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I. 2. Scheppig:
einer Betrachtung des weltgeschichtlichen Entwickelungsganges will er die Be-
deutung des Christentums im Gegensatze zum Heidentum darlegen. In groß-
artiger Weise faßt er die beiden als das himmlische und das irdische Gemein-
wesen. Beider Ausgang liegt im Jenseits. Der Gottesstaat beginnt mit der
Schöpfung der Engel — der Abfall eines Teils derselben, die als Dämonen
das Prinzip des Heidentums werden, begründet den irdischen oder Teufelsstaat.
Innerhalb der Menschheit vollzieht sich die Scheidung durch den Sündensall
und die Gnadenwahl. Gottesliebe bis zur Verachtung des eigenen Selbst, nur
bei Gott gesuchter Ruhm, Frömmigkeit auf dieser, Selbstliebe bis zur Ver-
achtung Gottes, Sucht nach Ruhm bei den Menschen, Menschenweisheit auf der
andern Seite, — das sind die Kennzeichen der beiden Gemeinwesen, deren eines
Abel, deren anderes Kain eröffnet. Bis zur Sündflut als Kindheit, bis
Abraham als Knabenalter, bis David und bis zur babylonischen Gefangenschaft
als erste und zweite Stufe der Jugend entwickelt sich der Gottesstaat in den
Auserwählten, die von Abel bis auf Moses das Zeitalter des Naturgesetzes,
von da ab das des jüdischen Gesetzes repräsentieren und den Welterlöser vor-
bereiten: in den großen Weltreichen das durch seinen Egoismus in Sieger und
Besiegte, in Herrscher und Beherrschte gespaltene irdische Gemeinwesen, dem
Augustinus nur geringe Aufmerksamkeit schenkt. Dann folgen die beiden letzten
Weltalter, das erste bis zu Christi Geburt, dem Mittelpunkt der Weltgeschichte,
das zweite als Geschichte des neuen Jerusalems, der christlichen Kirche. Das
höchste Gut ist das ewige Leben, das höchste Übel der ewige Tod: so liegt
das Endziel der beiden Gemeinwesen im Jenseits, in dem die beiden hienieden
verflochtenen mit dem jüngsten Gerichte aufgehen zu ewiger Trennung.
5 Diese Ansichten beherrschten das Mittelalter. Noch einmal schrieb ein
Mönch und ein Fürst ein Buch von den zwei Staaten; doch auch Otto
von Freising, nachdem er von dem Elende erzählt hat, das die Menschheit
seit dem Sündenfall verfolgt, sieht für die Kinder Gottes keinen Ausweg als
in der Annahme des baldigen Endes. Wohl regte sich der Widerstand des
weltlichen Elements gegen das Übergewicht des geistlichen: aber es erlag wie
im Schnee vor Kanossa und im Schlachtgetümmel bei Legnano, so vor dem
Senken der Fackeln des fluchsprechenden Konzils von Lyon. Erst eine neue große
Bewegung der Geister führte auf eine andere Bahn. Es ist der erste Humanist,
Dante, der den hohen Gedanken faßte, daß es auch eine gottgewollte Seligkeit
des Diesseits gebe, statt des Teufelsstaates ein Gottesreich auf Erden. Wohl
scheint ihm die Welt aus den Fugen, aber sie ist es, weil die Macht des
Kaisertums gebrochen und das Papsttum darum durch Verweltlichung entartet
ist. Das Kaisertum, das ebenso von Gott ist wie die Kirche, muß daher wieder
hergestellt werden und das Papsttum in die Schranken des geistlichen Berufs
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Extrahierte Personennamen: Scheppig Abel Abraham David David Christi Otto
Die Bewegung der Geschichte.
19
Macchiavelli, daß die Staatsformen, auf die allein er sein Augenmerk richtet,
auch innerhalb desselben Geschichtskreises wieder in sich zurücklaufen; aber auch
er hebt hervor, daß so gut wie kein Staat so lange vor der Zerstörung durch
Zusammenstoß bewahrt werde, um an sich selbst diese innere cyklische Bewegung
durchzumachen, und klar erscheint der Grundsatz bei dem klassischen Vertreter
der Cyklus-Theorie, bei Vico. Zudem kann diese Bewegung innerhalb der
einzelnen getrennten Verläufe zunächst dahingestellt bleiben: sei sie ein Hernb-
sinken von ursprünglicher Herrlichkeit, wie die Inder meinten, sei sie aufwärts
gerichtet, sei sie nach Macchiavellis Vorstellung selber wieder cyklisch — immer
bleibt geleugnet, daß die ganze menschliche Entwickelung einen Verlauf bildet
oder auch nur mehr und mehr zu bilden beginnt. Dies ist also der Punkt,
auf den sich die Prüfung zu richten hat.
