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man hat den kolossalen Palast, nachdem er seiner ursprünglichen Be-
stimmung gedient hatte, in weit vergrößertem Maßstabe wieder in
Sydenham aufgebaut, um die Kühnheit des imposanten Baues zu ver-
ewigen. Dort bleibt er nun dem staunenden Blick der Bewunderer-
modernster Architektur erhalten und ausbewahrt. Die hohen Türme
der Notredamekirche in Paris könnten sich recht gut unter dem Mittel-
teil des Palastes bergen, und als das Handeltest in London gefeiert
wurde, haben in dem Gebäude 30000 Zuhörer Platz gesunden.
England hat in dem eben abgelaufenen Biktorianischen Zeitalter
des 19. Jahrhunderts den Höhepunkt seiner glänzenden Entwickelung
gehabt, und es ist eingetroffen, was Thomson in der ersten Hülste
des 18. Jahrhunderts in dem Liede sang, das seitdem das berühmte
englische Nationallied Rule Britannia geworden ist:
thy cities shall with commerce shine
All thine shall be the subject inain
And eyery shore it circles, thine.1
Das Charakteristische ist, daß die Engländer zum größten Teil
ein städtisches Leben sichren. Großbritannien, das eine kolossale
Volksdichte besitzt, hat von seinen ca. 40 Millionen Einwohnern ein
Drittel in den 24 Großstädten wohnen, und ebenfalls nur ein Drittel
in den Landorten. Jeder siebente Engländer endlich ist Londoner,
und damit kommen wir auf dieses Unikum im Weltenrund zu sprechen,
von dem der Franzose sehr richtig gesagt hat: Londres n'est plus
une yille, c'est une province couverte de maisons. lind diese
ganz singuläre Bedeutung verdankt London seiner einzigartigen Lage;
es ist die ,,Schifssstadt" (von dem eeltischen lhong Schiff), und schon
Tacitus muß es nennen eopia ns^otiatoi-uni et comineatiium celebre,
berühmt durch die Menge der Kausleute und den Handelsverkehr.
Die ganze Fläche der Stadt umsaßt über 5 ^M., also etwa so viel
wie das ganze Fürstentum Reuß ä. L., und daraus stehen die Häuser
— so viel wie in der ganzen Lombardei —, von der mansion des
Adligen bis zur cottage des Arbeiters. So ist es in Wahrheit das
caput et compendium totius regni, wie es die alten Geographen
nannten, und zwar spiegelt es in seinen einzelnen Stadtteilen die
Zustände und Lebensäußerungen des gesamten Königreichs wieder.
In Westminster und Westend ist es der Sitz des Hoses und des
Parlaments, in der City vereinigt es den Großhandel, in South-
wark ist es Fabrikstadt und in Eastend der erste Seehasen des Landes,
der mehr Kaussahrteischisfe besitzt als ganz Frankreich. Natürlich
sehten auch nicht die Schattenseiten einer so riesigen Menschen-
* „Der Städte Pracht vor Handel glänzt,
Ja dir nur lauscht das Meer — dir nur,
Und jeder Strand, der es umkränzt!" in der Nagelschen Ubersetzung.
