Deutsches Lesebuch
für die
oberen Klassen höherer Lehranstalten.
Auswahl deutscher Poesie und Arosa mit literarhistorischen
Übersichten und Darstellungen
von
Professor Dr X Lense,
Direktor des Gymnasiums zu Paderborn.
Erster Teil:
Dichtung des Mittelalters.
Vierte, verbesserte Auslage.
Freiburg im Breisgau.
Herdersche Verlagshandlung.
l90z.
Zweigniederlassungen in Wien, Straßburg, München und St Liouis, Mo.
TM Hauptwörter (50): [T1: [Geschichte Dichter Zeit Buch Werk Jahr Gedicht Nr. Bild Geographie]]
TM Hauptwörter (100): [T46: [Universität Berlin Jahr Schule Wissenschaft Leipzig Professor Akademie Hochschule Gymnasium], T30: [Periode Abschnitt erster zweiter Zeitraum dritter Jahr Kapitel Sonne Planet], T35: [Dichter Zeit Gedicht Lied Dichtung Schiller Poesie Werk Goethe Sprache]]
TM Hauptwörter (200): [T199: [Universität Berlin Bibliothek Leipzig Schloß München Jahr Museum Schule Gymnasium], T91: [Geschichte Krieg Zeit Zeitalter Mittelalter Revolution Reformation deutsch Jahrhundert Ende], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T144: [Stadt Frankreich Münster Straßburg Metz Mainz Elsaß Bischof Frieden Trier]]
Extrahierte Personennamen: Lense
Extrahierte Ortsnamen: Paderborn Freiburg Wien Straßburg München
Einleitung.
Der indogermanische Sprachstamm.
Aus einer Ursprache eines der vorhistorischen Zeit angehörenden,
im tnittelasiatischen Hochlande wohnenden Urvolkes der Arier (— der
Glänzenden, Edlen) ist im Laufe der Jahrhunderte eine Anzahl verschiedener
Sprachen hervorgegangen. Das Volk zog aus seinen Ursitzen aus und
ließ sich teils in Asien (in Indien und im Hochlande von Iran), teils
in Europa in einzelnen Stämmen nieder. Diese entwickelten mit der Zeit
in sich geschiedene, aber den gemeinschaftlichen Ursprung doch nicht ver-
leugnende Sprachen, die in ihrer Gesamtheit den „indogermanischen" oder
(richtiger) den „indoeuropäischen" Sprachstamm bilden, dem auch die deutsche
'Sprache als Zweig angehört. Der Stamm umfaßt folgende Sprachen:
A. In Asien:
1. Die indischen, namentlich das Sanskrit, d. h. die reine
Sprache, in welcher die heiligen Schriften der Inder (die Vedas) geschrieben
sind, sodann die jetzt in Indien gesprochenen Mundarten, wie das Hindo-
stanische, das Mahrattische usw.
2. Die iranischen, von denen die Z end spräche, die Sprache der
heiligen Schriften der alten Parsen (Zendavesta), und das Altpersische,
die Sprache des Darius, Aerxes und der Nachkommen desselben, aus-
gestorben sind; die noch lebenden iranischen Sprachen sind namentlich das
Neutzersische, Kurdische, Afghanische und Armenische.
B. In Europa (nach der Zeitfolge der Auswanderung der be-
rstenden Völkerschaften vom Hochlande Mittelasiens, der Wiege jenes
großen Sprachstammes):
1. Die griechische mit ihrer Tochter, dem Neugriechischen.
2. Die italischen, namentlich die lateinische mit ihren Töchtern,
den romanischen Sprachen: der italienischen, spanischen, portugiesischen,
proverumschen, französischen, rumänischen oder walachischen.
Heuse, Lesebuch. I. 4. Aufl. 1
TM Hauptwörter (50): [T22: [Volk Bewohner Sprache Land Bevölkerung Einwohner deutsche Religion Million Stamm]]
TM Hauptwörter (100): [T95: [Bewohner Sprache Volk Land Bevölkerung deutsche Stamm Religion Neger Einwohner], T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung], T47: [Wüste Meer Land Nil Hochland Fluß Gebirge Euphrat Tigris See]]
TM Hauptwörter (200): [T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T134: [Land Meer Hochland Persien Tigris China Euphrat Iran Asien Armenien], T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T159: [Bewohner deutsche Bevölkerung Sprache Neger Volk Jude Einwohner Stamm Land]]
Extrahierte Personennamen: Darius Darius
Extrahierte Ortsnamen: Asien Indien Hochlande_von_Iran Europa Asien Indien Armenische Europa Hochlande_Mittelasiens
4
Einleitung.
oder die prosaische Edda, dem isländischen Geschichtschreiber Snorri
Sturleson (f 1241) zugeschrieben. Sie bilden die Hauptfundgrube für die
nordische, beziehentlich deutsche Mythologie.
