164
Das siebenzehnte Jahrhundert.
Minderung des Kronguts waren bei Christina's Abdankung die königlichen Ein-
künfte so zusammengeschmolzen, daß ohne eine übermäßige Belastung des gedrück-
ten Bauernstandes die Regierungsausgaben nicht bestritten werden konnten. Der
Adel mußte sich daher in die Nothwendigftit fügen, die seit Gustav Adolfs Tod
durch Kauf, List oder Schenkung erworbenen Krongüter theils mit, theils ohne
Entschädigung wieder herauszugeben. Die Herausgabe war aber sehr unvollstän-
dig, daher unter der folgenden Regierung eine gänzliche Reduction aller Kron-
güter erzwungen ward.
a) Po lenkri eg. Um der beschränkten Königsmacht wenigstens
äußern Glanz zu verleihen suchte der neue König Karl (X.) Gustav von
Pfalz-Zweibrücken (Kleebürg) den schwedischen Kriegsruhm zu
erneuern. Zu dem Ende gab er den Einflüsterungen eines verrätherischen
polnischen Vicekanzlers Gehör und überzog das von äußern Feinden be-
drohte und von innern Factionen zerrissene Polen mit Krieg. Die Weigerung
Johann Casimirs von Polen, den neuen Schwedenkönig anzuerkennen
und die von seinem Vater Siegmund (§. 510.) ererbten Ansprüche auf
den schwedischen Thron aufzugeben, mußte als schwacher Grund zum Krieg
dienen.
W la d i s lav Iv. und sein Bruder und Nachfolgeri o h a nn Casimir, die
Wl!d?s- Söhne des schwedischen S i e g m u n d, führten einen blutigen Kampfwider die als ge-
laviv. wandtereiter ausgezeichneten Kosaken, die an den Küsten des schwarzen Meers
Johann' ein kühnes Freibeuterleben führten, dem Namen nach der polnischen Schutzherrlich-
.^Castmir feit unterworfen, in der That aber unter selbstgewählten Häuptlingen (Hetmans)
einer wilden Ungebundenheit folgend. Da beschloß der polnische Reichstag, den
Kosaken das Wahlrecht ihres Hetmán zu entreißen und das Land durch polnische
Statthalter verwalten zu lassen. Der Druck der fremden Beamten, verbunden
mit Religionszwang, brachte aber das wilde, streitbare Volk bald zur Em-
pörung. Unterstützt von den Tartaren und Russen erkämpften sie sich Unab-
hängigkeit von Polen und begaben sich dann unter die Schutzherrlichkeit des
Zaar's von Moskau. Als Bekenner der griechischen Religion standen sie
ohnedieß den Russen näher als den römisch-katholischen Polen. Umsonst kehrte
(Kosakcn- der polnische Adel sein Schwert gegen die früher oft überwundenen Feinde; die
1647-54.Russen und ihre neuen Bundesgenossen behielten den Sieg über Wladislav, der
noch vor Beendigung des Krieges kummervoll ins Grab sank; sie eroberten Smo-
lensk und Kiew und bedrohten Polen im Osten zu derselben Zeit als der
Schwedenkönig mit seinen abgehärteten Truppen und seinen im dreißigjährigen
Kriege gebildeten Feldherren siegreich von Norden und Westen vorrückte.
Die verrätherischen Statthalter (Starosten) von Posen und Kalisch
übergaben die ihnen anvertrauten Provinzen dem schwedischen General
Wittenberg. Karl Gustav selbst, kampflustig und ruhmbegierig, nahm
Warschau und Krakau ein, nöthigte den König Johann Casimir zur
Flucht nach Schlesien, eroberte Masovien und andere Landschaften und
konnte sich, als auch das von den Russen bedrängte Litthauen sich den
Schweden unterwarf, als Herrn von Polen ansehen. Um das Erworbene
sicherer zu behaupten, schloß er mit dem großen Kurfürsten Friedrich
TM Hauptwörter (50): [T2: [Schweden Friedrich Heer Schlacht Sachsen König Gustav Kaiser Krieg Schlesien], T40: [Polen Ungarn Land Rußland Preußen Stadt Donau Provinz Hauptstadt Königreich], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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TM Hauptwörter (200): [T44: [Preußen Polen Brandenburg Provinz Land Schlesien Sachsen Pommer Friedrich Schweden], T30: [Gustav Schweden Adolf Wallenstein Kaiser Heer Tilly König Krieg Schlacht], T177: [Volk Recht Gesetz Freiheit Land Strafe Mensch Gewalt Leben Staat], T88: [Türke Ungarn Krieg Rußland Kaiser Sultan Wien Jahr Frieden Polen], T145: [Bauer Adel Land Stadt Bürger Herr Stand Recht Gut König]]
Extrahierte Personennamen: Gustav_Adolfs Gustav Adolfs Karl_( Karl Gustav_von
Pfalz-Zweibrücken Gustav Johann_Casimirs_von_Polen Johann Siegmund_( Casimir Johann Kalisch Karl_Gustav Karl Gustav Johann_Casimir Johann
190
Das siebenzehnte Jahrhundert.
