Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule
Inhalt Raum/Thema: Realienkunde?
Geschlecht (WdK): koedukativ
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Kvpf bis zu den Füßen, und, die Hände faltend, rief sie zärtlich ans: „Wie
schön dir die Uniform steht!" Sie näherte sich, bewunderte jeden Knopf, und
als sie bemerkte, daß der Hauch ihres Mundes feine Gürtelschnalle getrübt
hatte, rieb sie diese mit dem Schürzenzipfel ab; dann legte sie ihre Arme
liebevoll um des Sohnes Hals.
Plötzlich riß sie sich von ihm los und fragte ängstlich: „Und der
Krieg? Sag' mir, mein Sohn, wann werdet ihr denn in den Krieg ziehen?"
Er lachte und sagte: „Wer hat dir denn etwas vom Krieg gesagt, meine gute
Mutter?" — „Es giebt also keinen?" meinte sie befriedigt. — „Ei, Mütterchen,"
sagte er, „das kann ich dir nicht verraten. Was meinst du denn, was wir
Soldaten vom Krieg wissen?" — „Aber wenn ihr, die ihr den Krieg macht,
nichts davon wißt, wer soll's dann wissen?" Sie erwartete die Antwort
mit so verwunderter Neugierde, mit einem so herzlichen Lächeln, daß der
Sohn sie herzhaft schüttelte und küßte, wie man es wohl bei herzigen
Kindern thut.
Ich stand noch immer an der Thür des Nebenzimmers und dachte:
„Das ist ein Mensch, der seine Mutter aus den Händen trägt; er muß
auch ein guter Soldat sein, gehorsam, respektvoll und mutig. Feige Gemüter
können so tief nicht empfinden. Er wird aus dem Schlachtfeld furchtlos
in den Kugelregen eilen und, den Namen seiner Mutter aus den Lippen,
sterben. Wenn wir die ersten Kenne aller sanften Regungen, aller edel-
mütigen Thaten aufdecken könnten, wir würden sie fast immer im Herzen
der Mütter stnden. Wie manche Auszeichnungen für kriegerische Heldenthaten
müßten statt auf der Brust des Sohnes auf dem Busen der Mutter glänzen!
Wie mancher Lorbeerkranz sollte nicht das jugendliche Haupt des Sohnes,
sondern das weiße Haar der Mutter zieren!" Ednwndo de Amicis. (Gekürzt.)
3. Das taube Mütterlein.
1. Wer öffnet leise Schloss und
Thür?
Wer schleicht ins Haus hinein?
Es ist der Sohn, der wiederkehrt
zum tauben Mütterlein.
3. Und wie er spricht, so blickt
'sie auf,
und — wundervoll Geschick —
sie ist nicht taub dem milden Wort;
sie hört ihn mit dem Blick.
2. Er tritt herein. Sie hört ihn
nicht;
sie sass am Herd und spann.
Da tritt er grüssend vor sie hin
und spricht sie „Mutter“ an.
4. Sie thut die Arme weit ihm
auf,
und er drückt sich hinein.
Da hörte seines Herzens Schlag
das taube Mütterlein.
5. Und wie sie nun beim Sohne sitzt
so selig, so verklärt, —
ich wette, dass taub’ Mütterlein
die Euglein singen hört’. Friedr. Halm
4. Ein Brief Schillers an seine Schwester.
Weimar, im Mai 1802.
Liebe Schwester!
Ob ich gleich von der Luise keine weitere Nachricht über unsere
liebe Mutter erhalten, so kann ich doch nach dem letzten Briefe keine
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andere erwarten, als die ich längst gefürchtet. Ja, gewiss ist sie längst
nicht mehr, die teure Mutter! Sie hat ausgekämpft, und wir müssen es
ihr sogar wünschen. 0 liebe Schwestern, so sind uns nun beide liebende
Eltern entschlafen, und dieses älteste Band, das uns ans Leben fesselte,
ist zerrissen! Es macht mich sehr traurig, und ich fühle mich in der
That verödet, ob ich gleich mich von geliebten und liebenden Wesen um-
geben sehe und Euch, Ihr guten Schwestern, noch habe, zu denen ich in
Kummer und Freude fliehen kann. 0 lasst uns, da wir drei nun allein
noch von dem väterlichen Hause übrig sind, uns desto näher aneinander -
Schliessen! Vergiss nie, dass Du einen liebenden Bruder hast! Ich er-
innere mich lebhaft an die Tage unserer Jugend, wo wir uns noch alles
ivaren. Das Leben hat unsere Schicksale getrennt; aber die Anhänglich-
keit, das Vertrauen muss unverändert bleiben. Grüfse den lieben Bruder
herzlich! Ich kann heute nichts weiter schreiben. Lass bald einige Worte
von Dir hören! Ewig
Dein treuer Bruder
Schiller.
