1884 -
Calw [u. a.]
: Verl. der Vereinsbuchh.
- Autor: Behr, Friedrich, Schwarz, Eduard, Frohnmeyer, Immanuel
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
6 Einleitung. A. Erläuterungen aus der mathematischen und physikalischen Geographie.
Für die Kugelgestalt der Erde liefert folgende Erfahrung einen Beweis (vergl.
Fig. 1): nähert sich ein Schiff dem Lande, so ist zuerst nur die Mastspitze sichtbar, erst
später der Rumpf des Schiffes.
§ 2. Ist auch unsere Erde eine große Welt, — denn es erforderte vor noch
nicht langer Zeit wohl zwei Jahre, ganz um sie herumzureisen — die Sonne ist
doch unendlich größer, so groß als 1millionen Erdkugeln zusammen, weil ihr
Durchmesser 108 mal größer ist als der der Erde. Aber sie ist auch nicht allein
für die Erde da, sie ist die Sonne für eine ganze Zahl von Welten, teils ähnlich
X> unserer Erde wie die Planeten, teils luftigerer Art wie die Kometen, ohne von
dem zahllosen Troß der Meteore, Sternschnuppen u. s. w. zu reden. Sie alle sind
von der Ungeheuern Masse der Sonne an sie gefesselt, um von ihr Wohlthat, Licht
und Wanne zu genießen.
Was die Natur der Sonne betrifft, so halten sie die Gelehrten für eine in ge-
schmolzenem Znstand befindliche weißglühende Kugel, die von einer ebenfalls glühenden
Dunsthülle umgeben ist. Ju der letzteren erscheinen oft die dunkeln Sonnenflecken, ans
deren Bewegung man geschlossen hat, daß sich die Sonne in 25lu Tagen einmal um
ihre Achse drehe.
§ 3. Ebenso aber, wie die Sonne ihre
untergeordneten, sie stets umkreisenden Wel-
ten hat, hat auch unsere Erde einen von
ihr abhängigen Weltkörper, den Mond,
der sie beständig als Erlenchter ihrer Nächte
umkreist und zwar einmal in 1 Monat.
Sein Durchmesser ist 4 mal kleiner als
der unserer Erde und seine Oberfläche er-
reicht nicht ganz die Größe Amerikas.
Aber auch ihm wurde jeue Schwungkraft
mitgeteilt, die ihn ohne Aufhören um die
Erde und mit ihr in Jahresfrist um die
Sonne kreisen macht.
§ 4. Hat nun der Schöpfer in die
Massen der Weltkörper eine so mächtige
Anziehungskraft gelegt, die auf weit
entfernte Welten mit solch unwiderstehlicher
Gewalt wirkt und das ganze Weltall in
seiner Ordnung erhält: so wirkt diese Macht
Sig. 1. Cin sich näherndes Schiff aus der 5erne gewiß mit Noch Uuludlich stärkerer Kraft
gesehen und Stellungen desselben am Horizont. je|)em Weltkörper auf feine
eigenen Geschöpfe. Es kann ihrer keines von seinem Weltkörper wegfallen,
weder Tags noch Nachts; vielmehr wird ein jeder Körper, auf der Erde z. B., der
nicht selbst frei in der Luft schweben kann, wenn er über die Erdoberfläche empor-
gehoben und dann frei in die Luft gelassen wird, von dieser Anziehungskraft der
Masse der Erdkugel so gewaltig angezogen, daß er plötzlich auf sie zurückfällt. Wir
dürfen daher nicht befürchten, daß unsere Gegenfüßler von der Erde weg „hinunter
fallen, noch auch, daß sie das Gefühl hätten, mit den Füßen nach oben an der
Erde befestigt zu sein und den Kopf nach unten zu hängen. Denn „unten" ist da,
wohin uns die Anziehungskraft der Erde zieht, nämlich nach ihrem Mittelpunkt hin,
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- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
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- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
210 Ii. Das Deutsche Reich.
Hügeln^) und Thälern, in seinen herrlichen Buchenwaldungen und Seen und den
gutangebauten Feldern mit Edelhösen und Dörfern eigentümliche Reize und bedeutende
Schätze besitzt, sondern hauptsächlich wegen jener Buchten und Häfen, durch die es
in Verbindung mit seiner seetüchtigen Bevölkerung für Deutschland von nnschätz-
barem Werte ist.
Tie Herzogtümer sind nämlich zwar vorzugsweise Landwirtschaft treibende und da-
durch recht wohlhabende Staaten, die durch prächtige Güter, vortreffliche Milch-, Butter-
und Käsewirtschaft, berühmte Pferde, andern deutschen Ländern vorleuchten; allein sie sind
zugleich, zwischen die zwei wichtigen Meere hingelagert, Seestaaten, und ein großer
Teil der Bevölkerung lebt ausschließlich von Fischerei und Schiffahrt.
Die deutschen Gestade der Nordsee sind nicht allein seicht und äußerst arm
an Häfen, sondern durch viele Marschbänke und Sandriffe sehr gefährlich, somit eine vor-
treffliche Schule für den Seemann, jedoch nicht geeignet für eine Flotte. Die Ostsee-
k ü st e dagegen steigt mit dem Kreidegebirge des Ostrandes der Halbinsel ziemlich schroff
aus dem Meere auf, bildet daher jene fast ununterbrochene Reihe tiefer und reizender
Seebuchten, die oft tief in das fruchtbare Land eindringen und eine Menge in das Meer
hinausgreifender, wie für ein Seevolk geschaffener Halbinseln umgrenzen; an den Küste«
aber, sowie in den Mündnngsbuchteu aller ihrer Flüßcheu sind überall ziemlich tiefe
Gewässer — und ebenso an ihren schützend vorliegenden Inseln die vortrefflichsten natür-
lichen Häfen, wie gemacht zur Aufnahme der größten Flotten.
