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Quelle für den Tempeldienst lauteres Wasser zu schöpfen. Plötz-
lich erlosch die Sonne, es erschien der Gott Mars und verstieß
der Erschrockenen göttliche Kinder. Und als sie Mutter wurde
von Zwillingssöstnen, Romulus und Remus, erschrak der
Osteim und befastl, die Sünderin zu bestrafen mit istren Kindern.
Die Mutter ließ er nach der ganzen Strenge des vestalischen
Gesetzes lebendig begraben; die Kinder aber in einer Mulde
nach der Tiber tragen, sie dort zu ersäufen. Zum Glück war
der Fluß aus seinen Ufern getreten; zu dem eigentlichen Bette
desselben konnte Keiner kommen. Daher setzten die königlichen
Diener die Mulde vorn auf das seichte Wasser und gingen da-
von. Nun trieb die Mulde mit den wimmernden Kindern auf
den Wellen stin und ster.
Allein die Götter selbst wachten über das Leben der ver-
lassenen Kleinen. Das sinkende Wasser ließ endlich die Mulde
auf dem Trocknen stesten. Auf das Gewimmer und Geschrei
der Kinder kam ein Wolf sterbci und säugte sie; ein Specht,
des Mars heiliger Vogel, brachte ihnen Speise. Dieses wun-
derbare Schauspiel erblickte ein vorübergehender Hirt, mit Na-
men Faustulus. Voll Mitleid hob er die Kleinen auf und
brachte sie seinem Weibe, Acca Laurentia, zur Pflege. Hier
nun, in der Hütte des Hirten, wuchs das wunderbar gerettete
Brüderpaar zu rüstigen Hirtenknaben heran. Bald weideten sie
friedlich ihre Heerden, bald verfolgten sie über Berg und Thal
räuberische Menschen sowohl als Thiere, die ihren Heerden nach-
stellten. So wuchs ihr Muth, und vor Kampflust fielen sie
oft die Hirten des Numitor an. Diese, der häufigen Neckereien
des wilden Brüderpaars und ihrer Raubgenossen müde, ergriffen
endlich den Remus und führten ihn gefangen nach Alba zu ih-
rem Herrn. Numitor ahnte bald, daß er seinen Enkel vor sich
habe, und hielt ihn in Gewahrsam, bis Faustulus mit Romulus
herbeieilte und das ganze Geheimniß aufdeckte. Freudig über-
rascht beschlossen die beiden Brüder, sich an ihrem tyrannischen
Oheim zu rächen. Mit einer Schar verwegener Gesellen dran-
gen sie heimlich in die Stadt und überfielen und ermordeten
den Amulius. Den verstoßenen Numitor aber setzten sie wieder
in seine Herrschaft ein. Erkenntlich gegen solche Wohlthat er-
laubte dieser seinen Enkeln, an dem Orte, wo sie als Hirten
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71
küßte die Erde, als die gemeinschaftliche Mutter aller Sterblichen.
Der Spruch des Gottes ging an ihm in Erfüllung. Brutus
fand bald Gelegenheit, die Maske abzuwerfen und der Retter
und Befreier Roms zu werden. Tarquinius belagerte Ardea,
die befestigte Hauptstadt der Rutuler, die sich ihm nicht hatte
unterwerfen wollen. Eines Tages, als im Lager die königlichen
Söhne mit ihrem Vetter, dein L. Tarquinius Collatinus, bei
einem fröhlichen Gelage zusammen waren, kam das Gespräch
auch auf ihre Frauen, und Jeder räumte der seinen den Vorzug
ein. Es wurde beschlossen, sie in Rom zu überraschen. Lucretia,
Collatin's Gattin-, trug den Preis davon. Die anderen Frauen
fand man schwärmend in frohen Gesellschaften, während die Lu-
cretia allein sittsam und häuslich im Kreise ihrer arbeitenden
Sklavinnen saß. Einige Tage nachher ritt Sertus allein aus
dem Lager uach Rom zurück und entehrte mit roher Gewalt die
edele Lucretia, deren Schönheit in dem Herzen des wüsten Jüng-
lings eine unselige Leidenschaft entzündet hatte. Die unglückliche
Frau wollte ihre Schmach nicht überleben. Schleunigst ließ sie
ihren Gemahl nebst Brutus und einigen andern bewährten Freun-
den aus dem Lager herüberkommen, klagte ihnen jammernd die
erlittene Unbilde und stieß sich im Übermaße des Schmerzes vor
ihren Augen einen Dolch in die Brust. Da erhob sich zum Er-
staune« Aller der früher verkannte Brutus. Während Vater und
Gatte wehklagten, riß er den blutigen Dolch aus der Wunde,
ließ die Leiche der Selbstmörderin öffentlich auf dem Markte zur
Schau ausstellen und schwur Rache dem Frevler und der ganzen
königlichen Familie. Er hielt eine begeisternde Rede an das ver-
sammelte Volk und schilderte mit den grellsten Farben die Un-
thaten des Tarquinius und die Schmach des Volkes und wirkte den
Beschluß aus, nach welchem die Königswürde abgeschafft und Tar-
quinius mit seiner Familie auf immer verbannt wurde'). Sogleich
wurden alle Thore geschlossen, während der unermüdliche Brutus
nach dem Lager eilte und, in Abwesenheit des Königs, auch das
Heer gewann, so daß es sofort nach Rom aufbrach und sich hier
an die Bürger anschloß. Jetzt, von der Stadt und den Trup-
x) Incensam multitudinem perpulit (Brutus), ut imperium regi ab-
rogaret exulesque esse juberet L. Tarquinium cum coniuge ac liberis
Uv. I. 59.
