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Diagramm für Aktuelle Auwahl statistik

1. Bd. 1 - S. 78

1913 - Leipzig : Poeschel
78 Die Verfassung -es Reiches usw. Dresden, Chemnitz und andere Orte haben dagegen ein berufs- ständisches Wahlrecht eingeführt; es sind verschiedene Berufs- gruppen gebildet, die eine bestimmte Anzahl von Stadtverordneten ins Stadtparlament entsenden. Wählbar ist nur, wer selbst wählen kann. Frauen sind stets aus- geschlossen, ebenso wer in Konkurs geraten, der bürgerlichen Ehren- rechte für verlustig erklärt oder eines öffentlichen Amtes enthoben ist, ferner alle, die unter Polizeiaufsicht stehen oder mit der Ent- richtung der Steuern bestimmte Zeit im Rückstände geblieben sind usw. Wer aber alle Voraussetzungen der Wählbarkeit erfüllt, darf eine auf ihn fallende Wahl nur ablehnen, wenn besondere in den Ge- setzen selbst aufgestellte Gründe in seiner Person vorliegen. Ist das nicht der Fall, kann er zur Annahme durch Verhängung von Geld- strafen angehalten werden. Die Stadtverordneten verwalten ihren Posten unentgeltlich ent- weder 3 Jahre (Sachsen, revidierte Städteordnung), 6 Jahre (Preußen) oder 9 Jahre (Bayern). Alljährlich oder nach 2 bez. 3 Jahren tritt je ein Drittel aus und muß neu gewählt werden. Mindestens die Hälfte der Stadtverordneten muß mit Wohnhäusern im Gemeindebezirke ansässig sein (Hausbesitzerprivileg). Die Stärke der Versammlung ist in den einzelnen Orten verschieden; sie richtet sich je nach der Bevölkerungszahl. In Preußen sollen mindestens 12, in Sachsen mindestens 9 Stadtverordnete vorhanden sein. Für solche, die außerhalb der üblichen Reihe ausscheiden, können Ersatzmänner gewählt werden. Ein gewichtiges und entscheidendes Wort in allen Gemeinde- angelegenheiten mitzusprechen, hat sich fast jeder Staat vorbehalten. Er übt die „Oberaufsicht" über die Gemeinden aus und hat dabei das Hauptaugenmerk daraufzu richten, daß von der Gemeinde- verwaltung die gesetzlichen Bestimmungen eingehalten, daß die Be- fugnisse der Gemeinde und ihrer Organe nicht überschritten, das Stammvermögen erhalten und eine ungerechtfertigte Belastung der Gemeinde mit Schulden vermieden werde. Die Aufsichtsbehörde ent- scheidet auf Anrufen Streitigkeiten, die zwischen den Gemeinde- körperschaften ausgebrochen sind. Wenn eine Gemeinde zu leisten

2. Bd. 1 - S. 84

1913 - Leipzig : Poeschel
84 Die Verfassung ües Reiches usw Beamte zur Vornahme von Kassen- und Rechnungsprüfungen an- zustellen usw. Der Gründung derartiger Verbände sind die Re- gierungen sehr gewogen. In Sachsen ist 1910 ein Gesetz zur Rege- lung der Rechtsverhältnisse der Verbände erlassen worden, in Preußen Anfang 1911 zwei. Das eine behandelt die Zweckverbände und deren Aufgaben im allgemeinen; das andere befaßt sich mit den Verhält- nissen von Berlin und den es umgebenden Vororten. Diese werden darnach mit der Hauptstadt für bestimmte Angelegenheiten zu einem Zweckverbande „Großberlin" zusammengeschlossen. Der Verband ist, namentlich für die kleinen und kleinsten Gemeinden, oft das einzige Mittel, die zahlreichen Ansprüche zu erfüllen, die an das moderne Gemeindewesen gestellt werden. Es leuchtet ein, daß die stetige Ausdehnung des gemeindlichen Wirkungskreises ein ständiges Steigen der Ausgaben im Gefolge haben muß. Aufgabe der Gemeindeverwaltung ist es, für die ent- sprechenden Einnahmen zu sorgen. Bei Reich, Staat und Gemeinde richten sich die Ausgaben nicht in erster Linie nach den Einkünften, wie es bei jedem Privatmanne sein sollte, sondern die Einnahmen werden durch die notwendigen Ausgaben bedingt. Wo letztere niedrig sind, brauchen erstere auch nicht hoch zu sein. Die Grundlage für die gesamte Finanzwirtschaft bildet der nach den meisten Gemeindegesetzen jährlich aufzustellende Haushalt- plan (Etat); er ist eine wahrscheinliche Übersicht der zu erwarten- den Einnahmen und Ausgaben, die auf je einer Seite dargestellt werden. Man unterscheidet ordentliche und außerordentliche Einnahmen und Ausgaben. Besonders für die Behandlung der Ausgaben ist diese Auseinanderhaltung wesentlich; als außerordent- liche gelten diejenigen, die nicht oder nur in ausgedehnten Zeit- räumen wiederkehren. Die Höhe des erforderlichen Aufwandes ist dabei nicht maßgebend, doch ist die Größe der Gemeinde vielfach von wesentlichem Einflüsse. Die Kosten für den Bau einer Schule werden in kleinen Gemeinden immer als außerordentliche Ausgabe zu betrachten sein, während sie in den Großstädten, wo fast jedes Jahr ein neues Schulgebäude nötig wird, zu den ordentlichen zu zählen sind.

