Charakterbilder
aus der Geschichte der Apostasie der Völker.
Nach Meisterwerken der Geschichtschreibung.
:: Den Studierenden höherer Lehranstalten :: sowie den Gebildeten aller Stände gewidmet.
Von Dr. A. Schöppner.
Neubearbeitet von 5)L 6. Aünlg.
Vierte, gänzlich umgearbeitete und illustrierte Auflage.
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Mil 282 Illustrationen und einer Äunstbeilage.
Regensburg 1910.
Verlagsanstalt vorm. G. 3. Manz, Buch- u. Kunstdruckerei A.-G., München-Regensburg.
Bibliothek Cassicmeum Donauwörth
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I. Zeitalter der Kirchentrennung.
Martin Luther.
rtiit Luther, der Sohn eines Bergmannes, geboren zu Eisleben den 10. November 1483 ober 1484, hatte 1501 bte Universität Erfurt bezogen, war 1505 Magister geworben und sollte sich nach dem Willen seiner Eltern der Rechtswissenschaft toibmert. In einem Momente heftigen Schreckens bei einem furchtbaren Gewitter, das ihn in Lebensgefahr versetzte, verbanb er sich durch ein Gelübde, Mönch zu werben. Nicht leicht mochte jemanb weniger zu biesem Staube geeignet fein als er; gleichwohl trat er in das Augustinerkloster zu Erfurt. Im Beginn seines Prüfnngsjahres mußte er sich nach Kloster-sitte lästigen Hausarbeiten und bemütigenben Verrichtungen unterziehen, würde jeboch balb als Magister durch den Provinzial Staupitz bavon befreit. Nach fleißigern Stubiurn der scholastischen Theologie lehrte er an der neuerrichteten Universität Wittenberg Dialektik und Ethik, ging aber schon im folgenben Jahre zu dem ihm mehr zufagenben Vortrage der Theologie über. Ehe noch der Ablaßstreit begann, hatte sich Luther in einem der wichtigsten Punkte des ganzen kirchlichen Lehrgebänbes, im Dogma von der Rechtfertigung des Menschen, von der Lehre der Kirche entfernt. Seine neue Ansicht war das Ergebnis eines peinigenben und trostlosen Zustanbes, in welchem er sich lange be-sunben hatte. Wenn auch nach seiner Lossagung
von der Kirche eine gewaltige Veränberung in seinem sittlichen Charakter vor sich ging, so ist boch nicht zu verkennen, daß jenes Feuer des Zornes, das
spater in hellen Flammen aufschlug, bamals schon, wenn auch niebergehalteu durch seine asketischen Anstrengungen, in ihm glühte und daß er überhaupt gegen sein mit cblen wie mit schlimmen Anlagen reich ausgestattetes Temperament einen Kampf führte, in dem er
oft unterlag. Er gesteht selbst, daß es außer den Versuchungen der Wollust vorzüglich Regungen des Zornes, des Hasses und Neibes gewesen, die er nicht zu überwinden vermocht habe. Dabei fehlte es ihm feinem eigenen Geständnisse nach an der Liebe Gottes; er habe, schrieb er an Staupitz, vor Gott geheuchelt, wenn er Buße zu tun versuchte und eine erdichtete und gezwungene Liebe in Worte faßte. Im Kloster,' erzählt er ferner, fei er
Christo so feint) gewesen, daß er, wenn er sein Gemälde oder Bildnis gesehen, wie er am Kreuze hing, erschrocken fei, die Augen niedergeschlagen und lieber den Teufel gesehen hätte.
Schöppner-König, Charakterbilder. Iii. 4. Aufl. 2
Papst Leo X.
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Extrahierte Personennamen: Martin_Luther Luther Christo Leo_X Leo
Luther und Thomas de Vio.
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orben an, währenb Luther Mitglieb eines in Dentschlanb bnrch seine sittliche Haltung und Gelehrsamkeit geachteten Orbens war. Er selbst führte einige Monate hinburch die Sprache bemütiger Unterwerfung unter das Urteil der kirchlichen Obern nnb versicherte dem Papste, daß er unbebingt über seine Person und Lehre verfügen könne; um so leichter gestattete
bteser, basz Luther, statt der Anfang August erlassenen Vorlabnng gemäß sich persönlich in 9rom zu stellen, seine Sache vor dem Karbinal Thomas be Vio in Augsburg führen burfte. Luther aber erschien nur mit einem Geleitsbriese nnb weigerte sich, den Wiberrns, beu der Karbinal von ihm forberte, zu leisten, appellierte an bett besser zu unterrichtenben Papst und
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Extrahierte Personennamen: Thomas_de_Vio Luther August Thomas
Luther in Worms. Die Reichsacht.