Daher sind denn auch die kecken schlanken Söhne des alten Angelsächsischen Landes,
die kühnen glücklichen Seefahrer der heidnischen Lorzeit schon, noch jetzt wegen ihrer See-
tüchtigkeit berühmt und gesucht. Ebenso führen die Friesen an der Nordsee und auf den
Inseln zwischen ihren Morästen und Sandbänken in fast unangreifbaren Zuflnchtsörtern
besonnen und felsenfest den angeerbten Kampf mit der See. Noch gilt ihnen ihr alter
Wahlspruch: „Lieber tot als Sklave".
Kein Land hat wohl je bei geringer Einwohnerzahl so viele Seeleute ge-
liefert als die Friesen-Inseln, auf deren meerumbrausteu Tünen sich der hochherzigste
deutsche Sinn unter allen Verwüstungen empörter Elemente erhalten hat. Eben so
urdeutsch sind die mannlichen Dithmarschen (an der Nordsee), auch friesischen Stammes,
ferner das waghalsige Fischervolk an den Gestaden der Niederelbe, und die östlichen
Holsten. Ein großes Übergewicht unter den Seevölkern gibt ihnen ihre mehr als
gewöhnliche Bildung und Sittlichkeit, ein Erbeigentum des schleswig - holsteinischen
Stammes. Daher war denn auch in alten Zeiten das deutsche Reich hier, in seinen
Nordmarken, eine Achtung gebietende Macht.
Es kann das wieder werden, wenn es sich zur Seemacht emporarbeitet,
wozu in neuerer Zeit ein tüchtiger Anfang gemacht ist (vgl. S. 211 n. a. O.).
§ 206. Wir zählen die Hauptorte des Landes nach der Folge ihrer Lage auf.
An der Elbe: Altona, die bedeutendste See- und Landhandels-, wie Fabrikstadt
Holsteins mit 91090 E., nur durch die Altenau von Hamburg getrennt, neu und hübsch
aus dem ansteigenden rechten Ufer der hier eine Meile breiten Elbe amphitheatralisch
erbaut, mit schönem Hafen und hübschen Gärten und Landhäusern; durch Auswanderung
katholischer und israelitischer Hamburger wegeu Unduldsamkeit um 1600 bedeutend gewor-
den und nun bind) Hamburgs Nähe begünstigt; starker Betrieb des Häringsfangs. Blan-
kenefe, großes Fischer- und Lotsendorf. Weiter unten Glückstadt, gutgebaute Schiff-
fahrts- und Handelsstadt, aber in sumpfiger Gegend. Nördlich davon das lebhafte,
freundliche Itzehoe (spr. itzeho; 10000 E.). - Auswärts vou Hamburg: L a u e n b n r g (Lawe
wendisch: Elbe) auf dem hohen Elbeufer, in hübscher, hügeliger Umgebung; Kanalschiff-
fahrt nach Lübeck. In der Nähe von Hamburg: Waudsbeck (16000 ®.), Heimat von
M- Claudius („Wandsbecker Bote").
*) Der höchste Hügel („Berg") in Holstein ist der 160 m hohe Bungsberg, nordöstlich von Eutin;
in Schleswig der Koberg (98 m) westlich von Christiansfeld und die Hüttncr Berge bei Sckernförde (110 m).
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Die Holländer.
301
zogen. — Unsere Waldbäume sind dort bloß als Zierden der Straßen zu sehen. Das
Bauholz muß aus den Bergländern von Deutschland herbeigeschafft werden, was in nn-
geheuren Flößeu geschieht. Selbst die Grundlagen sind aufrechte Baumstämme (Pfähle
genannt); darauf werden wagrechte Balken befestigt, und auf diesen „Rost" wird erst
das Mauerwerk gelegt. Ganze Städte ruhen auf solchen starken, in den sumpfigen Boden
eingerammten Eichenstämmen, so z. B. der königliche Palast in Amsterdam (vormals das
Stadthaus) allein aus deren 13660. (Die Hälfte der Baukosten eines Hauses fällt auf
den unsichtbare:: Grundbau.) Zum Schiffsbau ohnedies kommen die Hölzer vom Schwarz-
wald, Odenwald, Spessart, Westerwald, aus Westfalen ?c,, daher die mächtigen Stämme
in den Ursprungsgegenden „Holländer" genannt werden.
Von nutzbaren Mineralien gibt es mir Seesalz, Thon und Pfeifenerde. — Im
Überflusse hat Holland Geflügel, wildes und Zahmes, hauptsächlich viele Wasservögel.
Ebenso sind die Gewässer und das Meer sehr reich an Fischen aller Art, an Austern
und anderen Schaltieren. Die F i s ch e r e i ist daher ein großer Erwerb; am meisten
der Häringsfang, da die Holländer vorzüglich mit dem „Pökeln" (Einsalzen) umzugehen
wissen. Auch der Walsischfaug ist nicht unbedeutend. — Von eigenem Wild hat Holland
nur eine Menge Kaninchen in den Seedünen. — Bedeutend ist die Schweinezucht, da
Speck eiu Hauptuahruugsmittel der Arbeitenden ist, — neben Wachholderbranntwein
(„Genever"), der wegen des feuchten Klimas iu großer Menge genossen wird. —
Pferde, die an Größe, Stärke und Ausdauer ihres gleichen suchen, liefert besonders
Friesland. — Sehr stark wird in Holland die Bienenzucht betrieben, alljährlich
schickt man hunderte von Bienenkörben zur Blütezeit des Repses, der Bohnen und des Klees
in die Dörfer an der alten Maas.