3. Bd. 1 - S. 88

1913 - Leipzig : Poeschel
88 Die Verfassung ües Reiches usw. Krankenhäusern, Anlegung von Straßen, Ausführung von Be- schleusungen usw. rechtzeitig mit der Ansammlung von Zweck- vermögen beginnen, damit im Bedarfsfälle die erforderlichen Mittel vorhanden sind. Bis zur Auflösung des alten deutschen Reiches hatten die reichs- unmittelbaren Städte das Recht, Gesandte in den Regensburger Reichstag zu schicken. In den neuen Reichstag dagegen senden Städte keine Vertreter mehr, die Abgeordneten werden von der Gesamtheit des deutschen Volkes gewählt; nur im Bundesrate sind Hamburg, Lübeck und Bremen als Stadtstaaten durch je ein von ihnen zu bevollmächtigendes Mitglied vertreten. Die einzelstaatlichen Parlamente aber weisen verschiedentlich Vertreter der Städte auf; in den Zweikammerparlamenten spielen namentlich in der ersten Kammer (Herrenhaus, Reichsrat,) die Oberbürgermeister der großen Städte eine bedeutende Rolle. Zu den Vertretungskörpern der überge- ordneten Kommunalverbände ist den Gemeindeorganen meist ein Wahl- recht eingeräumt; denen der Landgemeinden und der nicht kreisfreien Städte zum Kreistage, Distriktsrat, der Bezirksversammlung, denen der größeren Städte, welche vielfach eigne Kreise bilden (exemte Städte), zum Provinziallandtag der Kreisregierung, dem Kreisausschuß. Zur Wahrung gemeinschaftlicher Interessen und zwecks Austausches von Erfahrungen wurden schon in den 60er Jahren Zusammenkünfte von Bürgermeistern und Gemeindevertretern abgehalten. Bekannt ist der sächsische Gemeindetag, dem Stadt- und Landgemeinden an- gehören. Zurzeit bestehen eine große Anzahl von Verbänden, deren Mitglieder Gemeinden eines begrenzten Gebietes sind, wie der preu- ßische, der bayerische, der hessische Städtetag, der schleswig- holsteinische Städteverein, der oberschwäbische Städtever- band. Daneben wirken mehrere Personenvereinigungen, die Sonder- zwecke verfolgen; die bedeutendste ist die Konferenz der Finanzdezer- nenten der Städte über 80000 Einwohner. Über das ganze Reich erstreckt sich der 1903 anläßlich der Dresdener Städteausstellung gegründete deutsche Städtetag, dem Städte mit mehr als 25000 Einwohnern und Städteverbände beitreten kennen. Zur Erleichterung des Verkehrs hat er eine Zentralstelle