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hatte er die Lehre vom allgemeinen Priestertum aller Christen in der Art verkünbet, daß baburch das ganze Gebänbe der Kirchenverfassung von Grnnb aus umgestürzt würde. Nicht ein geistlicher Staub sollte mehr existieren, sonbern nur von den Gemeinben ausgestellte Beamte, die das verrichteten, wozu alle gleiche Gewalt hätten. Dabei schmeichelte Luther mit kluger Berechnung beu Fürsten, dem Abel und den stäbtischen Gewalten; benn biefen vorzüglich mußte, wenn nach seiner Absicht der Bau der Kirche in Trümmer fiel, die reiche Beute zufallen; der hnnbertfte Teil des gegenwärtigen Kirchengutes, meinte er, fei Hinreichenb zur Erhaltung der Kirche. Ansbrücklich behielt er zugunsten des Abels vor, daß die Dorn-stiste als Versorgungsanstalten für die jüngeren Söhne des Abels fortbestehen sollten. Auch dem Kaiser hatte er eine Lockspeise vorgehalten, Einziehung des Kirchenstaates und Zerreißung des Lehensverhältnisses von Neapel. Dazu kam baun die alles überbietenbe Schmähschrift: „Wiber die Bulle des Antichrists" und am 10. Dezember die feierliche Verbrennung der Bulle und der kanonischen Rechtsbücher vor dem Elftertore vou Wittenberg mit den Worten: „Weil bu den Heiligen des Herrn betrübet hast, so betrübe und verzehre bich das ewige Feuer."
Am 6. März erfolgte die kaiserliche Labung auf den Reichstag von Worms; Luther sollte kommen, um „seiner Lehre und Bücher halben Erknnbigung" zu geben. Er verließ am 2. April Wittenberg und würde vier Tage barauf in Erfurt von der ihm völlig ergebenen Partei der Humanisten „wie ein Triumphator" empfangen. In der Augustiner^ firche hielt er unter großem Anbrang des Volkes eine aufrcgenbe Prebigt und machte heftige Ausfälle gegen das Papsttum und die Geistlichkeit. Die Frucht war ein „Pfaffenfturm", der schon am Tage nach seiner Abreise ausbrach. Bei seinem ersten Verhöre vor dem Kaiser und der Reichsverfammlung war Luther keineswegs in einer zuversichtlichen Stimmung. Als ihn aber Ulrich von Hutten vou der Ebernburg aus schrieb: „Fasse Mut und fei stark ... Ich werbe btr, wenn bu bir selbst treu bleibst, bis zum letzten Hauche anhangen. Ich selbst werbe das Schrecklichste wagen," versagte Luther am folgenben Tage mit unerschrockener Rebe jebeit Wiberruf. Deu Versuchen, ihn zu einer beruljigenben Erklärung zu bewegen, stellte er die Berufung auf bic Bibel und fein Gewissen entgegen; selbst einem Konzil wollte er die Entfcheibung nur dann überlassen, wenn basfelbe nach der Bibel (natürlich nach seiner Auslegung) beu Ausspruch tue. Auf feiner Rückreise würde er auf Anorbnnng feines Kurfürsten und mit seiner Zustimmung als Ritter verleibet nach der Wartburg gebracht, währenb in Worms der Kaiser die Reichsacht über ihn verhängte. Der Fortgang der neuen Lehre luurbe baburch, daß ihr Urheber auf kurze Zeit den Augen der Menschen sich entzog, nicht gehemmt. Fragen von höherem Interesse, welche die Geister anberweitig beschäftigt hätten, lagert bamals nicht vor; um so größer war daher die Empfänglichkeit für religiöse Aufregung, um so größer die Bereitwilligkeit, einem Manne, der als Priester und Lehrer der Theologie an einer Hochschule die furchtbarsten Anklagen gegen die Kirche erhob, alles auss Wort zu glauben. Die Schriften, die fetzt zum erstenmal das Kirchenwesen und seine Gebrechen besprachen, waren mit biblischen Sprüchen burchluebt, zugleich berb und volksmäßig abgefaßt und ebensogut geeignet, in Wirtshäusern und auf öffentlichen Plätzen als von den Kanzeln vorgelesen zu werben. Mächtiger noch wirkten die inneren, in der Lehre selbst gelegenen Motive. Es waren süße, trostvolle, gern vernommene Worte, wie sie jetzt von so vielen Kanzeln, in Liebern, in zahllosen Schriften zum Volke gesprochen luurben, von der Rechtfertigung durch bloße Zurechnung der Verbienfte Christi und daß die guten Werke von allem Einflüsse auf die Gerechtigkeit und Seligkeit der Menschen ausgeschlossen feien, daß aber jeber Christ schon im Besitze einer mühelos durch bloßen
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Die Wiedertäufer. Karlstadt.