§ 286. Die Holländer sind germanischen Stammes, im Norden Friesen,
im Süden Bataver, die auf der Insel zwischen Rhein und Maas, Betuwe, wohnten,
Nachkommen der Chatten. Zu diesen ersten Bewohnern find aber im Laufe der Jahr-
hunderte Änfiedler aus vielen andern Ländern gekommen, vornehmlich Juden und
Franzosen, die wegen Religionsverfolgungen dahin zogen. Den Dialekten nach unter-
scheidet man die eigentlichen Holländer (21/2 Mill.), die Flamänder in Brabant und
Limburg Mill.), die Friesen (500000) im Norden, und Deutsche an der Grenze
von Rheinpreußen. Das erste, was dem Fremden am Holländer auffällt, ist seine
fast unerschütterliche Ruhe und Behaglichkeit; aber so bedächtig und besonnen, ebenso
entschlossen, erwerbsam und ausdauernd fleißig ist er in jeder Arbeit, so trotzig in
jeder Gefahr. Er scheint verschlossen, ist aber ehrlich; kalt und trocken, ist aber gut-
mütig und mildthätig; durch den von jeher dauernden Kanipf mit dem Elemente
wurde fein praktischer Verstand geweckt, und durch Not und Beschwerde gelehrig ge-
macht, mit unermüdlicher Geduld und Beharrlichkeit den Seen, Morästen und Meeren
das abzugewinnen, was ihm die Natur des Landes versagt hatte; so wurde der
Grundzug des Holländers Erwerbtrieb. An Widerstand und Bedrängnis gewöhnt,
wurde er mutig, unerschrocken, einfach, dabei stolz aus sein Vaterland. Nirgends
herrscht größere Reinlichkeit: da ist alles blank, sauber und wie poliert. Es gibt
Städte, Dörfer sogar, wo nicht nur die Hausgäuge regelmäßig ausgewaschen werden,
sondern auch die Plätze vor den Häusern, wo die von Ziegelsteinen (Klinkern) ge-
pflasterten Straßen von keinem Tiere betreten werden dürfen, ja sogar täglich ge-
waschen und gebürstet werden, bis sie einem prächtigen Teppich gleichen; alles Holz-
werk ist mit Ölfarbe angestrichen, überall sieht man Anstreicher; das gewöhnliche
Bauernhaus, von Backsteinen solid aufgeführt, weuu auch mit Schilf bedacht, ist ein
Bild von Reinlichkeit und Wohlhabenheit, zierlich sogar in den Ställen, wie denn
der Bauerstand hier überhaupt achtungswert ist und sich vor dem deutschen durch
landwirtschaftliche Kenntnisse auszeichnet.
Die Städte sind meist regelmäßig gebaut, die Straßen von Kanälen („Grachten")
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304
Iv. Die Niederlande.
land. Die Ausfuhr betrug 582 Mill. fl. Am meisten Handelsverkehr besteht mit
Großbritannien, Preußen, Ostindien, Belgien, Frankreich. — Die Haupthäfen sind:
Amsterdam und Rotterdam, dann Dordrecht, Middelburg, Vlissingen, Brielle. Die
erste Handelsstadt ist noch immer Amsterdam, dann Rotterdam, Middelburg, Utrecht,
Haarlem, Leijden, Leeuwardeu u. s. w. — Durch das ganze Land herrscht der Handel
vor: mächtige Warenhäuser, Handels- und Schiffahrtsgesellschaften, Banken, an den
Küsten Leuchtfeuer, Lotsen, Docks (große gegrabene Handelshäfen) u. s. f., regelmäßige
Dampffahrten nach England, Hamburg, Amerika, Kanäle und Eisenbahnen befördern
den Handel ungemein.
Die Holländer waren es, die den Walfisch- und Robbenfang in den Eis-
meeren in Gang brachten. Ihre Schiffe waren von 1640 bis 1854 in Japan allein
zugelassen.
§ 288. Die Landesverfassung ist fast noch dieselbe, wie unter der
Republik. Der König, mit einem verantwortlichen Staatsministerium und einem
Kabinetsrat, regiert mit den „Generalstaaten" der 2 „Kammern", die sich alljährlich
versammeln, und deren „erste" von den Landräten der Provinzen, den „Provinzial-
staaten" gewählt wird. Die letzteren, von der Ritterschaft, den Städten und der
Landschaft erwählt, sind es, die — je unter einem Kommissär — zunächst das Wohl
des Landes wahrnehmen und verwalten. — Die Staatsausgaben beliefen sich 1882
auf 130 Mill. sl., wovon ',-4 von den Zinsen der Staatsschuld, die 940 Mill. beträgt,
ausgezehrt wurden. Holland hat eine bedeutende Heeresmacht: 65 000 Mann,
dazu die Schutterij (40000 Bürgerschützen) und 33000 Mann Kolonialarmee, in der
viele Deutsche dienen, während zur Kriegsflotte 122 Schisse mit 550 Kanonen gehören.
— Sein Wappen ist der aufrechte Nassauische Löwe, mit einen: Schwert in der rechten
und 18 Pfeilen (den alten Provinzen) in der linken Branke; auf dem roten Schild-
bände: Je maintiendrai (ich werde festhalten). Die Flagge ist blau, weiß und rot,
die Nationalsarbe Orange, der Kronprinz heißt Prinz von Oranien; und der Wahl-
sprnch Hollands ist: „Eendragt givt Macht." —
Holland ist durch seine Kolonieen und durch seinen Welthandel ein be-
deutender Staat. Seine wichtigsten außereuropäischen Besitzungen sind: in Asien
„Neederlandsch Indie", hauptsächlich auf den großen Sunda-Jnseln: Java mit
20 Mill. E.; fast ganz Sumatra, Borneo und Celebes, auf den Molnkken (Amboina
und Banda) ic., alle in der heißen Zone mit den kostbarsten tropischen Erzeugnissen,
die von der Maatschappij mittelst strenger Monopole ausgebeutet werden; zusammen
1860000 qkm mit 28 Mill. E., unter einem Generalgouverneur, der aus Java
residiert, — auch für den Staat in Friedensjahren eine bedeutende Einnahmsquelle.
— In Amerika das mittlere Guayana oder Surinam, 120000 qkm mit ca. 69000 E.,
meist Urwald, nebst einzelnen Pflanzungen; Hauptstadt Paramaribo. Sodann
in Westindien einige Inseln: Curacao, St. Eustache 2c. — alle Kolonieen zusammen
fast 2 Mill. qkm (36 000 Q.-M.) mit ca. 28 300 000 Menschen. — Auf diesen
Pflanzungen führen die Holländer meist ein üppiges Leben, so daß, Celebes und
Guayana ausgenommen, diese Länder von einem wahrhaft zivilisierenden Einfluß
doch wenig erfahren haben.
