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5.
Der Hirsch an der Quelle.
Im Spiegel einer klaren Quelle erblickte ein Hirsch
sein prächtiges Geweih. "Wie schon ist es doch,>< rief er
bewundernd aus, „gerade auf derselben Stelle steht es, wo
die Königskronen stehn. Schade, daß meine Beine so lang
und dünne sind, die sollten stärker sein, dann wäre mein
ganzer Leib vollkommen."
Indem hört er im nahen Wald den Ton eines Iager-
hornes. Schnell flieht er in das Dickicht; aber hier halt
lein Geweih ihn überall auf, nur seine Beine retten ihn,
und jetzt
lernt er im Fliehn,
Das Nützliche dem Schönen vorzuziehn.
6.
Der Wolf und die Schafe.
Der Wolf wollte mit den Schafen Frieden schließen.
v,Ich bin nicht so grausam, wie ihr meint," sprach er, „die
Hunde haben an allem Schuld; sobald ich mich blicken lasse,
fangen sie an zu bellen, und da glaubt ihr denn, ich sei
euer Feind, und wolle euch etwas zuwider thun. Liefert mir
die Hunde aus, mrd ihr sollt sehen, daß ich euer bester
Freund bin.
Die Schafe ließen sich bethören, und jagten die Hunde
weg. Kaum aber waren diese treuen Wächter entfernt, so
fiel der Wolf in die unbewachte Heerde, und zerriß fo viele
Schafe, als er nur immer verzehren konnte.
Bei aller Unschuld sei auch klug.
Denn groß ist oft der Bösen Trug.
7.
Der Fuchs und der Storch.
Der Fuchs lud einst den Storch 311 Gaste, und Dieser
erschien. Aber das ganze Mahl bestand in flüssigen Spei-
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6
9.
Der Igel und der Maulwurf.
Als der Zgel merkte, daß es kalt wurde, bat er den
Maulwurf um ein Plätzchen in seiner Höhle. "Sieh," sprach
er, „ich bin nur klein, und will mich auch wohl behelfen,
räume mir nur einen kleinen Winkel ein, mich vor der
Kälte zu schützen." Dsr Maulwurf that es, und nahm ihn
in seine Höhle auf. Kaum aber war der Zgel darin, so
machte er es sich bequem, breitete seine Stacheln dergestalt
aus, daß sich sein Wirth überall stach. Er erinnerte ihn
nun an sein Versprechen, aber der Zgel antwortete trotzig:
"Wem es hier nicht gefällt, der mag hinausgehen, ich habe
Platz genug."
Wer sich erwählet einen Freund,
Der seh' zuvor, wie er es meint.
10.
Das Eichhörnchen und der Maulwurf.
"Du armer Schelm da unten in deiner finstern Kluft."
raunte ein Eichhörnchen einem Maulwurfe in sein Loch hin-
ein, "du dauerst mich. Denk' nur, wie gut ich es habe.
Zch habe ein hübsches Häuschen hoch auf einem Baume, be-
schattet von seinen grünen Zweigen, und köstliche Früchte
die Fülle. Kurz ich habe es so gut, du solltest es nur
einmal sehen." — „Kann wohl sein," versetzte der Maul-
wurf; „aber eben, weil ich es nicht sehe, kümmert mich das
nicht, und ich befinde mich. Gottlob, ganz wohl in meiner
finstern Kluft bei meinen Erdwürmern."
Zufriedenheit kennt keine Noth,
Zst fröhlich selbst bei trocknem Brod.
„Aber komm doch einmal hervor aus deinem schmutzi-
gen Loche, finstrer Murrkopf, und nimm meine Herrlich-
keit in Augenschein," fuhr das Eichhörnchen fort. — Der
Maulwurf ließ sich bereden, und ging mit. Zeht stand er
unten am Baum, spähete mit seinen blöden Augen hinauf,
sah das grüne Häuschen, sing au dasselbe zu bewundern, und
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8
12.
Die alte und die junge Schwalbe
"Sieh deinen Vater, sagte eines Tages eine Schwalbe
zu ihrem Kinde, sich seinen Flug! Welche Schnelligkeit!
Eben streift er wie der Blitz über die Oberflache des Teichs
hinweg, und nun schwebt er schon höher als der Kirchthurm
in der Luft. Ahme ihm nach, mein Sohn, suche ihm zu
gleichen!"
