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empor. Kein zweites Land in Europa, wird behauptet, hat so schöne
Baien und Häfen wie die „Smaragdinsel". Man zählt 14 Häfen für
die größten Schiffe, 17 für Fregatten und gegen 40 für Kauffahrtei-
schiffe. Cork mit Queenstown sind noch heute die Station für die
transatlantischen Postdampfer. — Wo England demnach durch seine
natürliche Beschaffenheit schon ohnedies so ausgezeichnet und ge-
eignet für den Seeverkehr war, versäumte man andrerseits auch nicht,
durch allerlei künstliche Mittel die maritime Zugänglichkeit des Landes
zu erhöhen. Während man die Gesamtlänge aller schiffbaren Flüsse
in England und Wales auf ca. 3175 km. angeben will, beträgt die
Länge der Kanäle über 3500 km.*- Dies Kanalfyftem strahlt in
drei Vereinigungspunkte aus, Birmingham, Manchester und London;
aus je 3 lh!M. Fläche kommt 1 Meile Fluß- oder Kanalstraße.
In Schottland unterstützen die charakteristischen Einschnürungen die
Anlage von Kanälen. Berühmt sind der Clydekanal, der nur 91 km
geführt zu werden brauchte, um die Nordfee mit dem Oceau zu ver-
binden, und der kaledonische Kanal zwischen Firth of Lorn und
Moraybusen. Dort fahren vorüber am Ben Newis, dem höchsten
Berge in Schottland, Fregatten quer durch das Land. — Ein zweites
Mittel, die Schiffahrt zu unterstützen, bietet sich in der Anlage von
Leuchttürmen, und England besitzt deren 330, darunter der berühmte
von Bell Rock vor der Mündung des Tay, ^ und der von Eddystone.
Letzterer liegt vor der Reede von Plymouth, auf der die größte Flotte
der Welt sicher ankern könnte, und dünkt den westwärts in den Ocean
eilenden großen Dampfern wie ein letztes Wahrzeichen Europas, das
den in die Wasserwüste hinaussteuernden Schiffen gleichsam den
Scheidegruß der Heimat nachsendet. Wenn die Leuchtfeuer aus-
gelöscht werden und der kundige Lotse fehlt, fo kann England auf
feine Unzugänglichkeit pochen, und die Wachsamkeit seiner kreuzenden
Flotte sichert dem Lande die Unmöglichkeit einer feindlichen Invasion.
Das hat sich von den Zeiten der Armada, die Großbritannien nord-
wärts umsegeln wollte und an der Felseninsel Fair zerschellte, bis
zu den Kriegen Napoleons I. bewahrheitet. Ein beispielloses Glück
hatte dagegen Wilhelm Iii. Er täuschte die englische Flotte, die
annahm, er würde in Jorkshire landen, fuhr in den Kanal und
konnte in der Bai von Tor Anker werfen, von wo ihn weiter das
Glück nach London und auf den Königsthron geleitete.
So erwuchs in dem Briten das stolze Selbstgefühls die Einsicht
in den Zustand der eigenen Sicherheit und zugleich die Überzeugung,
daß Britannien die anerkannte Meerbeherrscherin sei, wie sich das
in dem Nationalliede ausspricht rule Britannia the waves (Herrsche,
1 Der Bau derselben erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts begonnen.
2 Der wasserreichste Strom Großbritanniens.
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Extrahierte Personennamen: Ben_Newis Napoleons_I. Wilhelm
Extrahierte Ortsnamen: Europa Cork England England Wales Birmingham London Schottland Schottland England Plymouth Europas England Napoleons Jorkshire London Britannien
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Britannien, über die Wogen), Räch England laufen alle Radien des
Seeverkehrs zusammen, und das leuchtet nicht nur den Europäern
ein, sondern auch den Amerikanern. Hat man doch triumphierend
auf die verblüffende Thatsache hingewiesen, daß der schnellste Weg,
um von New-^)ork aus Post, Passagiere und Güter nach Brasilien
zu bringen, über den britischen Hafen — Liverpool führt. Und
andererseits hat England von dem Mutterlande aus ein Kolonial-
reich erworben, das den sünsten Teil der nicht vom Wasser bedeckten
Landmasse unserer Erdoberfläche einnimmt. Wenn man weiter be-
denkt, daß der vierte Mensch auf Erden ein englischer Unterthan ist,
wird man das stolze Wort des Staatsmannes Fox begreisen können:
England ist nur unser Absteigequartier, aber die Welt, die Welt —
das ist das eigentliche England! 1
Wir treten in die dritte Periode der englischen Geschichte, in die
Zeit des kolossalen industriellen Ausschwungs, die England „zur
größten Werkstätte der Welt" gemacht hat. Die vorhandenen physi-
kalischen Anlagen des Landes haben, wie Ritter sagt, diese staunens-
werte Metamorphose herbeigeführt. Die unerschöpflichen Mineral-
schätze des Bodens fanden dann erst ihre wahre Verwertung, als die
schwarzen Diamanten, an denen England gleichermaßen reich ist, in
ihrer Verwendbarkeit für den Maschinenbetrieb richtig erkannt waren.
