, der seinen Acker baut. Es kriecht das kleine Wesen
einher so sonderbar, es glitzert in der Sonne der Pflug so blank
und klar.
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T30: [Tier Vogel Mensch Pferd Hund Fisch Thiere Nahrung Eier Wasser], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
TM Hauptwörter (100): [T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T1: [König Held Herz Mann Volk Siegfried Land Lied Hand Tod], T82: [Hand Pferd Schwert Fuß Schild Kopf Waffe Lanze Ritter Mann], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele]]
TM Hauptwörter (200): [T42: [Vogel Nest Junge Eier Schnabel Storch Taube Flügel Fuchs Frosch], T142: [Stadt Dorf Mauer Haus Burg Straße Kirche Schloß Graben Zeit], T102: [Glocke Stimme Wort Hand Auge Ohr Kirche Ton Fenster Herr], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht]]
1877 -
Ruhrort
: Selbstverl. W. Ricken und C. Schüler
Autor: Schüler, C., Ricken, W. M.
Auflagennummer (WdK): 28
Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
Schultypen (WdK): Volksschule
Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
Geschlecht (WdK): koedukativ
52
Acker ihm zeigten. — „Je/ sagten diese, „man kann immer vor andern
Arbeiten nicht dazu kommen." — Was that aber Meister Hämmerlein?
— So oft er auf seinen Acker ging, las er von ferne schon Steine
zusammen und schleppte deren oft beide Arme voll bis zu den Löchern.
Die Bauern lachten, daß er, der selbst kein Gespann hielt, für andere
den Weg besserte; aber, ohne sich stören zu lassen, fuhr Meister Häm.
merlein fort, jedes Ntal wenigstens ein paar Steine auf dem Hin- und
Herweg in die Löcher zu werfen, und in etlichen Jahren waren sie
ausgefüllt. — „Seht ihr's?" sagte er nun. „Hätte jeder von euch,
der leer die Straße fuhr, auf dem Wege die Steine zusammengelesen,
auf den Wagen geladen und in die Löcher geworfen, so wäre der Weg
mit leichterer Mühe in einem Vierteljährchen eben geworden. Schlez. *
111. Nom ist nicht in einem Tage erbaut worden.
„Rom ist nicht in einem Tage erbaut worden." Damit entschul-
digen sich viele träge und fahrlässige Menschen, welche ihr Geschäft
nicht treiben und vollenden mögen und schon müde sind, ehe sie recht
anfangen. Mit dem Rom ist es aber eigentlich so zugegangen. Es
haben viele fleißige Hände viele Tage lang vom frühen Morgen bis
zum späten Abend unverdrossen daran gearbeitet und nicht nachgelassen,
bis es fertig war und der Hahn auf dem Kirchthurme stand. So ist
Rom entstanden. Was du zu thun hast, mach's auch so. Hebel.
112. Lied der Landlente zur Saatzeit.
1. Wir pflügen, und wir streuen den Samen auf das Land, doch Wachs-
thum, und Gedeihen steht in des Höchsten Hand. Er sendet Thau und Regen
und Sonn- und Mondenschein; von ihm kommt aller Segen, von unserm
Gott allein. Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn; drum
dankt ihm, dankt und hofft auf ihn!
2. Was nah ist und was lerne, von Gott kommt alles her, der Stroh-
halm und die Sterne, der Sperling und das Meer. Von ihm sind Büsch'
und Blätter, und Korn und Obst von ihm; von ihm mild Frühlingswetter
und Schnee und Ungestüm. Alle gute Gabe rc.
3. Er, er macht Sonnaufgehen, er stellt des Mondes Lauf; er läßt die
Winde wehen und thut den Himmel auf. Er schenkt uns so viel Freude, er
macht uns frisch und roth; er giebt dem Viehe Weide und seinen Kindern
Brot. Alle gute Gabe rc. Matthias Claudius.
113. Das Lied vom Samenkorn.
1. Der Sä'mann streut aus voller Hand
Den Samen auf das weiche Land,
Und wundersam! was er gesä't,
Das Körnlein wieder aufersteht.