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60
König, welcher ohne Interregnum, und vielleicht auch ohne die
sonst üblichen Wahlförmlichkeiten die Herrschaft antrat.
§. 16. Servius Tnllius. 578—534.
Dichtung und Sage haben sich vereint, schon die Wiege
dieses großen Mannes mit Wundern auszuschmücken. Bei der
Einnahme der Stadt Corniculum wurde sein Vater, einer der
angesehensten Bürger daselbst, erschlagen, seine Mutter aber als
Gefangene nach Rom abgeführt. Tanaguil gewann die hohe Ge-
fangene lieb und nahm sie zu sich. Auch das Kind, das diese
im Zustande ihrer Gefangenschaft geboren hatte, wurde im Hause
des Königs erzogen. Einst, als dasselbe in der Wiege schlum-
merte, sah man eine leuchtende Flamme um sein Haupt spielen.
Die königlichen Diener erschraken und wollten die Flamme lö-
schen ; Tanaguil aber verbot es und fand in dieser wunderbaren
Erscheinung eine Vorbedeutung der künftigen Größe des schla-
fenden Kindes. Erst bei seinem Erwachen schwand die feurige
Erscheinung. Von nun an war der junge Servius die Hoff-
nung der königlichen Familie. Er ward wie ein Sohn des
Königs erzogen und, als er zum Manne herangereift war, sogar
mit einer Tochter des Königs vermählt. Schon unter Tarqui-
nius hatte sich Servius ausgezeichnet, gleichwie jener unter Ancus.
Die Regierung des Servius selbst ist eine der ruhmwürdigsten
Erscheinungen in der Geschichte des römischen Volkes. Unter ihm
vermehrte sich die Bevölkerung Roms so sehr, daß auch der vi-
minalische und esquilinische Hügel mit in das Gebiet der Stadt
gezogen und von den herübergeführten Bewohnern unterworfener
Städte angebauet wurden. Seitdem hieß Rom auch die Sieben-
hügelstadt und war durch Mauer und Graben befestigt. Schon
jetzt erkannten die umliegenden Städte Latiums Rom als ihr
Oberhaupt an. Servius schloß mit ihnen einen Fricdensbund,
den sie durch jährliche Zusammenkünfte auf dem aventinischen
Hügel in dem neu errichteten Tempel der Göttin Diana ge-
meinschaftlich feierten.
Seine Hauptwirksamkeit aber wandte Servius dem Innern
des Staates zu, und er erscheint als der Urheber und Gründer
x) Der Name Servius (von «oi-vus, Sklave) soll nach der Sage auf
jenen.sklavenstand Hinweisen; er ist wohl derselbe mit Sergius.
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Extrahierte Personennamen: Servius_Tnllius Servius Servius Servius Servius Diana Servius Servius_(von_«oi-vus Sergius
376
römischen Boden Verehrung gefunden, obgleich sich hier die
Vorstellungen von denselben, naü, der Eigenthümlichkeit des
Volkes und Landes, zum Theil anders gestalteten. Auch
der Cultus der weissagenden Sibyllen, besonders der von
Cumä, und ihre Orakelsprüche, die sibyllinischen Bücher,
scheinen aus Großgriechenlaud zu stammen. Als Rom endlich
den Weltkreis erobert hatte, wurde es ein Pantheon fast für
alle Gottheiten, die man zu jener Zeit kannte und verehrte.