TM Hauptwörter (50): [T3: [Stadt Schloß Straße Berlin Kirche Haus Gebäude Platz Garten Universität], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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Extrahierte Ortsnamen: Sydenham Paris London England Westminster Westend Eastend Frankreich
— 19 —
bare Erzählung vom Robinson, und es folgten jene Romane teils
sentimentalen, teils humoristisch-satirischen Charakters, die allerwärts
bewundert und nachgeahmt wurden. Um die Mitte des 18. Jahr-
Hunderts begann auch die deutsche Muse sich zu regen;
stolz auf die kühne, stolzer auf sich, beinaß
die hohe Britin — dich Tuiskone
singt Klopstock in den „beiden Musen". Also wohlgemerkt, .unsere
deutschen Schriftsteller fühlten ihre Abhängigkeit von den englischen
Vorbildern, und Lessing warf zuerst den Feuergedanken in die Seelen
des jungen litterärischen Deutschlands, daß Shakespeare unser drama-
tisches Muster sein müsse und nicht die angebeteten Franzosen. —
Auch im neunzehnten Jahrhundert haben zwei englische Schriftsteller
den Löwenanteil davongetragen in der Befriedigung des Lesedurstes
und gespannten Interesses für ein größeres Publikum, nämlich
Walther Scott und Dickens (Voz). Die historischen Romane des
schottischen Dichters von Abbotsford erregten namentlich in Deutsch-
land großes Aufsehen und riefen eine ganze Schule deutscher Dichter
ins Leben, wie man denn z. B. von einem brandenburgischen Walther
Scott spricht (Willibald Alexis) ^ und „viele Stoffe der Romane zu
bekannten Operntexten verwertet hat. Ähnlich hat Dickens mit seinen
Erzählungen den größten Beisall gefunden, und die komischen Figuren
der Pikwickier sind in beiden Hemisphären der Welt viel belacht
worden. Aber dennoch hat im 19. Jahrhundert das Interesse für
die schöngeistige Litteratur Englands deutlich abzuebben begonnen,
und es ist so, als ob diese Minderung der Teilnahme zeitlich ziem-
lich zusammenträfe mit dem Besuche, den der begeisterte englische
Dichter Thackeray bei unserem Dichterfürsten Goethe machte. Die
deutsche Litteratur hatte jetzt volles Genüge an ihrer klassischen Periode,
und auch die Epigonen ließen sich im Geschmacke des größeren Publi-
kums nicht mehr verdrängen.
Gleichermaßen zählt England in den Wissenschaften und den
technischen Ersindungeu die erleuchtetsten Geister. Eine besondere
Pflege fand das Gebiet der Geschichte. Gibbon, Groote, Carlyle
schufen viel bewunderte Werke, und namentlich die archäologische
Forschung verdankte dem Reichtum und Ansehen des Weltreiches
eine ungeahnte Förderung, wie das die Ausgrabungen in Niniveh
und die ägyptologischen Studien ergaben. Desgleichen wurde die
Volkswirtschaft neu angebaut; ich nenne nur Malthus. Ebenso haben
die exakten Wissenschaften in ihren verschiedensten Abstufungen in den
Engländern ganz ausgezeichnete Vertreter gefunden. Die Erdkunde
ist durch die mit beispiellosem Mute unternommenen Forscherreisen zu
1 Ernst Wichert wird von Gottschall „der Walther Scott Ostpreußens" genannt.
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Extrahierte Personennamen: Robinson Lessing Walther_Scott Dickens Walther
Scott Willibald_Alexis Dickens Thackeray Goethe Malthus Ernst_Wichert Ernst Gottschall Walther_Scott_Ostpreußens"
Extrahierte Ortsnamen: Deutschlands Deutsch- Englands England Niniveh
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veranschlagen sind wie Festungen, so hat sich bei dem Kriege von
1870 diese Thatsache für den Aufmarsch der französischen Truppen
an der Landesgrenze als ein entschiedenes Behinderungsmittel heraus-
gestellt. Die deutschen Truppen konnten in dem maschenartigen Netz
Deutschlands rasch befördert werden; bei den Franzosen gab es immer
den Umweg über die Hauptstadt, und die parallelen Ausstrahlungen
nach der Grenze hin fehlten.
,Jm Bewußtsein des französischen Volkes hat sich erst allmählich
die Uberzeugung Bahn gebrochen, daß Paris Herz und Mittelpunkt
des Landes sei. Beranger in seinen chansons bringt nur seine
glühende Vaterlandsliebe zum Ausdruck; Frankreich ist für ihn
France adoree, douce contree, ober er nennt es reine du monde,
o France, o nia patrie. U«d in seiner schönen nostalgie, wo die
Freunde ihn in Paris die ländliche Heimat vergessen machen wollen,
ruft er zum Schlüsse aus:
adieu Paris, doux et brillant rivage,
oü l'etranger reste comme encliaine!
Ah je revois, je revois mon village,
Et la montagne, oü je suis ne.
Erst seit Viktor Hugo hat die wahnsinnige Vergötterung dieser
einen „capitata dn monde civilise" begonnen, und einen Vorschmack
von der dithyrambischen Begeisterung, mit der die neue Lehre verkündet
wird, mögen die verstiegenen Phrasen des Dichters geben, worin er Paris
„den Mittelpunkt" nennt, „in dem sich das Nervenleben der Welt kon-
zentriert; wenn es schaudert, schaudern wir alle— und die pracht-
volle Feuersbrunst des Fortschritts wird von ihm angefacht!"