4. Bd. 1 - S. 89

1913 - Leipzig : Poeschel
Die politischen Parteien. 89 in Berlin eingerichtet. In letzter Zeit hat er sich stark des Anleihe- wesens angenommen und auch sonst bereits eine segensreiche Wirk- samkeit entfaltet; er wird aller Voraussicht nach in Zukunft eben- falls das leisten, was von ihm erwartet wird. Zwecks Zusammen- fassung der kleineren zur Mitgliedschaft beim Städtetage nicht berechtigten Städte ist vor einigen Jahren der Reichsverband deutscher Städte ins Leben gerufen worden. So herrscht auf allen Gebieten ein frisches Leben und froher Schaffensdrang. Das ist auch notwendig, denn groß sind die Auf- gaben der Gemeindepolitik und schwer ihre Erfüllung. c) Die politischen Parteien. Die politischen Parteien der Gegenwart sind Kinder der neuesten Geschichte, geboren aus dem Streben des Volkes, an der Regierung des Staates teilzunehmen. Möglich wurden sie erst, als der konstitu- tionelle Gedanke die Völker zu erfassen begann. Den Anfang bildet vielfach die Vereinigung von Abgeordneten gleicher politischer An- schauung (Fraktion) zu dem Zwecke, ihre Pläne und Forderungen wirksam vertreten und durchführen zu können. Bald sucht die Fraktion auch außerhalb des Parlaments Anhänger zu bekommen, da sie von den Wählern gleicher Anschauung abhängig ist, und so entsteht die Partei, die alle umschließt, Abgeordnete und Wähler, Zweigvereine bildet, Zeitungen für die Propaganda unterhält und eine Organisation schafft, die für die finanziellen Mittel zum Wahl- kampf zu sorgen hat. Aber auch der umgekehrte Weg ist möglich: es kann in einem Volke, das noch keine Verfassung hat, der Zu- sammenschluß Gleichstrebender zu einer Partei nach einem auswär- tigen Vorbilde erfolgen, und erst mit der Verfassung entsteht dann auch die Fraktion. Die Partei ist also eine Vereinigung gleichgesinnter oder das gleiche Ziel erstrebender Bürger, die die Absicht haben, im Staate oder in der Gemeinde wenn nicht die Herrschaft, so doch wenigstens die Macht auf einem bestimmten Gebiete zu erobern. Gleiche Zwecke und gleiche Interessen verbinden ihre Mitglieder. Ursprünglich waren es bestimmte Weltanschauungen, wie Libera-

5. Bd. 1 - S. 90

1913 - Leipzig : Poeschel
90 Dis Verfassung -es Reiches usw. lismus oder Konservativismus, die parteibildend wirkten. Allmählich haben dann auch berufliche Interessen, Standesangelcgenheiten oder religiöse Anschauungen parteibildende Kraft bewiesen, indem Groß- grundbefltzer, mittlere bäuerliche Besitzer, Kaufleute, Handwerker, die Industrie wie die Finanzwelt versuchten, ihre besonderen Zwecke durch Parteigründungen zu verwirklichen. Auch Verschiedenheiten der Natio- nalitäten können zu Parteigruppierungen führen. In Deutschland kennt das 18. Jahrhundert ein Parteiwesen fast noch nicht. Das ist begründet in dem Mangel eines regen öffentlichen Lebens. Erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand unter dem Einfluß der französischen Revolution wie im ganzen westlichen Europa und in Amerika so auch in Deutschland der Gegensatz von Liberalismus und Konservativismus. Einzelne Schattierungen waren dabei von Anfang an vorhanden, je nach der Intensität der Wünsche und Forderungen (Parteistellung im Frankfurterparlament). Bald aber verbinden sich bestimmte wirtschaftliche und soziale Momente mit der politischen Weltanschauung. Seitdem die Arbeiterklasse in bewußten Gegensatz zum Bürgertum tritt (um 1860), und dievedeutung der sozia- len Frage wächst, entstehen neue Parteischichtungen, die die älteren li- beralen und konservativen Gruppen zersetzen. Immer größer wird die Zerklüftung des Parteiwesens, je mehr wirtschaftliche Interessen in den Vordergrund rücken. Darüber geht die einheitliche Weltanschauung fast verloren; das Parteileben Deutschlands rückt gegen Ende des 19. Jahrhunderts immer weiter von dem Ideal des Zweiparteien- systems (England) ab. (Siehe die Tabellen S. 92 und 93.) Die Partei der Konservativen entwickelte sich in den Ber- fassungskämpfen Preußens im Jahre 1848. Im schärfsten Gegensatz zu den Liberalen, die wie im Frankfurter Parlament auch in der Preußischen Nationalversammlung die Mehrheit bildeten, schlossen sich alle diejenigen Elemente Preußens zusammen, die im Staat den monarchischen Gedanken, in der Kirche den christlich-evangelischen Standpunkt gewahrt wissen wollten („Autorität, nicht Majorität") und einen organischen Aufbau des Staates an Stelle einer demo- kratischen Entwicklung wünschten. Ihre Gründer waren besonders