Nur geheimen, vom Staate nicht anerkannten Gottesdienst dul-
dete man früher nicht; daher die Bacchanalien in ihrer Unsitt-
lichkeit verboten, und überhaupt jede willkürliche Aufnahme frem-
der Culte vom Senate streng untersagt wurde. Allein in der
letzten Zeit der Republik gingen mit den politischen Verhältnissen
auch die religiösen einer völligen Auflösung entgegen. Während
bei den Aufgeklärteren an die Stelle des positiven Glaubens
eine gewisse philosophische Religion eintrat, ergab sich das Volk
dem Dienste ägyptischer und asiatischer Gottheiten; und Abgöt-
terei und Jrreligiösität nahmen immer zu. Vergebens waren
die Versuche einzelner Kaiser, dem Überhandnehmen fremder Culte
Einhalt zu thun und mit der alten Religion der Väter auch den
alten Römersinn zurückzuführen. Dagegen verbreitete sich das
Christenthum, ungeachtet der vielen und grausamen Verfolgungen
seiner Bekenner durch die römischen Kaiser, innner weiter über
die römische Welt aus und wurde endlich von Constantin dem
Großen zur Staatsreligion erhoben.
Als Hauptgottheiten der Römer galten die drei
kapitolinischen: 1) Jupiter, der höchste unter den Göttern, be-
wirkt als Fürst des Äthers alle Lufterscheinungen, Donner und
Blitz, Wind und Wetter. Er ist der gewaltigste in der Len-
kung aller menschlichen Angelegenheiten (daher optimus máximas),
zugleich der Beschützer des Rechts, des Eides, der Treue (daher
J. fidius). Als Schützer und Helfer in den Schlachten führt
er die Beinamen: imperator, vietor, triumphator, Stator, opi-
tulator, praedator, feretrius. Ihm zu Ehren wurden außer
anderen Festen die capitolinischen Spiele im Circus maximus
und die feriae Latinae auf dem Albaner Berge gefeiert. 2) Juno,
Beschützerin der Frauen und der ehelichen Verhältnisse (daher
ucina, prónuba) theilt als Himmelskönigin mit ihrem Gemahl
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____378 ______
griechischen Artemis. In Rom waren ihr, so wie ihrem Bruder
Apollo die Säcularspiele heilig. 8) Apollo wurde als eine
besondere Gottheit erst später in Rom verehrt und mit dem
griechischen Phöbus Apollo identificirt, der Schutz in Gefahren,
besonders in pestartigen Krankheiten gewährt, den Dichter be-
geistert und ihm den Blick in die Zukunft eröffnet. 9) Nep-
tunus ward anfangs als Gott der Pferde verehrt (N. equester)
und, wie es scheint, sehr bald, mit einem andern altitalischen
Gotte Consus vermischt. Ihm zu Ehren feierte man ludi
equestres, die anfangs consualia, dann von dem Orte der
Feier ludi circenses genannt wurden. Seitdem die Römer eine
Seemacht hatten, übertrugen sie die Vorstellungen der Griechen
von Poseidon auf Neptun. 10) Vulcanus scheint in der
frühern Zeit als der Gott, welcher die Versöhnung und Ver-
einigung getrennter Stämme bewirkte, verehrt worden zu sein.
Später galt er als Beschützer der Ofen und Feueressen, und
die Römer verglichen ihn mit dem Hephästus der Griechen.
Sein gewöhnlicher Beiname war mnlciber 2). 11) Mercu-
rius (von mercari) war der Gott des Handels und der da-
mit in Verbindung stehenden Künste und Fertigkeiten und wurde
vorzüglich von den Kaufleuten verehrt. 12) Ceres (gr. De-
meter) war Fruchtgöttin, und ihr Fest, Cerealia, eine Nachah-
mung der attischen Thesmophorien. Die Beinamen der Ceres,
als frugífera, specifera, mater agrorum, alrna etc., sind sämmt-
lich aus dem griechischen Mythos zu erklären. — Frühzeitig
ward auch Bacchus unter dem Namen Uber und pater Le-
naeus als Genius der Fruchtbarkeit verehrt und ihm eine Göt-
tin, Libera, zur Seite gestellt; später wurde er mit dem grie-
chischen Dionysus identificirt. Jedoch machten die Ausschwei-
fungen, welche dieser Dienst veranlaßte, ein Verbot desselben im
Jahre 186 vor Chr. nothwendig. — Als den Herrscher im
Reiche der Schatten verehrten die Römer den Orcus, wie die
Griechen den Hades. Auch eine Göttin der Unterwelt verehrten
sie unter dem Namen Libitiua.