3. Die urdeutsche, welche sich teilt in:
a) die niederdeutsche, gesprochen in den flachen Gegenden des nörd-
lichen Deutschland, mit weichen Lauten; zu derselben gehören die alt-
sächsische, die Mutter des heutigen Plattdeutschen, die nieder-
ländische, das heutige Holländische und Flämische, die friesische, nur
noch in Westfriesland gesprochen. Die angelsächsische, aus der uuter
Beimischung von romanischen Elementen das Englische entstand, ist eine
der ältesten Form des Niederdeutschen nahe verwandte Sprache b
b) die ober- oder hochdeutsche, gesprochen im gebirgigen südlichen
Deutschland, mit härteren Lauten; die wichtigsten derselben sind die
alemannische (gesprochen in der Schweiz, den anstoßenden Teilen von
Baden und Elsaß), schwäbische, obersränkische, bayrische und
ö st e r r e i ch i s ch e.
Das hochdeutsche Sprachgebiet umfaßt zwischen den nieder- und ober-
deutschen Dialekten noch eine Anzahl mitteldeutscher, wie den mittel-
fränkischen, den thüringischen, den obersächsischen (um Eisleben, Leipzig,
Dresden), den schlesischen.
Während das Niederdeutsche nur einige wenige Denkmäler auf-
weist, ist das Hochdeutsche reich an bedeutungsvollen Werken, entsprechend
der höheren politischen Bedeutung der dasselbe redenden Völkerschaften Süd-
und Mitteldeutschlands. Dasselbe hat sich infolge mehrfacher Veränderungen
in folgenden drei Perioden entwickelt:
1. Die Periode des Althochdeutschen, welche von etwa 600 bis zum
Jahre 1100 reicht und vorzugsweise die fränkische Mundart zur Ent-
wicklung bringt.
Im Vergleiche mit dem Gotischen in den Flexionsformen vereinfacht, da be-
sondere Vokativ-, Dual- und Passivformen bereits geschwunden sind, hat die alt- 1
1 In ihr ist verfaßt das älteste germanische Epos, „das Beowulfslied",
welches von der Tötung des riesigen Wassergeistes Grendel und seiner Mutter durch
den Geatens— Gotenshelden Beowuls und von seinem Tode im Kampfe mit einem
feuerspeienden Drachen erzählt, nachdem er fünfzig Winter im Gautenreiche (d. h.
im fchwedischen Götalande) ruhmvoll geherrscht hat. Da Grendel die Sturmflut
der Nordsee im Frühjahr, seine Mutter die Meerestiefe als Erzeugerin der Sturm-
flut und der Drache die herbstliche Überschwemmung versinnbildet, haben wir in
dem Liede wohl die Darstellung der Kämpfe der nordischen Seevölker gegen die
Gefahren der stürmischen Nordsee zu erkeunen. Die einzige aus dem Io. Jahr-
hundert stammende Handschrift des im letzten Drittel des 7. Jahrhunderts zu einem
Epos gestalteten Liedes befindet sich im Britischen Museum zu London.
TM Hauptwörter (50): [T1: [Geschichte Dichter Zeit Buch Werk Jahr Gedicht Nr. Bild Geographie], T22: [Volk Bewohner Sprache Land Bevölkerung Einwohner deutsche Religion Million Stamm], T18: [Gebirge Berg Teil Rhein Höhe Wald Fluß Alpen Seite Donau]]
TM Hauptwörter (100): [T95: [Bewohner Sprache Volk Land Bevölkerung deutsche Stamm Religion Neger Einwohner], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T1: [König Held Herz Mann Volk Siegfried Land Lied Hand Tod], T35: [Dichter Zeit Gedicht Lied Dichtung Schiller Poesie Werk Goethe Sprache], T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter]]
TM Hauptwörter (200): [T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T31: [Jahrhundert Schweden Norwegen Dänemark König Ende Jahr Anfang England Mitte], T139: [Donau Rhein Main Tiefebene Teil Jura Alpen Tiefland Gebiet Fluß], T41: [König Siegfried Held Hagen Mann Günther Frau Gudrun Kriemhild Tod]]
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Westfriesland Deutschland Schweiz Baden Eisleben Leipzig Dresden Mitteldeutschlands Gotenshelden_Beowuls Nordsee London
6
Einleitung.
