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1. Thüringisches Lesebuch für die oberen Klassen der Volksschulen - S. 6

1873 - Hildburghausen : Gadow
4 für's Vaterland in ihrem Beruf, können aber auch Beute machen und der armen Eltern pflegen. Hierauf erneuerte der Geist den Knabenhandel noch- nials, doch das Weib würdigte ihn keiner Antwort, raffte das Laub in den Korb, band oben darauf den kleinen Schreier mit der Leibschnur fest, und Rübezahl wandte sich, als wollte er fürdergehen. Weil aber die Bürde zu schwer war, daß das Weib nicht aufkommen konnte, rief sie ihn zurück: Ich hab euch einmal gerufen, sprach sie, helft mir nun auch auf, und wenn ihr ein Uebriges thun wollt, so schenkt dem Knaben, der euch gefallen, ein Gröschel zu einem paar Semmeln; morgen kommt der Vater heim, der wird uns Weißbrod aus Böhmen mit- bringen. Der Geist antwortete: Aufhelfen will ich dir wohl, aber gibst du mir den Knaben nicht, so soll er auch keine Spende haben. Auch gut, versetzte das Weib, und ging ihres Weges. Je weiter sie ging, je schwerer wurde der Korb, daß sie unter der Last schier erlag und alle zehn Schritte ver- schnauben mußte. Das schien ihr nicht mit rechten Dingen zuzugehen; sie wähnte, Rübezahl habe ihr einen Possen gespielt und eine Last Steine unter das Laub practicirt; darum setzte sie den Korb ab auf dem nächsten Rande und stürzte ihn um. Doch es sielen eitel Laubblätter heraus und keine Steine. Also füllte sie ihn wieder zur Hälfte und raffte noch so viel Laub ins Vortuch, als sie darein fassen konnte; aber bald wurde ihr die Last von Neuem zu schwer, und sie mußte nochmals ausleeren, was die rüstige Frau groß Wunder nahm; denn sie hatte gar oft hoch- bebauste Graslasten heimgetragen und solche Mattigkeit noch nie gefühlt. Deßungeachtet beschickte sie bei ihrer Heim- kunft den Haushalt, warf den Ziegen und den jungen Hipplein das Laub vor, gab den Kindern das Abendbrod, brachte sie in Schlaf, betete ihren Abendsegen und schlief flugs und fröhlich ein. Die frühe Morgenröthe und der wache Säugling, der mit lauter Stimme sein Frühstück heischte, weckten das geschäftige Weib zu ihrem Tagwerk aus dem gesun- den Schlaf. Sie ging zuerst mit dem Melkfaffe ihrer Gewohnheit nach zum Ziegenstalle. Welch schreckenvoller Anblick! das gute nahrhafte Hausthier, die alte Ziege, lag da, rohhart und steif, hatte alle Viere von sich ge- streckt und war verschieden; die Hipplein aber verdrehten die Augen gräßlich im Kopfe, streckten die Zunge weit

2. Thüringisches Lesebuch für die oberen Klassen der Volksschulen - S. 7

1873 - Hildburghausen : Gadow
o von sich, und gewaltsame Zuckungen verriethen, daß sie der Tod ebenfalls schüttelte. So ein Unglücksfall war der guten Frau noch nicht begegnet, seitdem sie wirthschaftete; ganz betäubt von Schrecken, sank sie auf ein Bündlein Stroh hin, hielt die Schürze vor die Augen, denn sie konnte den Jammer der Sterblinge nicht ansehen, und erseufzete tief: Ich unglückliches Weib, was fang ich an! und was wird mein harter Mann beginnen, wenn er nach Hause kommt? Ach, hin ist mein ganzer Gottes- segen auf dieser Welt. — Augenblicklich strafte sie das Herz dieses Gedankens wegen: Wenn das liebe Vieh dein ganzer Gottessegen ist auf dieser Welt, was ist denn Steffen und was sind deine Kinder? Sie schämte sich ihrer Uebereilung. Laß fahren dahin aller We!t Reich- thum, dachte sie, hast du doch noch deinen Mann und deine vier Kinder. Ist doch die Milchquelle für den lieben Säugling noch nicht versiegt, und für die übrigen Kinder ist Wasser im Brunnen. Wenn's auch einen Strauß mit Steffen absetzt und er mich übel schlägt, was ist's mehr, als ein böses Ehestündlein? hab ich doch nichts verwahrlost. Die Ernte stehet bevor, da kann ich schneiden gehn, und auf den Winter will ich spinnen bis in die tiefe Mitternacht; eine Ziege wird ja wohl wieder zu erwerben sein, und hab' ich die, so wirds auch nicht an Hipplein fehlen. Indem sie das bei sich gedachte, ward sie wieder frohen Muthes, trocknete ab ihre Thränen, und wie sie die Augen aufhob, lag da vor ihren Füßen ein Blättlein, das fütterte und blinkte so hell und hochgelb, wie gedie- gen Gold; sie hob es auf, besah's, und es war schwer wie Gold. Rasch sprang sie auf, lief damit zu ihrer Nachbarin, der Judenfrau, zeigt ihr den Fund mit großer Freude und die Jüdin erkannt's für reines Gold, schachert's ihr ab, und zählt' ihr dafür zwei Dickthaler baar auf den Tisch. Vergessen war nun all' ihr Herzeleid. Solchen Schatz an Baarschaft hatte das arme Weib noch nicht im Besitz gehabt. Sie lief zum Bäcker, kaufte Strözel und Bntterkringel und eine Hammelkeule für Steffen, die sie zurichten wollte, wenn er müde und hung- rig auf den Abend von der Reise käm. Wie zappelten die Kleinen der fröhlichen Mutter entgegen, da sie hereintrat und ihnen ein so ungewohntes Frühstück austheilte. Sie überließ sich ganz der mütterlichen Freude, die hungrige Kinderjchaar abzufüttern; und nun war ihre erste Sorge,