6. Bd. 1 - S. 91

1913 - Leipzig : Poeschel
Die politischen Parteien 91 die Brüder von Gerlach, von Bismarck, Stahl, Niebuhr und O. von Manteuffel. Da der Großgrundbesitz in der Folgezeit die Vorherr- schaft in der Partei gewann, wurde sie von den Gegnern „Junker- partei" genannt. Als Preßorgan wurde die Krcuzzeitung gegründet. Die Konservativen hatten wichtigen Einfluß in der direkten Umgebung des Königs und erreichten in der 1850 oktroyierten Verfassung eine Einschränkung der demokratischen Forderungen. In den 50er Jahren erlangten sie auch in der 2. Kammer die Majorität. In der Konflikts- zeit (1861—66; s. S. 103,107) aber waren sie, die Anhänger der Bis- marckschen Politik, in der Minderheit. Als die Volksvertretung 1866 mit der Negierung ihren Frieden machte, zweigte sich von der kon- servativen Partei der linke Flügel, der im nationalen Interesse ver- söhnlicher gegen die Liberalen gestimmt war, unter dem Namen „Freikonservative" ab. Die alte Fraktion, die im Reichstage des Norddeutschen Bundes die gleichen Elemente Mecklenburgs, Sachsens und der mitteldeutschen Staaten in sich aufgenommen hatte, nannte sich jetzt Deutschkonser- vative Partei. In Württemberg und Mittelfranken hatte sie auch bedeutende Teile der Bauernschaft zu Anhängern. Während des Kulturkampfes (70er Jahre) trat eine kleine Spaltung in der Partei ein, da die Mehrheit den „kirchenpolitischen Streit als ein Unglück für Reich und Volk" betrachtete, während die Minderheit bei Bismarck aushielt. Das Jahr 1876 brachte die Aussöhnung mit Bis- marck und die endgültige Konstituierung derpartei aufgrund eines Auf- rufes an die deutschen Konservativen (12. Juli 1876). Diese damals niedergelegten Grundsätze sind ergänzt und erweitert worden im Tivoliprogramm des Jahres 1892 (8. Dez.), das seitdem die Grundlage der deutsch-konservativen Partei bildet. „Sie will die Monarchie von Gottes Gnaden unangetastet er- halten wissen" und bekämpft „jeden Versuch, die Monarchie zu- gunsten eines parlamentarischen Regiments zu beschränken". Im vollen Verständnis für die Bedeutung der Wehrkraft des deutschen Volkes treten ihre Mitglieder auch für eine „maßvolle" aber „ziel- bewußte" Kolonialpolitik ein. Innerhalb der Reichseinheit wollen sie die Wahrung der „berechtigten Selbständigkeit und Eigenart der

7. Bd. 1 - S. 94

1913 - Leipzig : Poeschel
94 Die Verfassung des Reiches usw. einzelnen Staaten und Stämme und in Provinz, Kreis und Gemeinde die Selbstverwaltung erhalten, gegründet nicht auf das allgemeine Wahlrecht, sondern auf die natürlichen Gruppen und organischen Gliederungen des Volkes". In handelspolitischer Beziehung waren dre Konservativen bis Ln die Mitte der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, noch 1876, Freihändler gewesen. Als dann im Ge- folge der Industrie- und Handelskrisis von 1873 und ihrer Nach- wehen in Nordamerika mit den Jahren 1876/77 auch eine deutsche Agrarkrisis einsetzte, änderten sie ihre handelspolitische Stellung. Fürst Blsmark brauchte damals im Reichstage eine neue Mehrheit, da ihm die Liberalen, die mit ihm das Reich gegründet hatten, die Mittel für dessen gesicherten Bestand (Reichseisenbahnen, Tabak- monopol) verweigerten. Nun wollte er den Schutzzoll zur finanziellen Basis des Reichs machen. Er fand die Mehrheit bei den bedrängten Industriellen (Zentralverband Deutscher Industrieller 1876), den Agra- riern und dem Zentrum, dem gegenüber er den Kulturkampf auf- gab. Seit dieser Zeit haben die Konservativen ihre handelspolitische Stellung nicht mehr geändert, sich vielmehr in einem Teil sogar zu Hochschutzzöllnern weitergebildet. In der inneren Politik streben sie die Erhaltung eines kräftigen Bauernstandes an (vor allem durch „Überführung der auf dem Grundbesitz lastenden Hypotheken-Ver- schuldung in zu amortisierende Rentenschuld".) Für das Handwerk erscheint ihnen vornehmlich die „Einführung des Befähigungsnachweises, die Stärkung der Innungen und Innungsverbände, die Begründung und Förderung genossenschaftlicher Vereinigungen geboten. Redlicher Handel und Gewerbebetrieb ist zu schützen durch Beschränkung und Be- aufsichtigung des Hausierhandels und der Abzahlungsgeschäfte, sowie durch die Beseitigung der Wanderlager und der Wanderauktionen. Die Börsengeschäfte sind durch eine Börsenordnung wirksamer staat- licher Aufsicht zu unterstellen; insbesondere ist dem Mißbrauch des Zeitgeschäftes als Spielgeschäft, namentlich in den für die Volks- ernährung wichtigen Artikeln, entgegenzutreten". In der Sozialpo- litik arbeiten sie im Sinne praktischen Christentums, auf der sozialen Botschaft des Jahres 1881 fußend: „Wie sie für die Besserung der Lage der Arbeiter, unter erheblicher Belastung der Arbeitgeber, ein-