„Ach, liebe Mutter, erwiederte die junge Schwalbe, das
ist viel zu schwer für mich, meine Mühe wäre doch nur
vergeblich, und meine Anstrengungen könnten mir sogar ge-
fährlich werden. Wenn ich nur so fliegen lerne wie der
Sperling oder die Ente, das ist genug, ich werde schon so
viel Futter finden, wie ich brauche."
"Muthloser! zürnte die Mutter, wenn man jung ist,
soll man an nichts verzweifeln; selbst der Flug eines Adlers
erscheint dem Muthigen nicht zu hoch; kann er ihn auch
nicht erreichen, so wird er es doch wenigstens versuchen, es
ihm gleich zu thun."
' Wer nicht gebraucht der Jugend Kraft,
Im Alter auch nichts Großes schafft.
13.
Der hungrige Esel am Flrrße.
Der Esel kam an einen Fluß; am andern Ufer bemerkte
ör schöne Disteln, lind da ihn sehr hungerte, so hatte er
große Lust, sie zu fressen; aber, obgleich er schwimmen
konnte, und es nur also an ihm lag, sich ihrer zu bemächti-
gen, so war er doch nach seiner Gewohnheit zu faul dazu.
"Ich will so lange warten, sprach er zu sich jelbst, und
mich an der schönen Aussicht weiden, bis der Fluß vorbei-
geflohen ist." Er blieb den ganzen Tag liegen, der Fluß
hörte aber nicht auf zu fließen. Was sollte er nun machen?
Abgemattet von Hunger konnte er es nicht wagen, hin-
über zu schwimmen, selbst wenn er auch wollte. Traurig
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weibliches Loos in der Jahreszeit sein würde, wo es keine
Blumen mehr giebt.
Schnell flieht die Jugendzeit dahin.
Drum nütze sie mit klugem Sinn.
18.
Die Sonne und die Lampe.
Eine reichlich mit Oel versehene Lampe verbreitete rund
um sich her ein glänzendes Licht, und erhellte das ganze
Zimmer, worin sie stand. Dadurch veranlaßt rief sie aus:
„Wahrlich ich bin eben so hell wie die Sonne! Ja, ich
glaube, mein Licht ist sogar noch glanzender, als das Ihre."
Plötzlich stieß ein heftiger Wind das Fenster auf, und
verlöschte die Lampe. Der Herr des Hauses, welcher ihr
thörichtes' Geschwätz gehört hatte, zündete sie wieder an,
indem er zu ihr sagte: Auf ein andermal schweig von dei-
ner eingebildeten Größe. Hast du je die Sonne am Him-
mel verlöschen sehend
Der Prahler muß beschämt oft schweigen;
Und Hochmuth vor Verdienst sich beugen.
19.
Zeus und das Schaf.
Das Schaf mußte von allen Thieren Vieles leiden.
Da trat es vor Zeus, und bat, sein Elend zu mindern.
Zeus schien willig, und sprach zu dem Schafe: "Ich sehe
wohl, mein frommes Geschöpf, ich habe dich allzu wehrlos
erschaffen. Nun wähle, wie ich diesem Fehler am besten
abhelfen soll. Soll ich deinen Mund mit schrecklichen Zäh-
nen, und deine Füße mit Krallen rüsten?" — „0 nein,
sagte das Schaf, ich will nichts mit den reißenden Thieren
gemein haben." — „Oder" fuhr Zeus fort, soll ich Gift
in deinen Speichel legen?" „Ach," versetzte das Schaf,
„die giftigen Schlangen werden ja so sehr gehaßt." „Nun,
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ivas soll ich denn? Ich will Hörner auf deine Stirn
pflanzen, und Starke deinem Nacken geben." „Auch nicht,
gütiger Vater; ich könnte leicht so stößig werden, wie der
Bock." „Und gleichwohl," sprach Zeus, „mußt du selbst
schaden können, wenn sich andre, dir zu schaden, hüten sol-
len." „Müßt ich das," seufzte das Schaf; „o, so laß mich,
gütiger Vater, wie ich bin. Denn das Vermögen schaden
zu können, erweckt, fürchte ich, die Lust, schaben zu wollen;
und es ist besser, Unrecht leiden, als Unrecht thun." Zeus
segnete das fromme Schaf, und es vergaß von Stund an,
zu klagen.
20.
Der Rabe und der Fuchs.