kannten die Umgestaltung an, nur der päpstliche Stuhl zögerte aus Wohl-
wollen für Spanien noch 28 Jahre. Die nach langer Unterbrechung einbe-
Bragcm' rufenen portugiesischen Stande bestätigten die Revolution und trafen über
Steuererhebung und Kriegswesen mehrere gute Einrichtungen. Ohne große
Hann iv. Anstrengung behauptete sich Johann I V. gegen das machtlos ankämpfende
\u '' Spanien. Sein ältester Sohn Alfons Iv. folgte ihm. Aber seine an Blöd-
1656-o?; sinn grenzende Schwachheit machte ihn zur Selbstregierung unfähig und sein
* 1(!83‘ unsittliches Leben zog ihm die Verachtung des Volkes zu. Dadurch gelang
es seiner französischen Gemahlin mit Hülfe eines von dem jüngern Bruder
des Königs Don Pedro geleiteten Aufstandes, Alfons zur Entsagung des
was. Thrones zu bringen. Don Pedro, mit der geschiedenen Königin vermählt,
führte hierauf mit Einwilligung der Cortes, anfangs als Regent und dann,
als sein in stumpfsinniger Muße in Cintra lebender Bruder gestorben war
(1683), als König (Peter Ii.) die Regierung. Während seiner Regentschaft
Jjg; wurde mit Holland ein Friede geschlossen, der den Portugiesen Br afi-
lien und den Rest ihrer ostindischen Besitzungen sicherte. Dagegen wurde
der.krieg mit Spanien hitziger geführt. Als aber Portugal von Frankreich
und England Unterstützung erhielt und der französische General Schom-
1665. b e r g den Spaniern zwei große Niederlagen beibrachte (bei Almexial und
Villa Vchosa), da fügte sich der Madrider Hof in die Nothwendigkeit und
1668. ánnte im Frieden von Lissabon die Unabhängigkeit Portugals an.
Aber die Sicherstellung des portugiesischen Thrones war ein Nachtheil für die
Freiheit der Nation. Die Cortes, die während der Revolution und der
darauf erfolgten Kämpfe und Stürme große Macht erworben, wurden bald
o dem Fürstenhaus Braga nza beschwerlich. Ihre Einberufung unterblieb
hann v. allmählich und König Johann V. regierte wie ein Herr, „der von Gott und
170ü ^ Rechtswegen König ist."
§.607. Die Empörung von Catalonien und Portugal führte den Sturz
1643. von Olivarez und die Erhebung Haro's zum Premierminister herbei.
Aber bald erregte der Steuerdruck und die Aushebung für die Armee auch in
Neapel und Sicilien drohende Bewegungen. — Dort schaarte sich das
über die Härte und Habsucht der Steuererheber empörte Volk um einen Fischer
1647. von Atrani (bei Amalsi), M asan iello (Thomas Aniello), bemächtigte sich
der Hauptstadt und zwang den Vicekönig in der Burg Schutz zu suchen. Zwar
wurde Masaniello, der einige Tage als Oberhaupt von Neapel das
größte Ansehen genoß, bald jedoch in Geistesverwirrung verfiel, von seinen
Feinden ermordet; allein der Aufstand war darum nicht unterdrückt. Viel-
mehr bluteten alle Spanier, die in die Hände der Rebellen sielen, als Opfer
für Masaniello und Neapel wurde als Republik regiert. Erst als die spanische
Regierung den verhaßten Vicekönig abrief und die Steuerlast minderte, kehrte
Kcirl u. allmählich die Ruhe zurück. Auf Philipp Iv. folgte sein unmündiger, an
1cs0~ Körper und Geist schwacher Sohn K'arl Ii., für den seine Mutter, eine
TM Hauptwörter (50): [T31: [König Ludwig Karl Sohn Maria Frankreich Kaiser Tod England Philipp], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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Extrahierte Personennamen: Johann_I_V. Johann Alfons_Iv Alfons Pedro Peter_Ii Johann_V. Johann_V. Gott Thomas_Aniello Masaniello Masaniello Kcirl Philipp_Iv Philipp
Extrahierte Ortsnamen: Spanien Hann Spanien Cintra Holland Spanien Frankreich England Madrider_Hof Lissabon Portugals Portugal Neapel Sicilien Neapel Neapel
4. Dccbr.
1642.
14. Mai
16415.
194 Das siebenzehnte Jahrhundert.
oder die den bestehenden Rechten zu nahe traten, in ihre Gesetzregister einzutragen, was
zur Folge hatte, daß die Unterbeamten in den Provinzen dieselben nicht vollzogen. Nur
wenn der König selbst den Sitzungen beiwohnte (lit de justice), mußte jede Widerrede
verstummen. Da die Beamtenstellen um hohe Summen gekauft wurden und gegen eine
jährliche Abgabe, Paulette, in den Familien erblich blieben, so hatten Alle gleiches
Interesse, daß die Rechte jedes Einzelnen sorgfältig geachtet wurden. Die Parlamente
theilten mit dem Königthum den Vorzug der Souveränetät.
Dieser Beamtenmacht trat Richelieu energisch entgegen. Die Parlamente
mußten Abbitte thun, wenn ihre Einwendungen ungeeignet oder vermessen schie-
nen; durch Einführung von Intendanten, die blos vom Minister abhingen,
schwachteer die Gewalt der Provinzialbeamten und durch Aufstellung außer-
ordentlicher Gerichtshöfe für politische Vergehungen minderte er den
Geschaftskreis der Parlamentsgerichte. „So machte Richelieu aus allen bösen
Bestrebungen und Thorheiten der Parteien in Frankreich, aus der Schwache des
deutschen Reichs und der Unfähigkeit Spaniens gleichsam ein Kapital, das er zu
den Zwecken der königlichen Unumschranktheit gebrauchte. Er war ein Absolutist
ganz nach Macchiavelli's Sinn, dessen persönliche Leidenschaften sich mit denen
für das Staatsinteresse verschinolzen, dem man seine grausame Harte verzieh,
weil er dem Staate nach Außen eine nie besessene Macht gab, dessen Bestrebun-
gen, weil sie dem Staate förderlich und in rücksichtsloser Consequenz verfolgt
wurden, von stets treuem Glück begleitet waren." — Auch als Gesetzgeber der
französischen Literatur trat Richelieu auf, indem er durch Gründung der aus 40
Mitgliedern bestehenden fra n z ö si sch e n A k a d em i e einen obersten Gerichtshof
des Geschmacks und der Sprache aufzustellen suchte. Aber im Gebiete der freien
Wissenschaft war sein despotischer Geist nicht zum Heile.