5. Der tote Soldat.
1. Auf ferner, fremder Aue,
da liegt ein toter Soldat,
ein ungezählter, vergeßner,
wie brav er gekämpft auch hat.
2. Es reiten viele Generale
mit Kreuzen an ihm vorbei;
denkt keiner, daß, der da lieget,
auch wert eines Kreuzleins fei.
3. Es ist um manchen Gefallnen
viel Frag' und Jammer dort;
doch für den armen Soldaten
giebt 's weder Thränen noch Wort'.
4. Doch fern, wo er zu Hause,
da sitzt beim Abendrot
ein Vater voller Ahnung
und sagt: „Gewiß, er ist tot."
5. Da sitzt eine weinende Mutter
und schluchzet laut: „Gott helf!
Er hat sich angemeldet;
die Uhr blieb stehn um elf."
6. Da starrt ein blasses Mädchen
hinaus ins Dämmerlicht:
„Und ist er dahin und gestorben,
meinem Herzen stirbt er nicht."
7. Drei Augenpaare schicken,
so heiß es ein Herz nur kann,
für den armen, toten Soldaten
ihre Thränen zum Himmel hinan.
8. Und der Himmel nimmt die
Thränen
in einem Wölkchen auf
und trügt es zur fernen Aue
hinüber im raschen Lauf,
9. und gießt aus den Wolken die Thränen
aufs Haupt des Toten als Tau,
daß er unbeweint nicht liege
auf fremder, ferner Au. Joh. Gavr. Seni.
*6. Kindes- und Bruderliebe.
Die Trommel erdröhnte, und der schrille Ton der Pfeife mischte sich in
den rasselnden Wirbel. Eilig versammelte sich die Kompagnie. Vor der
Kaserne hielt der Hauptmann hoch zu Ross. Jetzt trat lautlose Stille ein,
und mit markiger Stimme verkündete der gestrenge Hauptmann: „Soldateni
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Ein ehrloser Ausreisser muss eingebracht werden. Dreissig Thaler gehören
dem, der den elenden Wicht einfängt!“ Dann kommandierte er zwanzig Sol-
daten zur Verfolgung des Flüchtigen.
Allein die Verfolger nahmen die Sache nicht allzu ernst. Streng und
hart war die Behandlung der Soldaten auch noch zur Zeit Friedrichs des
Grossen, und so war es keine Seltenheit, wenn ein Soldat seiner Fahne untreu
wurde; aber fast ebenso selten gelang es, einem Fahnenflüchtigen auf die
Spur zu kommen.
„Ei, so lauf!“ dachte auch jetzt mancher Verfolger bei sich, „in der
Nacht sind alle Katzen grau. Die dreissig Thaler möchte ich mir wohl gerne
verdienen; aber ebenso gerne spare ich dem armen Teufel das Gassenlaufen.“
So kehrten denn alle Kameraden mit demselben Bescheid zurück: „Herr
Hauptmann, der Deserteur ist entwischt!“ Endlich eilt keuchend noch einer
herbei. Wahrhaftig, er schleppt den Ausreisser hinter sich her, und — sollte
man ’s glauben! — es ist sein leiblicher Bruder! Staunen und Unwillen
malt sich auf den Gesichtern der Kameraden, und als sich der verräterische
Bruder seinen Judaslohn auszahlen lässt, treffen ihn verächtliche und wütende
Blicke. „Schwer Geld!“ sagt der Hauptmann, als er die dreissig Thaler aus-
gezählt hat. „Ja, schwer Geld!“ wiederholt mit gepresster Stimme der Em-
pfänger.
Auf der Stelle wird an dem Deserteur die festgesetzte Strafe vollzogen:
sechsmaliges Gassenlaufen. Dreimal schon ist er durch die heisse Gasse
gerannt, und der blutige Schweifs träufelt ihm vom Leibe. Da tritt sein
Bruder, der Verräter, hervor. „Herr Hauptmann,“ sagt er, „halten ’s zu
Gnaden, wenn der Soldat auch einmal ungefragt ein Wort spricht! Ich bitte
unterthänigst, dass ich die andern drei Gassen für meinen Bruder laufen
darf!“ „Was fällt dir ein?“ herrscht ihn der Hauptmann an; „packt ’s dich
an deiner Seele, du Schelm, dass du deinen eigenen Bruder eingefangen hast?“
„Zu Befehl, Herr Hauptmann!“ antwortet der Soldat, „unser Vater klagte
uns jüngst in einem Briefe seine bittre Not. Durch Krankheit geriet er in
Schulden, und ganzer dreissig Thaler halber wollen ihn die Gläubiger von
Haus und Hof treiben. Wie sollten wir Brüder dem armen Vater helfen?