2. Die Erde nimmt es in den Schooß
Und wickelt es im Stillen los;
Ein zartes Keimlein kommt hervor
Und hebt sein röthlich Haupt empor.
3. Es steht und frieret, nackt und klein,
Und fleht um Thau und Sonnenschein.i
Die Sonne schaut von hoher Bahn
Der Erde Kindlein freundlich an.
4. Bald aber nahet Frost und Sturm,
Und scheu verbirgt sich Mensch und
Wurm;
Das Körnlein kann ihm nicht entgchm
Und muß im Wind und Wetter steh'n.
5. Doch schadet ihm kein Leid noch Weh,
Der Himmel deckt mit weißem Schnee
Der Erde Kindlein freundlich zu:
Dann schlummert es in guter Ruh'.
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
TM Hauptwörter (100): [T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T54: [Haus Feld Bauer Dorf Pferd Stadt Vieh Land Wald Mensch], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel]]
TM Hauptwörter (200): [T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T50: [Haus Pferd Bauer Herr Wagen Mann Tag Kind Weg Leute], T100: [Gott Herr Herz Wort Leben Hand Himmel Vater Kind Mensch], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht]]
1877 -
Ruhrort
: Selbstverl. W. Ricken und C. Schüler
Autor: Schüler, C., Ricken, W. M.
Auflagennummer (WdK): 28
Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
Schultypen (WdK): Volksschule
Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
Geschlecht (WdK): koedukativ
61
125. Spriichwörter und Denksprüche.
1. Bete, als hülfe kein Arbeiten; arbeite, als hülfe kein Beten. 2. Fleiß
bricht Eis. 3. Gott ist der Armen Vormund. 4. Deine eig'ne Hand dich
nähren soll, so lebst du recht, und es geht dir wohl. 5. Lust und Liebe zum
Ding — macht Mühe und Arbeit gering. 6. Wer seine Kinder lehrt mit We-
nigem auskommen, der hinterläßt ihnen mehr, denn Reichthum. 7. Arbeit
verkürzt die Stunden und verlängert das Leben. 8. Wer Muth zur Arbeit
hegt und rasch den Arm bewegt, sich immer durch die Welt noch schlägt.
9. Was man gerne thut, wird einem leicht.
126. Kampf einer Schlange mit einem Vogel.
Es war ein warmer Sommertag, und ich hatte mich unter
einem Eichbaume hingelagert. Ein munteres, rothes Johannis-
käferchen mit schwarzen, runden Flecken auf den Flügeldecken
hatte sich eben auf meine H^nd gesetzt; ich betrachtete es und
freute mich darüber. Da raschelte es plötzlich gar nicht weit von
mir im trockenen Laube, ganz leise nur, fast hätte ich’s nicht
gehört. Ich blickte hin, und was sah ich? Eine Schlange.
Etwa acht Schritte von mir entfernt stand ein Haselnuss-
strauch, und auf den ringelte die Schlange zu, ganz leise durch
das hohe, dürre Gras, so dass sich kaum die Halme bewegten.
„Die hat etwas im Schilde!“ dachte ich, denn ich sah’s ihr an,
wie vorsichtig sie jedes trockene Blatt vermied, das etwa rascheln
könnte, und wie ihre Augen funkelten und unverwandt nach dem
Nussstrauche gerichtet waren. Jetzt sah ich’s. Auf einem trocke-
nen Zweige des Strauches, etwa zwei Fuss von der Erde entfernt,
sass nämlich ein Yöglein, ein buntes, niedliches Finkenhähnchen,
den Rücken der unbemerkt nahenden Schlange zugekehrt, und
schlug sorglos seine munteren Triller. Im ersten Augenblicke
wollte ich aufspringen, den Vogel retten und die Schlange ver-
nichten — und ich verzeihe mir heute noch nicht, dass ich’s nicht
gethan; aber die Wissbegierde des Naturforschers liess mich das
Mitleid unterdrücken.