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gezappelt und ihm vorgeworfen: „Wie, wenn du irrtest und so viele Leute in Irrtum verführtest, die alle ewiglich verdammt würden!" Diese Besorgnis und Ungewißheit kehrte auch später oft wieder, doch nie mit solcher Stärke, daß sie ihn vermocht hätte, ans der betretenen Bahn umzu-kehreu. Vielmehr entschied er sich nun auch, den Zölibat der Geistlichen und die Gelübde des klösterlichen Lebens mit aller Energie zu bestreiten und „zur Freiheit des christlichen Glaubens zurückzukehren", d. H. die von ihm abgelegten Gelübde selber zu brechen und andere aufzufordern, das Gleiche zu tun. Damit verstärkte er seine Partei; denn jetzt fiel ihm eine Anzahl von Geistlichen zu, die eine Lehre begierig ergriffen, welche ihnen Gelegenheit zur Heirat bot; ferner schloffen sich ihm viele Mönche an, die der klösterlichen Zucht überdrüssig waren.
Inzwischen drohte aber zu seinem Ver-drusse die vou ihm hervorgerufene Bewegung ihm selber über deu Kopf zu wachsen. Die ersten Wiedertäufer erhoben sich, und zwar in der Nähe von Wittenberg. Ganz mit denselben Gründen und mit dem gleichen Rechte, mit dem Luther die Sakramente und Institutionell der Kirche angegriffen hatte, bestritten sie die Kindertaufe. Zugleich begann Karlstadt mit seinem Anhang, die Bilder in den Kirchen zu zertrümmern, die Altäre umzustürzen, die Beichtstühle wegzuschaffen uff. Da eilte Luther von der Wartburg nach Wittenberg (1522). Karlstadt mußte Wittenberg verlassen; Luther bewirkte, daß ihm auch das Predigen verboten und der Druck seiner Schriften untersagt wurde, und nun sah sich der Mann, der bisher Luthers vornehmster Gehilfe gewesen, in den Schriften des Reformators als ein schändlicher, mit allen Lastern gebrandmarkter Mensch geschildert. Luther beteuerte, wenn Karlstadt glaube, daß ein Gott im Himmel sei, so solle ihm (Luther) Christus nimmer* mehr gnädig sein.
Von Anfang an berief sich Luther wenig auf die alte Kirche. Trotz feiner geringen Kenntnis der altkirchlichen Literatur hatte er doch so viel gesehen, daß der ganze Geist und die Praxis derselben ihm entgegen sei; er hielt sich also nur an das Reite Testament, welches über die Zustände, Einrichtungen und das religiöse Leben der ersten Kirche so wenig enthält, daß er um so freieren Spielraum zu haben wähnte. Was ihm das Zeugnis des kirchlichen Altertums galt, zeigte er recht augenfällig, als er die bittersten Ausfälle gegen jenes Dokument der Kirche richtete, welches gerade das älteste und in seiner unverändert gebliebenen Gestalt und Allgemeinheit ehrwürdigste ist, gegen den Kanon der Messe. Es ist Tatsache, daß dieser Kanon schon seit Ende des 5. Jahrhunderts (Gelasius) zum größten Teile und seit Gregor I. vollständig dieselbe Gestalt hatte wie noch jetzt. Diesen Kanon gab nun Luther in einer deutschen Übersetzung und mit seinen Anmerkungen heraus, „damit jeder sich
Martin Luthers Mutter: Margareta Ziegler.