tz. 610. Mazarin und die Fronde. Im Jahr 1642 starb Ri ch e-
lieu, gehaßt und gefürchtet von König und Volk, aber bewundert von
Mit- und Nachwelt, die Geißel der Großen und der Unterdrücker aller Be-
vorrechteten. Ludwig Xiii., ein Fürst ohne große Tugenden und Laster,
abhängig von Jedem, der sich seine Gunst zu erwerben oder sich ihm furcht-
.bar zu machen wußte, folgte ihm bald nach. Sein letzter Wille übergab die
Regierung während seines Sohnes Minderjährigkeit einem Regentschafts-
rathe, worin die Königin Anna von Oestreich, eine Schwester Phi-
lipps Iv. von Spanien, nur eine untergeordnete Stelle einnahm, und der
Italiener Mazarin, der Erbe von Richelieu's Amt und Staatsgrundsätzen,
lenkendes Haupt war. Aber Anna war bisher die Stütze und Hoffnung des
Adels gewesen; von ihrer Hand erwartete er die verlorne Macht wieder, so
wie anderseits die Parlamente auch ihr gebrochenes Ansehen unter der weib-
lichen Regierung wieder fester zu begründen hofften. Beide waren daher
einer Verwaltung feind, die Richelieu's Grundsätze befolgen wollte, und es
gelang ohne Mühe einer Partei von Edelleuten, die man die Wichtigen
nannte, und an deren Spitze der junge Herzog von Beauford stand, das
Testament Ludwigs Xiii. bei dem Parlamente für nichtig erklären zu lassen
und die Regentschaft einzig den Händen der Königin anzuvertrauen. Anna
war jedoch nicht Willens, die Schranken der Königsmacht, die Richelieu
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Extrahierte Personennamen: Paulette Richelieu Richelieu Richelieu Ludwig_Xiii Ludwig Anna_von_Oestreich Italiener_Mazarin Anna Ludwigs
Extrahierte Ortsnamen: Frankreich Spaniens Spanien
1628.
1629.
172 Das siebenzehnte Jahrhundert.
des Königs wollte sich nicht unter den Geist der Zeit beugen, der für den
gebildeten Mittelstand Theilnahme am Staatsleben ansprach. Karls frei-
gebige Natur nahm Aergerniß an der Kargheit des Parlaments, das des
Königs Geldbedürfnisse zur Sicherstellung der Volksrechte benutzen wollte,
und darum nicht nur höchst sparsam in seinen Bewilligungen war, sondern
nicht einmal die Erhebung des Tonnen- und Pfundgeld für ein- und
ausgehende Waaren auf die ganze Regierungszeit zugestand, wie bisher
üblich gewesen.
Karl nahm diese Beschränkung um so ungnädiger auf, als ihm ein unglücklicher
Krieg wider S p a n i e n und die Unterstützung der Heerführer in Deutschland große
Ausgaben verursachte. Er erhob daher das Tonnen-und Pfundgeld ohne ständische
Bewilligung, erzwang Gaben und Anlehen von den Unterthanen und verkaufte
Domänen und Monopolien ; und statt nach einer Beseitigung des spanischen Kriegs
zu trachten, ließ er sich durch den leichtfertigen Buckingham zu einem neuen
Krieg widerfrankreich bereden, angeblich zur Unterstützung derhuguenotten (§.609.),
eigentlich aber, weil der eitle Günstling an dem französischen Hofe Rache nehmen
wollte wegen einer von Richelieu ihm zugefügten Kränkung.
Als auch der Krieg gegen Frankreich einen unglücklichen Ausgang nahm
und englisches Blut und englische Ehre schmachvoll geopfert wurden, da
entstand in dem dritten Parlament ein so heftiger Sturm gegen Bucking-
ham, daß der König die von beiden Häusern ihm vorgelegte Bitte um
Recht (Petition ok right) als rechtsgültig anerkannte, um seinen Günstling
vor der gedrohten Anklage zu retten. — In dieser Bitte waren die alten Rechte
über persönliche Sicherheit und Unverletzbarkeit des Eigenthums so klar dar-
gethan, daß jede willkürliche Verhaftung von Parlamentsräthen, wie sie von
Jakob und Karl verhängt worden, und jede eigenmächtige Besteuerung künftig
als Eingriff in die Verfassung und Gesetze erscheinen mußte. Doch wurde das
Parlament nicht geschmeidig. Buckingham galt für die Ursache aller Leiden
des Volkes, seine Ermordung durch Felton konnte daher nicht blos als das
Werk der Privatrache, sondern auch als Wirkung der allgemeinen Aufregung
angesehen werden. Es war ein neuer Geist über das Volk gekommen; auch
das dritte Parlament wurde aufgelöst, nachdem es in einer stürmischen Sitzung
jede Erhebung eines Zolles für ungesetzmäßig und jeden, der ihn bezahle,
für einen Verräther erklärt. Neun Mitglieder, darunter Hollis, wurden
verhaftet.