Indem schlug der Vogel noch einmal sein munteres Lied
sorglos und fröhlich in den Wald hinein. Da fuhr die Schlange,
schnell wie der Blitz, empor, dass ich selbst erschrak, und rich-
tig, sie hatte das Vüglein erwischt, aber nur bei einem Fusse.
Denkt euch die Angst des armen Thieres, wie es — vielleicht
war dicht daneben das Nestlein seiner Lieben — flatterte und
schrie, gefangen am Maul des Ungethüms!
Die Schlange zog den Finken nieder, und ich war sehr be-
gierig, zu erfahren, was sie wohl mit ihm thun würde. Das
sollte ich bald sehen. Die Schlange warf sich an die Erde, rollte
sich in einen Knäuel zusammen und versuchte , den Vogel mit
ihrem Leibe zu umschlingen. Das gelang ihr aber nicht, denu
der Vogel flatterte so heftig, so gewaltsam umher, dass er immer
wieder den glatten Ringen ihres Leibes entschlüpfte. Die Ver-
suche dauerten eine geraume Zeit. Endlich mochte sie einsehen,
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T30: [Tier Vogel Mensch Pferd Hund Fisch Thiere Nahrung Eier Wasser], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
TM Hauptwörter (100): [T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T84: [Vogel Tier Eier Fisch Mensch Hund Nahrung Thiere Insekt Art], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T16: [Ende Körper Strom Bild Hebel Hand Auge Wasser Gegenstand Seite]]
1877 -
Ruhrort
: Selbstverl. W. Ricken und C. Schüler
Autor: Schüler, C., Ricken, W. M.
Auflagennummer (WdK): 28
Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
Schultypen (WdK): Volksschule
Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
Geschlecht (WdK): koedukativ
63
nicht mehr gebrauchen; aber da ihr Häuschen auf dem Deiche stand,
konnte ste von ihrem Bette aus auf's Eis hinaus sehen und die Freude
sich betrachten. Wie es nun gegen Abend kam, da gewahrte sie,
indem sie so auf die See sah, im Westen ein kleines weißes Wölkchen,
das eben an der Kimmung aufstieg. Gleich befiel sie eine unendliche
Angst; sie war in früheren Tagen mit ihrem Manne zur See gewesen
und verstand sich wohl auf Wind und Wetter. Sie rechnete nach:
In einer kleinen Stunde wird die Fluth da sein, dann ein Sturm los-
brechen, und alle sind verloren. — Da rief und jammerte sie so laut,
als sie nur konnte; aber niemand war in ihrem Hause, und die Nach-
barn waren alle auf dem Eise; niemand hörte sie. Immer größer
ward unterdeß die Wolke und allmählich immer schwärzer; noch einige
Minuten und die Fluth mußte da sein, der Sturm losbrechen; da
rafft sie all ihr bischen Kraft zusammen und kriecht auf Händen und
Füßen aus dem Bette zum Ofen. Glücklich findet sie noch einen
Brand, schleudert ihn in das Stroh ihres Bettes und eilt, so schnell
sie kann, hinaus, sich in Sicherheit zu bringen. Das Häuschen stand
nun augenblicklich in hellen Flammen, und wie der Feuerschein vom
Eise aus gesehen ward, stürzte alles in wilder Hast dem Strande zu.
Schon sprang der Wind auf und fegte den Staub auf dem Eise vor
ihnen her; der Himmel ward dunkel, das Eis fing an zu knarren und
zu schwanken, der Wind wuchs zum Sturm, und als eben die letzten
den Fuß auf's feste Land setzten, brach die Decke, und die Fluth wogte
an den Strand. So rettete die arme Frau die ganze Stadt und gab
ihr Hab und Gut daran zu deren Heil und Rettung.
Müllenhoff.
129. Johanna Sebus.
Zum Andenken der siebenzehnjährigen Schönen, Guten, aus dem Dorfe Brienen, die am
13. Januar 1809 bei dem Eisgange des Rheins und dem großen Bruche des Dammes
von Cleverham, Hülfe reichend, unterging.