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Streit über die Eucharistie. Neue Kirchenordnung. Die Augsburgische Konfession.
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Atheisten. Aber dann schrieb er einen Brief, worin er sich entschuldigte und ihn mit Berufung auf die Heftigkeit seines Temperamentes, das er nun einmal nicht in seiner Gewalt habe, zu versöhnen suchte. Erasmus hielt ihm in seiner Antwort einen Spiegel vor und schilderte mit einigen treffenden Zügen sein ganzes Treiben. Seitdem war Erasmus für Luther einer jener Menschen, deren er nie anders als mit dem Jngrimme brennenden Hasses gedachte, eine giftige Schlange, ein Feind Christi und aller Religion, ein vollkommenes Ebenbild und Abdruck des Epikur und Luciau. Noch bedeutender war der Streit, welchen Luther mit Zwingli und den Schweizern über das Sakrament der Eucharistie zu führen hatte. Beinahe mit dem Beginn dieses Streites siel seine Verheiratung zusammen; sie kam so plötzlich und wurde mit solcher Eile vollzogen, daß auch seine nächsten Freunde überrascht waren. Er selber schien eine Art Triumph dareinzusetzen, daß er und seine Braut ihre früheren Gelübde gebrochen und eine Ehe geschlossen hatten, die von Anfang an in der Kirche verpönt war. Aber hinter dieser scheinbaren Freude verbarg sich das Gefühl einer schweren seinem Ansehen geschlagenen Wunde und selbst seine Bewunderer fanden wenigstens die Wahl des Zeitpunktes zur Hochzeit, mitten in den Stürmen und Blutströmen des Bauernkrieges, unerklärlich.
Dieses Ereignis des Bauernaufruhrs griff erschütternd in Luthers Leben ein. Daß er mit Absicht und Bewußtsein die Bauern aufgestachelt habe, ist historisch nicht ermittelt; daß aber in seinen für das Volk verfaßten Schriften manche Stellen vorkommen, die in eine schon gärende Masse wie Zündstoff sielen, kann nur parteiische Befangenheit leugnen.
Indessen war es Zeit geworden, dem Kirchenwesen zunächst in Sachsen eine den Anschauungen Luthers entsprechende Gestalt zu geben und au die Stelle der abgeschafften bischöflichen Verwaltung eine neue Ordnung zu setzen. Früher war Luther für eine absolut demokratische Kirchenverfassung, nach welcher die Prediger von den einzelnen Gemeinden auf Ruf und Widerruf durch Stimmenmehrheit gewählt und nach Gefallen abgesetzt worden wären. Eine solche Einrichtung würden indes die protestantischen Fürsten nicht geduldet haben und Luther selber drang nicht weiter daraus, sondern gewöhnte sich, je zahlreicher die Fürsten und die städtischen Machthaber seiner Lehre zusielen, immer mehr an die Vorstellung, daß diese an die Stelle der Bischöfe treten sollten. Zufrieden, wenn nur das alte Kirchengebäude in Trümmer zerschlagen wäre, war er für jetzt damit einverstanden, daß sein Kirchenwesen der Vormundschaft der Fürftenhöfe und der Herrschaft der Juristen unterworfen würde.
Als sich das Bedürfnis einstellte, eine allgemein bindende Kirchenordnung einzuführen, zu welcher Pfarrer und Gemeinden verpflichtet würden, schrieb Luther, um den grellen Widerspruch mit seiner christlichen Freiheit zu beschönigen, eine Vorrede zu dem Psarrunter-richte Melanchthons, worin er erklärte, nicht als strenge Gebote könnten sie diese Verordnung ausgehen lassen, damit sie nicht neue päpstliche Dekretalen auswürfen, sondern als eine. „Historie" und als ein „Zeugnis" ihres Glaubens. Sofort werden nun aber die Pfarrer und Gemeinden verständigt, daß diese „Historie" und dieses „Zeugnis" allerdings für sie Gesetz fei, solange nicht der heilige Geist durch die Wittenberger Theologen etwas ändere; denn der Kurfürst müsse als christliche Obrigkeit darauf halten, daß nicht durch Ungleichheit der Gebräuche und Lehre Zwietracht und Aufruhr sich erhebe, wie denn auch Kaiser Konstantin die Christen zu einträchtiger Lehre und Glauben gehalten habe. Dies war die Form, in welcher sich jetzt die „christliche Freiheit" in den Ländern lutherischen Bekenntnisses entwickelte. Bald folgte der Reichstag zu Augsburg (1530), wo die von Melanchthon verfaßte Augsburgifche Konfession vorgelesen wurde. Luther, aus dem noch die Reichsacht lastete, weilte unterdessen zu Coburg, um dem Schlauplatze der Ereignisse näher zu sein.