Lange sannen wir vergeblich hin und her; endlich kam uns ein Ausweg in
den Sinn; „Zahlt man nicht dem dreissig Thaler aus, der einen Deserteur
einbringt? Wohlan, so ehrlos es sein mag, einer von uns muss desertieren;
der andere muss ihn einsangen und mit dem schmachvoll erworbenen Lohne
den armen Vater retten. Doch wer soll schimpflich den Fahneneid brechen?
— — Wer soll schmählich den Bruder verraten?“ — — Wir losten darum
— — — halten ’s zu Gnaden, Herr Hauptmann, das übrige kann jeder
selber erraten.“
Die harten Gesichtszüge des Hauptmanns milderten sich, und leise
zitterte seine Stimme, als er sagte: „Der Ausreisser muss sechsmal Gassen
laufen und du erhältst deinen Lohn; so verlangt ’s die Vorschrift. Doch
hat ’s damit vorläufig noch keine Eile. Ich will den Fall dem König melden.“
So geschah es, und nach wenigen Tagen kam folgender Entscheid vom König
zurück: „Die Bestrafung ist einzustellen. Wer solche Gassen für den Vater
läuft, wird auch für das Vaterland Gassen brechen. Die beiden Brüder sind
Korporale. Friedrich.“
Nach Ernst Scherenberg.
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Extrahierte Personennamen: Friedrichs Friedrich Friedrich Ernst_Scherenberg Ernst
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meister hat lange Finger gemacht und hinter der Thüre Abschied gesagt.
Willst du, so kannst du sein Pöstlein einnehmen.“ Abermals über ein Jahr
liess der alte Zuckersieder mitten durch seinen grossen Garten eine hohe
Mauer aufführen; aber niemand getraute sich zu fragen: „Warum thust du
das?“ selbst sein eigener Bruder nicht, auch sein Weib nicht; denn er hatte
keins. Ob nun gleich der Hausmeister Karsten fortan einen weiten Umweg
machen musste, wenn er zu den Seinen im Gartenhause gelangen wollte, so
fragte er doch nicht, auch nicht mit einer Miene: „Wie oder warum?“ Dar-
über starb der Zuckersieder, und in seinem Testament stand geschriebem:
„Dem Klaus Karsten vermache ich die andere Hälfte meines Gartens jenseits
der Mauer; will ihn mein Bruder auch fernerhin als Hausmeister behalten,
so mag er eine Thür durch die Wand brechen lassen, wo nicht, so zahlt er
dem Mann dreitausend Mark und lässt ihn ziehen. Sollte aber Klaus Karsten,
was ich jedoch nicht hoffe und erwarte, fragen, warum er zu mir gekommen,
so werde ihm zu wissen gethan, wie folgt: „Zum Holzhacker wählte ich den
Klaus, weil ich ihn beten sah. Hätte damals sein Kamerad gebetet, und
er den Hut auf dem Kopf behalten, so würde ich nicht ihn gedungen haben,
sondern seinen Vetter.“ Karl Stöber.
*13. Sein Bursche.
Seit drei Jahren lebten sie miteinander, und keinen Augenblick hatten
sie vergessen, daß der eine Leutnant, der andere Bursche war. Immer zeigte
sich der eine soldatisch streng, der andere soldatisch respektvoll; aber sie hatten
sich lieb mit jener natürlichen, stummen Zuneigung, die sich im Schweigen
beredt, im Reden ungeschickt zeigt. „Sonst Befehle, Herr Leutnant?" —
„Neinl" — so lautete die tägliche Abschiedsformel. So waren Monate,
Jahre — drei Jahre verflossen, zu Hause, auf dem Marsch, im Lager, im
Kriege, und allmählich war in beider Herzen — ihnen selbst unbewußt —
eine tiefe Zuneigung erwachsen.
Seite an Seite hatten Leutnant und Bursche auf dem Schlachtselde
gestanden, wenige hundert Schritte von den feindlichen Kanonen. Bei jedem
Zischen einer Granate hatte der eine schnell mit den Augen den andern
gesucht und, wenn er ihn gefunden, aufseufzend gedacht: „Gottlob, auch die
ist glücklich vorüber!" In kalter, regnerischer Nacht hatten sie miteinander
auf . Vorposten gewacht, die Füße im Sumpf, den schneidenden Wind im
Gesicht, und am Morgen bei der Ablösung hatten sie ein Lächeln ausge-
tauscht, als wollten sie sagen: „Jetzt geht's ins Quartier zurück I Freue dich,
du kannst dich ausruhen I"
Nun näherte sich die Dienstzeit des Burschen dem Ende. „Dein Jahr-
gang wird entlassen," sagte eines Tages der Leutnant, „in zehn Tagen kannst
du nach Hause gehen." — „Sonst Befehle, Herr Leutnant?"— „Nein!" —
Also nach Hause! Das Heimatsdorf wiedersehen! Im Geiste stellt sich der
brave Bursche vor, wie er schon von weitem das Dach seines Vaterhauses
erkennt, die Schritte beschleunigt und atemlos das Gärtchen erreicht. Er hört
die inzwischen erwachsene Schwester und den jüngsten Bruder, nun ein Jüng-
ling geworden, ein Freudengeschrei erheben; er sieht die alte Mutter ihm ent-
gegeneilen und ihn mit ausgebreiteten Armen empfangen.