Der Damm zerreißt, das Feld erbraust,
Die Fluthen spülen, die Fläche saust.
„Ich trage dich, Mutter, durch die Fluth,
Noch reicht sie nicht hoch, ich wate gut." —
„Auch uns bedenke, bedrängt wie wir sind,
Die Hausgenossin, drei arme Kind!
Die schwache Frau! ... Du gehst davon?" —
Sie trägt die Mutter durch's Waffer schon.
„Zum Bühle* *) da rettet euch! harret derweil!
Gleich kehr' ich zurück, und allen ist Heil;
Zum Bühl ist's noch trocken und wenige Schritt,
Doch nehmt auch mir meine Ziege mit!"
Der Damm zerschmilzt, das Feld erbraust.
Die Fluthen wühlen, die Fläche saust.
^Sie setzt die Mutter auf sich'res Land,
Schön Suschen, gleich wieder zur Fluth gewandt.
„Wohin? wohin? die Breite schwoll;
_______ Des Wassers ist hüben und drüben voll;
*) Ein mit Rasen bedeckter Hügel.
TM Hauptwörter (50): [T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T24: [Schiff Meer Insel Küste Land Fluß See Wasser Hafen Ufer], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd]]
TM Hauptwörter (100): [T28: [Schiff Meer Wasser Land Küste Ufer Insel See Flut Welle], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T39: [Kind Vater Mutter Frau Mann Haus Jahr Eltern Sohn Knabe], T21: [Schnee Winter Wasser Sommer Berg Regen Luft Boden Land Erde], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann]]
TM Hauptwörter (200): [T34: [Meer Wasser Land Küste Insel See Flut Fluß Tiefe Welle], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T50: [Haus Pferd Bauer Herr Wagen Mann Tag Kind Weg Leute], T2: [Schiff Stadt Tag Nacht Sturm Feind Ufer Meer Land Feuer]]
1877 -
Ruhrort
: Selbstverl. W. Ricken und C. Schüler
Autor: Schüler, C., Ricken, W. M.
Auflagennummer (WdK): 28
Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
Schultypen (WdK): Volksschule
Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
Geschlecht (WdK): koedukativ
V4
Verwegen in's Tiefe willst du hinein!" —
„Sie sollen und müssen gerettet sein!"
Der Damm verschwindet, die Welle braust,
Eine Meereswoge, sie schwankt und saust.
Schön Suschen schreitet gewohnten Steg,
Umströmt auch geleitet sie nicht vom Weg,
Erreicht den Bühl und die Nachbarin;
Doch der und den Kindern kein Gewinn!
Der Damm verschwand, ein Meer erbraust's,
Den kleinen Hügel im Kreis umsaust's.
Da gähnet und wirbelt der schäumende Schlund
Und ziehet die Frau mit den Kindern zu Grund;
Das Horn der Ziege faßt das ein',
So sollten sie alle verloren sein!
Schön Suschen steht noch strack und gut;
Wer rettet das junge, das edelste Blut!
Schön Suschen steht noch wie ein Stern;
Doch alle Werber sind alle fern.
Rings um sie her ist Wasserbahn,
Kein Schifflein schwimmet zu ihr heran.
Noch einmal blickt sie zum Himmel hinauf,
Da nehmen die schmeichelnden Fluthen sie auf.
Kein Damm, kein Feld! Nur hier und dort
Bezeichnet ein Baum, ein Thurm den Ort,
Bedeckt ist alles mit Wafferschwall;
Doch Suschens Bild schwebt überall. —
Das Wasser sinkt, das Land erscheint,
Und überall wird schön Suschen beweint. —
Und dem sei, wer's nicht singt und sagt,
Im Leben und Tod nicht nachgefragt! Göthe.
130. Das Lied vom braven Manu.
(Geschah im Winter b. Z. 1775—1776 zu Verna.)
1. Hoch klingt das Lied vom braven Mann,
Wie Orgelton und Glockenklang.