2. Hochdeutsch (aus dem 8. Jahrhundert).
Fater unser, du pist in himilum.
Kauuihit si namo din. Pi-
qhueme rihhi din. Uuesa
din uuillo, sama so in himi-
le ist, sama in erdu. Pilipi
unsraz emizzigaz kip uns
60 gauuanna. Enti fläz uns
unsro sculdi, saino so uuir
fläzzames unserem scolom.
Enti princ unsih ni in
chorunka. Uzzan kaneri unsih
fona alien sunton.
3. niederdeutsch
Fadar usa, thu bist an them
himilo; gewihid si thin namo,
kuma thin riki; wertha thin
willeo alia so sama an erthu,
so thär uppa ist an them hi-
milo ; gif us dagö gihwilikes
bröd; endi alät us manago-
ro menskvildio al so wi
o th run mannun do an; ne
lat us farledean, ak hilp
us withar allun ubilon
dädiun.
Vater unser, du bist in Himmeln.
Geweiht sei Name dein. Zu-
komme Reich dein. (Es) werde
dein Wille, so wie in (dem) Him-
mel (er) ist, so in (der) Erde. Nahrung
unsere immerwährende gib uns
allezeit. Und erlaß uns
unsere Schulden, so wie wir
erlassen unsern Schuldnern.
Und nicht bring uns in
Versuchung; sondern heile uns
von allen Sünden.
(nach dem Heliand).
Vater unser, du bist in dem
Himmel. Geweiht sei dein Name.
(Es) komme dein Reich. (Es) werde dein
Wille all ebenso auf Erden,
wie (es) daroben ist in dem Him-
mel. Gib uns der Tage jeglichen
Brot. Und erlaß uns die Men-
ge der Meinschulden, all wie wir
andern Menschen tun. Nicht
laß uns verleiten, sondern hilf
uns wider alle üble
Taten.
2. Die Periode des Mittelhochdeutschen, welche von 1100 bis 1500
reicht und die schwäbische (Zeit der schwäbischen oder hohenstaufischen
Kaiser) und die österreichische Mundart entwickelt.
Die Vereinfachung der Flexionsformen ist weiter vorgeschritten; die volltönenden
Vokale in den Endungen sind zum Schaden des bisherigen vollen Wohllautes der
Sprache vielfach zu einem tonlosen oder stummen 6 abgeschwächt, während der
Unterschied zwischen langen und kurzen Stammsilben noch festgehalten wird
(sagen — sagte, fragen — frugete). Dazu übt der Umlaut, welcher bereits im
Althochdeutschen sich findet, in voller Entwicklung einen besondern Einstuß. Ihm
zufolge wird durch ein i oder ein hieraus entstandenes e der Endung in der Stamm-
silbe ein a zu e und ä (gast — geste, ursprünglich gassi), ä zu ae (genàde — ge-
naedic), o zu 8 (mohti — mühte) (möchte), 6 zu oe (dòn — doene) (Töne), n zu n
(Inst — Inste), n zu in (hüs — làser) (Häuser), on zu öu (loup — löuber),
uo zu üe (truoc — trüege). Vgl. Macht, mächtig; voll, völlig; Graf, Gräfin.