So hat sich Englands neueste Zeit eigentlich aufgebaut auf den drei
Faktoren Eisen, Steinkohle und Dampfmaschine. Die Jndustrie-
bezirke Englands drängen sich sozusagen um die Irische See herum
und haben, abgesehen von den großen Kohlenlagern von Rewcastle
und Südwales hauptsächlich ihre Stätte in dem westlichen Mittel-
england und den Lowlands von Schottland, wozu noch in Irland,
allerdings ohne die gleichzeitige Ausbeutung der unterirdischen Kohlen-
schätze, die berühmte Leinenindustrie der Provinz Ulster kommt.
Die Kohlenflöze haben in England einen fast unerschöpflichen Reich-
tum. Es arbeitet in den Bergwerken eine halbe Million Arbeiter;
bis unter das Meer werden in den Küstenstrichen die Atollen ge-
trieben, so daß man zu Häupten die Brandung der See rauschen
boren kann, und man rechnet aus den Kops der Bevölkerung einen
Verbrauch von 4000 kg Kohlen. Da das Klima äußerst milde ist,
— die englische Sprache kennt kein Wort für Schlitten — alfo zum
Heizen nicht viel Kohlen im Lande verwendet werden, so kann man
sich denken, einen wie enormen Verbrauch die industriellen Zwecke
für sich in Anspruch nehmen. Und hier hat sich der kaufmännische
Geift des Volkes und seine praktische Anstelligkeit in glänzendster
Enthaltung gezeigt. Ter oben erwähnte Ritter sagt staunend, daj;
* Daher hat auch der Seeheld Nelson die meisten Denkmäler in England.
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Extrahierte Personennamen: Ritter Nelson
Extrahierte Ortsnamen: Britannien England Brasilien Liverpool England England England England England Englands Englands Schottland Irland England England
sich in den neuesten Jahrhunderten ein reiches System von Kommuni-
kationen durch alle Flußgebiete, über alle Wasserscheiden und durch
alle Bergrücken über die ganze Insel verzweigt habe. Durch Kanäle,
Schleusen, Aquädukte oft der kühnsten Art, Heerstraßen, Brücken, die
über trockene Thäler wegführen, durch Eisenbahnen, Dampfmaschinen
und Dampfschiffe sind sämtliche Häsen mit allen Binnenstädten des
Landes in die leichteste Verknüpfung gebracht, und so wurde durch
die zugeleitete Masse der Heizkohlen der Damps erzeugt, und der
Dampf setzte dies märchenhafte Getriebe aller der surrenden und
kreisenden Räder einer beispiellosen Industrie in Bewegung.
Der Maschinenbetrieb kommt zuerst der Eisenbereitung zu gute.