Wer hohen Muths sich rühmen kann,
Den lohnt nicht Gold, den lohnt Gesang.
Gottlob, daß ich singen und preisen kann,
Zu singen und preisen den braven Mann!
2. Der Thauwind kam vom Mittagsmeer
Und schnob durch Welschland trüb und feucht.
Die Wolken flogen vor ihm her,
Wie wenn der Wolf die Heerde scheucht.
Er fegte die Felder, zerbrach den Forst;
Auf See'n und Strömen das Grundeis borst.
3. Am Hochgebirge schmolz der Schnee,
Der Sturz von tausend Wassern scholl;
Das Wiesenthal begrub ein See;
Des Landes Heerstrom wuchs und schwoll.
Hoch rollten die Wogen entlang ihr Gleis
Und rollten gewaltige Felsen Eis.
4. Auf Pfeilern und auf Bogen schwer,
Aus Quaderstein von unten auf,
Lag eine Brücke d'rüber her,
Und mitten stand ein Häuschen d'rauf.
Hier wohnte der Zöllner mit Weib und Kind. —
„0 Zöllner, o Zöllner, entfleuch geschwind
TM Hauptwörter (50): [T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd]]
TM Hauptwörter (100): [T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T21: [Schnee Winter Wasser Sommer Berg Regen Luft Boden Land Erde], T28: [Schiff Meer Wasser Land Küste Ufer Insel See Flut Welle]]
TM Hauptwörter (200): [T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T34: [Meer Wasser Land Küste Insel See Flut Fluß Tiefe Welle], T102: [Glocke Stimme Wort Hand Auge Ohr Kirche Ton Fenster Herr], T89: [Wasser Fluß Quelle Bach See Erde Boden Brunnen Land Ufer]]
1877 -
Ruhrort
: Selbstverl. W. Ricken und C. Schüler
Autor: Schüler, C., Ricken, W. M.
Auflagennummer (WdK): 28
Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
Schultypen (WdK): Volksschule
Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
Geschlecht (WdK): koedukativ
111
des Lebens mehr wahrzunehmen. Doch vernahm er nach langem,
ängstlichem Rufen, wie aus einem tiefen Grabe die Stimme seines
Weibes unter dem Schnee herauf. Und als er sie glücklich und unbe-
schädigt hervorgegraben hatte, da hörten sie plötzlich noch eine bekannte
und liebe Stimme: „Mutter, ich wäre auch noch am Leben," rief ein
Kind, „aber ich kann nicht heraus." Nun arbeiteten Vater und Mutter
noch einmal und brachten auch das Kind hervor, und ein Arm war
ihm abgebrochen. Da ward ihr Herz mit Freude und Schmerzen
erfüllt, und von ihren Augen stoffen Thränen des Dankes und der
Wehmuth. Denn die zwei andern Kinder wurden auch noch heraus-
gegraben, aber todt.
In Pilzeig, ebenfalls im Kanton Uri, wurde eine Mutter mit
zwei Kindern fortgerissen und unten in der Tiefe vom Schnee ver-
schüttet. Ein Mann, ihr Nachbar, den die Lawine ebenfalls dahinge-
worfen hatte, hörte ihr Witnmern und grub sie hervor. Vergeblich
war das Lächeln der Hoffnung in ihrem Antlitze. Als die Mutter
halb nackt umherschaute, kannte sie die Gegend nicht mehr, in der sie
war. Ihr Retter selbst war ohnmächtig niedergesunken. Neue Hügel
und Berge von Schnee und ein entsetzlicher Wirbel von Schneeflocken
füllten die Luft. Da sagte die Mutter: „Kinder, hier ist keine Ret-
tung möglich; wir wollen uns dem Willen Gottes überlaffen." Und
als sie beteten, sank die siebenjährige Tochter sterbend in die Arme der
Mutter; und als die Mutter mit gebrochenem Herzen ihr zusprach
und ihr Kind der Barmherzigkeit Gottes empfahl, da verließen sie ihre
Kräfte auch. Sie war eine 14 tägige Kindbetterin, und sie sank, mit
dem theuren Leichnam ihres Kindes in dem Schooße, ebenfalls leblos
darnieder. Die andere, elftährige Tochter hielt weinend und hände-
ringend bei der Mutter und Schwester aus, bis sie todt waren, drückte
ihnen alsdann, ehe sie auf eigene Rettung bedacht war, mit stummem
Schmerze die Augen zu, und arbeitete sich mit unsäglicher Mühe und
Gefahr erst zu einem Baume, dann zu einem Felsen hinauf und kam
gegen Mitternacht endlich an ein Haus, wo sie zum Fenster herein
aufgenommen und mit den Bewohnern des Hauses erhalten wurde.