h. 593. Strafford und Laud. Zu diesem Gewaltschritt war der
König vonthomas Went worth beredet worden, „den der Ehrgeiz ver-
lockt hatte, von scharfer Opposition im Unterhause in den königlichen Rath
überzutreten, und der nun raschen Schritts zum Statthalter von Irland und
zum Grafen Strafford stieg. Er war ein harter, aber kraftvoller Mann,
jetzt über alles beflissen, die Macht der Krone zu verstärken. Er wollte Un-
umschränktheit, aber zum Besten des Volks gebraucht." Darum rieth er dem
König den Versuch zu machen, ohne Parlament zu regieren und ging mit
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Extrahierte Personennamen: Karls Karl Karl Richelieu Jakob Karl Karl Hollis
Extrahierte Ortsnamen: Karls Deutschland Frankreich Irland
200 Ausgang des siebenzehnten Jahrhunderts.
(§. 602. c) wieder aufzuheben, sondern auch dem jungen Oranien ein Staatsgehalt anzu-
weisen, beschlossen jetzt, das Ansehen, das ihnen der vortheilhaste Friedensschluß gewährte,
zur Sicherstellung der republikanischen Verfassung in Holland anzuwenden. Das von den
1667. holländischen Ständen beschlossene ewige Edikt bestimmte, daß in Zukunft der Ober-
befehl über die Land- und Seemacht von der Statthalterschaft getrennt sein sollte; nur
unter dieser Bedingung dürfe die Statthalterschaft wieder ins Leben treten. Diesem Be-
schluß traten allmählich alle Provinzen bei.
tz. 614. Der holländische Krieg 1672—1679. Noch ehe die
Kriegserklärung an die Generalstaaten erlassen worden, hatte Ludwig Xiv.
das günstig gelegene Lothringen, dessen Herzog mit den Holländern im
Bunde war, in Besitz genommen, ohne Rücksicht auf Kaiser und Reich,
unter deren Schutz derselbe stand. Jetzt rückte der König selbst an der Spitze
eines wohlgerüsteten, von den trefflichsten Feldherrn (Condü, Türenne,
Bauban) geführten Heeres von 120,000 Mann durch das Gebiet des Kur-
fürsten von Köln (der sich von dem französisch gesinnten Domherrn Für-
stend er g zu einem Bündniß mit dem Reichsfeinde hatte verleiten lassen)
an den Rhein, erzwang, durch kölnische und m ünst er sch e Truppen ver-
stärkt, den berühmten Uebergang über den Rhein bei Tolhuis
(Zollhaus) und drang im reißenden Siegeszug in das Herz der General-
staaten. Da war Holland in Noth. Die Republikaner, die bisher den
Staat geleitet, waren mehr auf Hebung der Seemacht als auf Erhaltung
und Mehrung der Landheere bedacht gewesen, und wenn gleich der große
Kurfürst von Brandenburg, der Oheim des jungen Wilhelm von
Oranien, aus Besorgniß für seine clevischen Länder sich der bedrängten
Holländer annahm, mit richtigem Blick die Gefahr ermessend, die von Frank-
reichs Uebergewicht dem zerrissenen Deutschland drohte, so waren doch weder
seine noch die holländischen Truppen vermögend, die überlegene Streitmacht
der Feinde aufzuhalten. Lüttich, Utrecht und Ober-Pssel kamen in
die Gewalt der Feinde; französische Dragoner streiften bereits in der Provinz
Holland und näherten sich der Hauptstadt auf zwei Meilen; die erschreckten
Republikaner baten um Frieden, wurden aber nicht erhört. Hätte der Kö-
nig Conde's Vorschlag, sogleich auf Amsterdam loszugehen, angenom-
men, so wäre Holland verloren gewesen; Louvois' Rath, zuvor die Festun-
gen einzunehmen und durch Besatzungen zu sichern, schwächte die französische
Streitmacht und gab den Holländern Zeit sich zu fassen. Ludwig Xiv., der
nur nach dem Ruhm und Gewinn, nicht nach den Beschwerden eines Feld-
zugs Verlangen trug, eilte bald zu seinen Hoffesten, Schmeichlern und Buh-
lerinnen zurück, während in Holland die oranischepartei, nachdem sie
auf blutigem Wege zur Herrschaft gelangt, mit Energie zur Rettung des
Vaterlandes schritt.
Die Anhänger des Prinzen schoben die ganze Schuld des Unglücks auf die
Republikaner, klagten den Großpensionar de Witt des Einverständnisses mit
Frankreich an und erzeugten eine solche Aufregung unter dem Volk, daß dieses
TM Hauptwörter (50): [T34: [Krieg Frankreich England Deutschland Preußen Frieden Rußland Napoleon Kaiser Jahr], T12: [König Paris Jahr Napoleon General Frankreich Mann Tag Kaiser Minister], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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Extrahierte Personennamen: Ludwig_Xiv Ludwig Wilhelm Ludwig_Xiv. Ludwig_Xiv.