Bon den 16 Millionen Tonnen Roheisen, die Europa jährlich er-
zeugt, liefert England die Hälfte und von der Gesamtproduktion der
Erde mehr als den dritten Teil. Nahezu eine Million Arbeiter
findet in dieser Industrie Beschäftigung, und neben Sheffield und
Birmingham ist das westlicher gelegene black country, das schwarze
Land, als Arbeitsstätte der Nagel-, Ketten- und Ankerschmiede her-
vorzuheben. — Weiter steht an der Spitze des britischen Gewerbe-
betriebs die Verarbeitung der Baumwolle; neben den Jronlords giebt
es in den reichen Industriestädten die Cottonlords. Hier ist außer
dem schottischen Glasgow die Landschaft Lancashire zu nennen, die
in Liverpool ihren weltberühmten Einfuhrhafen hat. Früher wurde
die kostbare Ware der Baumwolle nur von Nordamerika bezogen,
neuerdings sind Ostindien und Ägypten als wichtige Lieseranten
hinzugetreten. Von Liverpool führte nach Manchester die älteste
Eisenbahn, die schon im Jahre 1830 gebaut wurde, und Manchester,
zu dem der staunenswerte Bau des Bridgewaterkanals, „des Groß-
vaters der englischen Kanäle", die Steinkohlen hinsührt, ist die
Metropole dieser englischen Webeindustrie. Mit seinen 44 Millionen
Spindeln und 560 Tausend mechanischen Webstühlen liefert über-
Haupt England mehr als die Hälfte aller europäischen Baumwoll-
gespinste und Baumwollgewebe. Die Aussuhr an Baumwollwaren
aus England erzielt eine Einnahme, zehnmal so hoch wie in Deutsch-
land. Rechnet man hierzu die Wollensabrikation in Jorkshire, die
hauptsächlich australische Wolle verarbeitet, und die Töpferwaren in
dem Potery genannten Distrikte Mittelenglands, wo „der keramische
Künstler ein Psund Thon zum Wert eines Psundes Gold erhebt",
so haben wir die hauptsächlichsten Äußerungen und Betätigungen
der englischen Industrie vorgeführt. Daß England in früherer Zeit
in allem, was Industrie hieß, die Führerrolle übernommen hatte,
zeigte sich auch darin, daß von ihm die seitdem so ost glänzend ver-
wertete Idee der Weltausstellungen ausging. Gerade vor 50 Jahren
(1851) wurde im Hydepark von London in dem wunderbaren Ge-
bände des Krystallpalastes die erste Industrieausstellung eröffnet, und
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Extrahierte Ortsnamen: Europa England Birmingham Glasgow Liverpool Nordamerika Ostindien England England Deutsch- England Hydepark London
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man hat den kolossalen Palast, nachdem er seiner ursprünglichen Be-
stimmung gedient hatte, in weit vergrößertem Maßstabe wieder in
Sydenham aufgebaut, um die Kühnheit des imposanten Baues zu ver-
ewigen. Dort bleibt er nun dem staunenden Blick der Bewunderer-
modernster Architektur erhalten und ausbewahrt. Die hohen Türme
der Notredamekirche in Paris könnten sich recht gut unter dem Mittel-
teil des Palastes bergen, und als das Handeltest in London gefeiert
wurde, haben in dem Gebäude 30000 Zuhörer Platz gesunden.
England hat in dem eben abgelaufenen Biktorianischen Zeitalter
des 19. Jahrhunderts den Höhepunkt seiner glänzenden Entwickelung
gehabt, und es ist eingetroffen, was Thomson in der ersten Hülste
des 18. Jahrhunderts in dem Liede sang, das seitdem das berühmte
englische Nationallied Rule Britannia geworden ist:
thy cities shall with commerce shine
All thine shall be the subject inain
And eyery shore it circles, thine.1
Das Charakteristische ist, daß die Engländer zum größten Teil
ein städtisches Leben sichren. Großbritannien, das eine kolossale
Volksdichte besitzt, hat von seinen ca. 40 Millionen Einwohnern ein
Drittel in den 24 Großstädten wohnen, und ebenfalls nur ein Drittel
in den Landorten. Jeder siebente Engländer endlich ist Londoner,
und damit kommen wir auf dieses Unikum im Weltenrund zu sprechen,
von dem der Franzose sehr richtig gesagt hat: Londres n'est plus
une yille, c'est une province couverte de maisons. lind diese
ganz singuläre Bedeutung verdankt London seiner einzigartigen Lage;
es ist die ,,Schifssstadt" (von dem eeltischen lhong Schiff), und schon
Tacitus muß es nennen eopia ns^otiatoi-uni et comineatiium celebre,
berühmt durch die Menge der Kausleute und den Handelsverkehr.
Die ganze Fläche der Stadt umsaßt über 5 ^M., also etwa so viel
wie das ganze Fürstentum Reuß ä. L., und daraus stehen die Häuser
— so viel wie in der ganzen Lombardei —, von der mansion des
Adligen bis zur cottage des Arbeiters. So ist es in Wahrheit das
caput et compendium totius regni, wie es die alten Geographen
nannten, und zwar spiegelt es in seinen einzelnen Stadtteilen die
Zustände und Lebensäußerungen des gesamten Königreichs wieder.