Leicht war die Erdrückung eines Kulturnnfangs, so lange er, gepflegt 8
von wenigen, beschränkt auf geringen Raum, vereinzelt inmitten einer ihm
feindlichen Welt erschien. Sicher ist vielmals ein Licht aufgeblitzt und wieder
erloschen, ehe die Flamme sich entzündete, die, durch feindliche Stürme mehr
als einmal fast ausgeweht, von der heutigen Menschheit genährt wird. Und
doch sind ans verschiedenen Erdstellen, wo die Natur befähigtere Rassen unter
günstige Bedingungen stellte, Kulturen erwachsen, die Hunderte von Millionen
auf lange Zeit weit hinaushoben über den Zustand ihrer Umgebung. Von
den Ufern des Ganges, von dem chinesischen Niederlande, von den Hochebenen
des westlichen Amerika, vom Zweistromlande und von der schwarzen Erde,
die der Nil gespendet, flössen auch Einwirkungen aus, die über die Grenzen
des Gebiets der Begründer und Träger dieser Kulturen hinauöreichten; aber
eigentlich nur die letzten beiden ließen wesentliche Elemente eingehen in eine
Entwickelung, die so weit greifen sollte, daß sie auch die andern zu erobern
versuchen konnte. Von ihnen ausgehende Kulturreize trafen das empfängliche
Griechenvolk und in raschem Wachstum hob sich die ausgestreute Saat. Bald
konnten die Schüler ihre Lehrmeister als Barbaren verachten, nachdem sie
deren Reichen ihren Staat, deren wüster Symbolik ihre klassische Kunst, deren
Theosophie ihre Weltweisheit entgegengestellt hatten. Das ägäische Meer ist
das Centrum ihres irdisch bedingten Lebens. Nicht darum über die rauhen
Scheidegebirge gegen den Jnnerkontinent hinaus, sondern durch die Furchen
der heiligen Salzflut trugen sie ihre Bildung weiter. Wo imnier an den
Küsten des einst wilden Pontos, den sie zur gastlichen See machten, und des
Mittelmeeres sie das Feuer der heimischen Altäre auflodern ließen, ward es
Licht und verbreitete sich die milde Wärme des Hellenentums.
Aber andere Kräfte regten sich, ein anderes Volkstum erwuchs hinter 9
ihnen, das sie nur als einen veredelnden Blutstropfen in sich aufnahm. Die
2*
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Die Bewegung der Geschichte.
21
müssen. Von dein bekehrten England aus ward das früh christianisierte Irland
der römischen Kirche gewonnen, Deutschland ketteten Bonifatius und Karl an
sie. Nach Skandinavien zog Ansgar und streute die Saat, die dann politische
Veränderungen zum Reifen brachten. Die Westslaven fügten sich ein, wie die
germanische Eroberung vorschritt; die nordöstlichen Stämme, von denen fast
nur der Bernsteinhändler den Römern Kunde gebracht, wurden durch ritterliche
Thaten dem Kreuze unterworfen. Von Byzanz aus pflanzte sich das Christentum
in das alte Sarmatenland fort, die neuen Völker der Donauländer erhielten es
von Ost und West zugetragen. Trotz Justinian, trotz Karl und seinen Erben
gelang es keiner staatlichen Gewalt, diesen Völkerkreis ganz zusammenzufassen.
Aber die christliche Kirche that es, wenn sie gleich, wie einst das römische
Reich, nachmals in zwei Hälften sich spaltete. Ein neues Bürgerrecht kam
auf: in der Kirche waren die Bekenner gleich und ein Richter machte dasselbe
Gesetz geltend gegen den mächtigen König wie gegen den draußen verachteten
Leibeigenen. Wohl überflutete der Völkersturm des Islam Vorderasien, Nord-
afrika, die iberische Halbinsel; aber die Kirche war stark genug, in den Kreuz-
zügen sogar die Wiedereroberuug des Ostens zu versuchen.
