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1. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 27

1910 - Berlin : Singer
— 27 — Massenelend und einer Massenverwilderung, die vergebens durch eine furchtbar grausame Blutgesetzgebung auszurotten versucht wurde. .. In dem Maße, wie der Adel diese mörderische und räuberische Politik betrieb, schwand seine ökonomische Notwendigkeit dahin. Je stärker die staatliche Zentralgewalt heranwuchs, je mehr die Polizei die inneren Fehden unterdrückte und der Adel aufhörte, eine selbständige militärische Macht zu besitzen, desto überflüssiger wurde es für den Bauern, einen Herrn' zu haben, der ihn gegen die Mächtigen schützte-. Der Schirm- und Schutzherr war jetzt derjenige, gegen den die Bauern am ehesten und meisten des Schirmes und Schutzes bedurften. Der feudale Adel legte sich als schwerer Hemmschuh an die historische Entwickelung, die seine schwächeren Elemente, das sogenannte Rittertum, den niederen Adel, der zwischen den großen Grundherren und den Bauern stand, wie heute der Kleinbürger zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat, alsbald auch wegsäuberte. Gleich den heutigen Kleinbürgern suchte das Rittertum vergebens durch eine Politik, die zwischen den herrschenden und beherrschten Klassen hin- und herschwankte, seinen Untergang als selbständige Klasse auszuhalten. Seine Todeswehen nahmen oft eine tragische Gestalt an, wie in den deutschen Rittern Hutten und Sickingen, die Ferdinand Lassalle zu Helden eines Trauerspiels gemacht hat, aber die Literatur der aufkommenden Bourgeoisie sah in ihrem kraftstrotzenden Uebermut in dem untergehenden Ritter nur eine komische Gestalt, wovon heute noch der Don Quichote des spanischen Dichters Cervantes und der Falstaff des englischen Dichters Shakespeare zeugen. 2. Die Zerrüttung der päpstlichen Kirche. Die allmähliche Umwälzung der feudalen in die kapitalistische Produktionsweise übte nun auch ihre tiefgreifende Wirkung auf die überragende Macht des Mittelalters aus, auf die Kirche, und in erster Reihe auf die päpstliche Weltherrschaft, die als Führerin der christlichen Völker gegen die auswärtigen Feinde entstanden war und in den Kreuzzügen ihren Gipfel erreicht hatte. Gerade aber die Kreuzzüge waren ein mächtiger Hebel geworden, den Handel mit dem Orient zu fördern und jenes Element zu entwickeln, das die feudale Welt und ihren Monarchen, den Papst, stürzen sollte, nämlich das Kapital.

2. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 28

1910 - Berlin : Singer
— 28 — Als größte Grundbesitzerin des Mittelalters unterlag die Kirche demselben Prozeß, wie der große Grundbesitz überhaupt; um die landwirtschaftliche Produktion als Geldquelle auszunutzen, ruinierte sie die bäuerliche Klasse, riß ihre Gemeinwälder und Gemeinwiesen an sich, verjagte die Bauern entweder von ihren Schollen oder preßte sie in unbarmherzigster Weise aus. Es war nicht mehr gut wohnen unter dem Krummstab. Die erwachende Habsucht veranlaßte die Kirche auch, ihre Armenpflege mehr und mehr einzuschränken; die Naturaleinkünfte, von deren Ueberfluß sie früher gern gespendet hatte, weil sie sie selbst nicht verzehren konnte, waren jetzt verkäufliche Waren geworden, und die dadurch erweckte Geldgier ergriff auch die Kirche. Wurde sie dadurch der bäuerlichen Klasse immer verhaßter, so gewann sie deshalb noch nicht die Freundschaft des aufstrebenden Bürgertums. Wie sehr sie ihre Armenpflege vernachlässigte, fo konnte sie doch nicht ganz darauf verzichten, wenn sie nicht jeden Halt in den Massen verlieren wollte. Sie bildete immer noch einen gewissen Schutzwall gegen die Verarmung der Massen, deren Proletarisierung das Kapital nicht schnell genug betreiben konnte. Der Besitzlose war der kapitalistischen Ausbeutung noch nicht mit Haut und Haaren ausgeliefert, solange er etrr noch so dürftiges Almosen von der Kirche erhielt. Daneben waren die kirchlichen Feiertage den aufblühenden Städten ein Dorn im Auge; je zahlreicher sie geworden waren, um so mehr widersprachen sie der kapitalistischen Weisheit, wonach der Arbeiter nicht arbeitet, um zu leben, sondern lebt, um zu arbeiten. Vor allem aber bedurfte die neue Produktionsweise nicht mehr der Kirche als Lehrerin und Leiterin. Sie schuf sich eine eigene Bildung und Wissenschaft; sie schuf sich auch eigene Organe der Verwaltung. Nur für das platte Land blieb die Pfarrgeiftlichfeit noch unentbehrlich, wie sie heute ja auch noch in zurückgebliebenen Ländern gewisse staatliche Ausgaben zu erfüllen, zum Beispiel die Zivilstandsregister zu führen hat. Im 16. Jahrhundert war die Pfarrgeiftlichfeit noch eine ökonomische Notwendigkeit, und an ihre Beseitigung dachte niemand. Um so schärfer ging das junge Kapital gegen zwei andere Mächte der Kirche vor, die in ökonomischer und sozialer Beziehung immer überflüssiger und eben deshalb für die neue Produktionsweise immer gemeinschaftlicher geworden waren, nämlich gegen die Klöster und gegen das Papsttum.

3. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 31

1910 - Berlin : Singer
— 31 — sische Geistlichkeit in hohem Grade von Rom unabhängig zu machen und sich selbst zu unterwerfen. Der König erhielt ein entscheidendes Wort bei der Besetzung der höheren geistlichen Stellen; Gelderhebungen für den Papst ohne Zustimmung des Königs waren verboten, und ganz ebenso wie in Frankreich auch in Spanien, wo die kirchliche Inquisition sogar ein Polizeiwerkzeug der königlichen Gewalt wurde. Diese Länder hatten sich also von der römischen Ausbeutung zu befreien gewußt, und sich nunmehr ganz vom Papsttum loszureißen, lag ihnen um so ferner, als sie nun daran denken konnten, den Papst selbst zu ihrem Werkzeuge zu machen und durch ihn über die gesamte Christenheit zu herrschen. Als Herren des Papstes wollten sie die christlichen Völker ausbeuten. Aus diesem Grunde blieben Italien, Frankreich und Spanien katholisch, nicht aber, wie in _ den bürgerlichprotestantischen Historienbüchern zu lesen ist, wegen ihrer geistigen Rückständigkeit. Es ist vollkommen falsch, die Reformation, die auf einen völligen Bruch mit Rom hinarbeitete, als eine Erscheinung wesentlich geistiger Natur, als einen Kampf der höheren protestantischen Geistesbildung gegen die tiefer stehende katholische aufzufassen. Da Italien, Frankreich und Spanien die ökonomisch entwickeltsten Länder waren, so waren sie auch die geistig entwickeltsten: nirgends stand die rein weltliche Bildung der Zeit so hoch, wie in ihnen, wie namentlich in Italien, aber auch sie blieb eifrig katholisch, aus denselben Gründen, wie diese Länder selbst. Ihren Ursprung hatte die weltliche Bildung in Italien genommen, und zwar so, daß die neue Produktionsweise sich eine neue Weltanschauung, eine neue Kunst und Wissenschaft nicht erst mühsam zu schaffen brauchte, sondern die ihren Bedürfnissen entsprechende Denkform schon in der antiken Literatur vorfand, deren Ueberlieferungen in Italien und überhaupt in den Mittelmeerländern nie völlig erloschen waren. Das Studium der alten Schriftsteller begann, als Mittel, die Gegenwart zu begreifen und den absterbenden Resten der feudalen Weltanschauung den Todesstoß zu geben. Die geistige Richtung, die sich unter dem Einfluß dieses Studiums entwickelte, führte den Titel der Renaissance (Wiedergeburt, nämlich des Altertums) oder des Humanismus (Strebens nach rein menschlicher Bildung, im Gegensatz zur scholastischen Theologie, die sich mit göttlichen Dingen befaßte). Würden wirklich die Ideen die materiellen Verhältnisse schassen, wie die bürgerlichen Historiker behaupten, so hätte aus dieser Wieder-

4. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 33

1910 - Berlin : Singer
— 33 — die Bedürfnisse der Massen hatten sie weder das geringste Interesse noch das geringste Verständnis; sie wurden bald von der revolutionären Flut an die Toteninsel rühmloser Vergessenheit gespült. Nur einzelne von ihnen, wie die großen Dichter Dante und Petrarca in Italien, der große Spötter Rabelais in Frankreich, der große Denker More in England, der erste moderne Sozialist, und in Deutschland der große Kämpfer Hutten, sind in ihren Werken unsterblich geblieben. Nicht an den Humanismus, sondern an die deutsche Reformation knüpfte sich der historische Fortschritt. In Deutschland litten alle Klassen der Bevölkerung gleich schwer unter der päpstlichen Ausbeutung, und in dem Maße schwerer, als das Papsttum sich mit der ganzen Kraft feiner ausbeuterischen Fähigkeiten auf die deutsche Nation geworfen hatte, seitdem ihm die übrigen Kulturnationen die Grenzen gesperrt hatten. Auch die ausbeutenden Klassen in Deutschland murrten immer stärker unter dieser unerträglichen Last. Alle einträglichen kirchlichen Stellen in Deutschland waren zu Handelsartikeln geworden, ungeheure Summen flössen dafür jahraus, jahrein nach Rom und entgingen so den großen Ausbeutern in Deutschland, den Fürsten und den Kaufleuten. Kein Wunder also, daß jetzt diese wackeren Leute sich immer heftiger erbosten, je mehr der Papst den Rahm abschöpfte und ihnen nur die magere Milch ließ. Sie konnten aber nicht daran denken, sich in der Weise Frankreichs ober Spaniens von dem Joche des Papsttums zu befreien, die Herrschaft des Papstes zu brechen, um ihn als Werkzeug der eigenen Herrschaft zu gebrauchen. Wohl hatte Deutfchlanb reichen Anteil an dem Wohlstanbe, der durch die Entwickelung der Warenprobuktion geschaffen würde. Der zünftige Gewerbebetrieb der Städte probuzierte schon für weitere Kreise und für entlegenere Märkte. Die Weberei in groben Wolltüchern und Leinwanb war ein stehenber, weitverbreiteter Jnbustriezweig geworben, und selbst feinere Wollen- und Leinengewebe sowie Seibenstoffe würden in Augsburg gefertigt. Neben der Weberei hatte sich besonbers jene an die Kunst anstreifenbe Jnbustrie gehoben, die in dem geistlichen und weltlichen Luxus des späteren Mittelalters ihre Nahrung fanb: die Jnbustrie der Golb- und Silberarbeiter, der Bilbhauer und Bilbfchnitzer, Kupferstecher und Holz-fchneiber, Waffenschmied usw. Gleichen Schritt mit der Industrie hielt der Handel. Der große Hanbelsweg von Indien nach dem Norben ging immer noch durch Deutschland obgleich Mekring: Deutsche (Beschichte. 3

5. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 34

1910 - Berlin : Singer
— 34 — schon der Seeweg nach Indien entdeckt war. Augsburg war immer noch der große Stapelplatz für italienische Seidenzeuge und indische Gewürze. Die süddeutschen Städte, wie Augsburg und Nürnberg, waren die Mittelpunkte eines für jene Zeit ansehnlichen Reichtums. Ebenso hatte sich die Gewinnung der Rohprodukte bedeutend gehoben. Die deutschen Bergleute galten im 15. Jahrhundert als die geschicktesten der Welt, und auch den Ackerbau hatte das Aufblühen der Städte aus der ersten mittelalterlichen Roheit gerissen. Ausgedehnte Strecken öden Landes waren urbar gemacht worden; man baute auch Farbekräuter und andere eingeführte Pflanzen, deren sorgfältige Kultur auf den Ackerbau im allgemeinen günstig einwirkte. Bei alledem konnte sich der Aufschwung der nationalen Produktion in Deutschland, bedeutend wie er an sich war, immer noch nicht mit dem Aufschwung anderer Länder messen. Die Bevölkerung war immer noch sehr dünn gesät. Die Zivilisation existierte nur erst, um einzelne Mittelpunkte des Handels und der Industrie gruppiert; die Interessen diefer Mittelpunkte gingen weit auseinander, hatten kaum hier oder da leise Berührungspunkte. Der Süden hatte ganz andere Absatzmärkte und Handelsverbindungen als der Norden; der Osten und der Westen standen fast außerhalb jedes Verkehrs. Keine einzige Stadt war der industrielle und kommerzielle Schwerpunkt des ganzen Landes, wie London in England oder Paris in Frankreich. Der ganze innere Verkehr des Landes beschränkte sich fast ausschließlich auf die Küsten- und Flußschiffahrt und auf ein paar große Handelsstraßen, von Augsburg und Nürnberg über Köln nach den Niederlanden und über Erfurt nach dem Norden. Entfernt von den Flüssen und Handelsstraßen lag eine Anzahl kleinerer Städte, die, vom großen Verkehr ausgeschlossen, ungestört in den mittelalterlichen Lebensbedingungen fortvegetierten, nur wenig auswärtige Waren brauchten und nur wenig Ausfuhrprodukte lieferten. Demgemäß konnte in Deutschland nicht wie in ökonomisch entwickelten Ländern die moderne Monarchie aufkommen, die eben dadurch entstand, daß der aufblühende Handel und die aufblühende Industrie die ökonomischen Interessen des ganzen Landes unlöslich miteinander verketteten. Deutschland brachte es nur zur Gruppierung der Interessen nach Provinzen, mit anderen Worten zur politischen Zersplitterung. Den deutschen Kaisern aus dem Hanse Habsburg gelang nicht

6. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 37

1910 - Berlin : Singer
— 37 — handelte, aber ihm sollte sehr bald klar werden, daß es sich bei diesem Handel nicht um theologische Ketzereien, sondern um sehr reale Jnterefsenkämpse handelte. 4. Luther, Münzer, hulten. Sobald die Thesen Luthers das Signal zum offenen Kampfe gegen Rom gegeben hatten, vereinfachte sich der bunte Wirrwarr der deutschen Interessenkämpfe, indem sich die verschiedenen Klassen und Klassenfraktionen in drei große Lager schieden, das konservativ-katholische, das bürgerlich-reforma-torische und das plebejisch-revolutionäre. In dem konservativ-katholischen Lager sammelten sich alle Elemente, die an der Erhaltung des Bestehenden interessiert waren, an ihrer Spitze der Kaiser. So tief war die mittelalterliche Reichsgewalt in Deutschland gesunken, daß sich bei der Kaiserwahl von 1519 der französische und der spanische König um die Krone gerauft hatten; von den sieben Kurfürsten, denen die Wahl oblag, hatten sich fast alle, bald durch französisches, bald durch spanisches Gold bestechen lassen; endlich siegte der spanische König Karl, der aus dem Hause Habsburg stammte und zugleich Herr der österreichischen Erblande war. Sowohl als spanischer König wie als Herr der österreichischen Erblande hatte er das dringendste Interesse, nicht mit Rom zu brechen; er hat Rom durch seine Söldner stürmen lassen, um den Papst seinem Willen zu unterwerfen, aber der päpstlichen Kirche konnte er nicht absagen, da sie sein stärkstes Herrschaftsmittel sowohl in Spanien wie in den österreichischen Erblanden war. Deshalb blieb Kaiser Karl V. ein entschlossener Gegner der deutschen Reformation, wobei er sich aus die geistlichen und einen Teil der weltlichen Fürsten, den reichen Adel, die aristokratische Fraktion der Geistlichkeit und das städtische Patriziat stützen konnte. Diesem katholisch-konservativen Lager gegenüber stand nun die große Masse der Nation, die sich in leidenschaftlicher Empörung gegen die päpstliche Ausbeutung erhob. Sie spaltete sich aber sehr bald in zwei Lager, in deren einem sich die besitzenden Elemente der Opposition zusammenfanden, die Masse des niederen Adels, die Zunftbürger und ein Teil der weltlichen Fürsten, die sich durch Konfiskation der geistlichen Güter zu bereichern hofften und auch die Gelegenheit auszunutzen gedachten, sich von Kaiser und Reich noch immer unabhängiger zu machen. Diese bürgerlich-gemäßigte Partei wollte sich wohl vom Joche der päpstlichen Ausbeutung befreien, aber

7. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 41

1910 - Berlin : Singer
— 41 — anzutasten, aber der Rat von Allstätt vertrieb ihn. Münzer ging zunächst nach Mühlhausen, dann nach Nürnberg; aus beiden Orten wurde er wieder vertrieben, und nun siedelte er nach Süddeutschland über, als eifriger Schürer der Gärung, die einen baldigen gewaltigen Ausbruch der Bauernklasse verkündete. Vorher jedoch brach ein Ausstand des niederen Adels, der Ritterschaft aus, im Herbste 1522. Seine Führer waren Franz v. (Sickingen und Ulrich v. Hutten (1488—1523), durch deren populär gebliebene Namen doch nicht der innerlich reaktionäre Charakter ihrer Schilderhebung verdunkelt werden darf. Der glühende Haß, den Hutten und Sickingen gegen Fürsten und Pfaffen hegten, und ihre ebenso glühende Begeisterung für die Wiederherstellung eines nationalen Reiches machte sie in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu Lieblingen der deutschen Bourgeoisie, die von ähnlichen Stimmungen beseelt war. Allein das Reich, das Hutten und Sickingen wiederherstellen wollten, war das mittelalterliche Reich: eine Art Adelsdemokratie mit einem machtlosen Kaiser an der Spitze, mit Ausrottung der Fürsten, aber auch der Städte und mit fortdauernder Unterdrückung der Bauernklasse. Gegen dies Ideal stellten nicht nur die Städte, sondern selbst die Fürsten einen historischen Fortschritt dar. Bedeutete die Fürstenherrschaft auch die Zersplitterung Deutschlands, so faßte sie doch innerhalb der Zersplitterung die nationalen Kräfte bis zu einem gewissen Grade zusammen, während die junkerliche Demokratie, die Hutten und Sickingen vertraten, zu jener junkerlichen Anarchie geworden wäre, an der Polen elend untergegangen ist. Der Aufstand des niederen Adels war von vornherein verloren; die Städte dachten nicht daran, ihn zu unterstützen, und ebenso wenig die Bauern; damit hatten die Fürsten leichtes Spiel. Sickingens Burgen wurden schnell erstürmt und gebrochen; er selbst fiel bei der Belagerung seiner Veste Landstuhl, und Hutten starb wenige Monate später, im September 1523, als Flüchtling auf der Insel Ufnau im Züricher See. 5. Der Dauernkrieg und die Wiedertäufer. Anderthalb Jahr nach Huttens Tode brach der große Bauernkrieg aus. Die wachsende Not, die mit der Umwandlung der Natural- in die Geldwirtschaft über die bäuerliche Klasse gekommen war, hatte jeit dem Jahre 1476 eine Reihe

8. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 42

1910 - Berlin : Singer
— 42 — von bäuerlichen Aufständen namentlich in Süddeutschland hervorgerufen, darunter die Bauernverschwörungen, die unter dem Namen des Bundschuhs und des armen Konrads historischen Ruf gewonnen haben. Aber sie alle blieben örtlich beschränkt und wurden bald niedergeschlagen. Erst als die Reformationsbewegung die Nation in ihren Tiefen aufgewühlt hatte, gelang eine Bauernoerfchwörung über das ganze Reich hin, die am 2. April 1525 losschlagen sollte und in der Tat auch losschlug. Wie der ritterliche Aufstand innerlich reaktionär war, so ist die bäuerliche Revolution in ihrem historischen Kern innerlich reaktionär gescholten worden, und zwar gerade auch von Lassalle, der die Ritter Hutten und Sickingen dichterisch verherrlicht hat. Allein Lassalle hat die Bewegung der Ritter ebenso überschätzt, wie er die Bewegung der Bauern unterschätzte. Die zwölf Artikel, in denen die Bauern ihre Forderungen zusammenfaßten, lagen durchaus im Zuge des historischen Fortschrittes; sie verlangten Wahl und Absetzbarkeit der Geistlichen durch die Gemeinden; Abschaffung der Leibeigenschaft, des adligen Fischerei- und Jagdrechts, Beschränkung der übermäßigen Fronen und Steuern, Wiederherstellung der den einzelnen oder den Gemeinden entrissenen Waldungen und Weiden, Beseitigung der willkürlichen Justiz und Verwaltung. Alle diese Forderungen waren durchaus billig und gerecht, und vor allem entsprachen sie den Bedingungen und Voraussetzungen der bürgerlichen Geschichtsperiode; was die deutschen Bauern im Jahre 1525 forderten, lief wesentlich auf dasselbe hinaus, was die französischen Bauern im Jahre 1789 erobert haben. Lassalle ist in seinem abfälligen Urteil über den deutschen Bauernkrieg durch eine allzu formalistische Auffassung mißleitet worden; er wollte eine wirkliche Revolution nur anerkennen, wo ein altes Prinzip durch ein neues ersetzt werde, und indem er den Grundbesitz als das Prinzip des Mittelalters, die Industrie als das Prinzip der neuen Zeit auffaßte, sprach er dem Bauernkrieg mit Unrecht den revolutionären Charakter ab, weil er am Prinzip des Grundbesitzes festgehalten und vom Prinzip der Industrie nichts gewußt habe. Es war den Bauern gelungen, ihre große Verschwörung geheimzuhalten; als sie sich unerwartet erhoben, wurden die herrschenden Klassen so überrascht, daß die Sache der Bauern zunächst günstige Aussichten hatte oder doch zu haben schien. Auch Luther riet noch am 16. April zu einer gütlichen Eini-

9. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 44

1910 - Berlin : Singer
— 44 — Bauernbewegung nicht daran, daß sie Forderungen aufstellte, die historisch schon überholt waren, sondern umgekehrt, weil sie verfrüht war, weil ihr der nationale Boden fehlte, weil es eine deutsche Nation im modernen Sinne des Wortes noch nicht gab. Einzelne Städte schlossen sich wohl den Bauern an, aber auch sie nur lau und zaghaft; die städtischen Patrizier zeigten sich durchweg feindlich: die Zunftbürger trieben eine ähnliche Politik wie Luther; die städtischen Plebejer waren als Klasse noch viel zu unentwickelt, um den Bauern eine wirksame Stütze zu sein. Noch viel unzuverlässiger als die Städte waren die Ritter; sie schlugen sich meist auf die Seite der Fürsten, oder wenn sie sich anfangs zu den Bauern hielten, verrieten sie bald den Aufstand, wie Götz von Berlichingen. Nur einzelne Ritter, wie Florian Geyer, neben Münzer die glänzendste Gestalt des Bauernkrieges, hielten treu zu den Aufrührern. Im allgemeinen ruinierte die lokale und provinzielle Zersplitterung und in ihrer Folge die lokale und provinzielle Beschränktheit die ganze Bewegung; in jeder Landschaft handelten die Bauern auf eigene Faust, verweigerten sie ihren Klassengenossen in den Nachbarprovinzen ihre Hilfe und wurden in einzelnen Gefechten und Schlachten nacheinander von Heeren aufgerieben, die meist nicht dem zehnten Teil der insurgierten Gesamtmasse gleichkamen. Eine Hauptmasse der Fürsten war der niederträchtigste Verrat, der eben auch nur gelingen konnte, weil die Bauern in jahrhundertelanger Knechtschaft zu verelendet worden waren, um den handgreiflichen Lug und Trug zu durchschauen. Die Fürsten köderten die Bauernhaufen durch gleißende Versprechungen, und metzelten dann, wenn die Bauern in gläubigem Vertrauen auf diese Versprechungen die Waffen niederlegten, um sich nach Hause zu begeben, die Wehrlosen massenhaft nieder. In Strömen floß das Blut der Bauern über die deutsche Erde; nach geringster Schätzung sind hunderttausend Bauern entweder im Kriege gefallen oder nachher hingerichtet worden. Dennoch verschlechterte diese furchtbare Niederlage die Lage der Bauernklasse auf die Dauer nicht. Sie waren schon vor dem Kriege so ausgeschröpft worden, daß ihnen nichts mehr zu nehmen war. Manche wohlhabenden Mittelbauern wurden 5freilich ruiniert, eine Menge von Hörigen in die Leibeigenschaft hinabgedrückt, ganze Striche Gemeindeländereien konfisziert, eine große Anzahl durch die Zerstörung ihrer Wohnungen und die Verwüstung ihrer Felder zu Vagabunden