8 289. Die 11 Provinzen, in die Holland jetzt eingeteilt ist, sind folgende:
Nord- und Süd-Holland, an den Rheinmündungen, mit den bedeutendsten Städten
des Landes, und sehr bevölkert; Utrecht ostwärts daran; — im S.-W. Seeland, das
Jnselgebiet der Schelde-Mündungen; — Nord-Brabant, die Mitte des Südens;
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Iii. Österreich-Ungarn.
der Levante treiben, dann nach Italien, England ic. Die Hauptseeplätze sind
Trieft und Finme. Eine hervorragende Stelle nimmt in dieser Beziehung die
Dampfschiffahrtsgesellschaft des österreichisch-ungarischen Ll oyd in Trieft ein (<5.272).
Ihre Schiffe Verkehren regelmäßig mit der Levante und gehen durch den Suezkanal
bis Bombay. Bedeutend ist der Landhandel Österreichs (Wien; Prag, Lemberg; Brody,
Pest, Semlin; Bozen, Brünn :c.). Die Gesamteinfuhr belief sich 1880 auf 606 Mill. fl,
die Ausfuhr auf 690 Mill. Eingelaufen (oder ausgelaufen) sind 1879 48 700 Schisse
von 51/a Mill. Tonnen.
Was dieheeresversafsung betrifft, so ist das Territorium in 15 General-
(oder Militär-) kommandos eingeteilt. Das Heer zählt im Frieden 285 000 Mann,
49 000 Pferde und 700 Geschütze, dagegen auf dem Kriegsfuß 860000 Mann und
167 000 Pferde, wozu noch die Landwehr mit 250000 Mann kommt. Die Kosten
für das Heer betrugen 1882 110 Mill. fl. nebst 7 Mill. Extraordinarium. Der
österreichische Soldat schlägt sich sehr gut (trotz geringem Solde), und wenn die Heere
Österreichs Führer haben, wie einst Prinz Eugen gegen die Türken, und Erzherzog Karl
gegen die Franzosen, oder Radetzky, so hat das Kaiserreich keinen Feind und keinen Krieg
zu fürchten. Auch besitzt Osterreich nun eine respektable Kriegsmarine von 40kriegs-
schiffen und 27 anderen Fahrzeugen mit zusammen 320 Kanonen und 6000 Manu;
sodann 2 Monitors auf der Donau. Der Hauptkriegshafen ist Pola in Jstrien (S. 273).
Osterreich ist hauptsächlich eine katholische Großmacht; der Kaiser führt den Titel
„Kaiserlich Königlich Apostolische^) Majestät". Die römische Kirche, zu der die Mehrzahl der
Bewohner (25^2 Mill,) gehören, hat 11 Erzbistümer, und 40 Bistümer, 950 Stifte und
Klöster mit 8500 Mönchen und 5700 Nonnen, und einem Gesamtstand des „weltlichen"
Klerus von 34000 Köpfen, die zusammen ein Vermögen von mindestens 500 Mill. fl.
besitzen. Von Protestanten zählt das Land 3x/2 Mill., die meisten in Ungarn (2100000
Reformierte und 1400000 Lutheraner); sodann 3 Mill. griechischen Bekenntnisses, 55600
Unitarier, Socinianer (in Siebenbürgen); 1640000 Juden.
Mit der Schulbildung ist es in den nichtdeutschen (und nichttschechischen) Kronländern
schlecht bestellt. Während in Oberösterreich unter 100 Personen nur 11 nicht lesen und schreibe»
können, steigt diese Zahl in Kärnten auf 37, in Galizien aus 70, in Dalmatien gar auf
80 (Prozent).
§ 279. Geschichte. Den Grundstein der österreichischen Monarchie bildet Niederösterreich,
einst Norikum, das Land der keltischen Tanrisker, dauu vou den Römern besetzt, nachher
von deutschen Stämmen, besonders Quaden und Bayern bevölkert, und im Zeitalter
Karls des Großen zur Verteidigung Deutschlands gegen die asiatischen Horden als
avarische oder bayrische Mark mit Deutschland vereinigt, von Otto I. als O st m a r k
neubegründet. Später 1156 wurde es Herzogtum — unter den Babenbergern, die Ober-
Österreich, Steiermark und Kärnten damit vereinigten. Nach deren Aussterben kam es
nebst Steiermark und Krain an König Ottokar von Böhmen, der auch Kärnten dazu
zog, und nach dessen Besiegung I. 1276 an den deutscheu Kaiser Rudolph I. von Habs-
burg. Nun begann schnell seine Ausbildung zu einem mächtigen Staate, mit welchem die
Habsburger fast immer auch die deutsche Kaiserkrone besaßen und zwar ohne Unter-
brechung vom I. 1438—1806. Als die Ungarn und Böhmen, nach dem Tode ihres
Königs, I. 1526, dessen Schwager Ferdinand Ii. von Österreich zum Könige wählten, stieg
das Haus Österreich zu dem Rang einer europäischen Monarchie. Die Reformation sand,
trotz der Feindschaft des mit Spanien verbündeten Kaiserhauses, raschen Eingang und
weite Verbreitung. Aber unter Ferdinand Ii. (1619—1637) siegte die Gegenreformation,
welche in den deutschen Landen fast bis zur Unterdrückung alles geistigen Strebens Fortschritt
und den ernsten Österreicher wie mit Gewalt ins lustige Alltagsleben hineintrieb. Erst
Joseph Ii. erlaubte durch sein Toleranzedikt von 1781 den Resten der Protestanten ihren
*) Apostolisch, weil die Könige von Ungarn Nachfolger des heil. Stephan, des Apostel-Königs von
Ungarn waren.
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Island.