Wie eine Fortsetzung der Kreuzzüge erscheint die Entdeckungs- und Er-
oberungszeit, die darauf die Bildung einer neuen noch viel umfassenderen
Völkergemeinschaft eröffnet. Derselbe Geist, der die Kreuzfahrer beseelt hatte,
führte die Portugiesen an die afrikanische Küste und gab Colon den Mut zur
Fahrt über den uferlosen Ocean. Aber gewaltiger und dauernder war der
Erfolg. Was das Mittelmeer den Vorfahren gewesen, das ward der atlantische
Ocean den neuen Generationen. Wohl dachten die Eroberer und Kolonisten
zunächst nur daran, jenseits des Meeres ein neues Mutterland zu gründen,
das sie ängstlich vor der Berührung mit anderen Nationen abschlössen. Der
Hidalgo schuf ein neues Spanien, der Angelsachse nahm im Kampf mit der
Natur der Wildnis gleichsam das altdeutsche Leben wieder auf und, geflüchtet
um seine religiöse Überzeugung zu retten, gründete der Puritaner rein kon-
fessionelle Staatswesen. Aber weit darüber hinaus wurden sie gedrängt. Mit
der Abhängigkeit fiel die Abgeschlossenheit, aus dem Zusammenstrom der Völker
bildete sich ein Kolonialtypus, in dem das angelsächsische Element siegreich, aber
doch modifiziert ist. In raschem Schritt ist in unserm Jahrhundert die Koloni-
sation des nördlichen Kontinents über den Mississippi, durch die Prärien und
über die Felsengebirge zum stillen Ocean gedrungen, dessen entgegengesetzte
Ufer inzwischen schon von der anderen Seite her durch europäische Besiedelung
erreicht waren — im Süden in Australien, das Südasien und Südafrika mit
dem Mutterlande verbinden, im Norden durch die feste Kette von Stationen,
welche die Russen durch das beherrschte Nordasien gelegt haben. Auf den
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Extrahierte Personennamen: Karl Karl Ansgar Karl Karl
Extrahierte Ortsnamen: England Deutschland Skandinavien Byzanz Ost Hidalgo Spanien Australien Südafrika Nordasien
22
I. 2. Scheppig:
12
Inseln des großen Oceans erheben sich die Flaggen der europäischen Nationen,
die den Augenblick erwarten, wo der atlantische Ocean einen ebenbürtigen
Rivalen im Völkerverkehr erhält.
So steht die moderne europäische Kultur auf gewaltigem Raume da.
Schon ist, wenigstens in den äußersten Umrissen, umspannt, was das klimatische
Gesetz zu umspannen erlaubt. Sie wird getragen von Zahlen, wie sie weder
der Bereich der römischen Herrschaft, noch auch der der mittelalterlichen Kirche
gekannt hat. Ist es wahrscheinlich, daß die Draußenstehenden imstande sein
werden, sie zu zerstören? Noch sind sie in der Mehrzahl; auch eine selbständige
Kultur besitzt ihre größte Gruppe und was die Mongolen in spasmodischem
Drange vermögen, lehrt die Geschichte. Dennoch fürchtet niemand mehr im
Ernst, daß die europäische Völkergemeinschaft auch nur so weit überrannt
werden könne, wie das römische Reich von den Germanen. Ganz andere Mittel
zur Verteidigung als die alte hat die moderne Kultur ihren Söhnen in die
Hand gegeben und nicht mehr durch bloße physische Kraft, sondern erst, wenn
sie von ihr gelernt haben, können die Gegner ihr gefährlich werden. Teile
des Ganzen mögen immerhin für eine Zeit wieder abgerissen werden: wie
viele Glieder müßten aber verstümmelt sein, um dem Gesnmtkörper das Fort-
leben unmöglich zu machen! — Und nicht bloß ausgedehnt in Gebietsraum
und Zahl ist die moderne Völkergemeinschaft — es ist auch eine Enge der
Vergesellschaftung bei ihr eingetreten, wie sie die älteren Völkerkreise nicht
kannten. Weit liegen ihre Gebiete auseinander; aber menschliche Thatkraft und
Erfindsamkeit hat die Entfernungen wirksam zu verringern gewußt. Durch