Der Umlaut zeigt sich besonders in der Konjugation wirksam, z. B. : farn, faris,
farit; ich var, du verst, er vert. Zudem bewirkte ein in der folgenden Silbe
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T3: [Lage Karte Land Europa Geographie Klima Größe Verhältnis Grenze Gliederung], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter], T39: [Kind Vater Mutter Frau Mann Haus Jahr Eltern Sohn Knabe]]
TM Hauptwörter (200): [T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T100: [Gott Herr Herz Wort Leben Hand Himmel Vater Kind Mensch], T179: [Gott Mensch Wort Welt Erde Glaube Herr Sünde Himmel Satz], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte]]
40 Dritte Periode, von 1100 bis 1300, oder erste Blüteperiode.
herben und wilden Charakters der Sage, in der Schilderung des kirchlichen
Kultus (Messe, Taufe, Kaplan, Münster usw.), der jedoch, rein äußerlich,
auf das Gemüt der ihn Übenden ohne Einfluß bleibt, und namentlich in
der Darstellung des ritterlichen Lehensstaates mit seinem auf der Treue
beruhenden Dienstmanns-Verhältnis, welches an die Stelle des blinden
Verhängnisses der nordischen Sage eine Reihe von sittlichen Verhältnissen
setzt. Am meisten eingewirkt hat das christliche Rittertum auf die Ge-
staltung der Persönlichkeit Rüdigers von Bechlaren, den die ältere Sage
der Edda nicht kennt.
I. Äyentiure.
1. Uns ist in alten mgeren wünders vil geseit
von heleden löbebeeren, von grözer ärebeit,
von fröuden, höchgeziten, von weinen und von klagen,
von küener recken striten muget ir nu wunder hoeren sägen
2. Ez wuohs in Bürgönden ein vil edel magedin,
daz in allen landen niht schoeners mohte sin,
Kriemhilt geheizen: si wart ein schoene wip.
dar umbe muosen degene vil Verliesen den lip.
3. Der minneclichen meide triuten wol gezam.
ir muotten küene recken: niemen was ir gram.
ane mäzen schcene so was ir edel lip:
der juncvrouwen tugende zierten änderiu wip.
4. Ir pflügen drie künege edel unde rieh,
Günther unde Gernöt, die recken lobelich,
und Giselher der junge, ein üz erwelter (legen.
diu frouwe was ir swester, die fürsten beten s’ in ir pflegen. 1 2 3 4
1, 1 wunders gen., abhängig vom Neutrum vil. — geseit, kontrahiert aus ge-
saget. — 2 von gehört zu geseit (V. 1) und sagen (V. 4). — heleden von
betet, der älteren Form für das spätere bett.
2, 1 Bürgenden — Volk und Land. — 2 schoeners gen., abhängig von niht,
nichts. — 4 dar umbe — um derentwillen. — muosen praet. zu rnüezen. —
degene gen., abhängig von vil.
3, 1 meide dat. von meit — maget. — triuten in passivischem Sinne: sie ver-
diente wohl geliebt zu werden. — 3 ir edel lip — sie, die Edle; oft dient
lip zur Umschreibung der Person. — 4 zierten conj. praet. im Sinne von:
ihre Tugenden waren so zahlreich, daß sie auch andere damit hätte schmücken
können.
4, 4 in ir pflegen (dat. plur.) = in ihrer Hut.
TM Hauptwörter (50): [T43: [König Held Sohn Mann Schwert Ritter Hand Tod Vater Feind], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte]]
TM Hauptwörter (100): [T1: [König Held Herz Mann Volk Siegfried Land Lied Hand Tod], T66: [Geschichte Iii Vgl Nr. Aufl Gesch Lesebuch Bild fig deutsch], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T41: [Staat Recht Volk Adel König Land Verfassung Gesetz Stand Verwaltung], T3: [Lage Karte Land Europa Geographie Klima Größe Verhältnis Grenze Gliederung]]
TM Hauptwörter (200): [T41: [König Siegfried Held Hagen Mann Günther Frau Gudrun Kriemhild Tod], T100: [Gott Herr Herz Wort Leben Hand Himmel Vater Kind Mensch], T82: [Musik Stadt Hof Zeit Theater Fest Leben Leute Herr Art], T54: [Staat Zeit Volk Deutschland Leben Reich Jahrhundert Macht Entwicklung Gebiet], T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk]]
Einleitung. § 3. Perioden der deutschen Literaturgeschichte.
2. Laut Veränderung, hervorgerufen bald durch Verdoppelung eines ein-
fachen Lautes, bald durch Vereinfachung eines Doppellautes, z. B. zit — Zeit;
hüs — Haus; bluome — Blume; blüemeltn — Blümlein.