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der große Geysir nach periodischen Donnerschlägen einen 6 m dicken und 27 — 50 m
hohen heißen Strahl emporschießt; ferner kühle, sogenannte Bierquellen (Olkelder) u. a.;
auch Mosetten, welche glühende Dünste aushauchen, dampfende Moorgründe und
Schwefelberge, die ausgebeutet werden.
Im südlichen Teile der Insel währt der längste Tag volle 24 Stunden, der kürzeste
hat gar keine Helle; im Norden aber geht im Juni die Sonne 1 Woche lang nicht unter,
und im Dezember ist 1 Woche lang Nacht. Häufig sind hier jene wunderbaren Licht-
erscheinungen am nächtlichen Himmel, die in prachtvollen Farben strahlenden Nordlichter,
und das Schneelicht. Bei Sonnenschein dagegen Doppelsonnen, und bei heiterer Luft
herrliche Färbungen des Himmels. Selten Gewitter, und fast nur im Winter; aber
furchtbare Stürme, besonders der Mistur, ein nebelbringender Wirbelwind.
Der Reichtum des Landes besteht in Gras, besonders im Norden, — die Heuernte
ist ein großes Fest. Den Maugel an Holz ersetzt Torf, dürrer Rasen, Braunkohle
(Surturbrand), aber mitunter auch Dünger, Knochen und Tange, und an den Küsten
Treibholz aus Mittelamerika, auch aus Sibirien. — Von Gewächsen werden Löffelkraut,
besonders als Mittel wider den Skorbut, Sauerampfer, Kohl und Spinat, dann Rettige,
Senf und Kresse, auch Rüben und Kartoffeln gebaut. Höher jedoch, als alle Kräuter
und als alle Bäume seines Landes, schätzt der Isländer, uebeu den getrockneten Fischen,
Seehundsspeck und Fischthrau, die hochwachsende Bodeuslechte Islands, das Isländische
Moos; er verwendet es zu Gemüsen, selbst zu Mehl; doch kommen mitunter auch Vogel-
eier, frische Fische, Seevögel (thranfette), und besonders Beeren auf den Tisch, und bei
den Reicheren Milch und Butter, Lamm- und Kalbfleisch.
Reisen und Transporte werden mir mittelst der kleinen, aber starken und schnellen
Pferde verrichtet; auch zu der meist weit entfernten Kirche reitet alles. — Von Wild findet
sich zuerst das seit 1770 uach Island gebrachte Renntier, das aber nicht gezähmt benützt
wird, — der germanische Isländer blieb lieber bei seinem lieben Rind, und dann bei
Schaf und Ziege. Wilde Katzeu und weiße, auch blaue Füchse, Schwäne und nn-
ermeßliche Scharen Wasservögel, vorzüglich Eidergänse, deren Flaum fleißig gesammelt
wird (1870 7900 Pf.); Fische in Menge, und Seehunde; wenn auf einer Eisscholle ein
Eisbär daherkommt, wird er schnell auf gemeinsamer Jagd getötet.
§ 306. Die Isländer, deren man 72 240 zählt, sind sämtlich Lutheraner (seit
1551). Alle sind Freibauern und haben gleiche Rechte. Sie regierten sich auch noch
selbst, nachdem sie sich 1261 den Norwegischen Königen unterworfen hatten und 1387 mit
Norwegen an Dänemark gekommen waren, durch ihr Althiug (Landsgemeinde), das
in - der konstitutionellen Verfassung vom Jahr 1874 beibehalten ist und in zwei
Kammern zerfällt. Ihre politische Gesinnung ist sehr konservativ.
Sie bewohnen in zerstreuten Höfen das bessere Land. Man zählt über 4700 dieser
Höfe, die in 308 Kirchspiele, mit etwa 180 Pfarrern unter einem Bischof eingeteilt sind.
Ihre Wohnungen sind, wie in Irland, wegen der Stürme und Schneemassen sowohl,
als wegen der teuren Bretter und Balken, ganz kleine niedrige Torf- oder Lavahütten,
auch aus Walfischrippen oder Treibholz gezimmert (Mangel an Kalk verhindert
Steinbauteu), dann mit Moos ausgestopft, und außen und oben mit Rasen gedeckt;
mit kleinen Fensterchen im Dache. Für jeden Raum — Küche, Vorratskammern,
Badestube k. je ein besonderes Häuschen, im Sommer alles schön grün, innen jedoch
dumpf und feucht; die ganze Gruppe mit einem Steinwall umfaßt. Das Kirchleiu
ist zugleich das Vorratshaus oder Warenbehälter, und der Herr Pfarrer, obwohl
gelehrt, zugleich der Schmied.
Das ganze Isländische Volk ist wohl unterrichtet und wissensdurstig, und
mancher Hausvater versteht Latein. In den langen Winternächten, während Haus-
mutter und Töchter Dunen reinigen, Wolle spinnen oder ihre trefflichen wollenen
Jacken, Strümpfe und Handschuhe stricken, lehrt der Vater die Kinder, oder liest und
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326
Vii. Schweden und Norwegen.
rinth schrecklich brandet und wütet, und gefährliche Strudel erzeugt. — Noch weiter
hinaus im Meere und fast der Küste gleichlaufend erhebt sich ein zweiter Vorwall
unter den Fluten, eine lange zusammenhängende Meeresbank, aus welcher sich die
trefflichen Fischerplätze finden, zu denen der norwegische Küstenbewohner unter un-
säglichen Gefahren hinaus fährt, um feinen Lebensunterhalt zu suchen.
Zahllose schmale Meeresarme von unergründlicher Tiefe (Fjorde) schneiden
tief in die granitnen, hocherhabenen und seltsam gestalteten Felsenmauern der Küste
ein, und dringen, bald sich zu finstern, nie von einer Sonne erhellten Klüften der-
engend, bald sich wieder zu Busen erweiternd, bis 10, ja bis 20 und 30 M. weit
in das Herz des Landes hinein, wie der Hardanger-, Sogne-, Trondhjemer-Fjord, der-
zweigen sich hier zu vielen engen Seitenbuchten und Einschnitten, und schließen das
wilde Gebirgsland bis in sein Inneres auf. Sie sind die Thäler des Nordlandes.