Kanäle werden die Erdteile auseinander gerissen, um dem Seeverkehr kürzere
Bahnen zu eröffnen, Schienenwege legen sich über die Kontinente und über-
schreiten in schwindelnden Höhen oder durch lange Tunnel einst hemmende
Gebirge — auf Meer und Land führt die gebändigte Dampfkraft den Menschen
und seine Güter in sausender Eile dahin, während der elektrische Funke seinen
Gedanken mit Blitzesschnelle voranträgt. Viele und verschiedene Völker bilden
die große Gemeinschaft; aber der große Strom der europäischen Kultur, in
dem sie stehen, macht sie unter sich ähnlicher als die einzelnen ihren Vor-
fahren sind. Keine gemeinsame Kirche hegt sie in ihrem Schoße; aber wenig-
stens der Gedanke des Christentums ist Gemeingut geworden, der allen
Menschen Menschenrecht gewährleistet. Kein Staat oder Staatenbund eint
sie politisch, aber der lebhafteste Verkehr hat, wie vordem im Einzelstaat, eine
Arbeitsteilung geschaffen, die mehr und mehr zur Weltwirtschaft führt und
damit, als stärkstes Bindemittel, eine Interessengemeinschaft stiftet, die den
Schaden des einzelnen zum Schaden aller macht. Diese zunehmende Enge der
Vergesellschaftimg macht in immer höherem Grade eine Zerstörung durch innere
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I. 3. Ernst Curtius: Der Wettkampf.
27
ein Ziel gesetzt sein wird. Nur soviel ist sicher: auch die Betrachtung der
Thatsachen, wie sie in dem übersehbaren Stücke der Menschengeschichte vor-
liegen, zeigt eine aufwärts gerichtete Bewegung.
Ist es aber so, dann kann auch der Wert der geschichtlichen Arbeit 18
nicht fraglich sein. Nicht an einem festliegenden Rade dreht der geschichtliche
Held, nicht den traurigen Weg zum Verfall leitet er, sein Banner trägt die
Inschrift: „Excelsior.“ Im Wettkampf der Nationen wird nach dem Fort-
schritt der Menschheit gerungen. Für die Menschheit hat also gearbeitet, wer
eine Nation so geeint hat, daß sie ihrer eigenen Kräfte sicher als Mitstreiter
eintreten kann in die große Arena. Darum freuen wir uns, daß wir einen
solchen Helden den unseren nennen können, freuen uns immer von neuem,
wenn der Tag wiederkehrt, an dem er uns einst geschenkt ward, und aus
vollem Herzen rufen wir: Unser Kaiser und König Wilhelm, er lebe hoch!
3.
Dev Wettkampf.
Von Ernst Cnrtius.
Altertum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Erster Band,
3. Aust. (Berlin 1882). S. 132 —147. Die Rede ist gehalten in Göttingen
4. Juni 1856.
Sie kennen alle jenes Gemälde, in welchem ein geistvoller Künstler unserer 1
Tage es gewagt hat, mit kühner Hand den Anfang aller Menschengeschichte
darzustellen. Der Riesenbau, der als ein Denkmal titanischen Überniuts in
den Himmel steigen sollte, ist durch die Hand des göttlichen Zorns gehemmt
und die Geschlechter der Menschen, aus schmachvollem Frohndienste befreit,
trennen sich in Gruppen, um von nun an verschiedene Bahnen einzuschlagen.
Mit trägem Schritt zieht in der Mitte ein Volk dahin, das von niederen 2
Lüsten beherrscht die Bilder der Götzen, welche hier zu Schanden geworden
sind, in dumpfem Wahn umklammert hält; zur Linken sehen wir eine edlere
Schar, eine Gruppe von Hausgenossen, traulich versammelt um das Haupt
eines Patriarchen, welcher mitten unter dem Toben der Völker wie ein guter
Hirt die Seinen zusammenhält; zur Rechten aber sprengt eine Jünglingsschar
in das Land, um mit stürmender Hand die Welt zu gewinnen.
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Extrahierte Personennamen: Ernst_Curtius Ernst Wilhelm Ernst_Cnrtius Ernst Aust
Der Wettkampf.