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Extrahierte Personennamen: Christi Konstantin Melanchthon
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Mißhandlung der Heiligen Schrift.
werfender Hohn und eine massenhafte Anhäufung von Schimpfwörtern oft der persönlichsten, oft zugleich der pöbelhaftesten Art, die wie ein Strom aus unversiegbarer schmutziger Quelle sich ergießen. Es ist durchaus unwahr, daß Luther hier nur einer in jener Zeit herrschenden Unsitte gesröhnt habe, das Gegenteil muß jeder Kenner der gleichzeitigen und unmittelbar vorausgehenden Literatur zugestehen; Luthers Schriften erregten gerade durch diesen Charakter allgemeines Erstaunen.
In keinem andern Schriftsteller finden sich ferner Begeisterung für den unerschöpflichen Reichtum und göttlichen Charakter der Heiligen Schrift und die gewaltsamste Mißhandlung
derselben so eng vereint wie bei Luther. Sein Versuch, den Brief des heiligen Jakobus aus dem biblischen Kanon zu streichen, die verächtliche Sprache, in der er sich darüber ausdrückt, ist bekannt. Die Behauptung, daß er später von dieser Verirrung zurückgekommen sei, ist grundlos; noch in seinem letzten großem Werke, in der zweiten Auslegung des 1. Buches Mosis, äußerte er sich über den Brief und deffeu Verfasser in der gewohnten wegwerfenden Weise. Er hatte freilich nur die Wahl, entweder den Brief ganz zu verwerfen oder den schroffen Widerspruch, in welchem die Erklärung dieser heiligen Urkunde mit seiner Rechtfertignngslehre steht, in der Weise, wie es die späteren protestantischen Theologen getan, durch gewaltsame Interpretation zu entfernen. Ein großer Unterschied besteht zwischen den lateinischen und deutschen Schriften Luthers. In Dr. Johannes Eck. den letztem liegt feine Stärke und
teilweise das Geheimnis seiner außerordentlichen Erfolge, während die Theologen in Frankreich, England, Italien, Spanien, welche bloß seine lateinischen Schriften lasen und in denselben weder besondere Beredsamkeit noch glänzenden Scharfsinn oder imponierende Gelehrsamkeit fanden, vielfach ihre Verwunderung darüber äußerten, daß dieser Mann in Deutschland so vergöttert werde und selbst
unter den Gelehrten so viele Anhänger und Verehrer habe.
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Extrahierte Personennamen: Luther Buches_Mosis Johannes
Extrahierte Ortsnamen: Luthers Luthers Frankreich England Italien Spanien Deutschland
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Die zwölf Artikel der Bauern.
In der Vorrede zu diesen Artikeln heißt es, daß viele Widerchristen das neue Evangelium schmähten, als sei es schuld an aller Zusammenrottung. Allein gerade weil sie das Evangelium hören und danach leben wollten, hätten sie diese Artikel verfaßt. Darin fordern sie folgende Punkte: Das Recht, daß jede Gemeinde ihre christlichen Lehrer selbst bestellen und absetzen dürfe; denn sie wollten das Evangelium rein und lauter, ohne menschliche Zusätze gepredigt haben; sie verlangen die Abschaffung des Viehzehnten und den Gebrauch des Getreidezehnten zur Besoldung der Neuangestellten; sie wollten nicht ferner als Sklaven und Leibeigene gehalten sein, da Christus sie alle durch sein teures Blut frei erlöset habe; sie fordern ^etl an Jagd, Fischfang und Benutzung der Gehölze zum Brennen und Bauen, die Abstellung alles Schadens, der ihren Feldern durch die Jagd zugefügt werde. Über dieses alles aber solle gütlich gehandelt werden, ohne jemand in seinem rechtmäßig erworbenen
'
Die Wartburg.