Am Küstenrande kleben hin und wieder elende Fischerhütten, kegelförmig gebaut, mit
einer Licht- und Rauchöffnung auf der Kegelspitze, 6—7 zu einem ärmlichen Dorfe
vereinigt; zwischen den vor den Küsten zerstreuten Felseninseln rudern schnelle Fischer-
boote. Drinnen im Fjord gähnen zu beiden Seiten die zerklüfteten Felsmaffen immer
höher, kühner, furchtbarer herein in die dunkle Tiefe. Da und dort stürzt mächtig
5ig> 36. Der Romsdals-5jord.
hoch vom Felsrand oben ein Wasserfall in hohem Bogen herab. An die braunroten
Felswände oder Abhänge klammern sich Fichten, Weiden, Birken an, und dichtes
Gestrüppe, Moos und Flechten hängt aus den Rissen der Felsen; hoch oben blickt ein
schmaler Streifen vom Blau des Himmels herab in die dunkle Kluft. Da muß man
forgfältig in der Mitte zwischen beiden Felsenrändern rudern; denn gar oft stürzen
von der durch die Bäche gelockerten Gebirgsmaffe große Steine mit ungeheurer Ge-
walt in die Tiefe, so daß man in Gefahr ist, von ihnen zerschmettert zu werden.
Und doch sind es diese tiefen und langen finsteren Spalten des Hochgebirgs, die den
reiselustigen Normannen hinauslockten auf den tobenden Ozean, um in fernen
Gegenden zu suchen, was ihm seine rauhe Heimat versagte. — Endlich, tief innen
im gewundenen Seethale, wo das Gebirge sich zur Schlucht verengt, in schmaler
Felsenspalte, endet der Fjord. Von der Höhe des finsteren Schrundes herab er-
gießt sich in wilden Sprüngen ein kleines Bächlein in die See. Am schmalen Lan-
dungsplatze liegen im trefflichen Naturhafen kleine leichte, einmastige Seeschiffe von
trefflicher scharfer Bauart vor Anker. Man landet, und nun geht es an der jähen
Wand empor, auf breiten, treppenartigen Felsabfätzen, nicht selten begleitet von äols-
artigen Klängen des aus Höhlen hervor- und hinabrieselnden Bächleins. Endlich
1884 -
Calw [u. a.]
: Verl. der Vereinsbuchh.
- Autor: Behr, Friedrich, Schwarz, Eduard, Frohnmeyer, Immanuel
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
336 Vii. Schweden und Norwegen.
dem rechten Fuß 2 Ellen lang, unter dem linken 4 Ellen (skid). Mit diesen
haben die Schweden schon manchen Winterfeldzug gemacht.
§ 322. Schweden lebt zwar hauptsächlich vom Ackerbau, aber es erzeugt uicht
seinen Bedarf an Mehlfrüchten (nur in den südlichsten Landschaften). Es hat im Ganzen
nur 498 Q.-M. Ackerland, 354 Q.-M Wiesen und 3200 Q.-M. Wald, dauu über
2000 Q.-M. Schnee- und Felswüsten, und über 1030 Q.-M. Seen und Sümpfe. Es
ist daher ein armes Land. Der Reisende muß seine Nahrungsmittel oft selbst mit sich
führen. Nur die Straßen sind vortrefflich, man sagt, die besten in Europa; und die
Anlage von Eisenbahnen ist im Süden rasch vorgeschritten. Auch hat die Regierung
dafür gesorgt, daß überall Herbergen mit Betten und Geräten eingerichtet sind; allein
in den walddichten Gebirgsgegenden kann man keine Vorräte von Lebensmitteln halten.
In den Hütten trifft man da oft noch gewaltige Feuer von ganzen Scheitern, ohne Öfen,
auf offenem Herd; so namentlich in der großen Waldprovinz Jämtland; aber überall
findet man biedere, freundliche, daukbare Menschen, von Diebstahl und Räuberei weiß
man nichts. — Für Getreide war Schweden lange von seiner ehemaligen Provinz Finnland
abhängig. Neuerer Zeit geschieht für Hebuug des Ackerbaues weit mehr als früher;
man führt alljährlich viel Getreide aus. Allein in den klaren kalten Augustnächten ist alles
in Angst vor dem Erfrieren der Früchte, und man zündet auf der Windseite große Fener
an, um durch den Rauch dem eisigen Reife zu wehren. Immer bleiben Notmagaziue an-
gelegt; daher sind Hungersnöte im Norden jetzt selten. Das sonst übliche Notbrot aus
Gersten- oder Hafermehl mit zerkleinten Halmen, Renntierflechten, Wurzeln und oft mit
Fichtenrinde vermengt, ist fast verschwunden; doch lebt man im Sommer vielfach vou
Waldbeeren. Dabei werden die Schweden sehr alt. (Das gewöhnliche Brot ist wie in
Norwegen das „Knäkebröd" (S. 327).
Auch die Viehzucht ist in dem rauhen Lande beeinträchtigt. Wohl wird im Ge-
birge Sennerei und Milchwirtschaft getrieben; allein die langen Winter und die Menge
der Raubtiere machen große Beschwerden; selbst in den reichen südschwedischen Land-
schaften gibt es noch Bären. Im I. 1827 wurden uicht weniger als 36510 Haustiere vou
wilden Tieren getötet, und im I. 1867 noch 13023 Füchse, 99 Bären, 47 Wölfe, 107
Luchse, 139 Vielfraße, 27 000 Raubvögel erlegt.