Kurz, in allen Bergkantonen der Schweiz, — in Bern, Glarus,
Uri, Schwyz, Graubündten — sind in einer Nacht und fast in
der nämlichen Stunde durch die Lawinen ganze Familien erdrückt, ganze
Viehheerden mit ihren Stallungen zerschmettert, Matten und Garten-
land bis auf die nackten Felsen hinab aufgeschürft und weggeführt
und ganze Wälder zerstört worden, also, daß sie in's Thal gestürzt
sind, oder die Bäume lagen übereinander zerschmettert und zerknickt,
wie die Halme auf einem Acker nach einem Hagelschlage. Sind ja in
dem einzigen kleinen Kanton Uri fast mit einem Schlage 11 Per-
sonen unter dem Schnee begraben worden und sind nimmer auferstan-
den; gegen 30 Häuser und mehr als 150 Heuställe zerstört und
359 Häuptlein Vieh umgekommen, und man wußte nicht, auf wie viel
mal hunderttausend Gulden man sollte den Schaden berechnen, ohne
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T33: [Kind Vater Mutter Frau Mann Jahr Sohn Gott Haus Eltern], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
TM Hauptwörter (100): [T39: [Kind Vater Mutter Frau Mann Haus Jahr Eltern Sohn Knabe], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T58: [Kloster Jahr Mönch Kirche Schweiz Bischof Abt Zürich Bonifatius Bern], T21: [Schnee Winter Wasser Sommer Berg Regen Luft Boden Land Erde], T54: [Haus Feld Bauer Dorf Pferd Stadt Vieh Land Wald Mensch]]
TM Hauptwörter (200): [T116: [Vater Kind Mutter Sohn Bruder Herr Mann Auge Frau Hand], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T68: [Schweiz Zürich Kanton Bern See Stadt Genf Basel Schweizer Schwyz], T50: [Haus Pferd Bauer Herr Wagen Mann Tag Kind Weg Leute]]
1877 -
Ruhrort
: Selbstverl. W. Ricken und C. Schüler
Autor: Schüler, C., Ricken, W. M.
Auflagennummer (WdK): 28
Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
Schultypen (WdK): Volksschule
Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
Geschlecht (WdK): koedukativ
76
sie einander gegenüber. Jetzt kräht der eine mit schwankender Stimme,
denn er ist noch außer Athem, und augenblicklich stürzt der andere
wieder auf ihn los. Mit erneuter Wuth treffen sie zusammen; sie
kämpfen wie früher; aber endlich sind Füße und Flügel vor Mattigkeit
zum Kampfe nicht mehr tauglich, da greifen sie zu der letzten und
furchtbarsten Waffe. Sie springen nicht mehr, aber hageldicht fallen
die Schnabelhiebe nieder, und bald triefen die Köpfe vom Blute. End-
lich verläßt den Feind der Muth; er wankt, er weicht zurück; jetzt be-
kommt er noch einen tüchtigen Hieb, und die heiße Schlacht ist entschieden.