Aber^ diesem Wiedersehen mußte eine Trennung vorausgehen. Ein
tüchtiger L-oldat, der mit Lust und Liebe gedient hat, legt nicht ohne eine
gewisse Wehmut den blauen Rock ab, der ihn so manche Arbeit mit Bürste,
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Extrahierte Personennamen: Karsten Klaus_Karsten Klaus_Karsten Klaus Karl_Stöber Karl
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15
2. Doch wenn mich einer schmeichelnd preiset,
mich immer lobt, mir nichts verweiset,
zu Fehlern gar die chände beut
und mir vergiebt, eh' ich bereut:
der ist mein Feind',
so freundlich er auch scheint.
Christ. Fürchtegott Gellert.
15. Drei Freunde.
Traue keinem Freunde, wenn du ihn nicht geprüft hast! An
der Tafel des Gastmahls giebt es ihrer mehr, als an der Thür des
Kerkers.
Ein Mann hatte drei Freunde. Zwei derselben liebte er sehr;
der dritte war ihm gleichgültig, ob dieser es gleich am redlichsten
mit ihm meinte. Einst ward er vor Gericht gefordert, wo er unschuldig,
aber hart verklagt war. „Wer unter euch,“ sprach er, „will mit mir
gehen und für mich zeugen? Denn ich bin hart verklagt worden,
und der König zürnet.“
Der erste seiner Freunde entschuldigte sich sogleich, dass er
nicht mit ihm gehen könne wegen anderer Geschäfte. Der zweite be-
gleitete ihn bis zur Thür des Richthauses; da wandte er sich und
ging zurück aus Furcht vor dem zornigen Richter. Der dritte, auf
den er am wenigsten gebaut hatte, ging hinein, redete für ihn und
zeugte von seiner Unschuld so freudig, dass der Richter ihn losliess
und beschenkte.
Drei Freunde hat der Mensch in dieser Welt. Wie betragen sie
sich in der Stunde des Todes, wenn ihn Gott vor Gericht fordert?
Das Geld, sein bester Freund, verlässt ihn zuerst und geht nicht mit
ihm. Seine Verwandten und Freunde begleiten ihn bis zur Thür des
Grabes und kehren wieder in ihre Häuser. Der dritte, den er im
Leben oft am meisten vergase, sind seine wohlthätigen Werke. Sie
allein begleiten ihn bis zum Throne des Richters; sie gehen voran,
sprechen für ihn und finden Barmherzigkeit und Gnade.
Job. Gottfr. von Herder.
16. Freundlos.
1. Arm ist, wer ohne Freunde ' 3. Am ärmsten doch ist jener,
lebt in Verlassenheit j der nie um Freundschaft icirbt,
und sich nach Freundschaft sehnet der ohne Freunde lebet
in seiner Einsamkeit. und ohne Freunde stirbt.
2. Doch ärmer ist, der Freunde,
die er besass, verlor;
denn fürder doppelt einsam
kommt ihm sein Leben vor.
4. Sein ganzes, langes Leben
lebt er in Einsamkeit,
fühlt halb nur seine Freuden
und doppelt stets das Leid.
Alb. Klingner.
17. Kameradschaft.
1. Der Sohn des Vaters geht mit schlimmen Kameraden;
der Vater fürchtet, daß sie seinen Sitten schaden.
Er mahnet wiederholt: „Mein guter Sohn, o nimm
vor ihnen dich in achtl Der Bösen Näh' ist schlimm."
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erbietig den Hut. Der Doktor fragt ihn: „Was führt dich hierher?" —
„Das Almosen, gnädiger Herr, das Sie mir geben, fo oft ich nach Prag
komme!" war die Antwort. „Aber du hast mich ja nicht zu Hause gefunden!" —
„Darum hab' ich warten wollen, bis Sie kämen." — „Du fandest ja alles
offen, hättest ja nehmen können!" — „Bewahre, gnädiger Herr, der Draht-
binder ist arm, aber ehrlich." — „Bist du schon lange hier?" — „Wohl
zwei Stunden!" — „Da hast du lange ans dein Almosen warten müssen!"
— „Hab gern gewartet; denn ich hab' derweile Wache gehalten. Es hätten
Diebe kommen können!"