3. Übereinstimmung im Singular und Plural des Imperfekts der starken
Zeitwörter, z. B. mittelhochdeutsch: ich reit, wir riten, ich ritt, wir ritten, leb baut,
wir bunäen, ich band, Wir banden, lob bot, wir buten, ich bot, Wir boten u. a.
8 3.
Perioden der deutschen Literaturgeschichte.
Innerhalb der drei genannten Entwicklungsstufen des Hochdeutschen
unterscheiden wir für die Geschichte der poetischen Nationalliteratur
acht Perioden:
1. Die Zeit des heidnischen, altdeutschen Volksgesanges und der
Sagenbildung, von den ältesten Zeiten bis auf Karl den Großen, 800.
2. Die Zeit des Einflusses der Geistlichkeit auf die Poesie, von Karl
dem Großen bis zu den Kreuzzügen; von 800 bis 1100.
3. Erste Blüteperiode aus dem Gebiete des Volksepos (Nibe-
lungenlied und Gudrun), des höfischen Epos (Heinrich von Veldeke,
Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg),
der Lyrik (Walther von der Vogelweide) und der Didaktik (Freidanks
Bescheidenheit); Träger sind die Ritter in der Zeit der Kreuzzüge; von
1100 bis 1300.
4. Die Zeit des Verfalles der Poesie, deren Träger Bürger und
Handwerker sind: Meistergesang, Blüte des Volksliedes; von 1300
bis 1500.
5. Das Zeitalter des Vorherrschens der satirisch-didaktischen
Poesie, im Jahrhundert der Reformation; Ausbildung des Kirchen-
liedes; von 1500 bis 1624 (von Luther bis Opitz).
6. Die Zeit der Poesie der Gelehrten oder die Zeit der Nach-
ahmung; von 1624 bis 1748 (von Opitz bis Klopstock).
7. Zweite Blüteperiode, anhebend mit der Herausgabe der drei
ersten Gesänge von Klopstocks Messias im Jahre 1748 und geknüpft an
die Dichter Klopstock, Wieland, Lessing, Herder, Goethe, Schiller und
an die Romantiker; von 1748 bis 1832 (von Klopstocks Auftreten bis zu
Goethes Tod, 1832).
8. Die Zeit der Nachblüte der Romantiker und die Zeit der neueren
Dichter mit besonderer Pflege der Prosa; von 1832 bis zur Gegenwart.
TM Hauptwörter (50): [T1: [Geschichte Dichter Zeit Buch Werk Jahr Gedicht Nr. Bild Geographie], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T35: [Dichter Zeit Gedicht Lied Dichtung Schiller Poesie Werk Goethe Sprache], T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter]]
TM Hauptwörter (200): [T172: [Dichter Zeit Gedicht Schiller Werk Goethe Maler Dichtung Lied Hans], T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T91: [Geschichte Krieg Zeit Zeitalter Mittelalter Revolution Reformation deutsch Jahrhundert Ende]]
Extrahierte Personennamen: Karl Karl Karl
dem_Großen Karl Gudrun) Gudrun Heinrich_von_Veldeke Heinrich Hartmann_von_Aue Wolfram_von_Eschenbach Gottfried_von_Straßburg Walther Opitz Opitz Klopstocks_Messias Klopstock Lessing Goethe Schiller
10
Erste Periode, bis 800.
nichtet) mit seinen Brüdern Gernot und Giselher, seine Mannen
Hagen und Volker und seine Schwester Kriemhild sind. Die Be-
gebenheiten der Sage haben zum Mittelpunkte Worms am Rhein.
4. Der hunnische, dessen Held der Hunnenkönig Attila oder Etzel
(— Väterchen, f 453) ist mit seinem wackern Dienstmann Rüdiger
von Bechlaren. Der Sitz der Sage ist Ofen-Pest in Ungarn.
5. Der langobardische, dessen Helden König Rother (Rothari der
Geschichte, ch 650), Ortnit, Hugdietrich und dessen Sohn Wolf-
dietrich sind.
6. Der Nordseesagenkreis, dessen Helden Hagen von Irland,
Heitel, Herwig und Gudrun, Heitels Tochter, sind. Schauplatz sind
die Nordseeküsten, Irland, Seeland und die Normandie.
7. Der alemannische, dessen Helden Walther von Wasgenstein
und Hildgund, dessen Schauplatz Ungarn und der Wasgenwald sind.