29
schraken sonst die stolzen Feldherren im Gefolge des Lerxes, als sie hörten,
daß während des Anrückens ihrer Land- und Flottenheere die Griechen am
Alpheios um Olivenkränze stritten? Sie erschraken, weil ihnen die Ahnung
aufging von einer ihnen durchaus ueuen Schätzung des Lebens, von einer Ansicht,
die nicht im behaglichen Besitze, im ruhigen Genusse, sondern im Ringen und
Streben den Wert des menschlichen Daseins suchte, und dieser Ansicht, das
fühlten sie, müsse eine ganz eigene Art des Heldentums entsprießen. Es war aber
nicht nur in Delphi und Olympia, es war überhaupt nicht nur in den Schranken
der Rennbahn, daß die Hellenen ihre Wettkämpfe hielten; ihr ganzes Leben,
wie es uns in der Geschichte des Volks vorliegt, war ein großer Wettkampf.
Ein Wettkampf — zunächst der Stämme. Zwar sehen wir auch in der 7
orientalischen Geschichte die verschiedensten Stämme mit einander ringen; ein
Volk erhebt sich über das andere und drängt es aus seiner Stelle; aber hier
gilt es nur einen bestimmten Besitz. Ist dieser gewonnen, so folgt das Leben
wieder den alten Gleisen; mit Erreichung des Ziels hört das Streben ans,
und der Stämme Eigentümlichkeit verschwindet.
Die hellenische Geschichte beginnt, so wie sich die Stämme einander gegen- 8
übertreten; sie besteht wesentlich in der Wechselwirkung derselben und schließt,
sowie diese aufhört.
Freilich treten sie nicht gleichzeitig aus. An der Oftfeite des griechischen s
Meeres erwacht das geschichtliche Leben, in den Küstenländern Kleinasiens, wo
hellenische Stämme ihrer Kraft und ihres Berufs bewußt werden. Aber kaum
haben sie den älteren Seevölkern die Kunst der Schiffahrt abgelernt, so fahren
sie westwärts von Küste zu Küste, um die jenseitigen Bruderstämme zu erwecken
und zum Wettkampfe aufzurufen. Zunächst sind sie die Gebenden. Sie bringen
Schrift und Maß, sie lehren neue Götter kennen und verehren, sie lehren
Städte bauen und Staaten gründen. Aber während des Empfangens erstarken
die Binnenvölker; ein Stamm nach dem andern unter ihnen erhebt sich, und
so wie sie aus den engen Bergkantonen hervortretend mit dem Meere in
Berührung kommen, gewinnen sie Namen und Bedeutung. Nun drängen sie
die jenseitigen Stämme bei Seite, nun gründen sie eigene Staaten — achäische,
äolische, dorische — und je mehr diese Staaten in Städten ihren Mittelpunkt
finden, um so bestimmter prägt sich der Stämme Eigentümlichkeit in Ver-
fassung, Kunst und Sitte aus, um so lebhafter entbrennt der große Wettkampf.
Denn nun bilden sich nicht nur die Hauptunterschiede aus, die des dorischen
und ionischen Wesens, sondern auch innerhalb der Stämme beginnt der Städte
Wettkamps, namentlich bei den Ioniern, welche nur in der mannigfaltigsten
Entwickelung ihre Befriedigung finden.
Blicken Sie auf die Küste Kleinasiens! Auf einem Raume, welchen man io
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38
I. 3. Ernst Curtius: Der Wettkampf.
den Wetteifer, welcher in der freien Entfaltung aller Kräfte, im selbstver-
leugnenden Streben nach dem höchsten Ziele seine volle Befriedigung findet.
39 Daß ich am heutigen Tage gerade diese Richtung meinen Gedanken ge-
geben habe, kann Sie nicht befremden. Denn ich darf ja im Namen einer
Universität reden, deren Gründung von dem hochherzigen Gedanken ausgegangen
ist, daß ein deutscher Staat durch Zuwachs an Macht und Ehre zugleich die
Verpflichtung empfange, in der Förderung deutscher Wissenschaft mit allen
Nachbarstaaten zu wetteifern, einer Universität, welche den Gedanken ihres
königlichen Gründers unter Gottes sichtlichem Segen verwirklicht, die, seit sie
in die Schranken eingetreten ist, viel unverwelkliche Ehrenkränze gewonnen
hat und mit den ausermähltesten Namen deutscher Nation verwachsen ist.
40 Ich brauche um so weniger zu besorgen, daß ich Fernliegendes zum
Gegenstände dieser Rede gewühlt habe, wenn ich bedenke, wie der König,
welcher dem Gründer der Georgia-Augusta auch in der Liebe zu ihr nach-
gefolgt ist, seinen Geburtstag uns für alle Zeiten zum Festtage gemacht hat.