In Westminster und Westend ist es der Sitz des Hoses und des
Parlaments, in der City vereinigt es den Großhandel, in South-
wark ist es Fabrikstadt und in Eastend der erste Seehasen des Landes,
der mehr Kaussahrteischisfe besitzt als ganz Frankreich. Natürlich
sehten auch nicht die Schattenseiten einer so riesigen Menschen-
* „Der Städte Pracht vor Handel glänzt,
Ja dir nur lauscht das Meer — dir nur,
Und jeder Strand, der es umkränzt!" in der Nagelschen Ubersetzung.
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Extrahierte Ortsnamen: Sydenham Paris London England Westminster Westend Eastend Frankreich
— 13 —
anhäufung. Man hat behauptet, daß es vielleicht niemanden gäbe,
der alle Straßen und Viertel von London gesehen hatte, und der
Kohlendampf, für den in der schweren, nebligen Luft gar kein rechter
Abzug vorhanden ist, hat namentlich im Herzen der Stadt alles wie
mit schwarzem Lack überzogen, so daß Kuppel und Schiff der präch-
tigen Paulskirche trotz aller Reinigung und Wäsche einen recht ver-
räucherten Eindruck machen. Und dazu überkommt den Fremden das
Gefühl der trostlosen Vereinsamung. „Die Ausdehnung, die Un-
erschöpflichkeit Londons, die Unmöglichkeit, das Ende zu erreichen,
und wenn man auch meilenlang sortgeht, bringt es mit sich, daß
der Fremde sich in dieser Stadt so unheimlich einsam suhlt." Die
Orientierung ist ja natürlich auch nicht leicht; giebt es doch 37 Königs-
straßen, 10 Wellingtonplätze und 30000 Londoner, die den Namen
Smith führen. Nirgends findet sich daher auch ein solches Massen-
elend wie gerade in London, und schon vor 50 Jahren zählte man
über 30000 Menschen, die keine bestimmte Beschäftigung oder nach-
weisbare Existenzmittel hatten. Während also in der Regentsstreet
die prachtvollen Läden alle Reichtümer der Erde aushäusen, während
über die Londonbridge täglich eine Menschenmasse flutet, die man
aus 120000 berechnet, neben 20000 Fuhrwerken, sterben zahlreiche
Menschen den Hungertod, und namentlich um die Weihnachtszeit werden
überall in Lmnpen oder Zeitungspapier gewickelte Pakete aufgelesen,
die ausgesetzte Kinder enthalten; durchschnittlich im Jahre 3000.
Diese letzte Betrachtung leitet dazu über, daß sich auch in dem
Gesamtbilde, das wir hier zum Schlüsse von dein heutigen glänzenden
Kulturzustande Englands entwersen müssen, neben den unleugbaren
Lichtseiten tiese Schattenseiten finden werden.
Was zunächst den Zustand der Landwirtschaft betrifft, so ist ja
der Eindruck der landschaftlichen Bilder in den ebenen Partieen ein
überaus wohlthuender und anmutiger, und das Nationallied rühmt
in einem seiner Verse, to thee (o Britannien) belongs the rural
reign. Die östliche Ebene Englands ist „ein reiches Getreide- und
Wiesenland, unübertroffen an Fruchtbarkeit des Bodens und an
Sorgfalt und Mannigfaltigkeit des Anbaus". Die Abgrenzungen
der Felder aus lebendigen Hecken (fences) geben der landschaftlichen
^cenerie etwas ungemein Freundliches, und die überall befindlichen
Baumgruppen, die den Wald anderer Länder ersetzen müssen, ver-
schaffen Englands Bodenverhältnissen den Charakter des Parkartigen.
Hierzu kommt die mit Recht bewunderte Viehzucht. Berühmt sind
die Wagenpferde aus Aorkshire, die Schinken aus Westmoreland, die
irischen Rinder und die schottischen Schafe. Aber es fehlt auch nicht
an manchen Zügen, um uns dies Bild nicht allzu rosig erscheinen
zu lassen. Das Zauberhafte des ganzen Eindrucks wird doch recht
beeinträchtigt durch die Eigenart des Klimas. Der Golfstrom, der
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Extrahierte Personennamen: Smith
Extrahierte Ortsnamen: London Londons London Lmnpen Englands Britannien Englands Englands Westmoreland
— Ig —
Was hat denn die nordamerikanischen Kolouieen Englands zur
Losreißung vom Mutterlande getrieben? Die Hartherzigkeit der Eng-
(ander, die die Kolonie im steten Zustande der Unmündigkeit erhalten
wollten und ihr einen Anteil an der Steuergesetzgebung und am
Parlamente verweigerten. Und heutzutage erleben wir in den Zu-
ständen Irlands noch schreiendere Mißstände. Schon seit alter Zeit
befindet sich Grund und Boden in Irland in englischen Händen.