Was den Charakter der heutigen Franzosen betrifft, so hat man
manche Züge, die von den alten Galliern berichtet werden, an den
Enkeln und Abkömmlingen wiedererkennen wollen. Man hat das
Urteil über die Celtenschlachten prima proelia plus quam virorum
postrema minus quam feminarum esse zum Teil auch aus heutige
Eindrücke übertragen, da in dem oft erwähnten elan das Stürmische
des ersten Angriffs noch innner zum Ausdruck kommt. Mit voller Be-
rechtigung hat man sodann das in der antiken Zeit beobachtete argute
loqui der Gallier auch deu heutigen Franzosen als unverbrüchliches
Erbstück zuerkannt. Die bonmots und geistvollen Antithesen sind ein
unleugbarer Schmuck der französischen Sprachweise und ihrer klassi-
schen Dramen. Endlich hat man daraus hingewiesen, daß im Gegen-
satz zu dem rastlos rührigen Engländer der Franzose Freund einer
behaglicheren Lebensweise ist und sehr charakteristisch den einen Wunsch
an sich spüren läßt, als Rentier leben und sein Leben beschließen zu
können. Damit hängt wohl auch die auffallende Langsamkeit in der
Volksvermehrung zusammen, so daß Frankreich, das doch säst den-
selben Flächenraum besitzt wie das Deutsche Reich, nur etwa vier
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Extrahierte Personennamen: Viktor_Hugo Viktor
Extrahierte Ortsnamen: Deutschlands Paris Frankreich Paris Paris Paris Frankreich Deutsche_Reich
— 42 —
Ferner ist zu beachten, daß der Boden dort mit Stauden und Zwiebel-
gewachsen bedeckt ist, daß aber bei dem Mangel an sommerlichem
Regen ganz die rasenbildenden Gräser fehlen. Statt des Rindviehes
und der Pferde erscheinen als Haustiere Büffel und Maultiere. Die
Butter entbehrt man ganz und ersetzt sie durch Ol. — Was sonst
die Vegetationsformen betrifft, so sind ja vom Altertum her bekannt
die Pinie, der Lorbeer und die Cypresse. Letztere in ihrer bleistift-
ähnlichen Form hat den Orientalen als Vorbild für ihre Obelisken und
Minarets gedient. Es hat doch aber in diesen Gebieten künstliche
Einführung und Übertragung fremdartiger Gewächse sehr umgestaltend
auf das Pflanzenkleid eingewirkt. Wir können uns Süditalien und
Sicilien heute gar nicht ohne die stachligen Agaven denken, und doch
sind sie erst seit Entdeckung der neuen Welt dorthin übergesiedelt.
Alan muß es daher als einen Anachronismus bezeichnen, wenn Preller
seine Odysseelandschaften überall mit diesen Agaven schmückt. Zum
heutigen Landschaftsbilde gehören ferner die Agrumen und Gold-
orangen, von den Magnolien mit ihren Tulpenblüten ganz zu ge-
schweigen. Die Citrgsarten sind aber aus Indien über Persien ein-
geführt, und der Name Apfelsine deutet schon ohne weiteres in seinem
Namen: chinesischer Apfel auf die fremdländische Herkunft. Peschel
sagt mit Recht, daß die Flora des europäischen Südens, namentlich
Italiens, mit der Zeit völlig umgewandelt ist und als Kunstprodukt
alter Kulturvölker bezeichnet werden muß. Er fügt dann aber weiter
hinzu, daß die Pflanzengebilde Südeuropas ästhetisch unendlich höher
stehen, und daß man sast betroffen ist, wenn man nach Norden zurück-
kehrt, über „die Ordinärheit der Pflanzenwelt, deren Laub- und
Nadelholzmassen schier ungeschlacht und grob erscheinen. Darum" —
und dies ist sein geistvoller Schluß — „ist der Kunstsinn hier im
Süden so früh geweckt worden. Das Akanthusblatt wurde zum
Vorbilde der Arabesken an der korinthischen Säule, das Laub des
Lorbeers schmückte die Stirn des Siegers, und der Zapfen der Pinie
krönte den Thyrsusstab."