Ein Nabe hatte ein Stück Käse gestohlen, und setzte
sich damit auf einen Baum, um es zu verzehren. Dies
sah ein Fuchs, und^da er gerne den Raub erhaschen wollte,
uahete er sich dem Baume, und rief aus; „Was bist du
doch für ein schöner Vogel, wie glanzend ist dein Gefieder,
wie majestätisch ist deine Gestalt! Gewiß ist deine Stimme
eben so schön, und dann bist du der Vollkommenste unter
allen Vögeln." Der geschmeichelte Nabe dachte: die kann
ich ihm ja hören lassen; sogleich öffnete er den Schnabel,
und ließ sein Geschrei ertönen, aber in demselben Augenblicke
entfiel ihm der Käse. Der Fuchs erhaschte ihn, und indem
er ihn auffraß, rief er hinauf: Guter Rabe, wenn ich
auch alle deine Eigenschaften lobte, so konnte ich es doch nicht
über mich gewinnen, auch deinen Verstand zu loben."
Die Einfalt wird gar leicht bethört.
Wenn sie auf Schmeichlers Worte hört.
21.
Die drei Go ld fisch lein.
Es wohnten drei Goldfischlein mit ihrer Mutter in
einem steinigen Wasser; die Sträucher beugten sich darüber
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13
her, und das Plätzchen war immer düster und kühl. Aber
weiter unten glänzte die Sonne auf der Oberfläche des Ba-
ches. Da sagten die Goldfischlein oft zu ihrer Mutter:
„Warum bleiben wir denn immer hier oben zwischen den
Steinen, und ziehen niemals hinab, dorthin, wo die Sonne
so hell scheint? Vielleicht ist dort schöner, sandiger Boden."
— Die Mutter aber antwortet: „Es ist nicht alles, wie es
scheint. Jener Platz ist zwar schön, man kann sich sonnen
auf dem klaren Grunde, und man findet auch wohl manches
Würmchen, aber cs wohnt dort auch ein gefräßiger Fisch, vor
dem wir nicht sicher sind, darum bleiben wir hier oben.,, Mit
diesem Bescheide gaben sich die Fischlein wohl zufrieden, aber
sie blickten dennoch oft nach dem schönen Hellen Platze, unten
im Bache.
Als nun eines Tags die Mutter Speise suchen wollte,
sprach sie zu ihren Kindern: „Geht ja nicht aus unsern Stei-
nen hervor, bis ich wieder komme, damit keins von euch
Schaden leide."
Die Fischlein versprachen auch folgsam zu sein, und
gar nicht hervor zu gehen. Als aber die Mtttter weg mar,
und eine Weile ausblieb, sprach das Aelteste der Fischlein:
„Mütterchen bleibt gar zu lange, kommt, laßt uns ein bis-
chen spielen.,, Die andern beiden beriefen sich auf der Mut-
ter Gebot und wollter nicht; aber das älteste Fischlein kehrte
sich nicht daran, schwamm hervor, und spielte nahe an der
Oberfläche des Wassers. Als das zweite Fischlein sein Brü-
derchen so munter herumtummeln sah, konnte es nicht länger
widerstehen, schwgmm auch hervor, und gesellte sich zu sei-
nem Bruder. Beide gewahrten jetzt wieder das schöne, son-
nenhelle Plätzchen unten im Bache. „Wollen wir hinab-
schwimmen? fragte das älteste Fischlein, der große, gefräßige
Fisch wird ja gerade nicht da sein.,, Das schien dem zwei-
ten Fischlein eben auch so, und es folgte dem ältesten Bru-
der. Beide schwammen hinab, aber der große Fisch, ein
Hecht, schoß sogleich hervor, und verschluckte den Aeltesten.
Voll Schrecken und Angst kehrte der Jüngere um, und ent-
kam so mit genauer Noth.
Als nun die Mutter zu Hause kam, und ihres ältesten
Sohnes Schicksal erfuhr, trauerte sie sehr, und warnte, als
sie einst wieder Speise suchen wollte, noch mehr, ja vorsichtig
zu sein, und ja nicht hinter den Steinen hervorzugehen. Eine
kleine Zeit befolgte das zweite Fischsein den Rath der Mut-
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15
des Stromes. Sie achteten es für unnütz, den Hochmüthi-
gen jetzt zu widerlegen, der doch in seinem Unverstände nicht
darauf gehört haben würde, und fuhren fort zu fließen.
Nicht lange nachher entstand aber eine Dürre. Es
regnete in vielen Wochen nicht, die Quellen vertrockneten,
die Bächlein flössen langsamer, und gaben nur ein immer
spärlicheres Wasser, bis auch sie aufhörten zu fließen. Da
bemerkte der stolze Strom eine merkliche Abnahme seines
Wassers; seine Wellen wurden so klein, daß die Schiffe
nicht mehr darauf fahren konnten, sondern müssig am trock-
nen Ufer lagen. Immer mehr schwand seine Kraft, und
er, der sich noch vor kurzem vermessen hatte, Ufer und
Dämme zu zerstören, wich scheu von jeder Seite des Ufers
zurück.