Denn indem er diesen Tag zur Austeilung der erworbenen Preise wie zur
Verkündigung neuer Preisaufgaben bestimmt hat, konnte er dabei doch keine
andere Absicht haben, als die Idee des geistigen Wettkampfs, so zu sagen,
mitten in unser Leben hineinzustellen und in jährlicher Feier immer von neuem
uns vor die Seele zu führen.
41 Wenn nun der Gedanke des königlichen Gründers sich also vererbt und
in seinem erhabenen Hause sich bis heute so lebendig erhalten hat, wie wir
es alle mit ehrerbietigem Danke anerkennen, wenn eine erleuchtete Regierung
den Ruhm der Georgia-Augusta wie das kostbare Vermächtnis zu hüten und
auf alle Weise zu fördern als eine ihrer heiligsten Verpflichtungen ansieht,
so liegt es also nur an uns, daß die Zukunft unserer Universität ihrer Ver-
gangenheit entspreche und daß wir dazu alle, jung und alt, in freudigem
Wetteifer das Unsere beitragen.
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40
I. 4. Neumann:
Subsistenz bedingen, indem sie hier vorzugsweise den Ackerbau begünstigen,
dort den Menschen vorwiegend auf Handel und Industrie hinweisen oder durch
besondere Gaben an besonderen Orten besondere Zweige menschlicher Thätigkeit
hervorrufen, daß sie also dem Thun und Treiben der Menschen die charakte-
ristischen Lineamente vorzeichnen, ihm landschaftlich ein eigentümliches, unter-
scheidendes Kolorit verleihen. Ebenso einleuchtend ist es, daß die verschiedene
natürliche Ausstattung benachbarter Landschaften, ihr natürlicher Zusammenhang
oder ihre Sonderung, die relative Bedeutung, die sie für einander haben, in
die Gestaltung der politischen Ereignisse vielfach eingreifen muß, daß sie Kriege,
Bündnisse, Handelstraktate veranlassen kann, die ja sämtlich den Zweck haben,
materielle Mängel des eigenen Landes, sei es durch Eroberung solcher Gebiete,
die das Fehlende besitzen, sei es im Wege des Vertrages zu ergänzen. In
all diesen Beziehungen, in der inneren Entwickelung wie in der internationalen
Politik, treten geographische Momente oft genug geradezu als maßgebend auf.
Individuen und Völker handeln unter den Impulsen, die sie von der Natur
ihres Landes empfangen. Hat man die letztere verstanden, so hat man den
Schlüssel zum Verständnis eines großen Teils der Landesgeschichte.
3 Noch viel wichtiger aber sind die physischen Verhältnisse für den stillen
unaufhaltsamen Gang der Kulturarbeit. Denn worin bestehen die Fortschritte
der materiellen Kultur? Wir können sie in zwei Kategorieen teilen, die sich
wieder leicht unter eine höhere Einheit subsumieren lassen. Fortschritte der
materiellen Kultur bestehen erstens darin, daß die natürliche Begabung eines
Landes immer vollständiger zum Vorteil des Menschen ausgenutzt wird, daß
man also den ertragsfähigen Boden immer vollständiger in Anbau nimmt,
den Ackerländereien die ergiebigste Ernte ablockt, die mineralischen Schütze des
Bodens zu Tage fördert, die Wasserkraft immer vollständiger zur Erleichterung
des Verkehrs oder zu industriellen Unternehmungen verwertet u. s. f. In
allen diesen Stücken schmiegt sich die Kulturarbeit auf das innigste an die
physischen Verhältnisse an. Sie prüft den Boden in allen Beziehungen scharf
auf seine Leistungsfähigkeit und sorgt dafür, daß jede nutzbare Kraft desselben
in angespannte Thätigkeit gesetzt werde. Eine zweite Kategorie der Kultur-
arbeiten zielt darauf ab, die Mängel in der physischen Beschaffenheit des Landes
zu beseitigen oder sie minder fühlbar zu machen. Hierher gehört die ganze
Stufenleiter der Leistungen von den ersten Versuchen, durch ein Kleidungsstück
oder eine Hütte den Körper vor den Unbilden der Witterung zu schützen, bis
zu der die Gaben aller Zonen ausgleichenden Handelsthätigkeit unserer Tage.
