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1. Landeskunde der Provinz Westfalen und der Fürstentümer Lippe, Schaumburg-Lippe und Waldeck - S. 13

1894 - Breslau : Hirt
Geschichtliche Entwickeluna. 13 Y. Geschichtliche Gntwicketung. 1. Römerzeit. Die Römer bringen uns die erste Kunde über die ehemaligen Be- wohner Westfalens. Schon Julius Cäsar rückte an die Südgrenze West- falens (Sigambernland) vor; in den Jahren 12 bis 9 v. Chr. eroberte Drnsus das Land zwischen Rhein und Weser, und unter der Statthalterschaft des Tiberins 9 vor bis 8 nach Chr. haben die Römer die westfälische Ebene bis zum Osning nahezu als Provinz besessen und teilweise kultiviert. Reste ihrer Festungen, Staudlager, Heerstraßen und Grenzwälle sind, besonders an beiden Ufern des Lippeflusses, zahlreich vorhanden. Bewohner der nordlippeschen Ebene, des heutigen Münsterlandes, waren die Brukterer, des südlippeschen Gebirgslandes die Sigambern (Marsen, Attuarier, Tenkterer); Insassen der Weserlandschaft des linken Ufers zwischen dem Flnße und dem Osning-Eggegebirge waren Weststämme des mächtigen Cheruskervolkes. Diese drei Volksstämme entledigten sich im Bunde mit den südlichen Chatten (Hessen) im Spätsommer des Jahres 9 nach Chr. durch den Überfall und die gänzliche Vernichtung der unter dem Oberbefehl des Qnintilins Varus stehenden Rheinarmee im Teutoburger Walde der römischen Herrschaft für immer. Die Rachezüge des Germanicns, (Drusus' Sohn), in den Jahren 14, 15 und 16 n. Chr. haben das ganze westfälische Land zwar fürchterlich mit Mord und Brand heimgesucht, aber die Wieder- eroberuug Westfalens nicht herbeiführen können. Die damaligen Bewohner Westfalens find unter des Cheruskerfürsten Arminius Führung die Befreier der Nation geworden*). Zwar haben die Römer Westfalen nicht wieder- gewinnen können, aber in tödlichem Haß gegen die Tentobnrgvölker haben sie deren einheimische Feinde, besonders die damaligen Bewohner des heutigen Ostfrieslands, Oldenburgs, Osnabrücks und Nordhannovers, nämlich die Chanken und Angrivarier auf Brukterer, Cherusker und Marsen gehetzt und mit ihren Heeren vom Rhein aus unterstützt. In der Brnktererschlacht um das Jahr 95 sielen von diesem Volke 69 999; aber völlig vernichtet, wie Tacitus irrtümlich angiebt, sind sie nicht. Gegen Ende des I. Jahrh. n. Chr. verschwindet zwar der Name der Altvölker vom westfälischen Boden; die siegreichen Nordstämme, zusammengedrängt in den Namen Angrivarier —Engern, erweitern ihre Marken südlich sast über den ganzen westfälischen Boden, sowie auch über das Land ostwärts der Weser. Aber was damals nicht vernichtet und verknechtet wurde, wanderte süd- wärts und westwärts unter Gestattung und Anweisung der Römer aus an den Saum des rechtsrheinischen Römergebiets! Chernskische Stämme nach Salland in die römischen, bis dahin leeren, Asselmarken zwischen Friesen und Batavern; Attuarier (Marseu-Sigambern) und Brukterer ins südliche Gebirge und abwärts an Lippe, Ruhr, Wupper, Agger, Sieg. Regelmäßige Sold- und Hülsstruppen der Brukterer und Ämstvarier werden im 2. Jahrh. von römischen Schriftstellern mehrfach genannt; *) Nur ein hier breiterer, dort schmalerer Landsaum am rechten Rheinufer von der Issel bis zur Siegmündung verblieb den Römern, durch Trajan erweitert, bis zur Frankenzeit.