Holz kauu Schweden nicht gar viel ausführen. Mau hat in früheren Zeiten mit
den Wäldern, welche das halbe Land bedecken, zu arg gehaust, und der noch allgemein
übliche Holzbau, sowie das Abbrennen von Waldstrecken (S. 330) zum Ansäen (Svedjen),
verzehrt ungeheuer viele Stämme. (Die Häuser werden in den Waldungen gezimmert und
dauu auf Flößen nach den Städten k. verführt.) Daher kommen dem Lande seine vielen
Torfstreckeu sehr zu statteu. — Auffallend ist, daß in den Wäldern der Vogelgesang
fehlt; nur im Süden von Schweden findet sich die Nachtigall. Dagegen hat das Land
einen großen Reichtum an wildem Geflügel, Schwäne, Wasser- und Sumpfvögel, Wald-
Hühner :c., sowie an anderem Wild; Elentiere, Bären, Wölfe, Luchse, wilde Schweine,
Vielfraße, Füchse, Fischottern, und kleineres Pelzwild gibt es genug, sogar noch Biber
und Zobel im Norden. Das Nenntier lebt da in ganzen Herden wild, der Lemming zieht
in großen Wanderzügen über die Gebirge. Ebenso reich sind die Gewässer und die
Seeküste an Fischen, Robben, Austeru ?e. In Lappland werden Rind und Pferd
durch das Renntier ersetzt, das nützlich ist, doch nie recht traulich wird, sondern schwer
zu behandeln bleibt, und vom Rindvieh äußerst gemieden wird. Man braucht es zum
Ziehen und als Melkvieh, läßt seine sehr fette und nahrhafte Milch, die auch Butter und
Käse gibt, im Winter gefrieren und schabt von dem Klumpen ab, was man braucht. Auch
sein Fleisch und Fell sind vortrefflich. Dabei lebt es äußerst genügsam von Laub, be-
sonders von der Renntierflechte, die es unter tiefem Schnee hervorscharrt.
§ 323. Schwedens Schätze liegen unter der Erde; sein Haupterzeugnis ist
Eisen. In dem ungeheuren Felsenstock, aus dem gauz Skandinavien aufgebaut
ist, sind so riesenhafte Massen von Eisen eingeschlossen, daß die unerschöpflichen Nor-
räte das ganze Menschengeschlecht für einen vielhnnderttausendjährigen Bedarf der-
sorgen könnten. Ein eiserner Gürtel unter der Oberfläche des Bodens zieht von
Lappland bis Schonen, eine Menge Bergwerke (1213 Eisengruben) sind darin auf-
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342
Yii. Schweden und Norwegen.
nur die Mützen verschieden; sie lieben ungemein klingelnden und glänzenden
Putz und Silbergeld, und tragen in ihrem breiten, vielverzierten Ledergürtel allerlei
Schmuck, Werkzeug u. s. f. Zur Wohnung dienen spitzige Stangenzelte (Gammen),
die Sommers mit grobem Wolltuch oder Renntierfellen, Winters mit Birkenreisern
und Rasen überkleidet sind, einen niedrigen Eingang und innen beständig ein Herd-
sener haben, meist voll Schmutz, faulender Fischreste und Unrat aller Art, daher von
wahrem Pestgestank umgeben. Ihre Sprache ist rauh und durch Gurgeltöue unangenehm.
Sie sind jetzt alle getauft, doch herrscht der Z a u b e r g l a n b e noch stark unter ihnen.
Den Hauptstamm bilden die Gebirgs läppen mit Renntierherden (von
kleinen Hunden bewacht), die Armen mit 60—70, die Reichen mit 2000 und mehr,
von deren Fleisch und Milch sie leben, wozu noch Jagdwild, Beeren, Sanerainpfer,
Wurzeln u. dgl. kommen. Winters weilen sie in den großen Moorebenen oder
Waldungen in der Nähe einer Kirche; sobald aber die Stechmückchen und Bremsen
erscheinen, die im niedrigen Sumpflande bei dem zwar kurzen, aber italienisch heißen
Sommer eine unausstehliche Plage sind, treiben sie ihre Herden auf das Gebirge
von Weide zu Weide, und bewahren sich unterwegs auf entästeten Bäumen Vorräte
und Kleider auf. — Die Fischerlappen leben vom Fischfange, wozu oft auch
die Gebirgslappeu aus Armut genötigt sind, ziehen auch umher, wohnen aber in
schlechteren Hütten. — Die Waldlappen halten neben einigen Renntieren meist
auch etliche Kühe, Ziegen und Schafe, wandern nur in kleineren Bezirken, leben
mehr von Jagd, und treiben öfter selbst etwas Ackerbau. — Die Ärmsten vermieten
sich zum Hüten oder sind Kirchfpiel-Lappen, die einzeln unter den angesiedelten
Schweden sehr verachtet leben, und nur zu den geringsten Arbeiten gebraucht werden.
— In jüngster Zeit haben sich einzelne Pfarrer und Lehrer ihrer mit Eifer ange-
nommen, auch sind junge Lappen zu Lehrern und Missionaren erzogen worden; be-
sonders aber hat man an ihren Grenzen Schulanstalten für ihre Kinder errichtet.
— Indes werden die Lappen von den Finnen sehr zurückgedrängt, die ein weit
höher stehendes, fleißiges Ackerbauvolk sind, und sich schon länger her gern dem
Westen zuwenden; es sind 15 000, schon vielfach mit Schweden vermischt.
§ 329. S t a a t s k i r ch e ist in Schweden die lutherische unter einem Erzbischof
und 11 Bischöfen. Die Pfarrer stehen in großer Achtung; in den weiten Sprengeln haben
sie „Komminister" und „Adjunkten" zu Gehilfen, und ein großes Natnraleinkommen.
Die ziemlich verdorrte Kirche ist seit Anfang des Jahrhunderts durch die sogenannten
„Läsare" (Leser der h. Schrift) nnb andere frische Einflüsse etwas belebt worden.