Da rief er den Bächlein zu: „Helft mir! entziehet mir
euer Wasser nicht, ich vergehe!" — „Wir können nicht,"
riefen die Bächlein zurück, „auch unser Wasser ist versiegt."
Endlich hörte die Dürre auf. Es fing an stark und
anhaltend zu regnen. Die Quellen eröffneten sich wieder,
die Bächlein flössen, und führten ihre kleinen Wellen dem
Strome zu, und dieser merkte mit Vergnügen, wie sich nach
und nach sein Wasser vermehrte, die Schiffe vom trocknen
Strande wieder emporgehoben wurden, und das vorige Le-
den zurückkehrte.
„0, wie thöricht war ich doch," rief nun der neube-
lebte Strom, „daß ich auf meine Macht so viel traute, und
die kleinen Bächlein verachtete. Nun habe ich es erfahren,
daß, wenn es den Kleinen am Nothdürftigsten gebricht, auch
die Großen nicht leben können."
23.
Die Geschichte des alten Wolfes.
1.
Der böge Wolf war zu Zähren gekommen, und faßte
den gleißenden Entschluß, mit den Schäfern auf einem güt-
lichen Fuße zu leben. Er machte sich also auf, und kam zu
dem Schäfer, dessen Hürden seiner Höhle die Nächsten waren.
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16
„Schäfer," sprach er, „du nennst mich einen blutgieri-
gen Räuber, der ich doch wirklich nicht bin. Freilich muß
ich mich an deine Schafe halten, wenn mich hungert, denn
Hunger thut weh. Schütze mich nur vor dem Hunger,
mache mich nur satt, und du sollst mit mir recht wohl zu-
frieden sein; denn ich bin wirklich das zahmste, sanftmüthigste
Thier, wenn ich satt bin."
„Wenn dll satt bist, das kann wohl sein, versetzte der
Schäfer. Aber wann bist du denn satt? Du und der Geiz,
ihr werdet es nie. Geh' deinen Weg."
2.
Der abgewiesene Wolf kam zu einem zweiten Schäfer.
„Du weißt, Schäfer," war seine Anrede, „daß ich dir
das Jahr durch manches Schaf würgen könnte. Willst du
mir aber überhaupt jedes Zahr sechs Schafe geben, so bin
ich Zlifriedtn. Du kannst alsdann sicher schlafen, und die
Hunde ohne Bedenken abschaffen."
„Sechs Schafe," sprach der Schäfer. „Das ist eine
ganze Heerde."
„Nun, weil du es bist, so will ich mich mit fünfen
begnügen," sagte der Wolf.
„Du scherzest; fünf Schafe! mehr als fünf Schafe
opfere ich kaum im ganzen Zahre dem Pan."
„Auch nicht vier?" fragte der Wolf weiter, und der
Schäfer schüttelte spöttisch den Kopf.
„Drei? —- Zwei?"-------------
„Nicht ein einziges," siel endlich der Bescheid. „Denn
es wäre ja wohl thöricht, wenn ich mich einem Feinde zins-
bar machte, vor welchem ich mich durch meine Wachsamkeit
sichern kann."
Z.
Aller guten Dinge sind drei, dachte der Wolf und kam
zu einem dritten Schäfer.
„Es geht mir recht nahe," sprach er, „daß ich unter
euch Schäfern als das grausamste, gewiffcnloseste Thier ver-
schrieen bin. Dir, Montan, will ich jetzt beweisen, wie Unrecht
man mir thut» Gieb mir jährlich ein Schaf, so soll deine
Heerde in jenem Walde, den niemand unsicher macht, als ich,
frei und unbeschädigt weiden dürfen. Ein Schaf! Welche Klei-
TM Hauptwörter (50): [T30: [Tier Vogel Mensch Pferd Hund Fisch Thiere Nahrung Eier Wasser], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
18
„Meines Gleichen? Daran zweifle ich sehr. Ich bin
ein so sonderbarer Wolf, daß ich deiner und aller Schäfer
Freundschaft wohl werth bin."
„Und wie sonderbar bist du denn?"