2. Heimatskunde der Provinz Westfalen - S. 41

1900 - Minden i. W. : Volkening
— 41 — Seutius Saturninus, war es gelungen, die Deutschen mit der römischen Oberhoheit zu befreunden. Der Germane lernte die Reize des feinen römischen Lebens schätzen, die Fürsten bewunderten die glatten Manieren der gebildeten Gesellschaft, den Geist der Ordnung im Staate, die Überlegenheit römischer Art und Kunst. Und die Römer verstanden es, andere Nationen zu blenden und zu locken. Germanische Jünglinge von hohem Stande drängten sich zum Kriegs- dienst in den Legionen und trugen stolz den fremden Waffenschmuck; selbst Fürsten fühlten sich geschmeichelt, wenn ihnen der Senat das Bürgerrecht oder der Kaiser eine militärische Auszeichnung verlieh. Aber wenn es auch schien, als sollte die deutsche Volksart der Herr- schaft und Sprache, dem Rechte und der Sitte der Römer den Platz räumen, so war doch in Germanien Freiheits- und Vaterlandsliebe noch nicht erstorben. Es kam ein neuer Statthalter, Quinctilius Varus, der zwar weder böse noch hartherzig war, aber, weil er es auf seinem vorigen neunjährigen Statthalterposten in Syrien nur mit sklavisch Gesinnten zu thun gehabt hatte, auch in Deutschland sein Ansehen in herrischer Weise geltend zu machen strebte und bei der Befriedigung seiner Habsucht keine Grenzen kannte. Als derselbe daher schwere Abgaben forderte, an die Stelle der altheimischen Schiedsgerichte und der freien Gauverfassung die verwickelte römische Rechtspflege einführte, die prozeßführenden Parteien vor römischen Richtern durch römische Sachverwalter in römischer Sprache ver- treten ließ und über freie deutsche Männer die Strafe der Nuten und des Beils verhängte: da fühlte das Volk seine Schmach, und am tiefsten Segimer's Sohn, Armin, ein Fürst der Cherusker, der sich srüher im römischen Kriegsdienste das römische Bürgerrecht und die römische Ritterwürde erworben, dabei aber auch die Unter- drücknngskünste der Römer hassen gelernt hatte. Erbittert über die Herrschaft fremden Rechts und fremder Sitte, schloß Armin mit andern cheruskifcheu Fürsten, sowie mit den Fürsten der Marser, Brukterer und Katten einen geheimen Bund gegen die Unterdrücker, und ebenso rasch zur That als erfinderisch« im Rat, entwarf er einen auf das thörichte Selbstvertrauen und die Sorglosigkeit des Varus berechneten Aufstands- und Überfallsplan,

3. Heimatskunde der Provinz Westfalen - S. 92

1900 - Minden i. W. : Volkening
— 92 — Augen und etue firme Faust; aber ein Schreiner braucht mehr. Ich habe mich einmal vom Hochmut verleiten lassen und wollte, wie Ihr es nennt, einen richtigen Schrank zuwege bringen, weil mir Hobel und Meißel und Reißschiene auch bei dem Zimmergewerk durch die Hände gegangen waren. Ich maß und zeichnete und schnitt die Hölzer zu; auf Fuß und Zoll hatte ich alles abgepaßt; aber als es nun an das Zusammenfügen und Leimen gehen sollte, war alles verkehrt. Tie Wände standen windschief und klafften, die Klappe vorn war zu groß und die Kasten für die Offnungen zu klein. Ihr könnt das Machwerk noch sehen; ich habe es auf der Flur stehen lassen, mich vor Versuchung künftig zu wahren; denn es thut dem Menschen immer gut, wenn er eine Erinnerung an seine Schwachheit vor Augen hat." In diesem Augenblicke ließ sich ein lustiges Wiehern aus dem Pferdestalle gegenüber vernehmen. Der Pferdehändler räusperte sich, schlug sich Feuer an, blies dem Receptor eine starke Dampswolke in das Gesicht, sah sehnsüchtig nach dem Stalle und dann gedankenvoll vor sich nieder. Hieraus nahm er den lackierten Hut vom Kopse, strich mit dem Arme über die Stirn und sagte: „Noch immer eine schwüle Witterung." — Dann schnallte er seine lederne Geldkatze vom Leibe, warf sie mit Getöse auf den Tisch, daß der Inhalt klang und klirrte, lösete die Riemen und zählte zwanzig blanke Gold- stücke hin, bei deren Anblick die Augen des Receptors zu funkeln anfingen, nach denen aber der alte Hofschulze gar nicht hinsah. „Hier ist das Geld !" ries der Pferdehändler, die Faust geballt auf den Tisch stemmend, „krieg' ich den Braunen dasür? Er ist nicht einen Heller mehr wert!" „Dann behaltet Euer Geld, damit Ihr nicht zu Schaden kommt!" versetzte der Hofschulze kaltblütig. „Sechsundzwanzig, wie ich gesagt habe, und keinen Stüber darunter. Ihr kennt mich nun die Jahre her, Herr Marx, und solltet daher wissen, daß das Tingen und Feilschen bei mir nichts verschlägt, weil ich nie von meiner Sprache abgehe. Ich begehre, was mir eine Sache wert ist, und schlage niemals vor, und so könnte kommen, wer da wollte, er kriegte den Braunen nicht unter sechsundzwanzig."