Der einzige Überrest von Dichtungen aus diesen Sagenkreisen ist
das Hildebrandslied, in welchem die niederdeutsche Sprache mit hoch-
deutschen Elementen gemischt ist1.
Aufgezeichnet um das Jahr 800, behandelt dasselbe ein Stück aus der ost-
gotischen Sage: Dietrich von Bern wird von Otater (Odoaker), an dessen Stelle
in der jüngeren Sage Ermenrich, der geschichtliche Ostgotenkönig Hermanrich, als
Kaiser und Dietrichs Oheim tritt, aus seinem Reiche vertrieben und im Ungarlande
von Etzel (Attila) freundlich aufgenommen mitsamt seinem Waffenmeister Hildebrand
(bild — Kampf und branä — Fackel), der seine Gattin mit einem unmündigen
Sohne in der Heimat zurückgelassen hat. Nach dreißig Jahren heimkehrend, stößt
er an der Grenze des Landes auf seinen ihm den Eingang wehrenden, ihn nicht
kennenden Sohn Hadubrand (üaäu — Krieg). Wider Willen muß er gegen seinen
Sohn den Kampf beginnen. Hiermit schließt das leider nur als Bruchstück vor-
handene Gedicht, dessen düsterer Ton keinen Zweifel an dem tragischen Ausgang des
Kampfes gestattet, wie auch die um 1250 bis 1300 in Norwegen geschriebene
Thidreksaga (— Theoderichsage) den Sohn vom Vater erschlagen werden läßt. Ein
denselben Gegenstand behandelndes Volkslied des 15. Jahrhunderts läßt freilich den
Sohn dem Vater unterliegen, dann aber Versöhnung zwischen den Helden eintreten,
nachdem sie sich als Vater und Sohn erkannt haben.
Die Form des Gedichtes ist die alliterierende Langzeile mit acht He-
bungen und unbestimmt vielen Senkungen, durch eine Zäsur in zwei Halbzeilen
geteilt, welche durch die A lli teration oder den Stabreim, d. h. den Eleichklang
der Anlaute (gleicher Konsonanten oder Vokale, die jedoch nicht die gleichen zu sein
brauchen) hochbetonter Silben, wiederum zu einem Ganzen vereinigt werden, indem
in der Regel zwei Wörter der ersten Halbzeile und ein Wort der zweiten unter-
einander alliterieren.
1 Dasselbe, von Möncheshand ausgeschrieben, ist auf den inneren Deckblättern
eines lateinischen Gebetbuches im Kloster zu Fulda gefunden worden und befindet
sich jetzt auf der Landesbibliothek in Kassel.
TM Hauptwörter (50): [T43: [König Held Sohn Mann Schwert Ritter Hand Tod Vater Feind], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T1: [König Held Herz Mann Volk Siegfried Land Lied Hand Tod], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T35: [Dichter Zeit Gedicht Lied Dichtung Schiller Poesie Werk Goethe Sprache]]
TM Hauptwörter (200): [T41: [König Siegfried Held Hagen Mann Günther Frau Gudrun Kriemhild Tod], T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk]]
44 Dritte Periode, von 1100 bis 1300, oder erste Blüteperiode.
Doch Siegfried, voll kühner Zuversicht, bittet um zwölf Recken zur Fahrt
nach Worms und gelangt, nachdem sein Wunsch schnell, aber unter bangen Sorgen
erfüllt ist, schon am siebten Tage mit seinen Mannen an den Hos Günthers, wo
alle erstaunt ihn mit den Seinen anschauen.
5. Nun waren auch die Mären dem König schon gesagt,
Daß auf dem Hofe wären Ritter unverzagt:
Sie führten lichte Panzer und herrlich Gewand;
Sie erkenne niemand in der Burgunden Land.
6. Den König nahm es wunder, woher gekonimen sei'n
Die herrlichen Recken im Kleid von lichtem Schein
Und mit so guten Schilden, so neu und so breit.
Daß ihm das niemand sagte, das war König Günthern leid.
7. Zur Antwort gab dem König von Metz Herr Ortewein;
Stark und kühnen Mutes möcht' er wohl sein,
„Da wir sie nicht erkennen, so heißt jemand gehn
Nach meinem Oheim Hagen: den sollt Ihr sie lassen sehn.