Extrahierte Ortsnamen: Holland Lothringen Rhein Rhein Holland Brandenburg Frank- Deutschland Utrecht Holland Amsterdam Holland Holland Frankreich
202 Ausgang des siebenzehnten Jahrhunderts.
Umstände eine andere Wendung nahmen. Um dieselbe Zeit nämlich, wo das
englische Parlament den König und sein Ministerium nöthigte, den durch
Tromps und de Ruyters Heldenmuth bisher zum Nachtheil Englands ge-
führten Seekrieg aufzugeben und gegen eine Entschädigungssumme Frieden
zu schließen, wurden die geistlichen Fürsten von Köln und Münster durch den
Reichstag zur Entsagung des französischen Bündnisses gezwungen und die
kaiserlichen Feldherren brachten durch dringende Vorstellungen den Kaiser zur
Entfernung des bestochenen Ministers Lobkowitz. Die Folgen waren bald
sichtbar. Die Franzosen sahen sich genöthigt, nach dem unglücklichen Treffen
^1675*1! Saßbach, wo Türenne durch eine Kanonenkugel getödtet ward, das
rechte Rheinufer, das sie vom Breisgau bis zum Neckar furchtbar verheert
hatten, zu verlassen und über den deutschen Strom zurückzukehren.
Der Fall des Marschalls Türe n n e war für Frankreich ein empfindlicherer Verlust
als die Niederlage selbst. Er galt für den eigentlichen Begründer der neuern auf umfassen-
den Plänen und künstlichen Märschen und Stellungen beruhenden Kriegskunst. Conde,
von Gichtleidcn geplagt, nahm gleichfalls feinen Abschied und starb zehn Jahre später auf
seinem Landgute, vom Hofe vergessen. Aber auch die Holländer verloren ihren siebenzig-
1676. jährigen Seehelden de Ru y ter in einer Seeschlacht bei Sicilien, als er das unter fran-
zösischem Schuhe von Spanien abgefallene Messina mit geringen Streitkräften
erobern sollte.
Kurz vor der Schlacht von Saßbach hatte Ludwig Xiv. die Schweden,
seine Verbündeten, bewogen, von Pommern aus in das brandenburgische Gebiet
einzufallen, um den großen Kurfürsten zum Abzug von der Rheinarmee zu ndthi-
gen. Aber ehe diefeinde die geringsteahnung hatten, erschien der thatkräftige
Fürst in der von den Schweden hart heimgesuchten Mark, besiegte die überrasch-
2i675m ten schwedischen Truppen in der glorreichen Schlacht von Fehrbellin und
eroberte Stettin und den größten Theil von Pommern, während die holländische
und dänische Flotte Rügen, Gothland u. a. Orte wegnahm. Diese Schlacht legte
den Grund zu Preußens Größe. — Von nun an zog sich der Krieg hauptsächlich
nach den Niederlanden, wo Wilhelm Hi., dem indessen die Statthalter-
schaft als erb li ch e Würd e seines Mannstamms verliehen worden, trotz
der französischen Uebcrmacht und des überlegenen Talents eines Luxem-
bourg, Crequi, Schömberg, Catinat u. A. mit Ehren das Feld
behauptete. Das barbarische System der Länderverwüstung, wodurch Lou-
vois die Feinde von einem Einfall in Frankreich abhalten wollte, wurde schon
jetzt an der Mosel und Saar angewendet. Als aber England Miene machte,
sich an das seit Wilhelms Iii. Vermählung mit der Tochter des Herzogs von
Pork (Karls Ii. Bruder), eng verbundene Holland anzuschließen und die
Zahl der Feinde Frankreichs zu vermehren, beschloß Ludwig, dem Kriege ein
Ende zu machen. Klug wußte aber die französische Staatskunst die Gegner
zu trennen, damit ihr König als Gebieter auftreten könne. Nachdem Hol-
1678. land, durch Zugeständnisse gewonnen, die Waffen niedergelegt und seine
TM Hauptwörter (50): [T34: [Krieg Frankreich England Deutschland Preußen Frieden Rußland Napoleon Kaiser Jahr], T2: [Schweden Friedrich Heer Schlacht Sachsen König Gustav Kaiser Krieg Schlesien]]
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Extrahierte Personennamen: Ruyters_Heldenmuth Ludwig_Xiv Ludwig Wilhelm Wilhelms Karls Ludwig Ludwig
Extrahierte Ortsnamen: Englands Lobkowitz Saßbach Frankreich Sicilien Spanien Messina Schweden Pommern Schweden Fehrbellin Stettin Pommern Gothland Niederlanden Crequi Schömberg Frankreich England Karls Holland Frankreichs
204
Ausgang des siebenzehnten Jahrhunderts.
um den Monarchen und in die Sale des Schlosies und unterwarf sich der stren-
gen Etiquette des Hofes; Feste aller Art, Carousselparticn, Ballete, Feuerwerke,
Opern und Theater, wozu die ersten Geister Frankreichs ihre Talente in Bewe-
gung setzten, folgten in reizendem Wechsel auf einander; Dichter, Künstler und
Gelehrte wetteiferten in Verherrlichung eines Fürsten, der alle Talente, die^zu
seinem Ruhme oder zu seinen Vergnügungen beitrugen, mit freigebiger Hand be-
lohnte. Stolze Bauwerke, wie das Inva l i d en h a us, kostbare Bibliothe-
ken, herrliche Druckwerke, großartige Anstalten für Naturwissenschaften. Astro-
nomie und Alterthumskunde, Akademien für Gelehrte (aeadewie des inscriptions
et des belles lettres, die Akademien für Künste, Malerei, Bildhauerei, Musik,
und für reale Wissenschaften) erhöhten den Glanz und Ruhm des großen Mon-
archen. Ludwigs Aufmerksamkeit, Beifall oder Gunst war das allgemeine Ziel
aller Bestrebungen; kein Wunder, daß der Egoismus bei ihm auf die Spitze ge-
trieben ward und daß er alle Genüsse des Lebens, deren sein gesunder kräftiger
Körper fähig war, im reichsten Maße einsog! Das Schloß und die mit Statuen,
Fontänen, Baumalleen u. dergl. geschmückten Garten von Versailles galten
als Muster des Geschmacks für ganz Europa. Die feine Geselligkeit, der gebildete
Ton, die leichten Manieren des Adels und der Hofleute besiegten Europa weiter
und dauernder als die Armeen. Französische Moden, Sprache und Literatur
wurden von nun an eben so herrschend in den höhern Kreisen wie die französische
Leichtfertigkeit und Unsittlichkeit. Zwar verlor Ludwig Xiv. bei seinen zahlreichen
Liebschaften (La Valliere, Frau von Montespan u. A.) nie den Anstand aus dem
Auge und die an seinem Hofe herrschende Galanterie bewahrte noch immer einen
Anstrich von ritterlichem Wesen und romantischer Gesinnung; aber bald lockerten
sich die Bande der Zucht und Ehrbarkeit, und Buhlerinnen, wie die reizende
Kokette Ninon del'enclos bereiteten das sittenlose Zeitalter Ludwigs des
Xv. vor.