„Du ehrliche Seele!" sägte da gerührt der Doktor: „Das soll dir nicht
unvergolten bleiben!" Er tritt in das Zimmer, nimmt eine der Geldrollen
vom Pult und giebt sie dem braven Burschen. Der biedere Mensch will
zuerst gar nicht zugreifen; als indessen der Arzt in ihn dringt, nimmt er 's
endlich und geht mit tausend Segenswünschen und heißem Danke gegen Gott
von dannen. Nach W. O. v. Horn.
21. bis Bürgschaft.
Der Schreiner Krug hatte sich in seinem Heimatdorfe ansässig
gemacht und sich durch Arbeitsamkeit und Sparsamkeit ein sorgen-
freies Leben geschaffen. Nun fügte es sich, dass seine älteste Tochter
einen Sägemüller heiratete, und der Meister liess sich dazu verleiten,
seine Habe zu verhauten und gemeinsam mit dem Sägemüller ein
Wasserwerk zu erwerben. Das konnte aber nach kurzer Zeit gegen
eine andere, neu errichtete Schneidemühle nicht mehr aufkommen,
und nach wenigen Jahren war Meister Krug ein armer Mann. Die
jungen Leute behielten noch so viel übrig, dass sie auswandern konnten,
und der alte Meister kehrte wieder in sein Dorf zurück. Unverdrossen
wollte er nochmals die erste Arbeit seines Lebens beginnen; aber bald
merkte er, dass er jetzt weniger als nichts hatte; denn es fehlte ihm
der Kredit. Er lief von Haus zu Haus, von Dorf zu Dorf und klopfte
an den Thüren an; aber überall wies man ihn ab.
Die Not stieg immer höher. Krugs guter Kamerad Grundier
verbürgte sich bei einem reichen Bauern für ein Malter Korn. Meister
Krug überliess es seiner Frau, die als Tagelöhnerin arbeitete; er selber
aber zog wie ein junger Wanderbursche hinaus, um als Handwerks-
geselle Arbeit zu finden. Es gelang ihm bereits am dritten Tage, und
er arbeitete frisch drauf los; aber der alte Mann vermochte wohl die
veränderte Lebensweise nicht zu ertragen, oder er entbehrte der treuen
Fürsorge seines Weibes, oder das Heimweh plagte ihn; genug, noch
nicht zwei Monate waren um, da wurde der Alte ins Spital gebracht.
Aber bald genas er wieder; denn seine Frau war gekommen, ihn zu
pflegen, und die that es nicht anders, er musste mit ihr heim. Doch
da stand er wieder im alten Elend, und was ihn am meisten quälte,
war, dass er nicht einmal so viel erübrigt hatte, dass er dem treuen
Grundier die Bürgschaft ablösen konnte. Wieder begann er voll Ver-
zweiflung seine Wanderungen, und einmal, als er auf dem Heimweg
war, übermannte ihn das Elend. Unter einer Buche mit niederhängen-
den Zweigen blieb er stehen, knüpfte sein Halstuch los und machte
eine Schlinge um einen Ast. ,,Mach’ ein End!“ sagte er vor sich hin
und stampfte auf die Erde, in der er sich ein Grab erzwingen wollte.
2*
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TM Hauptwörter (100): [T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel]]
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20
Aber plötzlich hielt er inne und rief fast laut: „Ja, ja, aber der
Grundier, der treue Mensch, der hat sich für dich verbürgt, und der
wird um sein Geld betrogen! Kannst du als Betrüger aus der Welt
scheiden? Darfst du den guten Glauben deines Kameraden hinter-
gehen? Nein, der Grundier muss sein Geld haben, und wenn ich's
stehlen müsste!“ Und dann fiel ihm ein, dass noch jemand mehr
als Geld für ihn verbürgt hatte. Jahrzehnte lang hatte ihm sein
treues Weib Liebe erwiesen; durfte er ihm damit vergelten, dass er
ihm ein so bitteres Leid anthat? Und weiter gedachte er aller derer,
die ihm je Gutes gethan hatten, und er rief aus: „Ich bin ja der
grösste Schuldner auf der Welt!“ Indem er sein Halstuch abknüpfte,
schaute er durch die Blätter hinauf zum Himmel und sagte: „Du
bist auch noch da, und der über dir auch! Ich warte geduldig, bis
der ein Ende macht!“
Ein Wandersmann hatte nicht weit davon das seltsame Gebahren
des alten Meisters beobachtet und seine Worte vernommen. Jetzt trat
er hinzu, und seine Miene war so zutrauenerweckend, dass ihm Krug
seine traurigen Verhältnisse erzählte. Da öffnete der Fremde sein
Reisetäschlein und langte klingende Münze hervor. Krug aber fasste
seinen Arm und rief: „Ich nehme nichts geschenkt; sonst hätt’ ich
mich auf die Gemeinde gelegt!“ Der Fremde aber sagte: „Lieber
Mann, ich will Euch nichts schenken. Seht, ich bin selber nicht
reich; dieses Geld habe ich zu meiner Erholung erübrigt, und ich
will ’s Euch nur leihen. Hier auf diesem Zettel steht mein Name und
Wohnort. Ich kehre jetzt geradeswegs um und schenke Euch nur
meine Reisefreude. Aber wenn ich Euch helfen kann, so ist mir ’s
wohler als auf dem höchsten Berge. Wenn Ihr ’s einmal könnt, so be-
zahlt mir ’s wieder!“ — „Ich kann Euch aber keinen Bürgen stellen!“
entgegnete Krug, worauf der Fremde erwiderte: „Ich weiss einen
Bürgen, den wir hier gleich zur Hand haben, und der heisst Ver-
trauen. Täuscht Ihr mich und behaltet das Geld, trotzdem es Euch
gut geht, so habt Ihr mich um mehr als um mein Geld, Ihr habt
mich"um mein Menschenvertrauen betrogen und damit mir die Freude
und einem andern Notleidenden die Hilfe geraubt. Daran denkt, und
nun lebt wohl!“ Der Fremde legte 50 Gulden vor Krug hin, und
während dieser noch staunend darauf schaute, war jener bereits ver-
schwunden.