4. Heimatskunde der Provinz Westfalen - S. 76

1900 - Minden i. W. : Volkening
— 76 — besser sind als unser Ruf und uns der Heimat nicht zu schämen brauchen. Westfalens Preis. Wie heißt das Land, das schon in grauen Zeiten Bewundrnng einst vor aller Welt errang; Das mit der Weltbeherrscherin zu streiten Vermocht' und einst das stolze Rom bezwang? Ihr kennt es wohl, ihr alle wißt es ja: Das tapsre Land, es heißt Westsalia! Wo schlug Arminins die Legionen? Wo hat sich Varus in sein Schwert gestürzt? Wo sieht man nach zweitausend Jahren wohnen Den alteu Stamm noch rein und unverkürzt? Ihr kennt den Stamm, ihr alle wißt es ja: Das deutsche Land, es heißt Westsalia! Wo hat einst Wittekind dem großen Kaiser Getrotzt ein ganzes Menschenalter durch? Wo fand das deutsche Recht stets freie Weiser, Wo deutscher Mut stets eine Waffenburg? Ihr kennt das Land, ihr wißt es alle ja: Das deutsche Land, es heißt Westsalia! Wo ist die heilge Feme einst entstanden, Tie unsichtbare, strenge Rächerhand, Damals die mächtigste in deutschen Landen, Der sich kein Frevler ungestrast entwand? Das Land der roten Erde kennt ihr ja: Es ist kein andres als Westsalia! Ihr kennt die Weser, die von Kampf und Siegen Die Kunde fröhlich in die Lande rauscht; Ihr kennt die Lippe, die von Römerkriegen Erzählt dem Volke, das der Sage lauscht.

5. Heimatskunde der Provinz Westfalen - S. 79

1900 - Minden i. W. : Volkening
— 79 — lästige?" Und Satan: „Ei ja wohl Hab' ich es gesehen; wenn du es mir aber gäbest, dann sollte es dir nicht mehr zur Last fallen !" „Nun, ich geb' es dir, doch unter der Bedingung, daß du es aus der Welt hinausschaffest." Da ging Satan vergnügt und froh hinweg und richtete einen großen Sack her, in den er alle Westfalen steckte und dann in die Lnft flog, um dieselben aus der Welt fortzuschaffen. Als aber diesen die Sache verdächtig vor- kam, begannen sie zu knurren und bereiteten ihrem Träger so viel Last, daß er vor Müdigkeit auf einem Berge den Sack niedersetzen mußte. Kaum fühlten dieselben sich wieder auf festem Boden, als sie alsbald den Sack zerrissen und davon flohen, daß keiner seines Nächsten mehr gedachte, und so ist es gekommen, daß sie in alle Welt zerstreut wurden. Als aber Satan wieder zum Herrn kam, machte dieser ihm Vorwürfe und fprach: „Nun, was hast du thun wollen? Ich hatte dir die Westfalen gegeben, damit du sie aus der Welt sortschaffen solltest, und du hast sie im Gegenteil über die ganze Welt zerstreut!" Jener aber: „Halt es mir zugute, Herr! Du kennst ja das Volk, wie hartnäckig es ist, weder auf mich, noch auf dich wollen sie hören. Sieh, ich geb' sie zurück in deine Hände; mache mit ihnen, was dir gut dünkt." Legende. Der niedcrsächsische Volksstamm. Innerhalb des norddeutschen Tieflands westlich von der Elbe an wohnen die Nachkommen des niedersächsischen Stammes, der südlich bis in die zunächst angrenzenden Gebirgslandschaften, nörd- lich bis zu dem Küstensaum der Friesen, nordöstlich bis zu der Eider und dem Tannewerk, den alten Grenzen der Dänen gegen die Deutschen, und westlich bis nahe an den Rhein in der Ebene, seinem Lieblingsaufenthalte, ausgebreitet faß. Kenntlich als ein Stamm durch die niederdeutsche Sprache, wenngleich sie in mehrere Mundarten zerfällt, hat er zugleich mancherlei eigentümliche Sitten und Einrichtungen bewahrt. So erinnert uns zugleich bei dem Eintritte in diese Gegenden noch heute das westfälische Bauernhaus daran, daß wir uns in dem alten Sachsenlande befinden — ein