8. Bd. 1 - S. 95

1913 - Leipzig : Poeschel
Die politischen Parteien 95 getreten sind, so halten sie nach wie vor die Stärkung des Mittel- standes in Stadt und Land und die Beseitigung der Bevorzugungen des großen Geldkapitals für die dringendsten Aufgaben der Sozial- politik. Sie fordern ein wirksames Einschreiten der Staatsgewalt gegen jede gemeinschädliche Erwerbstätigkeit und gegen die undeutsche Verletzung von Treu und Glauben im Geschäftsverkehr." Die An- hänger der Sozialdemokratie und des Anarchismus bekämpfen sie als die schlimmsten Feinde der staatlichen Ordnung. Ihre gesamten politischen Grundsätze beruhen auf der christlichen Lebensanschau- ung, die sie in der Gesetzgebung durchgeführt wissen wollen. Da- bei „erkennen sie dem Staate das Recht zu, kraft seiner Souve- ränität sein Verhältnis zur Kirche zu ordnen", lehnen aber jedes „Übergreifen der staatlichen Gesetzgebung auf das Gebiet des inneren kirchlichen Lebens ab", wofür sie volle Freiheit der selbständigen Regelung verlangen. „Die konfessionelle christliche Volksschule er- achten sie für die Grundlage der Volkserziehung und für die wich- tigste Bürgschaft gegen die zunehmende Verwilderung der Massen und die fortschreitende Auflösung aller gesellschaftlichen Bande. Sie bekämpfen den vielfach sich vordrängenden und zersetzenden jüdischen Einfluß auf unser Volksleben und verlangen für das christliche Volk eine christliche Obrigkeit und für christliche Schulen christliche Lehrer. Hochachtung von Christentum, Monarchie und Vaterland, Schutz und Förderung jeder redlichen Arbeit, Wahrung berechtigter Auto- rität, das sind die obersten Grundsätze, welche die deutsche konser- vative Partei auf ihre Fahne geschrieben har." Die Zusammensetzung der Partei blieb vorwiegend aristokratisch. Außer in Preußen hat sie in Sachsen die meisten Anhänger. Ihre Führer und hervorragendsten Vertreter sind im Reichstage Dietrich, Graf Kanitz, Malkewitz, von Normann, Gras Schwerin-Löwitz und Graf Westarp, in Sachsen Mehnert und Opitz, in Preußen von Heydebrand und der Lasa, der auch Reichstagsabgeordneter ist und jetzt wohl als Haupt der gesamten Partei gilt (der „un- gekrönte König von Preußen"). In der Presse gehören ihnen die Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung, die Ostpreußische Zeitung,