Er flieht, sträubt die Nackenfedern empor, hebt die Flügel, senkt den
Schwanz, sucht sich eine Hecke, macht sich klein und krakelt wie eine
Henne, denn für eine Henne gehalten, glaubt er das Mitleid zu fin-
den, welches er als Hahn nicht zu erwarten hat. Doch der Sieger
ist durch kein Gekrakel zu bethören; er schöpft erst wieder Athem, schlägt
mit den Flügeln, kräht und macht sich dann zur Verfolgung des Fein-
des auf, der sich nun nicht mehr wehrt, und wenn er auch unter den
Hieben des ergrimmten Gegners sein Leben aushauchen sollte. Daß
in der Regel der Haushahn mit größerem Muthe kämpft, ist natürlich,
und selten wagt es der Besiegte, wenn er mit diesem denselben Hof
bewohnen muß, sich künftig von neuem mit ihm zu messen.
Lenz.
142. Die Lerche.
1. Hört die Lerche! sie singt!
Hoch in den bläulichen Lüften,
Ueber den grünenden Triften
Tönet ihr Lied. Wie erklingt
Ihre melodische Brust
Uns zur Freude und Lust!
3. Seht die Lerche! sie schwingt
Lustig ihr braunes Gefieder,
Und auf die Knospen hernieder
Schauet sie freundlich und singt:
„Krönet das liebliche Grün!"
Und die Knospen erblüh'n.
2. Seht die Lerche! sie steigt!
Hoch aus den himmlischen Räumen
Ruft sie den schlummernden Keimen:
„Grünet! der Winter entfleucht!"
Und der Ernährerin Schooß
Schmücken Halme und Meos.
4. Höret die Lerche! sie schwebt
Ueber der Erde Getümmel
Preisend und dankend gen Himmel.
„Menschen," so singt sie, „erhebt
Ueber die irdische Bahn
Eure Herzen hinan!"
Krummacher.
143. Der geheilte Kranke.
Reiche Leute haben trotz ihrer gelben Vögel doch manchmal auch
allerlei Lasten und Krankheiten auszustehen, von denen gottlob der
arme Mann nichts weiß; denn es giebt Krankheiten, die nicht in der
Luft stecken, sondern in den vollen Schüffeln und Gläsern und in den
weichen Sesseln und seidenen Betten, wie jener reiche Amsterdamer ein
Wort davon reden kann. Den ganzen Vormittag saß er im Lehnsesiel
und rauchte Tabak, wenn er nicht zu träge war, oder hatte Maulaffen
feil zum Fenster hinaus, aß aber zu Mittag doch wie ein Drescher,
und die Nachbarn sagten manchmal: „Ist draußen Wind, oder schnauft
der Nachbar so?" — Den ganzen Nachmittag aß oder trank er eben-
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
TM Hauptwörter (100): [T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T87: [Tag Tisch Haus Frau König Mann Gast Herr Hand Abend], T82: [Hand Pferd Schwert Fuß Schild Kopf Waffe Lanze Ritter Mann]]
TM Hauptwörter (200): [T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T42: [Vogel Nest Junge Eier Schnabel Storch Taube Flügel Fuchs Frosch], T196: [Tisch Tag König Hand Wein Herr Haus Gast Abend Frau], T112: [Schwert Ritter Schild Waffe Lanze Pferd Speer Hand Helm Pfeil]]
1877 -
Ruhrort
: Selbstverl. W. Ricken und C. Schüler
Autor: Schüler, C., Ricken, W. M.
Auflagennummer (WdK): 28
Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
Schultypen (WdK): Volksschule
Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
Geschlecht (WdK): koedukativ
89
9. Und weiter gellt er die Strasse entlang,
Ein Thränlein hängt ihm an der braunen Wang’.
10. Da wankt’ von dem Kirchsteig sein Mütterchen her:
„Gott grüss’ euch!“ so spricht er und sonst nichts mehr.
11. Doch sieh’ — das Mütterchen schluchzet voll Lust:
„Mein Sohn!“ und sinkt an des Burschen Brust.
12. Wie sehr auch die Sonne sein Antlitz verbrannt,
Das Mutteraug’ hat ihn doch gleich erkannt. Yogi.
159. Der frohe Wandersmann.
1. Wem Gott will rechte Gunst erweisen,
Den schickt er in die weite Welt;
Dem will er seine Wunder weisen
In Berg und Wald und Strom und Feld.