Wenn wir die südeuropäischen Halbinseln betrachten, so gebührt
der mittelsten der Vorzug, den unverfälschtesten Ausdruck dieses be-
sonderen europäischen Ländertypus in sich darzustellen, also Italien.
Das alpine Hochgebirge schützt die Halbinsel gegen alle klimatische
Rauhigkeit des Nordens; nur ab und zu spürt man den Wind, die
tramontana, und namentlich im Süden entwickelt das Land allen
Reiz einer ganz eigenartigen Flora und einer weichen, gleichmäßigen
Himmelsluft. Das sind die Eindrücke, die Platen die Verse eingaben:
Zeit nur und Jugend verlor ich in Deutschland, Lebenserquickung
Reichte zu spät Welschland meinem ermüdeten Geist!
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Extrahierte Personennamen: Alan Peschel
Extrahierte Ortsnamen: Indien Italiens Italien Deutschland Welschland
— 45 —
Die Alpenstraßen führen auf diesen Vereinigungspunkt zusammen,
und so ist in der Stadt das Element der Fremden bedeutsam ver-
treten-, will man doch auch in Mailand einen weniger italienischen
als internationalen Stadttypus erkennen. Mit seinen 400000 Ein-
wohnern ist es das Handelscentrum für die überaus fruchtbare Lom-
bardei; und namentlich spielt die Seiden-Jndustrie und -Ausfuhr in ihr
eine große Rolle. Daneben hat Mailand eine interessante Geschichte;
im Mittelalter trotzte es den deutschen Kaisern, und man rechnet
nach, daß es 48 mal belagert und 23 mal erstürmt worden ist. Ganz
im Westen der Poebene liegt Turin, die Hauptstadt jenes kernigen
Volksstammes, der Piemontesen, dem die Einigung Italiens ge-
lingen sollte.
Um das untere Pogebiet und südwärts vom Flusse in der so-
genannten Emilia liegt eine Menge bedeutender kleiner Städte, und
der ganze Landstrich ähnelt recht in seiner charakteristischen Zusammen-
setzung und früheren Geschichte den centraldeutschen Gebietsteilen,
z. B. Thüringen. Hier gediehen die kleinen Fürstentümer mit ihrer
intensiven Pflege der Kunst, und die Namen der Dynaftieen sind
unsterblich geworden. In Mantua, in dessen Nähe Vergil geboren
ist, der sich so schmerzlich nach der schilfbekränzten Flut des Mincio
sehnte, regierten die Gonzagas, und der Maler Giulio Romano war
der Liebling des Hofes. Eine kleine Abzweigung des Fürstentumes
war Guastalla, das durch Lessings Emilia Galotti bekanntlich ver-
ewigt ist. In Ferrara blühten die Estes, und Tasso weilte in dieser
kleinen Residenzstadt.
Die Stätte, die ein guter Mensch betrat,
ist eingeweiht, noch nach Jahrhunderten klingt
sein Wort und seine That dein Enkel wieder.
An der großen Bahn, die sich weiterhin zu der bekannten Rücken-
eisenbahn entwickelt und sich bis nach Brindisi hinzieht, liegen Parma
und Modena, die lange Zeit in der neueren Geschichte als Residenzen
bekannt waren. Dann erscheint südwärts Canossa, unglückselig be-
rühmt durch die Demütigung des deutschen Kaisertums im Jahre
1077, und endlich Bologna, von den Italienern 1a grassa — die
reiche — genannt. Bologna ist seit dem frühen Mittelalter berühmt
als die Stadt der Rechtsgelehrten, und auch im Kaufmann von
Venedig muß Portia als Rechtsgelehrter aus Bologna auftreten und
den bösen Handel mit Shylock entscheiden. Die Bahn läuft in süd-
westlicher Richtung bis Ancona, der alten „Ellenbogenstadt", wo der
Apennin seinen Knick macht und wo der Dom in herrlicher Lage
hinausschaut auf das Adriameer.