6. Heimatskunde der Provinz Westfalen - S. 80

1900 - Minden i. W. : Volkening
— 80 — großes, einstöckiges Giebelhaus, seiner bedeutenden Länge nach ge- wöhnlich in drei Teile geteilt. In der Mitte der Giebelseite, durch ein großes Thor kenntlich, ist die Einfahrt, welche unmittelbar auf die Tenne führt. Von da wird die Ernte auf dem Speicher bis zum Dache untergebracht. Rechts und links der breiten Einfahrt sind die Plätze für das Vieh abgesondert, welches mit den Köpfen nach innen steht. Die Wohnungen befinden sich entweder neben den Viehställen an den beiden seitlichen Abteilungen, oder es ist hinten, am Ende der Einfahrt, noch eine vierte Abteilung angebracht, welche durch die ganze Breite des Hauses geht. Die Küche im Hintergrunde des mittleren Raumes ist häufig offen und ohne Schornstein. „Die Wohnung eines gemeinen Bauern," fagte Justus Möser, der ausgezeichnete Verfasser der osnabrückischen Geschichte, der Geschichte seines Vaterlandes, „ist in ihrem Plane so voll- kommen, daß solche gar keiner Verbesserung fähig ist und zum Muster dienen kann. Der Herd ist fast in der Mitte des Hauses und so augelegt, daß die Frau, welche bei demselben sitzt, zu gleicher Zeit alles übersehen kann. Ein so großer und bequemer Gesichts- Punkt ist in keiner andern Art von Gebäuden. Ohne von ihrem Stuhle aufzustehen, übersieht sie zu gleicher Zeit drei Thüren, dankt denen, die hereinkommen, heißt sie bei sich niedersitzen, behält ihre Kinder und ihr Gesinde, ihre Pferde und Kühe im Auge, hütet Keller, Boden und Kammer, spinnt immerfort und kocht dabei. Ihre Schlafstelle ist hinter diesem Feuer, und sie behält aus derselben eben diese große Aussicht, sieht ihr Gesinde zur Arbeit aufstehen und sich niederlegen, das Feuer anbrennen und verlöschen und alle Thüren auf- und zugehen, hört ihr Vieh fressen, die Weberin schlagen und beachtet Keller, Boden und Kammer. Jede zufällige Arbeit bleibt in der Kette der übrigen. Sowie das Vieh gefüttert und die Dresche gewandt ist, ruht sie wieder hinter ihrem Spinnrade. Diese vereinigten Vorteile machen, daß die Bauern lieber beim Herde als in der Stube sitzen." Auch andere Gewohnheiten haften an den liebgewonnenen Ein- richtnngen des Hauses, obgleich durch Landesart, größeren Aufwand und obrigkeitliche Anordnungen im einzelnen Abweichungen bedingt

7. Heimatskunde der Provinz Westfalen - S. 83

1900 - Minden i. W. : Volkening
— 83 — Zeit umschließen. Die weit von einander liegenden, meist in Baum- gruppen versteckten Höfe der Bauern, sowie der Mangel an größeren Städten tragen auch zur Eigentümlichkeit des Landes bei. Be- sonders ansprechend aber sind die alten Eichenwälder, die von kleinen Bächen durchrieselt werden. Gar malerisch sehen die oft dicht mit Epheu umrankten riesigen Eichenstämme und Buchen aus, in deren Zweigen Hunderte von Finken, Kreuzschnäbeln und andern Wald- vögeln nisten. Ein Fichtenbaum ist eine Seltenheit in Westfalen. Die Bevölkerung Westfalens teilt sich eigentlich in drei Klassen, in Adel, Geistlichkeit und Bauern. Ter Bürgerstand ist so zu sagen nur aus letzteren hervorgegangen. Ter Bauer ist das eigentliche Grundelement der Bevölkerung. Auf seinem von Vorfahr auf Vorfahr fortgeerbten Grundstück dünkt er sich ebenso viel, als der Nachbar Edelmann auf seinem Stamm- schloß. Mancher soll sehr bedeutendes Vermögen haben, obgleich die Häuslichkeit deshalb um nichts vornehmer ist als die der minder reichen; nur die Gebäude sind größer, der Viehstand umfangreicher. Auf Leiuenzeng hält der westfälische Bauer und Bürger besonders viel. Es ist eine Ehrensache, nicht öfter als im Frühjahr und im Herbst Hanswäfche zu halten und dann sechs Monate mit dem Vor- rat ausreichen zu können. Ter Westfale ist von stämmigem Körperbau, hat frische Farbe, mattblaue Augen, blonde Haare, ist schweigsam, ruhig, kaltblütig, streng, sittlich. Ter Grundzug im Charakter der Westfalen aber ist das Beharren beim Alten. Sie zeigten dies schon damals, als sie unter Hermann die Römer bekämpften. Tie Liebe zum Fremden, die sonst den Deutschen eigen ist, findet man bei den Westfalen nicht. Nirgends giebt es eine größere Anhänglichkeit an die Scholle, nirgends eine kräftigere Absperrung gegen das Neue und Fremde als gerade hier. Nirgends hielten die altdeutschen Rechtseinrich-- tnngen länger aus als in Westfalen, nirgends behauptete sich die Schöffengerichtsverfassung länger als hier. Eine Folge der Liebe zum Bestehenden ist auch der Rechtssinn. Eine andere Eigentümlichkeit der Westfalen ist der Hang zur Ab- sonderung, der Mangel an Sinn für das Allgemeine. Ter Land- 6*