Während aber die englischen Grundherren das System des absenteeism
befolgen, also sich aus ihren Gütern weiter nicht blicken lassen, haben
sie ihren Besitz in Pachtungen ansgethan und ost sogar ihre Äckereien
an die conacre-men nur sür eine Ernte vergeben. Diese landwirt-
schastliche Gepslogenheit sührt zum Elend und zur Verarmung des
ganzen Jrenlandes. Paddy — so nennt man den irischen Bauer
wegen des häufig vorkommenden Vornamens Patrik — mit seinen
wunderbar zersetzten Kleidern, den schwarzen Hut, cauleen, der so-
zusagen die Nationaltracht bildet, aus dem Kopse, schart sich in seinen
elenden mudcabins ^Lehmhütten) um das Torsseuer und führt das
denkbar genügsamste und armseligste Dasein. Natürlich ist aber in
den letzten Zeiträumen das Bewußtsein, zu einer ganz unwürdigen
Existenz verdammt zu sein, mehr und mehr in den Kopsen der cel-
tischen Ureinwohner der Insel ausgedämmert, und zweierlei Folgen
haben sich aus dieser politisch-socialen Lage eigenster Art ergeben.
Die Iren sind entweder ausgewandert und bilden jetzt in den Ver-
einigten Staaten Amerikas einen starken Bruchteil der Bevölkerung,
während die Einwohnerzahl Irlands bei jeder Volkszählung einen
erheblichen Rückgang ausweist, — oder die uuzusriedeuen Bewohner
der Smaragdinsel stiften geheime Verschwörungen an und nehmen
ihre Zuslucht zu scheußlichen Verbrechen. So hat sich der unheim-
liche Bund der Ferner gebildet, die sich nach einem gälischen Helden
also nennen, und Tipperary, als the golden vale wegen seiner Frucht-
barkeit und Anmut gepriesen, hat vielleicht gerade darum den Fluch
aus sich nehmen müssen, als „klassischer Boden der agrarischen Mord-
thaten" bezeichnet zu werden.
Wir kommen zu dem dritten Ruhme Englands, ein besonders
ausgebildetes Land der Industrie und vorgeschrittensten Technik zu
sein. Und wirklich berichten ja die Zeitungen fast jährlich von
staunenswerten Betätigungen des erfinderischen Menschengeistes in
Bezug auf Riesenbauten und geschickte Benutzung der maschinellen
Kräfte; da werden in turmhohen Eisenbahnbrücken Meeresarme über-
spannt, wie beim Tay^ und in der Britanniabrücke; 2 in Glasgow,
„der Geburtsstätte der Dampsmaschinen," zeigt man als höchstes Bau-
1 die Hängebrücke von Cliston (Bristol) über den Avon, über 80 m hoch.
2 zwischen Wales und Anglesea über die Menai Stroits, 32 in über dein
höchsten Wasserstande.
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Extrahierte Personennamen: Paddy_— Menai_Stroits
Extrahierte Ortsnamen: Englands Irlands Irland Amerikas Irlands Englands Glasgow Bristol Wales
— 17 —
werk den Schornstein einer chemischen Fabrik mit 160 m, und im
Schiffsbau und in den Armstrongkanonen galt Britannien lange Zeit
als führende Meisterin der vervollkommneten Technik. ^ Aber mehr
und mehr sängt dieser Ruhm an zu erblassen. Noch in den Zeiten,
die der Aushebung der napoleonischen Kontinentalsperre folgten,
überschwemmten die englischen Fabrikwaren bis zur Unerträglichst
den deutschen Markt, und in Birmingham, dem „^.andladen der
Welt", war alle mögliche Fabrikation vertreten, vom Luxusgegenstand
bis zum Regenschirm und zur Stecknadel. Doch heute haben die
ausländischen Jndustrieen sich gewaltig emancipiert. Von der ameri-
kanischen zu geschweigen, ist vor allem die deutsche Fabrikation der
englischen dicht aus den Fersen, und das made in Germany ist zum
ehrenvollen Zeugnis geworden sür deutschen Gewerbsleiß und deutsche
Energie in Bezug aus Handel und Vertrieb.