8. „Ihm sind wohl kund die Reiche und alles frenide Land:
Erkennt er die Herren, das macht er uns bekannt."
Der König ließ ihn holen und die in seinem Lehn;
Da sah man ihn herrlich mit Recken hin zu Hose gehn.
9. Warum nach ihm der König, fragt' Hagen da, geschickt?
„Es werden fremde Degen in meinem Haus erblickt,
Die niemand mag erkennen: habt Ihr in fernem Land
Sie wohl schon gesehen? das macht mir, Hagen, bekannt."
10. „Das will ich," sprach Hagen. Zum Fenster schritt er drauf:
Da ließ er nach den Gästen den Augen freien Lauf.
Wohl gefiel ihm ihr Geräte und all ihr Gewand;
Doch waren sie ihm fremde in der Burgunden Land.
11. Er sprach, woher die Recken auch kämen an den Rhein,
Es möchten selber Fürsten oder Fürstenboten sein.
„Schön sind ihre Rosse, und ihr Gewand ist gut:
Von wannen sie auch ritten, es sind Helden hochgemut."
12. Also sprach da Hagen: „Soviel ich mag verstehn,
Hab' ich gleich im Leben Siegfrieden nie gesehn,
So will ich doch wohl glauben, wie es damit auch steht,
Daß er es sei, der Degen, der so herrlich dorten geht.
13. „Er bringt neue Mären her in dieses Land:
Die kühnen Nibelungen schlug des Helden Hand,
Die reichen Königssöhne Schilbung und Nibelung;
Er wirkte große Wunder mit des starken Armes Schwung.
TM Hauptwörter (50): [T43: [König Held Sohn Mann Schwert Ritter Hand Tod Vater Feind], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T1: [König Held Herz Mann Volk Siegfried Land Lied Hand Tod]]
TM Hauptwörter (200): [T41: [König Siegfried Held Hagen Mann Günther Frau Gudrun Kriemhild Tod], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T151: [König Volk Kaiser Reich Fürst Land Gott Wilhelm Deutschland Frieden], T100: [Gott Herr Herz Wort Leben Hand Himmel Vater Kind Mensch]]
12
Erste Periode, bis 800.
was so friuntlaos man:
er was Otachre
ummett irri,
degano dechisto
was er Deotrihhe;
60 solches at ente:
imo was 60 fehta ti leop;
chüd was er managem
cllönnem mannum.
ni wänju ih ju lib habbe“ *
„wettn irmingot
obana fona hevane,
dat du neo dana halt
dinc ni geleitös
mit sus sippan man“*
Want her dö ar arme
wuntane bougä,
cheisuringü gitän,
so imo se der chuning gap,
Hüneö truhtin:
„dat ih dir it nü bi huldi gibu.“
Hadubrant gimälta,
Hiltibrantes sunu:
„mit gerü scal man
geba infähan,
Ort widar Orte.
du bist dir, alter Hün,
ummet Späher:
spenis mih *
mit dinem wer tun, wili mih
dinü sperü werpan.
pist also gialtet man,
so du ewin inwit fuortös.
dat Sagetun mi
seolidante
westar ubar wentilseu,
dat inan Wie furnam:
tot ist Hiltibrant,
Heribrantes suno.“
Das war so freundloser * Mann:
Er war ans Otaker
unmäßig erbitterst
der Degen liebster
war er Dietrich;
stets an des Volkes Spitze;
ihm war stets zu fechten lieb;
kund war er manchen
kühnen Männern. Ichabe." *1 2
Nicht wähne ich, daß er noch das Leben
„Zum Zeugen ruf' ich Irmingot 3 4
oben vom Himmel,
daß du nie dann wahrlich
Streit nicht führtest
mit so verwandtem Manne"*
Da wand er vom Arme
gewundene Ringe,
aus Kaisermünzen gemacht,
wie ihm sie der König gab,
der Hunnen Herr: -
„Daß ich dir nun es ans Huld gebe."
Hadnbrand redete,
Hildebrands Sohn:
„Mit dem Ger soll der Mann
Gabe empfahn:
Spitze wider Spitze.
Du bist dir, alter Hunne,
unmäßig schlau:
lockest mich*
mit deinen Worten, willst mich
mit deinem Speere werfen.