Von Bologna aus zweigt sich die mittelitalische Eisenbahn ab,
die uns an die Gestade des tyrrhenischen Meeres bringen soll. Die
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— 123 —
Ausdruck bringen, und so entsteht der farbige Ausputz der Häuser
und vor allem die historische — Blumenliebhaberei. Die Haarlemer
Tulpenzucht, die fast wahnsinnigen Preise, die sür eine neue Spiel-
art der Tulpenzwiebel gezahlt wurden, sind Wohl allen bekannt. Aber
diese Farbenfreude hatte noch eine andere Folge, sie ließ die Malerei
entstehen und machte die Niederländer zu berühmten Künstlern. Die
Malerei ist die eigentlich moderne und nordische Kunst. Der Süden
hat in dem herrlichen, sonnigen Klima die Gabe sür die Plastik von
der Natur empfangen, der Norden in seiner nebligen Luft bevorzugt
die Malerei, die seinem Können und Empfinden näher steht. Schon
in früher Zeit war bei den Niederländern die besondere Lust an der
Malerei erwacht, und Danzig hegt als seinen höchsten künstlerischen
Schatz das jüngste Gericht in der Marienkirche, gemalt von dem
Niederländer Hans Mümling (f 1495). Zur bewunderten Blüte
entfaltete sich aber die niederländische Malerei zur Zeit des Dreißig-
jährigen Krieges, und zwar in der Vrabanter Schule, die in den
katholisch gebliebenen spanischen Niederlanden gedieh, und in der
Holländer Malerei, die noch bis in das 18. Jahrhundert hinein
Meisterwerke erzeugte. Das Haupt der Brabanter Schule ist Peter-
Paul Rubens in Antwerpen, und gleichermaßen bekannt ist sein
Schüler, der weichere van Dyck, ausgezeichnet als Bildnismaler.1
Rubens, „der Fürst unter den Malern", lebte unter den glücklichsten
äußeren Verhältnissen und schus Wohl 1000 Gemälde. Er ist der
Meister der dramatischen Lebendigkeit und einer überaus wahren und
tiefen Empfindung. Allmählich sagte sich Holland auch in malerisch-
technischer Beziehung von den südlichen Provinzen los, und so ent-
stand die Holländische Malerei, eine durch und durch nationale, bürger-
liche und realistische Kunst. Porträtmalerei und Genre sind die Haupt-
gattungen dieser Malerei, und vielfach zeigt sich die Realistik in einer
derben Wiedergabe der Natur und des Volkslebens. Der bestimmende
Meister dieser Malerschule ist Rembrandt, unübertroffen in der Be-
Handlung des Helldunkels. Die realistische Virtuosität der lebens-
wahren Wiedergabe der einzelnen Persönlichkeiten ließ in dieser Zeit
die großen Gruppenbilder entstehen, wie die Schutters-maaltijd
des van der Helst und die Nachtwache Rembrandts, in der er seine
besondere- Begabung für seltsame Beleuchtung glänzend zeigen konnte.
Die Entwicklung der holländischen Genremalerei in späterer Zeit
wollen wir doch wenigstens durch Nennung der berühmten Maler
andeuten, es sind Ostade, Temers, Dou, Metsu, Mieris, Netscher u. a.
Holland hat nicht die Industrie wie Belgien, aber es ist trotz-
dem ein reiches Land zu nennen; denn es versügt über einen an-
sehnlichen Kolonialbesitz, 2 Millionen □ km mit 33 Millionen Ein-
1 Schon im 16. Jahrhundert hat Antwerpen 350 Maler gehabt.
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Extrahierte Personennamen: Hans_Mümling Rembrandt
Extrahierte Ortsnamen: Danzig Marienkirche Antwerpen Holland Rembrandts Metsu Holland Belgien Antwerpen
— 49 —
Rom, der eigentlichen Stätte seiner künstlerischen Wirksamkeit, förmlich
schwelgen in den Eindrücken, die seine zahlreichen Meisterwerke auf
uns ausüben; da finden wir die Grablegung, die Disputa, die Fresken
der Farnesina, die Verklärung Christi1 :c. Und die gewaltige Peters-
kirche ist nicht eine Versinnbildlichung des demütigen und selbstlosen
Christentums, sondern der Ausdruck des Hochsahrenden stolzen Papst- ^
tums, das den Anspruch macht, daß alle Welt ihm zu Füßen liegen soll. <
Etwa in der Breite des Gran Sasso d'jtalia scheiden sich Norb r
und Süd in Italien, es beginnt das echte Reich der mediterranen
Flora, und gleichzeitig sichren jetzt die Pfade
vom Lande der Kunst nach der Natur Paradies.