Wirklich gelang es dem braven Krug, sich wieder heraufzu-
arbeiten. Nach Jahren erhielt der edle Fremde ein amtliches Schreiben,
welches die Nachricht enthielt, dass der alte Meister gestorben sei,
und dass sich in seinem Gebetbuche eine Quittung über ein Malter
Korn und in seinem Halstuche, das in seinem Kasten lag, das ein-
liegende Geld gefunden habe und dabei die eigenhändig geschriebenen
Worte Krugs: „Dieses Geld gehört dem Herrn N. N. in N. Er soll
nur allezeit an die Menschen glauben, wenn er auch einmal betrogen
wirdl“
Du aber, lieber Leser, brauchst nicht weit zu suchen, ob du
nicht auch einmal solch eine Lustreise in die weite Welt des Wohl-
thuns machen kannst. Berthold Auerbach.
(Gekürzt nach dem Lesebuch f. Gewerbeschulen von Ahrens.)
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd]]
TM Hauptwörter (100): [T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T36: [Million Mark Jahr Geld Thaler Mill Summe Wert Gulden Pfund], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T1: [König Held Herz Mann Volk Siegfried Land Lied Hand Tod]]
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22
glimmen begann, die Funken hin- und herscbossen, die Flamme aufloderte
und wieder zusammensank, die einzelnen Scheine sich krümmten, schwarz
wurden, in Asche zerfielen oder im Kamin aufflogen, bis das Häufchen ver-
glommen war. Jetzt schleppte er sich wieder in sein Bett und legte sich
zum Sterben nieder. Er hatte sein letztes Werk vollbracht, sein Zeitliches
bestellt, sein Testament gemacht, und weil er keinem Menschen etwas gönnte,
so hatte er die Flammen zu seinen Haupterben gemacht.
So lag er im Bette, ward bewusstlos, und als er am andern Tage, er
wusste nicht wie, die Augen öffnete, meinte er, jetzt werde er endlich sehen,
wie es im Himmel aussehe. Aber der Himmel sah genau so aus wie seine
Stube, und als er den Mann genauer ansah, den er anfänglich für den lieben
Herrgott genommen, da war es der wohlbekannte Arzt. Der hatte ihn mit
Staunen betrachtet, ihm den Puls gefühlt, und endlich sagte er: „Herr, was
Menschen nicht möglich war, das hat Gott gethan; ein wunderthätiger Schlaf
hat Euch gerettet.“
Aber was der Geizhals für Augen machte, als der Arzt so sprach! Wie
er glotzte, wie er stierte! Der Arzt meinte, der Schlaf komme wieder und
werde noch länger dauern; er empfahl dem Kranken, sich still zu halten und
fortzuschlafen und ging hinaus.
Am andern Morgen polterte er etwas sorglos die finstere Treppe hin-
auf, sah gleich nach dem Bette hin, fand es aber leer; er sah im Zimmer
umher, das war leer; am Fensterhaken hing etwas; aber dort pflegten Kleider
zu hängen. Doch als der Arzt näher hinschaute, hing da der Alte selbst.
Er hatte seine Genesung nicht überleben wollen; er hatte es nicht übers
Herz bringen können, dass er seine Erben hatte betrügen wollen, aber am
Ende sich allein betrogen hatte. Sein Leben, das nur zu seinem eigenen
Betrüge gedient, das warf er dem Gelde nach, um welches er andere betrogen.