10. Deutsche Geschichte vom Ausgange des Mittelalters - S. 48

1910 - Berlin : Singer
— 48 — tore hatte, soweit die Erde entdeckt mar; er lieferte den Fürsten in der Form von Beichtvätern die erfahrensten und gescheitesten Minister. Jedoch der moderne Absolutismus entsprach nur zeitweise, nur soweit es auf die Bildung großer einheitlicher Handelsund Wirtschaftsgebiete ankam, nicht aber dauernd den Interessen der aufblühenden Städte. Für diese war er nicht Zweck, sondern nur Mittel zum Zweck, und sobald er sich selbst als Zweck zu fühlen gedachte, erinnerten sie ihn nachdrücklich daran, daß er von ihren Gnaden sei. Das Banner aber, unter dem sich zuerst die niederländischen Städte gegen den spanischen, und die französischen Städte gegen den französischen Absolutismus erhoben, war der Kalvinismus. Kalvin hatte ihn in der reichen Handelsstadt Genf verkündet, und durch seine demokratische Kirchenverfassung entsprach er den Interessen der vorgeschrittensten Städtebürger. Wohl bekannten sich auch Teile des Adels in Holland und Frankreich zum Kalvinismus, aber nur, weil sie mit den rebellischen Städten mehr oder minder gemeinsame Interessen hatten; wo der Kalvinismus eine begeisternde und fanatische Macht wurde, standen die bürgerlichen Interessen im Vordergründe. Neben der absolutistisch-kapitalistischen Gesellschaft Jesu kann man ihn die bürgerlichkapitalistische Religion nennen. Endlich das Luthertum war die Religion der ökonomisch zurückgebliebenen Länder, die am stärksten von Rom ausgebeutet worden waren, aber am wenigsten daran denken konnten, Rom zu beherrschen oder Rom zu vernichten, die also vollständig mit Rom brechen mußten, jedoch in die großen Wettkämpfe um sein Erbe nicht entscheidend eingreifen konnten. Das Luthertum herrschte im nördlichen und östlichen Deutschland, in Dänemark, in Schweden. Es waren Länder mit verhältnismäßig geringer Entwickelung der Städte und starkem Uebergewicht des Adels; im westlichen Deutschland, wo die Städte stärker und zahlreicher waren, wog der Kalvinismus vor. Wo das Luthertum herrschte, arbeitete sich die kapitalistische Entwickelung erst langsam aus dem feudalen Chaos heraus. Sie schuf noch kein revolutionäres Bürgertum, dagegen machte sie aus dem Grundherrn einen Gutsherrn, aus dem Ritter einen Warenproduzenten. Dies geschah namentlich in den ackerbautreibenden Landstrichen östlich der Elbe; die Kirche bezahlte hier mit ihren Gütern und die Bauern mit immer wachsender Ausbeutung die Zeche der „reinen Gotteslehre".
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