Außer den bisher genannten wurden von den Römern noch
folgende einheimische, altitalische Gottheiten verehrt,
) Vielleicht a mulcendo j e. molliendo ferro.
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Extrahierte Personennamen: Apollo Apollo Consus Libera
381
von Opferthieren wurde von den Haruspices vollbracht, die
aber kein besonderes Collegium bildeten; 3) die Vorsteher der
sibp klinischen Bücher, deren anfangs 2, duumviri sacro-
rum genannt, dann 10, seit Sulla 15 waren, mußten in bedenk-
lichen Tagen auf Befehl des Senats die von Tarquinius super-
bus angekauften Bücher nachschlagen. 4) Die 20 Fecialen
(S. 51), deren Vorsteher pater patratus hieß. Sie mußten
Kriege feierlich ansagen, Friedensschlüsse und Bündnisse im Na-
men des römischen Volkes beschwören. 5) Die Vestalischen
Jungfrauen (S. 51), anfangs 4, seit Tarquinius Priscus 6,
standen unter Aufsicht des Pontifer marimus, von welchem sie
in einem Alter von 6 bis 10 Jahren gewählt wurden. Sie
mußten 30 Jahre in der Göttin Dienst bleiben, den sie in den
10 ersten Jahren lernten, in den folgenden 10 verrichteten und
in den letzten 10 lehrten. Sie trugen ein weißes Gewand und
eine Stirnbinde (infula). 6) Die Salier (S. 51). 7) Die
arvalischen Priester (lratres arvales), 12 an Zahl, muß-
ten jährlich der Ceres ein besonderes Opfer bringen und hiemit
die Weihe der Felder verbinden. 8) Die Luperci, Priester
des Pan, feierten die Lupercalia zur Entsündigung der Heerden
und ihrer Hirten.
Die Priester für den Tempeldienst einzelner Gottheiten hie-
ßen Fla min es, und ihrer waren 15. Den Vorrang unter
ihnen hatten die Priester der drei obersten Schutzgottheiten Rom's,
des Jupiter, des Mars und Quirinus (Hamen Dialis, Martia-
lis, Quirinalis), und unter diesen war wieder der Priester des
Jupiter, der Flamen Dialis, der erste. Dieser und die vesta-
lischen Jungfrauen hatten auch Lictoren. (S. 52). — Zur Be-
sorgung der von den Königen dargebrachten Staatsopfer wurde
nach Abschaffung der königlichen Regierung ein besonderer Op-
ferkönig (rex saerorum) eingesetzt (S. 73).
Der Cultus, welcher entweder den ganzen Staat oder
einzelne Familien und Personen betraf, bestand in Gebeten und
Gelübden, in Opfern und Begehung von Festen und Spielen
zu Ehren der Götter. Die Hauptfeste kehrten regelmäßig an
bestimmten Tagen des Jahres wieder; andere wurden bei be-
sonderen Veranlassungen vom Magistrate besonders angeordnet.
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in Wechselversen. — Ausgebreitet war der Handel und Verkehr
der Etrusker. Ihr Landhandel ging weit hinauf in die Länder
am Po, und in die Gegenden des Nordens; der Bernstein
machte einen Hauptartikel desselben aus. Mit ihrer Seemacht
verscheuchten sie Phönizier und Karthager von Italien und
kämpften sogar mit den letzteren um die Inseln des Mittel-
meeres. Aber auch Lurus konnte bei einem so reich gewordenen
Handelsvolke nicht ausbleiben, und dieser führte große Verweich-
lichung und hiermit den allmäligen Verfall herbei.