„Ich könnte kein lebendiges Schaf würgen und fressen,
und wenn es mir das Leben kosten sollte. Ich nähre mich
blos von todten Schafen. Ist das nicht löblich? Erlaube
mir also immer, daß ich mich dann und wann bei deiner
Heerde einftnden und nachfragen darf, ob dir nicht —
„Spare deine Worte, sagte der Schäfer. Du müßtest
gar keine Schafe fressen, auch nicht einmal todte, wenn ich
dein Feind nicht sein sollte. Ein Thier, das mir schon
todte Schafe frißt, lernt leicht aus Hunger kranke Schafe
für todt und Gesunde für krank ansehen. Apache auf meine
Freundschaft also keine Rechnung und geh'."
6.
Ich muß nun schon mein Liebstes daran wenden, um
zu meinem Zwecke zu gelangen, dachte der Wolf, und kam
zu dem sechsten Schäfer.
„Schäfer, wie gefällt dir mein Pelz?" fragte der Wolf.
„Dein Pelz? sagte der Schäfer. Laß sehen! Er ist
schön; die Hunde müssen dich nicht oft unter gehabt haben."
„Nun so höre, Schäfer; Ich bin alt, und werde es
nicht lange mehr treiben. Füttre mich zu Tode, und ich
vermache dir meinen Pelz."
„Ei, sieh doch! sagte der Schäfer. Kommst du auch
hinter die Schliche der alten Geizhälse? Nein, nein, dein
Pelz würde mir am Ende siebenmal mehr kosten, als er
werth wäre. Ist es dir aber ein Ernst, mir ein Geschenk
damit zu machen, so gieb mir ihn gleich jetzt. Hiemit griff
der Schäfer nach der Keule, und der Wolf entfloh.
7.
O, die Unbarmherzigen! schrie der Wolf, und gerieth
in die äußerste Wuth. So will ich auch als ihr Feind
sterben, ehe mich der Hunger tödtet, denn sie wollen es
nicht besser!
Er lief, brach in die Wohnungen der Schäfer ein, riß
ihre Kinder nieder, und ward nicht ohne große Mühe von
den Schäfern erschlagen.
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19
Da sprach der Weiseste von ihnen: Wir thaten doch
wohl Unrecht, daß wir den alten Räuber auf das Aeußerste
brachten, und ihm alle Mittel zur Besserung, so spät und
erzwungen sie auch war, benahmen.
24.
Der Nangstreit der Thiere.
(In vier Fabeln.)
1.
Es entstand ein hitziger Nangstreit unter den Thieren.
Ihn zu schlichten, sprach das Pferd: „Lasset uns den Men-
schen zu Rathe ziehen, er ist keiner von den streitenden Thei-
len, und kann desto unpartheiischer sein."
„Aber hat er auch Verstand dazu, ließ sich ein Maul-
wurf hören. Er braucht wirklich den Allerfeinsten, unsere
oft tief versteckten Vollkommenheiten zu erkennen.,,
„Das war sehr weislich erinnert!" sprach der Hamster.
„Za wohl! rief auch der Igel. Ich glaube es nimmer-
mehr, daß der Mensch Scharfsinn genug besitzt."
„Schweigt ihr! befahl das Pferd. Wir wissen es
schon: wer sich auf die Güte seiner Sache am wenigsten
zu verlassen hat, ist immer am fertigsten, die Einsicht seines
Richters in Zweifel zu ziehen."
2.
Der Mensch ward Richter. — „Noch ein Wort, rief
ihm der majestätische Löwe zu, bevor du den Ausspruch
thust! Nach welcher Regel, Mensch, willst du unsern Werth
bestimmen?,,
„Nach welcher Regel? Nach dem Grade, ohne Zweifel,
antwortete der Mensch, in welchem ihr mir mehr oder we-
niger nützlich seid."
„Vortrefflich! versetzte der beleidigte Löwe. Wie weit
würde ich dann unter den Esel zu stehen kommen! Du
kannst unser Richter nicht sein, Mensch! Verlaß die Ver-
sammlung."
2*
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T30: [Tier Vogel Mensch Pferd Hund Fisch Thiere Nahrung Eier Wasser], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T94: [Herr Tag Haus Kind Brot Geld Leute Mensch Hund Mann], T98: [Volk Land König Krieg Zeit Feind Mann Macht Freiheit Kaiser]]
TM Hauptwörter (200): [T195: [Pferd Tier Hund Schaf Löwe Wolf Rind Mensch Schwein Thiere], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze], T173: [Sprache Wort Name Schrift Zeit Buch Form Kunst Art Werk], T59: [Tod Leben Volk Herz Freund Mann Wort König Tag Feind], T33: [Gott Liebe Mensch Herz Leben Volk Ehre Vaterland gute Zeit]]