4 Diese Arbeit der Kultur hat Sümpfe entwässert und verwilderte Strom-
läufe reguliert, sie hat hier durch Trockenlegung und Entholznng, dort durch
Waldpflanzungen die klimatischen Bedingungen zu verbessern gesucht, sie i|t
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T38: [Boden Wald Land Wiese Wasser Berg Fluß Feld See Dorf]]
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Landes-Natur und Kultur.
41
bemüht, dem sterilen Boden durch Zuführung neuer Stoffe eine erhöhte Kraft
zu geben, neue Kulturen einzuführen, die Schwierigkeiten, welche dem Verkehr
die Dimensionen des Raumes oder natürliche Hindernisse in den Weg legen,
durch den Ban von Brücken und Kanälen, von Chausseen und Eisenbahnen,
durch die Durchstechung von Bergen oder von Isthmen zu beseitigen; sie ist
bemüht, das, was dem eigenen Lande fehlt und gleichwohl dem Menschen
nützlich oder angenehm ist, aus anderen Ländern herbeizuschaffen, und hat in der
Belebung des Handelsverkehrs einen der mächtigsten Hebel der Kulturentwickelung
in Bewegung gesetzt. In beiden Füllen, — mögen die Kräfte des Landes dem
Menschen hilfreich in die Hand arbeiten oder ihm den Dienst versagen — in beiden
Fällen bildet die physische Beschaffenheit des Landes den Angelpunkt, um den sich
alle Arbeit der materiellen Kultur dreht. Sie ist das Maßgebende und Anregende,
das menschliche Thun ist das Produkt ihrer stillen und stetigen Triebkraft.
Alle diese Beziehungen sind sonnenklar; und daraus folgt unmittelbar, 5
daß wir die Leistungen eines Volkes auf diesem Gebiete unmöglich beurteilen
können, wenn wir uns nicht zuvor vergegenwärtigt haben, welche Aufgaben
seiner Kulturarbeit in einem gegebenen Momente von der Natur gestellt
waren und welche es wirklich gelöst hat, d. h. daß wir ohne Einsicht in die
geographischen Verhältnisse nicht zu einem vollen Verständnis der Geschichte
gelangen können. Aber nur wenige erinnern sich daran, daß die Natur in
allen diesen Dingen uns mit sanftem Zügel, doch fest und sicher leitet und
vorwärts führt; und eben deshalb verkennt und unterschätzt man zu sehr den
maßgebenden Einfluß dieser unverrückbaren, regierenden Kraft.
Man könnte nun leicht meinen, daß der Mensch durch jeden Fortschritt 6
in materieller Kultur, namentlich durch solche Errungenschaften, welche die
Mängel in der physischen Ausstattung seiner Heimat auszugleichen imstande
sind, sich mehr und mehr von der Natur emancipiere, daß seine Abhängigkeit
von den geographischen Bedingungen sich mehr und mehr lockere. Aber diese
Ansicht ist nur in sehr eingeschränktem Maße richtig, und ihre Prüfung führt
uns unmittelbar zu der besonderen und weit hervorragenden Bedeutung, welche
die Geographie gerade für die Geschichte des Altertums besitzt. Was der
Mensch auch leisten mag in dem Streben, die Mängel der physischen Verhältnisse
seines Wohnorts auszugleichen, — immer sind es die Kräfte der Natur, mit
denen er arbeitet. Er nimmt die Kraft des Dampfes und die Geschwin-
digkeit des elektrischen Stromes in seinen Dienst, um die Schwierigkeiten zu
überwinden, welche die räumlichen Dimensionen ihm in den Weg legen; er
benutzt die Produkte des Auslandes, um zu ersetzen, was ihm die Heimat
versagt, und in demselbem Maße, wie er sich von der Heimat emancipiert,
vervielfältigt und verstärkt sich durch die Nahrungs- und Genußmittel ferner
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T49: [Land Klima Europa Meer Lage Asien Winter Insel Afrika Zone]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T3: [Lage Karte Land Europa Geographie Klima Größe Verhältnis Grenze Gliederung], T4: [Handel Land Industrie Stadt Verkehr Gewerbe Ackerbau Viehzucht Deutschland Zeit], T12: [Wasser Luft Erde Höhe Körper Fuß Dampf Bewegung Druck Gewicht]]
TM Hauptwörter (200): [T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T52: [Arbeiter Arbeit Zeit Betrieb Jahr Fabrik Maschine Staat Preis Kapital], T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T11: [Kanal Rhein Verkehr Eisenbahn Fluß Land Meer Handel Stadt Deutschland], T75: [Strom Elektrizität Ende Eisen Magnet Elektricität Körper Draht Funke Leiter]]
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I. 4. Neumann:
Zonen, an die er sich gewöhnt, seine Abhängigkeit von fremden Gegenden.