K. 8. Sage von der Gründung Roms.
Bis zu den Uranfängen einer Stadt, eines Volkes reicht
selten eine Geschichte; Dichtung und Sage füllen in der Regel
den leer gebliebenen Raum aus. Auch um die Wiege Roms
liegt ein großer Sagenkreis ausgebreitet, und Griechen sowohl
als Römer haben diesen mit den Blumen ihrer Dichtkunst auf
das maunigfaltigste ausgeschmückt. Der Ursprung Roms knüpft
sich zunächst an die Sage der Einwanderung der Trojaner in
Latium, und auf diese Sage gründet auch Virgil sein großes Hel-
dengedicht. Dieser weit verbreiteten Sage zufolge kam Äneas
einige Jahre nach Trojas Zerstörung mit vielen flüchtigen Tro-
janern und mit den geretteten Heiligthümern seiner Vaterstadt
nach Italien und ließ sich in Latium, in dem Gebiete des Kö-
nigs Latinus, nieder. Hier heirathete er dessen Tochter Lavinia,
gründete die Stadt Lavinium und ward Erbe des Reiches sei-
nes Schwiegervaters. Wie der Vater Lavinium, so gründete
sein Sohn Ascanius (Julus) etwa 30 Jahre später auf dem
Abhange des Albanerberges Alba Longa, welches die Haupt-
stadt des alten Latiums und der Sitz der latinischen Könige
wurde. Als der vierzehnte in der Reihe dieser Könige aus des
Aneas Geschlecht wird Procas angegeben, der das Reich seinen
beiden Söhnen Numitor und Amulius zur wechselseitigen Regie-
rung hinterließ. Aber der stolze Amulius, der nach Alleinherr-
schaft strebte, verdrängte seinen älteren Bruder, tödtete den Sohn
des Verdrängten und weihete, um vor aller Nachkommenschaft
und Thronbewerbung gesichert zu sein, dessen Tochter, Rhea
Sylvia, dem jungfräulichen Dienste der Göttin Vesta. Eines
Tages ging die Jungfrau in den heiligen Hain, um aus der
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90
zweiflung auf das Höchste. Die Männer liefen mit den Waffen
nach den Mauern, während die Weiber sich in den Tempeln vor
den Altären der Götter weinend niederwarfen und um Rettung
fleheten. Die römischen Matronen wurden endlich die Schutz-
engel der Stadt. Sie wandten sich an Coriolan's Mutter, Ve-
turia, und vermogten sie, mit seiner Gattin Volumnia und noch
einigen vornehmen Frauen, zu ihm in's Lager zu gehen, um den
letzten Versuch auf das Herz des Siegers zu machen. Coriolan
empfing auch sie mit großer Ehrfurcht, jedoch mit dem Ent-
schlüsse, keine ihrer Bitten zu bewilligen. Als aber seine alte
Mutter, wie verzweifelnd, sich bittend und flehend zu seinen Fü-
ßen warf, als Weib und Kinder weinend sich um seine Kniee
schmiegten, da endlich siegte die Stimme der Natur über das
Herz des erzürnten Siegers. Gerührt hob er die innig geliebte
Mutter auf, und mit Thränen rief er an ihrem Halse: „O
Mutter! Mutter! Rom hast du gerettet, aber deinen Sohn ver-
loren!" Er entließ die Frauen, führte das Heer zurück uni>
ward dafür von den getäuschten Volskern erschlagen Die
Römer aber errichteten, zum Andenken der schönen That der
Frauen, dem weiblichen Glücke einen Tempel, und zwar an der
Stelle, wo diese den Helden erweicht hatten.
§. 21. Spurius Äafstus und fein Ackcrgcfctz. 486.
Kaum war jene Gefahr glücklich abgewandt, so erneuerte
sich auch wieder der Kampf der Plebejer gegen die Patricier,
der jetzt um so heftiger wurde, da jene ihre Macht bereits er-
probt hatten. In den nächsten fünfzig Jahren jedoch gingen die
Forderungen der Plebejer durchaus nicht auf Theilnahme an der
Negierung und den Würden des Staates, sondern nur auf Zu-
sicherung dreier gegen Mißbrauch deö Herkommens gerichteten
Schutzmittel und zwar erstens: auf Bert Heilung von Acker-
land, um gegen Hunger und Noth geschützt zu fein; zweitens:
9 Nach einer anderen Sage lebte er bis in's hohe Greiftnalter
unter den Volskern, die ihm die Eroberung mehrer latinischcn Städte
und einen ruhmvollen Frieden verdanken. — Übrigens ist wohl die ihrem
Wesen nach richtige Geschichte des Coriolan später durch Dichtung und
Sage vielfach ausgeschmückt worden. (adticu xai v/nvenut iog
¿voeßrjg xui dixaiog uv/]Q. Dionys Viii. 62.)
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Cwltnr der Römer
§. 84. Das Religionswesen. 1)
^te Religion war bei den Römern in alle Verhältnisse des
Staates, wie der Familie auf das engste verflochten. Als
der eigentliche Stifter derselben galt ihnen der König Numa
Pompilius, dem sie sowohl die Abfassung der ältesten Religions-
urkunden, als auch die Einsetzung der Priestercollegien zuschrieben.