Hier, in der richtigen Heimat der marsischen Samniter, soll sich
das Großartigste von Italiens Schönheit darbieten. Die Hochebene
des Sees von Celano ist die Vergakropole von Italien; es sind die
Abruzzen „die schottischen Hochlande von Neapel". Auch hier klettern
Schafe und Ziegen auf den Abhängen herum, der Bergbewohner
hängt an seinem Vaterlande gleich dem Bergschotten und ist in gleicher
Weise aufs eifrigste ^ der Musik zugethan; zudem hat die Zampogna
die unverkennbarste Ähnlichkeit mit dem schottischen Dudelsack. Eine
Wanderung westwärts führt uns in die Sabiner Berge, nach Tivoli
und in das Albaner Gebirge, und wir befinden uns mitten in dem
„Malerparadies". Der Blick von den Bergen bis zum lateinischen
Meer enthüllt uns überwältigende landschaftliche Schönheiten. Zur
Rechten ragt der Monte Sorakte oder Monte Oreste in die Lüfte;
es ist der alte Sorakte, den schon Horaz besingt
vides ut alta stet nive candidnm
Soracte ....
Geradeaus schaut man auf die Siebenhügelstadt und über sie hinaus
auf die römische Campagna mit ihrem braunvioletten Farbenton und
den Bogen ihrer Aquädukte. Der Teverone oder Anio bildet bei
Tivoli seine berühmten Wasserfälle, und „der donnernde Strom singt
dir sein Kirchenlied". Endlich liegen zur Linken die Albaner Berge.
Hier war Ciceros Tuskulum, hier sehen wir jetzt das Kastell Gandolso,
das Schloß und die Sommerfrische des Papstes. Kurzum von diesen
Fernsichten sagt Gregorovius begeistert: Der Blick ist so schön, daß
er auch denjenigen hinreißt, der ganz Italien von den Alpen bis an
das afrikanische und ionische Meer gesehen hat! Und gerade diese
landschaftlichen Motive haben Claude Lorrain und Poussin, sie, die
„Propheten italienischer Landschaften", in ihren Bildern verewigt. —
1 Sein letztes Werk. Es wurde nicht ganz vollendet und wurde bei dem
Leichenbegängnis seiner Bahre vorangetragen.
Hanilcke, Erdkundl. Aufsätze. Ii. 4
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von bedenklichen Unruhen erfüllt. Aber geblieben ist dem echten
Spanier, d. h. dem, der sich rühmen kann, keinen unreinen Tropsen
Bluts in seinen Adern zu haben, also nicht abzustammen von Mauren,
Juden oder Zigeunern — der Ttolz. Spanien ist nach seiner Mei-
nung das erste Land der Erde, und ein übereifriger Mönch konnte
in seiner Predigt über die Versuchungsgeschichte ausrufen: Hätten
aus dem hohen Berge, wohin Satan den Herrn führte, die Pyrenäen
Spanien nicht verdeckt, — wer weiß, was geschehen wäre! Die
spanische Sprache hat wie das ganze Land und seine Leute etwas
Erhabenes, Majestätisches. Bekanntlich wollte ja Kaiser Karl V.
unter fünf Sprachen, die er kannte, der spanischen die Ausgabe zu-
erteilen, in ihr zu beten und mit Gott zu reden. Aus dem Blüte-
Zeitalter des Volkes hat auch die Litteratur reiche Anregung erfahren.
Bis auf den heutigen Tag genießen Weltruf die Dramen eines Cal-
deron und Lope und der berühmte satirische Roman des Cervantes,
Don Qnichote de la Mancha. Die Malerei hat in Murillo ihren
klassischen Vertreter. * Damals, als Spanien tonangebend war, um
1600 herum, hat spanisches Wesen überallhin Verbreitung und Nach-
ahmung gefunden. Man versteht auch jetzt die scherzhaste Wendung:
mit echt spanischer Grandezza, und so verdankt namentlich das Etikette-
Wesen der spanischen Sitte seine vielgestaltige Ausbildung.