Dieser unglückliche Mann sah den Betrug bei Lebzeiten ein; gar manchem
werden aber erst an einem andern Orte die Augen aufgehen, zu sehen, wie
grässlich er sich selbst angeführt. Nach Jeremias Gotthelf.
*24. Doppelte Buchführung.
Zwei Sammler, die für eine Wohlthätigkeitsanstalt eine Kollekte abhielten,
kamen in ein prächtiges Haus, in dem, wie man ihnen gesagt hatte, der
reichste Mann der Stadt wohnte. Durch ein großes Flügelthor traten sie
ein und hörten aus dem Vorplatz, daß es im Kontor etwas laut herging.
Als sie leise anklopften und schüchtern eintraten, vernahmen sie, daß der Herr
des Hauses einen Bediensteten scharf vornahm, weil er sich in der Rechnung
versehen hatte. „Aber es sind ja nur zwei Pfennige," warf dieser ein.
„Einerlei," entgegnete der Herr, „heute sind es zwei Pfennige, morgen viel-
leicht 200 Thaler. Ich muß Ihnen sagen, daß Sie solche Schnitzer in Zukunft
zu vermeiden haben!"
„Was wünschen Sie," fragte der Kaufherr jetzt die Sammler. „Wir
möchten Ihre Güte in Anspruch nehmen............" sagte einer von ihnen
schüchtern. „Andere Thüre, in der Hafenstraßei" fiel der Kaufmann ein, noch
ehe jener ausgeredet hatte. Die Sammler griffen schleunigst nach der Thür-
klinke, und als sie draußen waren, sahen sie, daß das Haus ein Eckhaus war.
und daß die Familienwohnung in der Hasenstraße lag._ „Ich hatte gehofft,"
sagte einer der Sammler, „daß uns hier die spärliche Ernte von heute
einigermaßen aufgebessert würde- aber diese Aussicht ist mir gründlich ver-
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Bildungsstufen (OPAC): Berufliche Bildungsgänge, alle Lernstufen
Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule
Inhalt Raum/Thema: Realienkunde?
Geschlecht (WdK): koedukativ
24
wein?“ „Drei Louisdor,“ sagt der Wirt. Der Bauer glaubt seinen
Ohren nicht zu trauen oder einen Scherz zu hören, bis der Wirt
ganz ernsthaft wiederholt: „Drei Louisdor; ich nehm ’s auch in Silber.
Brot, Käs’ und Schnaps waren mein, und ich kann dafür verlangen,
was ich will. Wollt Ihr nicht zahlen, so ziehe ich Euren dicken
Schimmel in meinen Stall und lasse ihn nicht eher wieder in Euren
Karren, bis Ihr bezahlt habt. Wollt Ihr das nicht, so verklagt mich
beim Amtmann!“
Schnell eilt der Bauer ins Amt und klagt. Der Wirt, der ge-
fordert und erst scharf angelassen wird, erzählt die Prellerei des
Bauern, und wie er dadurch zu seiner Forderung veranlasst worden
sei, um die Sache auf eine gute Art vor das Amt zu bringen.
„Bauer, Ihr zahlt dem Wirte die drei Louisdor!“ entscheidet der ge-
strenge Herr Amtmann, und will der Bauer nicht noch ins Loch, so
muss er zahlen. „Nun, ich danke, Herr Amtmann!“ sagt der Wirt,
„haben Sie nun auch die Güte, von dem Gelde dem Bauern zwei
Thaler zurückzugeben und das übrige dem armen Franzosen wieder
zuzustellen; für die Zehrung verlange ich nichts.“
So geschah es. Weil man aber nicht alle Tage für drei Louis-
dor Käse isst, so ward von der Geschichte noch viel gesprochen, und
so kam sie denn auch zu den Ohren des benachbarten Försters, der
bald herausbrachte, dass der Bauer das Holz gestohlen hatte. Da hatte
der doppelte Schelm noch einige doppelte Louisdor nötig, um seinen
Frevel zu hülsen. veith.
26. Der Glockenguss zu Breslau.
1. War einst ein Glockengießer
zu Breslau in der Stadt,
ein ehrenwerter Meister,
gewandt in Rat und That.
6. Wie hat der gute Meister
so treu das Werk bedacht!
Wie hat er seine Hände
gerührt bei Tag und Nacht!
2. Er hatte schon gegossen
viel Glocken, gelb und weiss,
für Kirchen und Kapellen
zu Gottes Lob und Preis.
7. Und als die Stunde kommen,
dass alles fertig war,
die Form ist eingemauert,
die Speise gut und gar —
3. Und seine Glocken klangen
so voll, so hell, so rein;
er goss auch Lieb’ und Glauben
mit in die Form hinein.