Da die erste Bevölkerung Rom's aus Latinern, Sabinern und
Etruskern bestand, so sind auch alle diesen Völkern angehörenden
Götter und Religionsinstitute nach dieser Stadt gekommen und
sind zugleich hier in mannigfache Beziehungen und Verbindungen
mit einander gebracht worden. Mit der Ausdehnung der römi-
schen Herrschaft vermehrten sich auch die Götter in Rom's
Mauern; denn die Römer waren überhaupt tolerant gegen fremde
Religionen, und bei Belagerungen feindlicher Städte riefen sie
wohl den Beistand der dort verehrten Gottheit an, unter dem
Versprechen, dieselbe aus der eroberten und zerstörten Feste nach
Rom überzusiedeln und hier eben so glänzend zu verehren. So
kam der Dienst der Juno von Veji nach Rom. Besonders ein-
flußreich wurde die nähere Verbindung mit den Griechen; und
die zwölf olympischen Gottheiten derselben haben sämmtlich auf
I. A. Hartung, die Religion der Römer nach den Quellen
f dargestellt. 2 Th. 1836. — R. H. Clausen, Aeneaö und die Penaten;
die italischen Volksreligionen unter dem Einfluß der griechischen bärge-
stellt. 2 Th. Hamburg und Gotha, 1839—40.
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Extrahierte Personennamen: Numa
Pompilius I._A._Hartung H._Clausen
377
die Herrschaft des Äthers und überwacht insbesondere den regel-
mäßigen Gang der Sterne; daher führt sie auch als Zeitgöttin
den Namen ealenclaris. Am 1. März wurde ihr Fest, Matro-
nalia, gefeiert. 3) Minerva, Beschützerin aller Künste und
Gewerbe, verlieh einerseits der Hausfrau Geschicklichkeit in Hand-
arbeiten, andererseits dem Manne Klugheit und Muth in den
Gefahren des Krieges, vorzugsweise aber dem Dichter und
Künstler schöpferische Kraft, wie Pallas Athenä bei den Griechen. —
Die übrigen Gottheiten Rom's, welche man mit den griechischen
mehr oder weniger identificirt hat, sind folgende: 4) Vesta
(die Hestia der Griechen) war die Göttin des Heerdes und der
Ansässigkeit. Wie in jeder einzelnen Wohnung ihr, als Be-
schützerin derselben, der Heerd geweiht war, um welchen sich die
fromme Familie sammelte, so wurde ihr auch als Beschützerin
des ganzen Staatsgebäudes vom Staare aus in einem Tempel
auf dem römischen Forum ein immerwährendes Feuer (als
Symbol des Heerdes) von jungfräulichen Priesterinnen (Vesta-
linnen), die in hohem Ansehen standen und viele Vorrechte
hatten, unterhalten. 5) Mars oder Mavors (gr. Ares)
schützte das Feld und die Beschäftigungen auf demselben, die
friedlichen sowohl als die kriegerischen. Er stand deshalb nicht
bloß dem Kriege (als solcher wurde er gradivus, der Heran-
schreitende, genannt), sondern auch dem Landbau vor. Ihm
war das Marsfeld geweiht, wo kriegerische Übungen und Wett-
kämpfe gehalten und alle vier Jahre eine neue Schätzung der
gesummten Bürgerschaft vorgenommen wurde. Auch der erste
Monat des römischen Jahres war ihm geweiht; seine zwölf
Priester, die Salier, mit den zwölf heiligen Schilden der An-
tillen stellen wahrscheinlich die zwölf Monate dar. Als einen
kriegerischen Gott verehrten ihn besonders die Sabiner, denen
ein dem Mars heiliger Specht (pieus) Orakel ertheilte. Seinen
Kriegeswagen führte Bellona, die Göttin des Schlachtfeldes.
6) Venus galt in der ältesten Zeit als Göttin der Eintracht,
später aber wurden die Vorstellungen der Griechen von ihrer
Göttin Aphrodite auch auf sie bezogen, und seitdem erscheint die
Venus als eine neue völlig umgewandelte Gottheit. 7) Diana
liebte vorzüglich den Aufenthalt in Hainen, auf Höhen und an
Quellen. Erst die späteren Römer verschmolzen sie mit der
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Extrahierte Personennamen: März Muth Pallas_Athenä Diana