3. Thüringisches Lesebuch für die oberen Klassen der Volksschulen - S. 8

1873 - Hildburghausen : Gadow
6 das ihrer Meinung nach von einer Unholdin gesterbte Vieh bei Seite zu schaffen und dieses häusliche Unglück vor dem Manne so lang als möglich zu verheimlichen. Aber ihr Erstaunen ging über Alles, als sie von ungefähr in den Futtertrog sah und einen ganzen Hansen goldner Blätter darin erblickte. Daher schärfte sie geschwind das Küchenmesser, brach den Ziegenleichnam ans und fand im Magenschlunde einen Klumpen Gold, so groß, als einen Paulinerapfel, und so auch nach Verhältniß in den Mägen der Zicklein. Jetzt wußte sie ihres Reichthums kein Ende; doch mit der Besitznehmung empfand sie auch die drückenden Sorgen desselben; sie ward unruhig, scheu, fühlte Herz- klopfen, wußte nicht, ob sie den Schatz in die Lade ver- schließen oder in den Keller vergraben sollte, fürchtete Diebe und Schatzgräber, wollte auch den Knauser Steffen nicht gleich Alles wissen lassen, aus gerechter Besorg- niß, daß er, vom Wuchergeist angetrieben, den Mammon an sich nehmen und sie dennoch nebst den Kindern darben lassen möchte. Sie sann lange, wie sie's klug genug damit anstellen möchte, und fand keinen Rath. Endlich nahm sie ihre Zuflucht zu dem trostreichen Seelenpfleger des Dorfes, berichtete ihm unverhohlen das Abenteuer mit Rübezahl, wie er ihr zu großem Reichthum ver- holfen und was sie dabei für Anliegen habe. Nach- dem er lange nachgesonnen hatte, sagte er: Hör' an, meine Tochter, ich weiß guten Rath für Alles. Wäge mir das Gold zu, daß ich dir's getreulich aufbewahre; dann will ich einen Brief schreiben in welscher Sprache, der soll dahin lauten: dein Bruder, der vor Jahren in die Fremde ging, sei in der Venediger Dienst nach In- dien geschifft und daselbst gestorben, und habe all sein Gut dir im Testament vermacht, mit dem Beding, daß der Pfarrer des Kirchspiels dich bevormunde, damit es dir allein und keinem andern zu Nutz komme. Ich begehre weder Lohn noch Dank von dir; nur gedenke, daß du der heiligen Kirche einen Dank schuldig bist für den Segen, den dir der Himmel bescheert hat, und gelobe ein reiches Meßgewand in die Sakristei. Dieser Rath be- hagte dem Weibe herrlich: er wog in ihrem Beisein das Gold gewissenhaft bis auf ein Quentlein aus, legte es in den Kirchenschatz, und das Weib schied mit frohem und leichtem Herzen von ihm. Rübezahl aber war mittlerweile auch nicht müßig ge-