Du bist ein so gealterter Mann,
wie du ewigen Trug führtest.
Das sagten mir
Seefahrende
westwärts über den Wendelsee st
daß ihn der Kampf dahinnahm:
Tot ist Hildebrand,
Heribrands Sohn."
1 Freundlos, weil getrennt von den Seinen.
2 Hier wird zu ergänzen sein: Hildebrand redete, Heribrands Sohn.
3 Irwin verallgemeinernd — groß, wie in V. 23.
4 wentilseu — die sich (um die Erde) windende See.
TM Hauptwörter (50): [T43: [König Held Sohn Mann Schwert Ritter Hand Tod Vater Feind], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T1: [König Held Herz Mann Volk Siegfried Land Lied Hand Tod]]
TM Hauptwörter (200): [T41: [König Siegfried Held Hagen Mann Günther Frau Gudrun Kriemhild Tod], T100: [Gott Herr Herz Wort Leben Hand Himmel Vater Kind Mensch]]
§ 4. Heidnischer Volksgesang und Sagenbildung.
13
Hiltibrant gimahalta,
Heribrantes suno :
„wela gisihu ih
in dînêm hrustim,
dat dû liabês îlême
hêrron gôtan,
dat dû noh bi desemo riche
reccheo ni wurti***“
„welaga nû, waltant got!
wêwurt skihit.
ih wallôta sumaro
enti wintro sehstic,
dar man mih êo scerita
in foie sceotanterô:
sô man mir at bure ênîgeru
bannn ni gifasta :
nû Seal mi suâsat chind
suertû hauwan,
breton sînû billjû,
eddo ih imo ti banin werdan.
doh maht dû nu aodlîhho,
ibu dir dîn eilen taue,
in sus hêremo man
hrusti giwinnan,
rauba birahanen,
ibu dû dâr ênîc relit habês**
der si doh nu argôsto
ôstarliuto,
der dir nû wîges warne,
nû dih es sô wel lustit
gûdeâ gimeinûn.
niuse dê môtti,
lluerdar sih hiutû
dero hregilo hruomen muotti
erdo desero brunnôno
bêdero waltan.“
dô lêttun sê érist
askim scritan,
scarpên scûrim,
dat in dêm sciltim stônt.
dô stôptun ti samane,
staimbort chludun,
Hildebrand redete,
Heribrands Sohn:
„Wohl sehe ich
an deiner Rüstung,
daß du habest daheim
einen guten Herrn,
daß du noch bei diesem Fürsten
Verbannter nie wurdest***"
„Weh nun, waltender Gott!
Wehgeschick geschieht.
Ich wallte der Sommer
und Winter sechzig \
wohin man immer mich stellte
zu der Schießenden Volk:
so hat man doch bei keiner Burg
den Tod mir beigebracht;
nun soll mich das eigene Kind
mit dem Schwerte hauen,
niederstrecken mit seinem Beile,
oder ich ihm zum Mörder werden.
Doch magst du nun leicht,
wenn dir deine Kraft taugt,
an so hehrem Manne
Rüstung gewinnen,
Raub erbeuten,
wenn du da einiges Recht hast **
Der wäre nun der ärgste
der Ostleute2.
der dir nun den Kamps weigerte,
nun dich so wohl gelüstet
gemeinsamen Kampfes.
Versuche die Begegnung,
wer sich der Gewänder
heute rühmen dürfe
oder dieser Brünnen
beider walten."
Da ließen sie zuerst
die Eschen dreinfahren
in scharfen Schauern,
daß es in den Schilden stund.
Da rannten sie zusammen
mit den Kampfschildbuckeln,
1 60 Sommer und Winter — 80 Jahre.
2 — Ostgoten.
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TM Hauptwörter (100): [T1: [König Held Herz Mann Volk Siegfried Land Lied Hand Tod], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume]]
TM Hauptwörter (200): [T41: [König Siegfried Held Hagen Mann Günther Frau Gudrun Kriemhild Tod], T112: [Schwert Ritter Schild Waffe Lanze Pferd Speer Hand Helm Pfeil], T82: [Musik Stadt Hof Zeit Theater Fest Leben Leute Herr Art], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T50: [Haus Pferd Bauer Herr Wagen Mann Tag Kind Weg Leute]]