8. Heimatskunde der Provinz Westfalen - S. 91

1900 - Minden i. W. : Volkening
— 91 — gefügten Stücke das letzte Geschick. Der Schulze stieß mit dem Fuße die vor das Rad gelegten Steine hinweg, faßte den Wagen bei der Stange, um das geflickte Rad zu prüfen, und zog ihn ungeachtet seiner Schwere ohne Anstrengung quer über den Hof, fo daß die Hühner, Gänse und Enten, welche sich ruhig gesonnt hatten, mit großem Geschrei vor dem rasselnden Wagen entflohen und ein paar Schweine aus ihrem eingewühlten Lager grunzend auffuhren. Zwei Männer, von denen der eine ein Pferdehändler, der andere ein Rendant oder Receptor war, hatten, unter der großen Linde am Tische vor dem Wohnhause sitzend und ihren Trunk der- zehrend, der Arbeit des alten, rüstigen Mannes zugesehen. „Das muß wahr sein," rief jetzt der eine, der Pferdehändler; „Ihr hättet einen tüchtigen Schmied abgegeben, Hofschulze!" Ter Hoffchulze wusch in einem Stalleimer voll Wasser, welcher neben dem kleinen Amboß stand, sich Hände und Gesicht, goß dann das Feuer aus und sagte: „Ein Narr, der dem Schmied giebt, was er selbst verdienen kann!" Er nahm den Amboß auf, als sei er eine Feder, und trug ihn nebst Hammer und Zange unter einen kleinen Schuppen zwischen Wohnhaus und Scheuer, in welchem Hobelbank, Säge, Stemmeisen, und was sonst zu Zimmer- und> Schreinergewerk gehört, bei Holz und Brettern mancher Art stand, lag oder hing. Indem der Alte sich unter dem Schuppen noch zu schaffen machte, sagte der Pferdehändler zu dem Receptor: „Wollen Sie glauben, daß der auch alle Pfosten, Thüren und Schwellen, die Kisten und Kasten im Hause mit eigener Hand flickt, oder, wenn das Glück gut ist, auch neu zuschneidet? Ich meine, wenn er wollte, könnte er auch einen Kunstschreiner vorstellen und würde einen richtigen Schrank zuwege bringen." „Ta seid Ihr ^im Irrtum," sprach, der Hofschulze, der das Letzte gehört hatte und, das Schurzfell jetzt abgethan, im weiß- leinenen Kittel aus dem Schuppen trat. Er setzte sich zu den beiden Männern an den Tisch, eine Magd brachte ihm auch ein Glas; er that seinen Gästen Bescheid und fuhr dann fort: „Zu einem Pfosten, zu einer Thür und Schwelle gehören nur ein Paar gesunde