8. da ruft er seinen Buben
zur Feuerwacht herein:
„Ich lass’ auf kurze Weile
beim Kessel dich allein;
4. Doch aller Glocken Krone,
die er gegossen hat,
das ist die Sünderglocke
zu Breslau in der Stadt.
9. will mich mit einem Trünke
noch stärken zu dem Guss;
das giebt der zähen Speise
erst einen vollen Fluss.
5. Im Magdalenentürme,
da hängt das Meisterstück,
rief schon manch starres Herze
zu seinem Gott zurück.
10. Doch hüte dich und rühre
den Hahn mir nimmer an;
sonst wär' es um dein Leben,
Fürwitziger, gethan!"
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Schulformen (OPAC): Fortbildungsschule
Inhalt Raum/Thema: Realienkunde?
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28
einmal eine Flugschrift gegen uns geschrieben?" fragte ihn der eine Geschäfts-
inhaber, dem besonders übel mitgespielt worden war. Der Bittsteller mußte
dies zugeben und erwartete nach dieser Frage einen abweisenden Bescheid.
Aber statt dessen stellte der Fabrikant ohne Säumen das gewünschte Zeugnis
zur vollen Zufriedenheit des Bittstellers aus und überreichte es ihm mit dem
Bemerken, daß er und sein Bruder es sich zum Grundsatz gemacht hätten,
nie einem ehrlichen Manne ihre Unterstützung zu versagen, und von der Ehr-
lichkeit des Bittstellers seien sie beide überzeugt.
Thränen traten dem Manne in die Augen. „Sehen Sie," fuhr der
Fabrikant fort, daß mein Ausspruch sich erfüllt hat, Sie würden die Abfassung
jener Schmähschrift noch einmal bereuen? Ich hatte ihn nicht als Drohung,
sondern in dem Sinne gemeint, daß Sie uns einmal besser kennen und den
Versuch, uns zu beleidigen, bereuen würden." „Ja, wahrhaftigi" rief der Ge-
demütigte aus, „ich bereue ihn!" — „Schon gut! Allein, was werden Sie
jetzt anfangen?" — Der arme Mann sagte, daß er Freunde hätte, die ihm bei-
stehen würden. „Aber wie geht es mittlerweile den Ihrigen?" Es stellte
sich heraus, daß die Familie bitteren Mangel litt. „Weib und Kind sollen
unter Ihrem Mißgeschick nicht leiden," sagte da der edelmütige Mann, „nehmen
Sie von mir vor der Hand eine Unterstützung an! Lassen Sie den Mut
nicht sinken! Arbeiten Sie unverdrossen? und Sie werden sich wieder in die
Höhe bringen!" Von Rührung überwältigt, verließ der einstige Feind seinen
edlen Wohlthäter, schluchzend wie ein Kind und aufrichtige Dankesworte
stammelnd. Stach Sam. Smiles.
30. Der Wilde.
Ein Kanadier, der noch Europens
übertünchte Höflichkeit nicht kannte
und ein Herz, wie Gott es ihm ge-
geben,
von Kultur noch frei, im Busen fühlte,
brachte, was er mit des Bogens Sehne
fern in Quebecs übereisten Wäldern
auf der Jagd erbeutet, zum Verkaufe.
Als er ohne schlaue Rednerkünste,
so wie man ihm bot, die Felsenvögel
um ein Kleines hin gegeben hatte,
■eilt’ er froh mit dem geringen Lohne
heim zu seinen tief verdeckten Horden,
in die Arme seiner braunen Gattin.
Aber ferne noch von seiner Hütte
überfiel ihn unter freiem Himmel
schnell der schrecklichste der Donner-
stürme.
Aus dem langen, rabenschwarzen Haare
troff der Guss herab auf seinen Gürtel,
und das grobe Haartuch seines Kleides
klebte rund an seinem hagern Leibe.
Schaurig zitternd unter kaltem Regen
■eilete der gute, wackre Wilde
in ein Haus, das er von fern erblickte.
„Herr, ach, lasst mich, bis der Sturm
sich leget,“
bat er mit der herzlichsten Gebärde
den gesittet feinen Eigentümer,
„Obdach hier in Eurem Hause
finden!"
„Willst du, missgestaltet’ Ungeheuer,“
schrie ergrimmt der Pflanzer ihm ent-
gegen,
„willst du, Diebsgesicht, mir aus dem
Hause!“
und ergriff den schweren Stock im
Winkel.
Traurig schritt der ehrliche Hurone
fort von dieser unwirtbaren Schwelle,
bis durch Sturm und Guss der späte
Abend
ihn in seine friedliche Behausung
und zu Seiner braunen Gattin brachte.
Nass und müde setzt’ er bei dem
Feuer
sich zu seinen nackten Kleinen nieder
und erzählte von den bunten Städtern
und den Kriegern, die den Donner
tragen,
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