Wir müssen aber noch eine andere Schattenseite des englischen
Jndustrielebeus berühren. Man hat dem englischen Volkstum vor-
geworfen, in der Zeit seiner neuesten ruhmwürdigen Entwickelung
zu sehr den Krämergeist und engherzigen Egoismus spüren zu lassen;
Egoismus an und sür sich könnte ja nicht so ohne weiteres dem
Volke zum Vorwurf gemacht werden, gehört vielmehr zu den berech-
tigten nationalen Eigentümlichkeiten. Jeder Engländer ist, wie man
das glücklich gesagt hat, „eine Insel sür sich". Seine Vorliebe für
sein eigenes Besitztum ist bekannt; das my liouse is my Castle
kennzeichnet dieses stolze Glück und diese Freude an seinem Eigen-
tum, die Behaglichkeit, sich auszuruhen an seiner fire side. Und
alles in der Häuslichkeit soll gediegen sein, namentlich nach dem
Grundsatz: Der Mensch ist, was er ißt, die Leibesnahrung, in der
die krästigen Beefsteaks und mutton chops (Hammelrippchen) eine
Hauptrolle spielen. Diese Lebensweise und Ernährung hatte schon
dem alten Justus Moser imponiert, und er vergleicht, als er von
der kolossalen Sprunggelenkigkeit der Eimbern berichtet, mit dieser
Virtuosität der Vorfahren das fleifchgenährte und sportssrohe Eng-
ländertum in seiner Zeit, wobei er mit etwas geringschätzigem Seiten-
blick aus die Ernährung seiner Landsleute hinzufügt: Rübenfresser
schickten sich dazu nicht lnämlich zu so staunenswerten Sprung-
leistungen). Wenn also der Engländer weltbekannt ist in der Pslege
und Ausgestaltung einer behaglichen Häuslichkeit, so hat sich in diese
Richtung aus das persönliche Wohlbesinden allmählich ein kalter
Geschäftsgeist eingeschlichen, der sich allzuwenig um das Wohl seiner
Mitmenschen kümmert. Allerdings sind ja noch immer das gewaltige
Greenwichspital sür die alten Seeleute und die Westminsterabtei mit
1 „Das ganze Land erscheint wie ein großer, dicht mit Geleisen belegter
Bahnhof".
Hanncke, Erdkundl. Aufsätze. Ii. 2
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— 19 —
bare Erzählung vom Robinson, und es folgten jene Romane teils
sentimentalen, teils humoristisch-satirischen Charakters, die allerwärts
bewundert und nachgeahmt wurden. Um die Mitte des 18. Jahr-
Hunderts begann auch die deutsche Muse sich zu regen;
stolz auf die kühne, stolzer auf sich, beinaß
die hohe Britin — dich Tuiskone
singt Klopstock in den „beiden Musen". Also wohlgemerkt, .unsere
deutschen Schriftsteller fühlten ihre Abhängigkeit von den englischen
Vorbildern, und Lessing warf zuerst den Feuergedanken in die Seelen
des jungen litterärischen Deutschlands, daß Shakespeare unser drama-
tisches Muster sein müsse und nicht die angebeteten Franzosen. —
Auch im neunzehnten Jahrhundert haben zwei englische Schriftsteller
den Löwenanteil davongetragen in der Befriedigung des Lesedurstes
und gespannten Interesses für ein größeres Publikum, nämlich
Walther Scott und Dickens (Voz). Die historischen Romane des
schottischen Dichters von Abbotsford erregten namentlich in Deutsch-
land großes Aufsehen und riefen eine ganze Schule deutscher Dichter
ins Leben, wie man denn z. B. von einem brandenburgischen Walther
Scott spricht (Willibald Alexis) ^ und „viele Stoffe der Romane zu
bekannten Operntexten verwertet hat. Ähnlich hat Dickens mit seinen
Erzählungen den größten Beisall gefunden, und die komischen Figuren
der Pikwickier sind in beiden Hemisphären der Welt viel belacht
worden. Aber dennoch hat im 19. Jahrhundert das Interesse für
die schöngeistige Litteratur Englands deutlich abzuebben begonnen,
und es ist so, als ob diese Minderung der Teilnahme zeitlich ziem-
lich zusammenträfe mit dem Besuche, den der begeisterte englische
Dichter Thackeray bei unserem Dichterfürsten Goethe machte. Die
deutsche Litteratur hatte jetzt volles Genüge an ihrer klassischen Periode,
und auch die Epigonen ließen sich im Geschmacke des größeren Publi-
kums nicht mehr verdrängen.