4. Thüringisches Lesebuch für die oberen Klassen der Volksschulen - S. 10

1873 - Hildburghausen : Gadow
8 viel reinen Gewinn ihm seine Waare diesmal einbringen würde und fand nach genauem Ueberschlag, daß, wenn er keinen Groschen ins Haus verwendete und die fleißige Hand seines Weibes für Nahrung und Kleidung sorgen ließe, er gerade so viel lösen würde, um auf dem Markte zu Schmiedeberg sich einen Esel kaufen und befrachten zu können. Der Gedanke, wie er in Zukunft dem Grau- schimmel die Last aufbürden und gemächlich nebenher gehen würde, war ihm zu der Zeit, wo seine Schultern eben wund gedrückt waren, so herzerquickend, daß er ihm, wie natürlich, weiter nachhing. Ist einmal der Esel da, dachte er, so soll mir bald ein Pferd daraus werden, und hab ich nun den Rappen im Stalle, so wird sich auch ein Acker dazu finden, darauf sein Hafer wächst. Aus einem Acker werden dann leicht zwei, aus zweien vier, mit der Zeit eine Hufe, und endlich ein Bauerngut, und dann soll Ilse auch einen neuen Rock haben. Er war mit seinen Entwürfen beinahe so weit, wie jenes Milchmädchen, da tummelte Rübezahl seinen Wirbel- wind um den Holzstock herum und stürzte mit einemmal den Glaskorb herunter, daß der zerbrechliche Kram in tausend Stücken zerfiel. Das war ein Donnerschlag in Steffens Herz; zugleich vernahm er in der Ferne ein lautes Gelächter, wenns anders nicht Täuschung war und das Echo den Laut der zerschollenen Gläser nur wieder zurückgab. Er nahm's für Schadenfreude, und weil ihm der unmäßige Windstoß unnatürlich schien, auch, da er recht zusah, Klotz und Baum verschwunden war, so rieth er leicht auf den Unglücksstister. O! wehklagt er, Rübe- zahl, du Schadenfroh, was hab' ich dir gethan, daß du mein Stückchen Brod mir nimmst, meinen sauern Schweiß und Blut! Ach, ich geschlagener Mann auf Lebenszeit! Hierauf gerieth er in eine Art von Wuth und stieß alle erdenklichen Schmähreden gegen den Berggeist aus, um ihn zum Zorn zu reizen. Hallunke, rief er, komm' und erwürge mich, nachdem du mir mein Alles auf der Welt genommen hast! In der That war ihm auch das Leben in dem Augenblick nicht mehr werth, als ein zerbrochenes Glas; Rübezahl ließ indessen weiter nichts von sich sehen noch hören. — Der verarmte Steffen mußte sich ent- schließen, wenn er nicht den ledigen Korb nach Hause tragen wollte, die Bruchstücke zusammen zu lesen, um auf der Glashütte wenigstens ein Paar Spitzgläser zum

5. Thüringisches Lesebuch für die oberen Klassen der Volksschulen - S. 12

1873 - Hildburghausen : Gadow
10 dringen, um beim fröhlichen Gelag dem aufgemunterten Steffen von der reichen Erbschaft des Weibes Bericht zu geben, und unter welcherlei Bedingungen er daran Ge- nuß und Antheil haben solle. Sie sah gegen Abend- zeit fleißig zum Fenster aus, ob Steffen käme, lief aus Ungeduld hinaus vor's Dorf, blickte mit ihren schwarzen Augen gegen die Landstraße hin, war bekümmert, warum er so lange weile, und da die Nacht hereinbrach, folgten ihr bange Sorgen und Ahnungen in die Bettkammer, ohne daß sie an's Abendessen gedachte. Lange kam ihr kein Schlaf in die ausgeweinten Augen, bis sie gegen Morgen in einen unruhigen, matten Schlummer fiel. Den armen Steffen quälten Verdruß und Langeweile im Ziegenstalle nicht minder; er war so niedergedrückt und kleinlaut, daß er sich nicht traute, an die Thür zu klopfen. Endlich kam er - doch hervor; pochte ganz verzagt an und rief mit wehmüthiger Stimme: Liebes Weib, er- wache und thue auf deinem Manne! Sobald Ilse seine Stimme vernahm, sprang sie flink vom Lager wie ein munteres Reh, lief an die Thür und umhalsete ihren Mann mit Freuden; er aber erwiderte diese herzlichen Liebkosungen gar kalt und frostig, setzte seinen Korb ab und warf sich mißmuthig auf die Ofenbank. Wie das fröhliche Weib das Jammerbild sah, ging's ihr an's Herz. Was plagt dich, lieber Mann? sprach sie bestürzt, was hast du? Er antwortete nur durch Stöhnen und Seufzen; dennoch fragte sie ihm bald die Ursach seines Kummers ab, und weil ihm das Herz zu voll war, konnt' er fein erlittenes Unglück dem trauten Weibe nicht länger verhehlen. Da sie vernahm, daß Rübezahl den Scha- bernack verübt hatte, errieth sie leicht die wohlthätige Absicht des Geistes und konnte sich des Lachens nicht erwehren, welches Steffen ihr bei muthigerer Gemüths- faffung übel würde gelohnt haben. Jetzt ahndete er den scheinbaren Leichtsinn nicht weiter und fragte nur ängst- lich nach dem Ziegenvieh. Das reizte noch mehr des Weibes Zwergfell, da sie merkte, daß der Hausvogt schon allenthalben umher spionirt hatte. Was kümmert dich mein Vieh? sprach sie, hast du doch noch nicht nach den Kindern gefragt; das Vieh ist wohl aufgehoben draußen auf der Weide. Laß dich auch den Tück von Rübezahl nicht anfechten und gräme dich nicht: wer weiß, wo er oder ein Anderer uns reichen Ersatz dafür gibt. Da kannst du lange warten, sprach der Hoffnungs-