Eigentum zu schmälern. Abgaben, Fronen und Pachtgelder wollen sie auf den alten Fuß zurückgeführt wissen, da diese täglich gegen alles rechtliche Herkommen gemehrt würden; es sollten die Strafen und der Gang der Justiz nicht stets von neuem geändert werden und die Urteile nicht wie bisher nach Gunst und Ungunst gesprochen werden; sie fordern die Güter zurück, welche ehemals ganzen Gemeinden angehört und die teils durch Ungerechtigkeit teils durch Kauf und Vertrag in andere Hände übergegangen waren; im letzteren Falle solle mit dem Inhaber ein christliches Abkommen getroffen werden; endlich verlangen sie die gänzliche Abschaffung des Todesfalles, denn Witwen und Waisen zu berauben, sei gegen die Gesetze der Schrift und Natur; zuletzt erbieten sie sich, daß, wenn man aus der Heiligen Schrift ihnen beweise, daß diese Punkte im einzelnen oder im ganzen unrecht wären, sie sich bereit fänden, dieselben aufzugeben; ja, wenn man ihnen einige Punkte zugestehen
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Luthers Schriften an den Adel und die Bauern.
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werde, die hernach als in der Schrift ungegründet befunden würden, sollten diese nichtsdestoweniger tot und ab sein; im Gegenteil aber wollten sie auch alle und jede Punkte sich ferner vorbehalten, die mit der Schrift nicht harmonierten, die gegen Gott und des Nächsten Liebe anstießen und deren keine Erwähnuug in diesen Artikeln geschehen sei. Merkwürdig! da seheu wir ja die Heilige Schrift auf einmal als Staatsrecht in Vorschlag gebracht.
Luther erhielt diese Artikel zugeschickt mit der Anforderung, einen Spruch darüber zu tun. Er war in Verlegenheit; denn billigte er sie auch nur zum Teil, — und einige davon konnte er nicht verwerseu, wie z. B. die freie Predigt des Evangeliums, — so bestärkte er die Bauern, welche bereits zum Schwerte gegriffen hatten, in ihrer Widersetzlichkeit und brachte den Adel und die Fürsten gegen sich aus; verwies er aber die Bauern unbedingt zur Ruhe, so kam sein Ansehen beirrt Volke in Gefahr. In dieser gefährlichen Lage muß
Deutsches Städtebild um 1500.
verkleinerte Wiedergabe eines Auxferstiches von Albrecht Dürer.
man Luthers Mut bewundern, wenn man gleich seiner politischen Klugheit das Wort nicht reden kann. Er erließ zwei Schriften, eine an die Fürsten und Herren, die andere an die Bauern, yn jener spricht er mit strafendem Ernste und klagt die Fürsten und Herren als
Urheber des Aufruhrs an und weissagt ihnen den Untergang, wenn sie nicht aufhören zu schinden und zu schätzen. „Denn das sollt ihr wissen," spricht er, „liebe Herren, Gott
schaffte also, daß man nicht kann noch will noch soll eure Wüterei die Länge dulden. Ihr
müßt anders werden und Gottes Wort weichen. Tut ihr's nicht durch freundliche, willige
3beise, so müßt ihr's tun durch gewaltige und verderbliche Unweise. Tun's die Bauern nicht, so müssen’s andere tun. Und ob ihr sie alle schlüget, so sind sie noch ungeschlagen, Gott wird andere erwecken. Denn er will euch schlagen und wird euch schlagen." Viel sanfter ist die Schrift gegen die Bauern. Er mißbilligt zwar ihre gewaltsame Art, sich Recht zu
Schöppner-König, Charakterbilder. Iii. 4. Aufl. 9
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T27: [Kirche Luther Lehre Kloster Jahr Bischof Schrift Papst Reformation Wittenberg]]
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Extrahierte Personennamen: Luthers Albrecht_Dürer Albrecht
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Die ersten Unruhen. Ausbreitung des Aufstandes.