9. Bd. 1 - S. 96

1913 - Leipzig : Poeschel
96 Die Verfassung des Reiches usw. Danziger Allgemeine Zeitung, der Reichsbote, für das Königreich Sachsen besonders „Das Vaterland" u. a. Der linke Flügel der konservativen Partei, der sich 1866 unter dem Nameu Freikonservative abgezweigt hatte (s. S. 91) und sich bis heute im preußischen Abgeordnetenhause so bezeichnet, nennt sich seit dem Parlament des Norddeutschen Bundes (1867) im Reichs- tage Reichspartei. Ihr leitender Grundsatz ist die Arbeit für das Gesamtinteresse der Nation, wie es schon ihre erste programmatische Kundgebung (27. Okt. 1867) ausspricht: „Den neuen Provinzen werden wir zu beweisen haben, daß Preußisch und Deutsch eins und dasselbe ist, und daß Deutschland gewinnt, was Preußen erwirbt. Undeutsche Gesinnung ist bei uns nicht heimisch." Mit klarer Vor- aussicht erkannten ihre Mitglieder den Gang der künftigen Entwick- lung und sprachen diese Erkenntnis ruhig und stolz aus: „Der zu einem ,Deutschen Reichs sich entfaltende Norddeutsche Bund, hervor- gegangen aus dem Zollverein, erscheint uns als die deutsche Weiter- bildung der preußischen Monarchie." Immer hat diese Partei die Stärkung des Reichsgedankens betont, wie ihn die Bismarcksche Politik vertrat, weshalb sie „Partei Bismarcks san5 phra3e" getauft wurde; an diesem Namen hält sie noch heute fest. Deshalb konnten auch ihre Mitglieder einem Parteiprogramm nicht unter allen Um- ständen folgen, wodurch sie besonders in Schul- und Kirchenfragen in scharfen Gegensatz zu der Deutschkonservativen Partei gerieten. „Die Berechtigung des Parteiwesens verkennen wir nicht", heißt es in ihrem Programm „aber seine Auswüchse und Übertreibungen weisen wir entschieden zurück. Weder billigen wir die Unterwerfung charakterfester Männer unter den Dogmatismus einer politischen Schule, noch die Unterordnung der vaterländischen Interessen unter die Sonderinteressen der Parteiung. Nicht über umfassende Theorien verständigen wir uns, sondern über praktische Fragen der Gegen- wart. Wir setzen das Vaterland stets über die Partei, wir stellen das Nationalinteresse über Alles." In Vertretung des durchaus konservativen Gedankens, „die gesunden und entwicklungsfähigen Elemente des Bestehenden sorgfältig zu pflegen und fortzucntwickeln", erkennen sie unumwunden den Eintritt der preußischen Monarchie

10. Bd. 1 - S. 98

1913 - Leipzig : Poeschel
98 Die Verfassung -es Reiches usw. die Gebildeten. Ihr erstes Programm von 1878 ist nach Erfüllung vieler Forderungen 1896 neu formuliert worden. Die Partei erstrebt auf dem Grunde des Christentums und der Vaterlandsliebe die Sammlung der vom christlich-sozialen Geiste durchdrungenen Volks- kreise aller Schichten und Berufe. Sie bekämpft alle nichtchristlichen und undeutschen Einrichtungen, die den inneren Zusammenbruch und den äußeren Umsturz herbeiführen müssen; insbesondere richtet sie ihre Waffen gegen den falschen Liberalismus und die drückende Kapitalsherrschaft, gegen das übergreifende Judentum und die re- volutionäre Sozialdemokratie. Sie erstrebt eine mit Pflichten und Rechten ausgestattete Berufsorganisation für alle Stände und die Übertragung politischer Rechte auf diese korporativen Genossenschaften. Ihr Ziel ist „die friedliche Lösung der sozialen Schwierigkeiten auf dem Wege einer starken Sozialreform durch die Verringerung der Kluft zwischen reich und arm und das ehrliche Zusammenwirken aller Stände an der Einheit, Freiheit, Ehre und Größe des Vaterlandes unter der Führung des volkstümlichen Kaisertums". Das Organ der christlich-sozialen Partei ist „Das Reich". In den letzten Jahren ist die Partei mit eigenen Kandidaten nicht mehr hervorgetreten, sondern hat diese mit der konservativen Partei gemeinsam aufgestellt. 1896 trennte stch von ihr der linke Flügel unter Führung des Pfarrers Naumann (s. S. 108 Nationalsoziale). An Stöcker hatten stch Liebermann v. Sonnenberg, Paul Förster u. a. angeschlossen. Sie gründeten Vereine zur Bekämpfung des Judentums. Unter dem Namen Antisemiten traten ste 1881 als besondere Partei in Berlin auf, ohne aber Erfolge bei den Reichs- tagswahlen zu erzielen. Auf dem Dresdner Kongreß, am 18. und 19. Septbr. 1881, nannte stch die Partei Deutsche Reformpartei. Unabhängig von der konservativen Parteileitung wurde 1886 in Hessen eine Allgemeine deutsche antisemitische Vereinigung gegründet; 1887 zog dann der erste Antisemit in den Reichstag ein, dem 1894 vier weitere folgten. Inzwischen hatte stch 1889 die kon- servative Richtung unter Liebermann und Förster als Deutschsoziale antisemitische Partei abgezweigt, die u. a. besonders das Ver- bot der Einwanderung fremder Juden und die Aufhebung der Gleich-
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