Gleichermaßen zählt England in den Wissenschaften und den
technischen Ersindungeu die erleuchtetsten Geister. Eine besondere
Pflege fand das Gebiet der Geschichte. Gibbon, Groote, Carlyle
schufen viel bewunderte Werke, und namentlich die archäologische
Forschung verdankte dem Reichtum und Ansehen des Weltreiches
eine ungeahnte Förderung, wie das die Ausgrabungen in Niniveh
und die ägyptologischen Studien ergaben. Desgleichen wurde die
Volkswirtschaft neu angebaut; ich nenne nur Malthus. Ebenso haben
die exakten Wissenschaften in ihren verschiedensten Abstufungen in den
Engländern ganz ausgezeichnete Vertreter gefunden. Die Erdkunde
ist durch die mit beispiellosem Mute unternommenen Forscherreisen zu
1 Ernst Wichert wird von Gottschall „der Walther Scott Ostpreußens" genannt.
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Extrahierte Personennamen: Robinson Lessing Walther_Scott Dickens Walther
Scott Willibald_Alexis Dickens Thackeray Goethe Malthus Ernst_Wichert Ernst Gottschall Walther_Scott_Ostpreußens"
Extrahierte Ortsnamen: Deutschlands Deutsch- Englands England Niniveh
— 24 —
und schon darin wird ein Faktor der Bedeutsamkeit gegeben, daß
Frankreich überhaupt Anteil am Mittelmeer hat, das, Uue es neulich
noch Höckel ausgesprochen hat, als das „interessanteste aller Meere"
bezeichnet werden muß. Die Franzosen hat es daher auch von je
mehr zum Mittelmeer als zum Ocean gezogen, und ihr politischer
Ehrgeiz laust darauf hinaus, das Mittelmeer zu einem französischen
See nmznstempeln.1 Sie haben am afrikanischen Rande wichtige
Kolonieen erworben - und wachen eifersüchtig darüber, daß der Kanal
von Suez ihnen jederzeit offen steht. Die Flotte überhaupt, hat
man gesagt, ist für den Franzosen mehr eine Frage der politischen
Notwendigkeit, und ihn fesselt vor allem sein schönes Heimatland.
Wir wollen uns jetzt diese belle France etwas näher ansehen.
Ein Blick aus die Karte überzeugt uns, daß wir in dem heutigen
Frankreich den Nordwesten von dem Südosten und Süden unter-
scheiden müssen. Dort haben wir Getreide- und Waldboden, hier
von Burgund bis Bordeaux die Rebenzucht, wozu noch im Süden
die Pflege des Maulbeerbaums, der Olive hinzutritt, so daß Seide,
Ol und Südfrüchte als einheimische Erzeugnisse in Betracht kommen.
Dort herrscht die Sprache langue d'oni, hier gilt die langue d'oc,
die provenyalische Mundart: dorthin sind Franken eingewandert, hier
sinden wir Burgunden und Westgoten als älteste germanische Zuzügler
vor; dort ist kirchliche ^Einheit vertreten gewesen unter dem rex
christianissimus oder tres chretien, hier hat sich seit den Zeiten der
Albigenser und Reformierten die Ketzerei geltend gemacht. Die Haupt-
fache aber ist, daß sich von der breit gelagerten Ebene des Nord-
Westens, ebenso hier wie in England und Deutschland, die monarchische
Einheit des Landes vollzogen hat. Dank solchen energischen Königen
wie Ludwig Xi. und Ludwig Xiv. und den allgewaltigen Ministern
Richelieu und Mazarin hat sich Frankreich zu einem geschlossenen
einheitlichen Staatsgebilde entwickelt und seine politisch überlegene
Stellung sehr auf Kosten des zersplitterten Deutschlands ausgenutzt.
Die schroff durchgeführte Centralifierung in Frankreich schließt nicht
aus, daß wir innerhalb des Landes sehr verschiedenartigen territorialen
Typen begegnen.
Wenn wir nun diese einzelnen Landschasten charakterisieren wollen,
so sehen wir ab von den Territorien, die erst seit wenig über 40 Jahren
sranzöfifch geworden sind, von Savoyen und Nizza. Dort haben..wir
Europas Eisriesen, den Mont Blanc mit seiner unwirtlichen Ode,
hier den entzückendsten Küstenstrich der Riviera mit seinen Palmen
und Agaven. Wir wenden uns zu älterem sranzösischen Besitztum
und beginnen zunächst mit dem Südosten Frankreichs. Das sran-
1 Wecken der Freundschaft mit Italien wurde es auch jüngst genannt: das
lateinische Meer par excellence.