verschaffen, tadelt sie, daß sie ihre Verbindung eine christliche nannten, weist einige ihrer Artikel ganz zurück, macht sie auf die Gefahr aufmerksam, in die ihr Gewissen komme; oberer nennt sie doch liebe Herren und Brüder und geht so sanft mit ihnen um wie mit guten Kindern, die etwa einmal einen Fehler begangen haben. Endlich schließt er mit einer Ermahnung an beide Teile und sagt ihnen, daß auf beiden Seiten nichts Christliches an der Sache sei, daß beide Unrecht Hütten, und wenn sie sich nicht im Guten vertrügen, so würde Gott einen Buben mit dem andern stäupen. Daher wäre sein treuer Rat, daß man Schiedsrichter auswähle und sie die Sache schlichten lasse. Übrigens muß man bekennen, daß damals das Schicksal von Deutschland in Luthers Händen zu liegen schien; er brauchte sich nur an die Spitze der Bauern zu stellen und es wäre wahrscheinlich nm Fürsten, Adel und die katholische Geistlichkeit geschehen gewesen. Freilich wäre das Schicksal seines Ansehens und seiner Lehre besiegelt gewesen, falls er besiegt worden wäre.
Schon im Spätherbste des Jahres 1524 waren die ersten Unruhen in Schwaben ausgebrochen, in der Grafschaft Stuhlingen und in der Abtei Reichenau, dort wegen schwerer Abgaben, hier, weil der Abt die neuen Prädikanten fortgejagt hatte. Durch Unterhandlungen wurde die Sache noch beigelegt. Die Anführer verloren das Leben, die Entwichenen aber wurden für vogelfrei erklärt, die Zurückgebliebeuen mußten Schadenersatz leisten und noch obendrein Strafe auf sich nehmen. Auch die Glocken wurden von den Türmen genommen, damit sie nicht mehr Sturm läuten könnten, und die Türme selbst niedergerissen. Damit, glaubte mau, sei es getan. Doch gleich in den ersten Tagen des nächsten Jahres empörten sich die Bauern des Abtes von Kempten und mit ihnen vereinigten sich die Stadtbewohner. Sein ganzes Kloster wurde ausgeplündert und alles bis auf die Mauern zerstört. Er selbst wurde in der Feste Liebenthann belagert und endlich zur Übergabe genötigt. Das Glück dieser Aufwiegler reizte ihre Nachbarn im Hegau, im Allgäu und am Bodensee zu gleichem Unternehmen. .Der- schwäbische Bund suchte die Sache abermals durch Unterhandlungen beizulegen. Aber die Bauern trauten nicht mehr, um so weniger, da sich der Bund zum Kriege rüstete. Sie gaben den Abgeordneten zur Antwort, sie wollten niemand beleidigen, sie hätten sich nur versammelt, das heilige Evangelium zu handhaben und den göttlichen Rechten Beistand zu leisten. Im April kam es zum Kriege. Der Bundesfeldherr Georg vou Truchseß schlug einige Haufen, worauf die Bauern eine friedliche Beilegung ihrer Beschwerden eingingen; dadurch wurde die Ruhe nochmals hergestellt. Hierauf erschienen obige Artikel. Sie fachten das Feuer aufs neue an. Schon zu Anfang des Monats Mai verbreitete sich der Aufruhr über ganz Schwaben, Franken, Elsaß, die Rheinpfalz bis Thüringen. Mehrere Städte traten bei. Haufen von 10—20,000 zogen in den Provinzen umher, plünderten und verbrannten alle Burgen und Klöster, deren Besitzer nicht die zwölf Artikel unterschreiben und sich zu ihnen schlagen wollten. Das schwäbische Bundesheer konnte anfangs nicht einmal in Schwaben etwas unternehmen, weil es seinem eigenen Fußvolk nicht trauen durfte. Die Fürsten und Ritter waren allein zu schwach und wurden vereinzelt überfallen. Selbst der berüchtigte Götz von B erlich in gen ließ sich nötigen, das Kommando eines Trupps zu übernehmen. Mitunter sielen schreckliche Grausamkeiten vor. In Weiusberg brachten die Bauern die ganze Besatzung von 70 Rittern auf die empörendste Art um. Sie schlossen sie auf freiem Felde in einen Kreis ein und nötigten sie, in die ihnen vorgehaltenen Spieße zu rennen. Freilich gilt zu ihrer Entschuldigung, daß auch Georg Truchseß alle Bauern, die er mit den Waffen in der Hand gefangen nahm, hinrichten ließ.
Diese und ähnliche Barbareien enttäuschten Luther über die Gelehrigkeit der Bauern
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