§. 617. Kirchenzustande. Ludwigs Xiv. Anhänglichkeit an die ka-
tholischen Satzungen und seine äußerliche Kirchlichkeit hielten ihn nicht ab, dem
Papste gegenüber eben so seine rücksichtslose Selbstherrschaft geltend zu machen,
wie gegen die weltlichen Fürsten. Besonders führte die Erweiterung des königli-
chen Rechts (Regale) auf die Einkünfte der Bisthümer wahrend ihrer Erledigung
und des Asylrechts der französischen Gesandten in Rom eine Reihe heftiger
Kampfe zwischen dem kirchlichen Oberhaupte und dem französischen Autokraten
herbei. Aber die wichtigsten kirchlichen Vorfälle Frankreichs unter Ludwig Xiv.
sind die Streitigkeiten der Iansenisten und Jesuiten und die Ver-
folgung derhuguenotten.
a) Iansenismus.. Seitdem die religiösen Dinge hinter der profanen
Politik zurückgetreten, hatten bei dem Jesuitenorden die weltlichen Interessen die
Oberhand gewonnen; die Macht und der Reichthum des Ordens standen als
Hauptziel im Vordergrund. Die Folge war, daß die Jesuiten in ihren Lehren sich
mehr der Richtung der Zeit anbequemten und namentlich in der Erklärung der
Sünde eine sehr laxe Ansicht aufstellten. Nur wo vollkommene Einsicht des
Vergehens und die bestimmte Absicht, es zu vollbringen, obwalte, sei eine Sünde
vorhanden, äußeres Thun ohne innere Zustimmung und Freiwilligkeit sei kein
Vergehen. Diese Easuistik führte zu einem Gewebe von Heuchelei zrnd So-
phistik. Die Lehren von dem ge istigen Rü ckh alt und von der H eiligung
des Mittels durch den Zweck wurden noch erweitert durch die Lehre von
dein Probabilismus, nach der man in einem zweifelhaften oder zweideutigen
Falle eben so gut die wahrscheinlich falsche als die wahrscheinlich wahre Bestim-
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T3: [Stadt Schloß Straße Berlin Kirche Haus Gebäude Platz Garten Universität]]
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Extrahierte Personennamen: Ludwigs Ludwigs Ludwig_Xiv Ludwig von_Montespan Ninon_del'enclos Ludwigs Ludwigs Ludwig_Xiv Ludwig
Extrahierte Ortsnamen: Frankreichs Versailles Europa Europa Ludwigs_Xiv Rom Frankreichs
Decbr.
1648,
30. San.
1649.
182 Das siebenzehnte Jahrhundert.
Armee des Königs und brachte ihn auf ein ödes, sinsteresfelsenschloß an der
Meeresküste. Dann umstellte der Obrist Pride das Parlamentshaus mit
seinen Truppen und ließ 81 presbyterianische Mitglieder, unter ihnen
P ry n n, der im Kampfe gegen die Despotie an Leib, Gut und Ehre gestraft
worden, gewaltsam wegführen. Nach dieser unter dem Namen Pride's
Reinigung (Purganz) bekannten That bezog Cromwell die königlichen
Gemächer in Whitehall; denn jetzt war er Herr und Gebieter und das aus
Independenten bestehende sogenannte Rumpfparlament nur ein willen-
loses Werkzeug in seiner Hand. Es wurde beschlossen, den gefangenen König
vor einem außerordentlichen Gerichtshöfe des Verraths anzuklagen, weil er
Krieg gegen das Parlament geführt habe. Als das auf 12 Mitglieder zusam-
mengefchmolzene Oberhaus sich diesem Ansinnen widersetzte, erklärten die In-
dependenten, „daß ihr Wille allein das Gesetz mache, da die Urquelle aller
rechtmäßigen Gewalt bei dem Volke zu suchen und sie allein Volks-Reprä-
sentanten seien." Demgemäß wurde „Karl Stuart" viermal vor dem aus
135 Personen, theils Unterhausmitgliedern, theils Offizieren, theils Richtern
bestehenden Justizhof, in dem der Rechtsgelehrte Br a d sh a w den Vorsitz
führte, verhört und als Tyrann, Verräther, Mörder und Landesfeind zum
Tode verurtheilt. Drei Tage gestattete man ihm noch zur Vorbereitung und
zum Abschied von seinen Kindern. Dann führte man ihn auf das am Schlosse
Whitehall aufgeschlagene schwarz bedeckte Schaffet, wo zwei vermummte
Scharfrichter in Matrosentracht die Hinrichtung vollzogen. Schweigend sah
die unzähliche Volksmenge dem entsetzlichen Schauspiele zu. Erft als der
Scharfrichter das bluttriefende Haupt bei den Haaren faßte und ausrief:
„das ist der Kopf eines Ver rät Hers!" machte das versammelte Volk
dem gepreßten Herzen durch ein dumpfes Stöhnen Lust.