9. Heimatskunde der Provinz Westfalen - S. 261

1900 - Minden i. W. : Volkening
— 261 — Böschung hinab. In demselben Augenblick begann der Wagen zu wanken, schlug um und — zermalmte den Unglücklichen. Tie Leichen wurden in das einzige unweit des Bahndammes gelegene Bauernhaus geschafft. Nach 3 Tagen traf ein Metall- sarg ein, der unglücklichen Braut die entstellte irdische Hülle ihres Verlobten zu überbringen; die beiden Beamten fanden eine Ruhe- statte auf dem Kirchhofe zu Gütersloh. Nach etwa einstündigem Warten auf dem Bahnhof in Güters- loh, wo man den schlank gewachsenen, jugendfrischen Prinzen mit leicht verbundener Stirne mit dem gerade im Orte einquartierten Obersten von Freidank vor dem Stationsgebäude' auf und abwan- deln sah, traf der Extrazug von Hamm ein und Prinz Friedrich Wilhelm konnte seine Reise nach Bonn fortsetzen. Als im Jahre 1860 in Gütersloh die neue evangelische Kirche eingeweiht wurde, ließ Prinz Friedrich Wilhelm derselben einen bronzenen Taufstein, auf Ansuchen der Gemeinde, überweisen; der- selbe trägt die einfache Inschrift: „Gütersloh, den 21. Januar 1851." Öfter soll der Kronprinz westfälische Soldaten seines Re- giments gefragt haben, ob sie die Gemeinde Avenwedde kennten, wo er dem Tode so nahe gewesen. Als 1865 der Kreis Wiedenbrück die vor fünfzig Jahren er- folgte Einverleibung der Grafschaften Rietberg und Rheda nebst Reckenberg in das Königreich Preußen feierte, wurde die Errich- tung eines Denkmals an jener Stelle beschlossen. In einem umfriedeten Räume von etwa dreißig Schritten ins Geviert, dessen östliche Grenzen der hohe Eisenbahndamm bildet, erhebt sich, umgeben von Rasenstücken und einigen Blumenbeeren, ein aus Erde und unbehauenen Steinen geschaffener viereckiger Unterbau, in der Höhe etwa des Eisenbahnkörpers. Auf jenem steht das eigentliche Denkmal: ein viereckiger Sandsteinmonolith mit einer Art Kapitäl, das, in würfelförmigen Abstufungen sich verjüngend, einen Broneeadler mit ausgebreiteten Flügeln trägt; den erhobenen Kopf kehrt er dem Eisenbahndamme zu. An dieser Seite befindet sich die Inschrift: „Zur Erinnerung an die glückliche Errettung des Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen aus

10. Heimatskunde der Provinz Westfalen - S. 260

1900 - Minden i. W. : Volkening
— 260 — Friedrich Wilhelm von Preußen. Es war das letzte Abteil, I. Klasse, des betreffenden Wagens; seine Insassen waren also von dem nach- drückenden Zugteile am gefährlichsten bedroht. Doch alle Umstände vereinigten sich, wie erwähnt, das Ver- hängnisvollste abzuwenden; einige Glassplitter nur verletzten den Prinzen unerheblich an der Stirne. Tie Verwirrung nach dem Unglück muß grenzenlos gewesen, nichts scheint für dergleichen Fälle vorgesehen gewesen zu sein, und Hilfe mußte erst von Gütersloh und Hamm herbeigeholt wer- den. Nur einige wenige Landleute waren, aus der nächsten Nähe, durch das ungewohnte Getöse der anprallenden Wagen, der ächzen- den Maschine und endlich durch das Geschrei der Verunglückten herbeigelockt, gleich an der Unglücksstelle. Zu helfen gab es genug und doch wieder wenig, soweit der Tod schon seine Ernte gehalten. Tie Maschine durch unterge- schobene Schienen zu heben, um die Körper des Lokomotivführers und Heizers zu befreien, mußte sich natürlich bald als unausführ- bar erweisen; Winden waren nicht zur Hand und — die Unglück- lichen hatten längst ihren Geist ausgehaucht. Glücklicher waren die Bemühuugen, aus den herabgeschleuderten und zertrümmerten Wagen die Eingeschlossenen zu befreien, was mit Beil und Brech- stange erreicht wurde. Ter Prinz war gleich mit unter den ersten, die, das Unglück überschauend, den Bedrängten beisprangen; mittlerweile war auch ärztliche Hülse von Gütersloh eingetroffen. Wenn es sich schließ-- lich herausstellte, daß der Unfall nur 3 Tote und 7 Verwundete im ganzen gefordert, so muß das der immerhin schwachen Be- setzung des Zuges gegenüber unserer Zeit zugeschrieben werden, zugleich aber auch dem rechtzeitigen Bremsen des zweiten Zugteiles. Wahrhaft tragisch ist das Geschick des dritten außer dem Heizer und Lokomotivführer Getötetem Herr John Andre aus Newyork, Gesandtfchaftsfekretär der Vereinigten Staaten, befand sich auf der Reise in die Heimat, um seine Braut heimzuführen. Als er des Unglücks inne wurde, riß er die Thür seines Abteils — es war der dritte der entgleisten Wagen — auf und sprang hinaus, die
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