Wenn wir in diesen Tagen das Mittelmeer „die lateinische See"
haben nennen hören, so muß auch die vierte romanische Nation hier
gleich besprochen werden, nämlich die portugiesische, obschon Portugal
mit dem Mittelmeer eigentlich nichts zu thun hat. Das Königreich
Portugal macht mindestens ebenso wie Spanien den Eindruck einer
verblaßten oder gefallenen Größe. Wo sind die Zeiten hin, als por-
tugiesische Seefahrer das Musterbild kühnen Wagemutes und erfolg-
reicher Entdeckerfahrten in sich darstellten! Von Kolonieen hat Por-
tugal heute noch einen etwas größeren Besitz wie Spanien, nament-
lich an der Ost- und Westküste Afrikas und in der westafrikanischen
Inselwelt. Die Einnahmen aus den afrikanischen Besitzungen sollen
sich in erfreulicher Weise heben; aber dessenungeachtet ist der portu-
giesische Staat tief verschuldet und besindet sich in demütigendster
finanzieller Abhängigkeit von England, so daß die Spanier verächt-
lich von „den Sklaven der Engländer" reden. Die Sprache zeichnet
sich durch ihre vielen Nasallaute aus, und während der echte Spa-
nier wesentlich Vinnenbewohner ist, so daß hablar de la mar, vom
Meere reden, bei ihm soviel bedeutet, als von Dingen sprechen, die
man nicht recht kennt, ist der Portugiese als Küstenbewohner beweg-
licher, redseliger, und Fischfang und Seesahrt spielen eine große Rolle.
1 Der Maler der Empfängnis der Maria. Er soll 25mal diesen Stoff be-
handelt haben. Das berühmteste Bild ist in Paris.
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T6: [Insel Stadt Meer Hafen Handel Hauptstadt Land Küste Einw. Halbinsel]]
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Extrahierte Personennamen: Karl_V. Karl_V. Maria
Extrahierte Ortsnamen: Spanien Spanien Murillo Portugal Portugal Spanien Spanien Afrikas England Maria Paris
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spricht, und von diesem inneren Kerne aus wachsen strahlenförmig die
Vorstädte (faubourgs) ins Land hinaus. Der größte Schmuck der
Stadt ist der Ring mit seinen heutigen Palästen. Es ist dies der
eingeebnete alte Mauergürtel mit dem Glacis, und der Name der
schönsten und lebhaftesten Straße in Wien, der Graben, erinnert
noch an die frühere Bestimmung. Hier auf dem Ringe reiht sich
nun Prachtgebäude an Prachtgebäude; das Parlamentshaus, das
Hofburgtheater, das Opernhaus und berühmte Kirchen legen Zeugnis
ab von dem technischen Geschick und dem künstlerisch veredelten Ge-
schmack der Wiener Architekten. Berlin hat ja Wien an Einwohner-
zahl überflügelt; aber es ist doch ein ganz neuer Eindruck, ein Ein-
blick in das Weltgetriebe, wenn man das Wiener Straßenleben be-
obachtet. Berlin hat vorwiegend norddeutsches Gepräge, in Wien
treten uns alle die orientalischen Kostüme entgegen, und wir merken,
daß wir hier an der Grenzscheide stehen, wo Occident und Orient
sich berühren. Wenn Schiller von der Donaustadt dichtete:
mich umwohnt mit glänzendem Aug' das Volk der Phäaken,
immer ist's Sonntag, es dreht immer am Herd sich der Spieß —
so hat er wirklich den leichtlebigen Sinn des Wiener Bölkchens auss
trefflichste gezeichnet. Als auf dem Wiener Kongresse nach den Frei-
heitskriegen die ernsten Arbeiten der Neuordnung der Welt über-
wuchert zu werden schienen von endlosen Festen, Redouten und
Schmausereien, sprach man von „einem Capua der Geister", und
diese einlullende, vergnügungssüchtige Atmosphäre hat Wien bis auf
den heutigen Tag bewahrt. Zwischen der Stadt und der Donau
liegt der berühmte Prater, ein Luftwald, ähnlich dem Berliner Tier-
garten. Hier beobachte man das Völkchen, entweder am Praterfest
des 1. Mai oder auf den Abgrenzungen des „Wurstelpraters"; man
wird erstaunen über die ungenierte Lebenslust, das frohbewegte Treiben
und die schallende Fröhlichkeit. Mitten in der Stadt liegt der Stephans-
dom mit seinem berühmten Turme, der lange Zeit als höchstes Vau-
werk der Welt galt. Man hat gespottet, daß das Äußere doch etwas
plump erscheint und daß man wohl durch übereinander getürmte
Steine das Martyrium des Heiligen habe andeuten wollen; Ste-
phanus wurde nämlich gesteinigt. Aber es ist doch ein Gotteshaus
von imposantester Wirkung und mit der Geschichte der Stadt und
des Staates auss innigste verslochten. Hier stand Rüdiger von
Stahremberg, um die Zeltlager der Türken zu durchmustern, hier
wurde gegen die Türken der Kreuzzug gepredigt, und welche Wirkung
volkstümliche Predigt haben konnte, sehen wir an dem Wirken des
Abraham a Santa Clara, der den Wienern vom Höchsten bis zum
Geringsten mächtig das Gewissen rührte. — Wien ist eine wichtige
Station der Dampfer, die jetzt nach den Sprengungen im Eisernen
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Extrahierte Personennamen: Schiller Abraham
Extrahierte Ortsnamen: Wien Berlin Wien Berlin Wien Occident Donaustadt Wiener_Bölkchens Capua Wien Donau Stahremberg Wien
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Thor den ganzen Donaufluß befahren, und man kann sich denken,
wie Handel und Perkehr sich an dieser wichtigen Erdstelle konzentriert.