S. Die Republik.
§. 602. Cromwells Sä ege. Das auf 80 Glieder herabgekommene
Rumpfparlament wurde durch neue Wahlen und Einberufung ausgestoßener Mit-
glieder auf 150 vermehrt und nach Aufhebung des Oberhauses als Parlament
von Eng laud (Nationalconvent) mit der höchsten Macht bekleidet. Jeder über
17 Jahre zahlende Engländer mußte der neuen Regierung „ohne König und Ober-
haus" den Eid der Treue leisten. Die ausübende Regierungsgewalt
wurde einem aus 42 Mitgliedern bestehenden Staatsrath übertragen, dessen
Präsident Bradshaw war und zu dessen Sekretären der Dichter Milton
(8- 559.) gehörte. Der letztere hatte durch seine schwungvollen Flugschriften
gegen Pralatenthum und absolute Königsmacht nicht wenig zum Sieg seiner Ge-
sinnungsgenossen beigetragen und führte jetzt durch seine freiheitbegeisterten Recht-
fertigungsschriften die Sache seiner republikanischen Freunde mit solcher
Hingebung, daß er darüber sein Augenlicht verlor. — Ein Obergerichtshof
befaßte sich mit den Vergehungen gegen den Staat, gleich der frühern Stern-
kammer, und übte strenge Justiz gegen Royalisten wie gegen Ra dicale
in Kirche und Staat. — Die presbyterianische Kirchenform blieb die
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Das Zeitalter Ludwigs Xiv.
207
langen der gespornten Bekehrer, die das Haus des Abtrünnigen veriießell und in
doppelter Anzahl bei den Standhaften einrückten, wirkten mächtiger als alle
Lockungen des Hofs und alle Verführungen der Priester. Taufende entflohen ins
Ausland, um auf fremder Erde ihres Glaubens zu leben; aber noch sehr groß
war die Zahl derer, die unter allen Drangsalen standhaft blieben, als die Auf- 22
Hebung des Edikts von Nantes dem Verfolgungsfystem die Krone auf- ~i'6s5,'
setzte und die Huguenotten in Verzweiflung stürzte. Ihr Gottesdienst ward gänz-
lich verboten, ihre Kirchen wurden niedergerissen, ihre Schulen geschlossen, ihre
Prediger, sofern sie dem für ihre Bekehrung verheißenen Preis widerstanden, des
Landes verwiesen. Und als die Auswanderung in erschreckendem Maße zunahm,
wurde dieselbe unter Galeerenstrafen und Güterverlust untersagt. Aber trotz aller
Drohungen und Verbote trugen über 500,000 französische Calviniften ihre Be-
triebsamkeit, ihren Glauben und ihr Herz in das protestantische Ausland. Die
Schweiz, die Rheinpfalz, Brandenburg, Holland und England (Spitalsield in
London) boten den Verfolgten ein Asyl. Ihre Bildung, ihre Industrie, ihre gei-
stige Rührigkeit blieb nicht ohne Einfluß auf die Cultur der Völker, zu denen sie
geflüchtet. Aber in Frankreich war der Wohlstand und die beneidete Blüthe der
südlichen Landschaften dahin! Die Seidenwebereien und die Kunst des Strumpf-
wirkens wurde durch flüchtige Huguenotten dem Auslande mitgetheilt; calvinische
Schriftsteller richteten ihre Feder gegen Frankreich und calvinische Krieger traten
in die Reihen der Feinde beim Wiederausbruch des Krieges. Schmeichler priesen
den König als Vertilger der Ketzerei; aber der Heldenmuth der Bauern in den
Cevennen und die Tausende von Huguenotten, die mit stiller Hausandacht
sich begnügten, bewiesen, wie wenig der Religionsdruck dem gehofften Ziele zu-
führte. Als sich nämlich die Verfolgung auch in die stillen Thaler der Eeven-
nen erstreckte, wo Abkömmlinge der Waldenser, die sich den Ealvinisten ange-
schlossen, in Glaubenseinfalt und nach alter Sitte dahinlebten, da fanden die
Dränger hartnäckigen Widerstand. Die Verfolgung erhöhte den Muth der Ge-
drückten, die Mißhandlungen steigerten ihren Glaubenseifer zur Schwärmerei.
Angeführt von einem jungen Handwerker warfen die in leinene Kittel gekleideten
Camisarden „die nackte Brust den französischen Marschnllen entgegen." Ein
grauelvoller Bürgerkrieg, in dem über 100,000 Menschen bluteten, füllte die
friedlichen Thaler der Eevennen und fand erst sein Ende, als der französische
Machthaber den von flüchtigen Predigern im Dunkel der Wälder zum Fanatis-
mus begeisterten Kämpfern Freiheit des Glaubens zugestanden. An zwei Mil- 1704.
Horten Huguenotten blieben fast rechtlos und ohne Gottesdienst, bis mildere Zei-
ten die strengen Ketzergesetze ermäßigten. — Auch die frommen Waldenser in den
Thalern von Piemont wurden auf Anstiften französischer Religionseiferer um die-
selbe Zeit verfolgt.