2. Die Bächlein von den Bergen springen;
Die Lerchen jubeln hoch vor Lust.
Wie sollt' ich nicht mit ihnen singen
Aus voller Kehl und frischer Brust.
3. Den lieben Gott lass’ ich nur walten.
Der Bächlein, Lerchen, Wald und Feld
Und Erd' und Himmel will erhalten,
Hat auch mein Sach' auf's Best' bestellt.
Joseph Freiherr v. Eichendorf.
169. Von der Fruchtbarkeit und schnellen Verbreitung der
Pflanzen.
i.
Die meisten Pflanzen haben eine wunderbare Vermehrungskraft, wie jeder
aufmerksame Landwirth wohl weiß. Tausend Samenkerne von einer einzigen
Pflanze, so lange sie lebt, ist zwar schon viel gesagt, nicht jede trägt's, aber es
ist auch noch lange nicht das höchste. Man hat schon an einer einzigen Tabaks-
pflanze 40,000 Körnlein gezählt, die sie in einem Jahre zur Reife brachte. Man
schätzt, daß eine Eiche 500 Jahre leben könne. Aber wenn wir uns nun vor-
stellen, daß sie in dieser langen Zeit nur fünfzigmal Früchte trage, und jedes-
mal in ihren weitverbreiteten Aesten und Zweigen nur 500 Eicheln, so liefert
sie doch25,Ooo, wovon jede die Anlage hat, wieder ein solcher Baum zu werden.
Gesetzt, daß dieses geschehe, und es geschehe bei jeder von diesen wieder, so hätte
sich die einzige Eiche in der zweiten Abstammung schon zu einem Walde von
625 Millionen Bäumen vermehrt. Wie viel aber eine Million oder 1000 mal
1000 sei, glaubt man zu wissen, und doch erkennt es nicht jeder. Denn wenn
ihr ein ganzes Jahr lang vom 1. Januar bis zum 31. Dezember alle Tage
1000 Striche an eine große Wand schreibet, so habt ihr am Ende des Jahres
noch keine Million, sondern erst 365,000 Striche, und das zweite Jahr noch
keine Million, sondern erst 730,000 Striche, und erst am 26. September des
dritten Jahres würdet ihr zu Ende kommen. Aber unser Eichenwald hätte
625 solcher Millionen, und so wäre es bei jeder andern Art von Pflanzen nach
Proportion in noch viel kürzerer Zeit, ohne an die zahlreiche Vermehrung durch
Augen, Wurzelsprossen und Knollen zu gedenken. Wenn man sich also einmal
über diese Kraft in der Natur gewundert hat, so hat man sich über den großen
Reichthum an Pflanzen aller Art nicht mehr zu verwundern. Obgleich viele
1000 Kerne und Körnlein alle Jahre von Menschen und Thieren verbraucht
werden, viele Tausend im Boden ersticken, oder im Aufkeimen durch ungünstige
Witterung und ander? Zufälle wieder zu Grunde gehen, so bleibt doch, Jahr
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T0: [Blatt Baum Pflanze Blüte Frucht Wurzel Blume Erde Zweig Stengel], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
TM Hauptwörter (100): [T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T24: [Blatt Baum Blüte Pflanze Frucht Wurzel Stengel Stamm Zweig Boden], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T39: [Kind Vater Mutter Frau Mann Haus Jahr Eltern Sohn Knabe], T36: [Million Mark Jahr Geld Thaler Mill Summe Wert Gulden Pfund]]
TM Hauptwörter (200): [T51: [Kind Himmel Nacht Sonne Tag Gott Wald Baum Blume Feld], T28: [Blatt Blüte Pflanze Baum Wurzel Frucht Stengel Zweig Erde Samen], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze], T33: [Gott Liebe Mensch Herz Leben Volk Ehre Vaterland gute Zeit], T59: [Tod Leben Volk Herz Freund Mann Wort König Tag Feind]]