Wie der Demant nur mit seinem eigenen Staube sich schleifen läßt, so kann
die Natur überall nur durch sich selbst korrigiert werden. Wir können uns
nie ihrem Einfluß entwinden; sondern was wir leisten, besteht nur darin,
daß wir, um uns dem Einfluß einer Naturkraft zu entziehen, uns unter eine
andere stellen, deren Herrschaft uns angenehmer ist.
7 Die Folge ist, daß, je vollständiger wir die Naturkräfte zu unserem
Vorteil verwerten lernen, das Gefühl unserer Abhängigkeit von der Natur
uns weniger drückend wird, also auch uns seltener zum klaren Bewußtsein
kommt. In der Behauptung, daß wir uns durch Kulturarbeit von der Natur
emancipieren, liegt nur insofern eine Wahrheit, als wir uns dadurch in der
That unabhängiger machen von den physischen Verhältnissen derjenigen
Örtlichkeit, in welche das Schicksal uns hineingestellt hat. Und hierin
liegt allerdings ein unermeßlicher Fortschritt. Wenn nicht der Handelsverkehr
die Gaben verschiedener Länder nach Maßgabe des Bedürfnisses hilfreich ver-
teilte, wenn der Mensch zur Verbesserung seiner Lage sich ausschließlich auf
die Drittel verwiesen sähe, welche die Heimat ihm unmittelbar gewährt: so
müßte er in der Gestaltung seines Lebens, in seiner Arbeit und in seinem
Streben sich auf das genaueste den natürlichen Bedingungen seines Heimat-
landes fügen; sie würden für seine Existenz das absolut Foringebende werden.
Die Macht der physischen Verhältnisse, in welche der Mensch unmittelbar hin-
eingestellt ist, wächst, je ausschließlicher er sich auf seine nächste Umgebung ver-
wiesen sieht; und da die Berkehrsbeziehungen immer einfacher und ungenügender
werden, je tiefer wir in die Vorzeit zurücksteigen, so mußten für die Ent-
wickelung der Völker des Altertums die physischen Verhältnisse der Länder,
in welchen sie lebten, ungleich einflußreicher sein, als für den Gang der mo-
dernen Kultur, es mußte ihr Leben ein viel getreuerer Abdruck der sie um-
gebenden Natur werden, als es heute der Fall ist. Wenn wir uns im Geiste
zurückversetzen in die ersten Entwickelungsstadien des menschlichen Geschlechts,
in jene Zeiten, in welchen der Mensch erst zu lernen anfing, wie er der
Natur zu Hilfe kommen konnte, und sich hauptsächlich auf diejenigen Gaben
beschränkt sah, welche sie ihm freiwillig zum Genusse darbot, so erkennen wir
leicht, daß der Mensch damals vollkommen in den Banden der Natur ge-
fangen lag, daß seine Abhängigkeit von der Scholle, auf der er lebte, von
dem Klima, dem er ausgesetzt war, eine vollständige gewesen sein muß. Er
war den physischen Kräften, die von allen Seiten auf ihn eindrangen, in der
ganzen Bedürftigkeit der Menschennatur preisgegeben; aber die Übel, Mängel,
Unbilden, unter denen er zu leiden hatte, waren ebenso viele Triebfedern, die
ihn zur Arbeit, zur Fürsorge anstachelten, sie waren also die Momente, die
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T49: [Land Klima Europa Meer Lage Asien Winter Insel Afrika Zone], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele]]
TM Hauptwörter (200): [T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze], T127: [Volk Sprache Land Zeit Sitte Kultur Bildung Geschichte Bewohner Stamm], T33: [Gott Liebe Mensch Herz Leben Volk Ehre Vaterland gute Zeit], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T52: [Arbeiter Arbeit Zeit Betrieb Jahr Fabrik Maschine Staat Preis Kapital]]