Die Industrie ist darum in der Stadt auch großartig entwickelt, und
z. B. die Wiener Shawls haben seit alter Zeit ihren Weltruf be-
hauptet. Weltruf haben ferner die kostbaren Sammlungen Wiens
und die medizinischen Kollegien und Anstalten der uralten berühmten
Universität; kurzum man fühlt es dem Österreicher nach, wenn er
voll Stolz singt und dichtet:
es giebt nur a Kaiserstadt, es giebt nur a Wien!
Und nun erst die Umgebungen der Stadt! Bis mitten in die
Stadt sollen der Sage nach die Ausläuser der Alpen hineingereicht
haben, und da steht als Merkpsahl „der Stock im Eisen", das Wahr-
zeichen der Handwerksgesellen. An die Vorhöhen der Alpen hinan
ziehen sich Villen, Lustorte, Schlösser und Klöster. Schönbrunn,
Laxenburg und Hietzing sind bekannte Namen, und in diesen para-
diesischen Stätten haben mit Vorliebe die depossedierten Fürsten ihre
Wohnsitze genommen, sowohl die italienischen, wie die Bourbons und
Estes, als auch die deutschen, wie die Familie des früheren Königs
von Hannover.
Die Wiener unternehmen in Extrazügen oft eintägige Ausflüge
nach Mürzzuschlag; wir wollen sie begleiten. Zunächst durchfährt
der Zug das schöne und reiche Österreich und kommt dann nach
Steiermark. Hier lernen wir den Anziehungspunkt der ganzen Reise
kennen, nämlich den Semmeringpaß. Der Semmering ist nicht hoch
(980 111), und in jenen älteren Tagen begnügte man sich damit, diese
Berghindernisse in endlosen Serpentinen zu ersteigen, während man
heute den Tunnelbau vorgezogen hat. Am Fuße des Berges sieht
man den höchsten Punkt bei Gloggnitz eigentlich ganz nahe und
deutlich vor sich liegen; es dauert aber noch zwei Stunden, ehe man
über Viadukten und in stetiger bedeutender Steigung den Gipfel des
Berges erklommen hat. Aus den Stationen werden Sträuße von
Edelweiß seilgeboten, und man empsängt in ihnen den ersten Alpen-
grüß. In Mürzzuschlag kann man recht das muntere Treiben der
Steiermärker beobachten; die überschäumende Lebenslust tobt sich in
Jodlern, Gesängen und lebhasten Tänzen aus, und der Norddeutsche
wird dessen inne, daß hier doch ein anderer Menschenschlag wohnt
wie zu Hause unter dem bleiernen Himmel und bei der kümmerlicheren
Vegetation. Grün ist die Steiermark durch ihre Wiesen, grün der
Anzug des Steirers, grün und freudig seine Lebensführung. Die
Hauptstadt des Landes ist Graz an der Mur. Der Franzose macht
hier ein witziges Wortspiel und spricht von der ville des graces sur
la riviere de Tamour. Die Stadt mit ihrer Universität ist eine
wackere Vertreterin des Deutschtums. Bald hinter Graz beginnt dann
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