Seit die Kirche auf dem Reichstag nicht mehr vertreten ist, hat sie eine Synode
kirkemödet erhalten, welche 1868 zum erstenmal wieder (seit 1543) zusammentrat und
in jedem füuften Jahr sich wiederholt. Heimisch sind in Schweden die Sweden-
borgianer; Katholiken gibt es 600; Juden 1800. — Der Reichstag war lange
nach den 4 Ständen abgeteilt: die Ritterschaft (überreichlich vertreten), die Geist-
lichkeit (60—70 Mitglieder), die Abgeordneten der Städte oder der Bürgerstand
(50), und der Bauernstand (120); er versammelte sich alle drei Jahre in Stock-
Holm, jeder Staud beriet sich besonders, und Beschlüsse über das Grundgesetz galten
nur, wenn alle 4 Stände und der König übereinstimmten. Im Jahr 1865 aber
fetzte der König unter dem Beifall des Landes eine Reform durch, welche das Zwei-
kammerfystem einführte. Jedem der 24 Kreise (Läne) steht ein Landeshauptmann
(Landshöfdingar) vor; jeder der 113 Fögdereien (Vogteien) ein Kronvogt; Unter-
abteiluugeu sind die 191 Bezirke (Härade) und 2361 Kirchspiele (Socknar). —
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Ix. Die Republik Frankreich.
Wänden (Falaises) zum Meere abfällt, und nur um die Mündung der Seine ver-
flacht und von Lehmhügeln oder Sanddünen eingefaßt ist. Sie ist jedoch fruchtbar,
zum Teil eine Kornkammer, und mit Obstbäumen bedeckt, das Land des französischen
Obstweins Cidre und Poire. Auch die Viehzucht ist sehr bedeutend, die normanni-
schen Pferde ein gewaltiger Schlag. Dagegen treten auch Platten eines nnfrucht-
baren Thonschiefergebirges, besonders im südlichen Teile auf, wo große Strecken
Landes unangebant, mit Heidekraut und Brombeergesträuch bedeckt sind, jedoch mit
fruchtbaren Thälern — der Nebenflüsse der Seine, dann der Orne und kleinerer
Küstenflüsse. — Die Meeresküsten liefern die besten Austern; eine Menge Seetang
wird als trefflicher Dünger oder auf Soda benützt. Die Bewohner sind ein kräfti-
ger, wohlgestalteter, munterer, auch sehr arbeitsamer und gewerbfleißiger Volksstamm
mit eigenem Patois; ihre zum Teil klippenvolle Küste macht sie zu guten Matrosen.
Hauptstadt Rouen an der Seine, die zur Flutzeit ziemlich große Seeschiffe bis
hieher (9 M. vou Havre) einfahren läßt, daher die Stadt eine der größten Seehandels-
städte Frankreichs geworden ist, in angenehmer, fruchtbarer Kreidehügelgegend, eng gebaut
wie eiue altdeutsche Stadt (prächtige Kathedrale mit 143 m hohem Turme), auf deu
Boulevards und am Flusse schöner; bedeutende Fabrikation in feinen und groben Woll-
stoffen, 105 000 E. Hier und auf dem Lande herum wohnen viele englische Familien.
— Weiter aufwärts an der Seine Elbeuf (22000 E.), und an der Eure Louviers,
berühmte Tuchfabrikstädte, und Evreux. — Von Roueu nördlich ist die nächste Seestadt
Dieppe (20000 E.), mit Seebädern und dem stärksten Häringsfangbetrieb; der Hafen
aber ist, wie an der ganzen Küste der Normandie, seicht, klein, und nur für Kauffahrtei-
schiffe geeignet.
Der wichtigste Seehandelsplatz am Kanal ist Havre, eigentlich le Havre de Gräce
(„der Gnadenhafen"), an der 1 M. breiten Seinemündung, mit trefflichem, höchst kuust-
voll gebautem Hafen; besonders starke Verbindung mit Nordamerika, Westindien, deu
Hauptseeplätzen Europas; eigentlich der Hafen von Paris, darum die zweite Seehandels-
stadt Frankreichs (nach Marseille) und eiue der ersten auf dem Festland (1880 liefen
6423 Schiffe von 2'U Mill. Tonnen ein); auch Kriegshafen, Arsenal, Zitadelle, Fabriken;
jetzt 106000 E.; von der deutschen Auswanderung noch immer benützt; Walfischfang. —
Harflenr und Honfleur, mit Seehandel und Kabeljaufaug (bei Neufundland), Walfisch-
fang (bei Grönland).
Cherbourg (36000 E.), an der felsigen Nordküste der Halbinsel Cotentin, ist zu
einem großen Kriegshafen gegenüber England (Portsmonth) und einem Prachtwerk der
Wasserbaukunst mit ungeheuren Kosten (über 100 Mill. Fr.) hergestellt worden. Merk-
würdig ist besonders der über 1/2 M. lange, 20 m hohe Quaderdamm ins Meer hinaus
als Wellenbrecher gegen die hier besonders mächtige Gewalt des stürmischen Kanals;
3 große durch 10 Forts (mit 3000 Kanonen) geschützte Docks, Arsenal, Seespital. Die
Befestigungen wurden 1783 begonnen, 1858 vollendet.
Zwischen Havre und Cherbourg etwas landeinwärts das schöne C a e n (spr. kau)
an der Ornemünduug, Land- und Seehandelsstadt und bedeutende Fabriken, Hafen,
Universität, 41000 E. — Von Bedeutung sind ferner: Granville (befestigt) am nor-
mannischen Meerbusen, wegen des Walfischfangs in der Südsee; dann als Fabrikstädte:
Alen^on im Süden (17000 E-), an der Sarthe, Leinwand n. a. (die berühmten
Spitzen von Alen^on werden aber hier nicht mehr fabriziert); Falaise, Lisienx (18000 E.),
Bayenx, St. Lo. In der Nähe von Mortagne das Kloster La Trappe des gleich-
namigen strengen Ordens.
§ 362. Die nächste Seeprovinz ist die düstere Bretagne, die große, ins
Atlantische Meer hinausgestreckte Halbinsel Frankreichs. Man kann sie als eine
isolierte Berginsel und ebenso isolierte Volksinsel bezeichnen, indem sie noch eine ur-
keltische, durch britische Flüchtlinge verstärkte, eigentümliche Bevölkerung hegt, die
Breyzards oder Bretons, die, besonders im westlichen Teile, noch ihre alte kymrische
Sprache sprechen; daher die ungewöhnlichen Ortsnamen.