2 Deren Gebiet sich jetzt bis zum Kongo erstreckt.
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Extrahierte Personennamen: Ludwig_Xi Ludwig Ludwig_Xiv Ludwig
Extrahierte Ortsnamen: Frankreich Suez Frankreich Burgund Bordeaux England Deutschland Frankreich Deutschlands Frankreich Nizza Europas Frankreichs Italien
Herz des Reiches".- Es hat übrigens früher lebhafte Beziehungen
zu dem oberrheinischen Deutschland unterhalten, und die Bildsäule
des „von Allemand" ist ein Zeugnis für die dankbare Pietät der
Bewohner. — Westwärts von Lyon liegt der große Kohlenbezirk,
und mitten in ihm St. Etienne, das Birmingham und Sheffield
Frankreichs. Hier werden Metallgeräte gearbeitet und namentlich die
Waffen geschmiedet für die französische Armee; hier ist aber auch der
Derd der Strikebewegungen und socialdemokratischen Umtriebe. —
Nördlich von Lyon zieht sich die Saone aufwärts und an den Berg-
hängen das Land Burgund mit seinem berühmten Weinwuchs. Das
Gebirge cöte d'or hat ja daher den Namen, daß aus den Reben
Gold über das Land fließt. Die Herzöge von Burgund beherrschten
dies Gebiet, und Philipp den Guten nannte man geradezu den due
des bons vins. Die burgundischen Fürsten haben eine große Nolle
in der Geschichte Frankreichs und Deutschlands gespielt; Karl der
Kühne war der reichste Fürst seiner Zeit, und da Burgunds Herrscher
zugleich die gewerbthätigen Niederlande mit ihrer Wollensabrikation
besaßen, so ist auf sie der Orden des goldenen Vließes zurückzuführen,
der noch heute als einer der vornehmsten der Christenheit anzusehen
ist. Aber noch in einer anderen Beziehung ist das burgundische Land
von mächtigem Einflüsse gewesen; es war das Land der Klöster.
Welche Fülle religiöser Anregungen ist von Cluny ausgegangen! Die
cluniacensische Richtung verinnerlichte das ganze Glaubensleben des
11. Jahrhunderts, ermöglichte demnach die Entstehung der Kreuzzüge,
begründete aber auch zugleich die Anmaßung der hierarchischen An-
sprüche und schus dem deutschen Kaiser die schwersten Gegner und
Kämpfe. Ungleich friedlicher ist der Einfluß, der von Citeaux, der
Heimatsstätte der Cifterzienfermönche, ausging. Aus den weit ver-
breiteten Tochterklöstern dieses Ordens zogen die Pioniere christlicher
Kultur, rationelleren Ackerbaus und vorgeschrittener Gartenpflege oft-
wärts unter die slavischeu Völkerschaften und gewannen z. B. dem
Deutschtum den ganzen Osten seines heutigen Gebietes, die Kern-
lande unseres jetzigen imposanten Kaisertums. Unweit von Citeaux
liegt die clara vallis, wo der heilige Bernhard als Abzweigung des
Ordens das berühmte Clairvaux gründete. Übrigens nennt man in
Frankreich gewöhnlich die Cisterzienser Bernhardiner. Um hier, da wir
gerade von den Klöstern sprechen, auch noch dreier anderer berühmten
Abteien in Frankreich zu gedenken, so liegt in der Perche La Trappe
der strengste Orden der katholischen Kirche, der seinen Bekennern nur
erlaubt den Mund zu öffnen zu dem Todesgruße memento mori,
in den Voralpen bei Grenoble die Karthaufe, das Stammkloster der
Karthäuser, das seit 1819 wieder bewohnt wird, und bei Laon Pr6-
montre, wo Norbert von Tanten die Prämonstratenser stiftete, die
sich in gleicher Weise wie die Cisterzienser um die Verbreitung der
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Extrahierte Personennamen: Etienne Philipp Philipp Karl_der
Kühne Karl Cluny Citeaux Citeaux Bernhard Norbert
Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Lyon Frankreichs Lyon Burgund Burgund Frankreichs Deutschlands Burgunds Niederlande Frankreich Frankreich Perche_La Grenoble Laon