4) Ludwigs Xiv. Uebermuth und Oestreichs Bedrängniß.
§. 019. Die Reunionen. Die Artikel des Nymweger Friedens
waren von den europäischen Machten angenommen worden, wie sie Frank-
reich vorgeschrieben. Ermuthigt durch diese Furchtsamkeit schritt nunmehr
Ludwig zu den unerhörten Reunionen. Es wurde die Behauptung aufge-
stellt, eineanzahlortschaften undgebietstheile seien als ehemaligepertinenz-
oder Dependenz-Stücke der im Westfälischen und Nymweger Frieden an
Frankreich gefallenen Landschaften und Städte in der Abtretung inbegriffen.
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Extrahierte Personennamen: Ludwigs Ludwigs Oestreichs_Bedrängniß Ludwig Ludwig
Extrahierte Ortsnamen: Nantes Rheinpfalz Brandenburg Holland England London Frankreich Frankreich Ludwigs_Xiv Westfälischen Frankreich
244 Erste Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts.
schein, als sollten die polnische und russische Krone auf Einem Haupte vereinigt
werden, als ein Theil der russischen Großen den polnischen Prinzen Wla d is lav
Wasa als Zaar ausrief — aber der Uebermuth der in Moskau gebietenden Po-
len und die Verschiedenheit der Sitten und Religion vereitelten den Plan. „Ver-
schwörungen, Verrathereien und Ermordungen füllten Moskau mit Mißtrauen
und Blut." Müde der Verwirrung ermannten sich endlich die russischen Großen,
trieben die Polen aus dem Kreml und vereinigten sich zur Wahl des 17jährigen
Mi ch a el Rom a n o w, der ein Sohn des geachteten Erzbischofs und mütter-
licher Seits ein Abkömmling des altenzaarenhauses war. Ein aus Adel, Kle-
rus und Städteabgeordneten gebildeter Reichstag entwarf ein Staats-
grundgesetz, wornach Michael für sich und alle seine Nachkommen unum-
riow'sches schränkte Zaarengewalt erhielt. Mit ihm beginnt das Romanow'sche
Haus Regentenhaus, dem Rußland seine Größe und Ausbildung zur europai-
i6i schen Großmacht verdankt. Michaels Mäßigung und F r i e d l i e b e war
sehr geeignet die innern Wunden zu heilen. Er ordnete die Grenzen durch Frie-
densschlüsse mit Polen und Schweden, und mußte auch manche Eroberung diesen
mächtigen Nachbarn überlassen bleiben — die Russen nahmen spater Alles mit
1645°-76. Wucher zurück. Schon Michaels Sohn Alex ei Romanow erwarb durch den
großen Polenkrieg (§. 587.) Smolensk, Severien und andere Orte und
brachte die streitbaren, wohlberittenen Kosaken zur Anerkennung der russischen
Oberhoheit. Doch mußte er ihnen die freie Wahl ihres Hetmans und die mili-
tärisch-demokratische Verfassung bestätigen. Zugleich eröffnete Al ex ei Handels-
wege nach Persien und China über Sibirien und die Wolga herauf, hob die
innere Betriebsamkeit und begünstigte europäische Cultur. Sein ältester Sohn
1676-82 Teodor that einen großen Schritt zur kaiserlichen Allgewalt durch Vernichtung
der Geschl e ch ts register (Rosrad), auf denen die Ansprüche der Adels-
1682. familien beruhten. Nach seinem Tod änderten die Strelitzen durch einen
Aufstand die von Feodor getroffene Thronfolgeordnung; als aber Peter,
Alexei's jüngster Sohn, das 17. Lebensjahr erreicht hatte, riß er sein Recht wie-
1689. der an sich und führte dann mit starker Hand diealleinherrschaft. Seine ehr-
geizige Schivester Sophie, die ihn zu verdrängen gedachte, endete ihre Tage
im Kloster.
^Große° §♦ 642. Peter der Große. „Der junge Zaar Peter war ein außer-
"i725~ ordentlicher Mensch, von einer Schnellkraft, die nie gelähmt werden zu können
schien, und von einem Wahrheitssinn, den kein religiöses oder politisches Vorur-
theil tauschen konnte. Sein Ehrgeiz, so gränzenlos er war, verleitete ihn nie zur
Eitelkeit, seine Wißbegierde nie zur bloßen Neugier, sein großer Monarchie-Plan
nie zur kahlen Habsucht des Eroberers, und so rastlos thätig er war, so standhaft
war er auch in allen seinen Entwürfen." Als Mittel der Cultur dienten ihm Rei-
sen, vertrauter Umgang mit Menschen aller Art und eigene Versuche. Durch den
Hauptmann Le fort aus Genf erfuhr der Zaar zuerst, wie die Länder des civi-
lisirten Europa aussähen; dies erzeugte in seinem empfänglichen Gemüthe Liebe
zur Ordnung und Cultur und Haß gegen Barbarei. Von dem an ging sein gan-
zes Streben dahin, das russische Reich aus einem asiatischen, wie es bisher ge-
wesen, in einen europäischen Staat umzuwandeln. Zu dem Zweck beförderte er
die E i n w a n d e ru n g ausländischer H a n d w e r ke r, Seeleute und O f-
fizierenach Rußland, unbekümmert um den Fr em d en h aß seiner Lands-
i697‘ leute; dann unternahm er im Gefolge einer Gesandtschaft, an deren Spitze Lefort
stand, seine erste Reise über Norddeutschland nach Holland und England, um
den Schiffbau zu erlernen. Und damit er dieses Ziel sicherer erreichte, trat er in
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