6. Thüringisches Lesebuch für die oberen Klassen der Volksschulen - S. 14

1873 - Hildburghausen : Gadow
12 2. Ein Brief Doctor Martin Luthers an seinen Sohn Hans. Gnade und Friede in Christo, mein herzliches Söhn- chen! Ich sehe gerne, dass Du wohl lernest, und fleissig betest. Thue also, mein Söhnchen, und fahre fort: wenn ich heim komme, so will ich Dir einen schönen Jahrmarkt mitbringen. Ich weiss einen hüb- schen, lustigen Garten; da gehen viele Kinder innen, haben güldene Köcklein an und lesen schöne Aepfel unter den Bäumen, und Birnen, Kirschen, Spilling und Pflaumen, singen, springen und sind fröhlich; haben auch schöne kleine Jterdlein mit güldenen Zäumen und silbernen Sätteln. Da fragte ich den Mann, dessen der Garten ist, wess die Kinder waren. Da sprach er: »Es sind die Kinder, die gerne beten, lernen und fromm sind.« Da sprach ich: »Lieber Mann, ich habe auch einen Sphn, heisst Hänschen Luther, möchte er nicht auch in den Garten kommen, dass er auch solche schöne Aepfel und Birnen essen möchte und solche feine Pferdlein reiten und mit diesen Kindern spielen?« Da sprach der Mann: »Wenn er gerne betet, lernet und fromm ist,so soll er auch in den Garten kommen, Lippus und Jost auch und wenn sie alle zusammen kommen, so werden sie auch Pfeifen, Pauken, Lauten und allerlei Saitenspiel haben, auch tanzen und mit kleinen Armbrüsten schiessen.« Und er zeigte mir dort eine feine Wiese im Garten, zum Tanzen zugerichtet, da hingen eitel güldene Pfeifen, Pauken und feine silberne Armbrüste. Aber es war noch frühe,dass die Kinder noch nicht gegessen hatten; darum konnte ich des Tanzens nicht erharren, und sprach zu dem Manne: »Ach, lieber Herr, ich will flugs hingehen, und das Alles meinem lieben Söhnleinhänschen schreiben, dass er ja fleissig bete und wohl lerne und fromm sei, auf dass er auch in diesen Garten komme, aber er hat eine Muhme Lene, die muss er mitbringen.« Da sprach der Mann: »Es soll ja sein, gehe hin und schreibeihm also.« Darum liebes Söhnlein Hänschen, lerne und bete ja getrost, und sage es Lippus und Justen auch, dass sie auch lernen und beten, so werdet Ihr mit einander in den Garten kommen. Hiermit sei dem allmächtigen Gott befohlen, und grüsse Muhme Lenen, und gib ihr einen Kuss von meinetwegen. Coburg, Dein lieber Vater Anno 1530. ' Martinas Luther.

7. Thüringisches Lesebuch für die oberen Klassen der Volksschulen - S. 16

1873 - Hildburghausen : Gadow
14 bleibende Brod gelegen hatte, und suchten hinter dem alten Gebetbuch nach alten Bröckchen, die sich vielleicht da noch verhalten hatten, aber sie fanden nichts, denn es war schon lange kein Brod hineingekommen, weil nichts übrig blieb, und die Mutter hatte schon öfters den Tisch- kasten ganz umgestürzt und die gefundenen Brosamen den kleinsten Kindern zusammengekehrt und gegeben. Wenn sie denn gar nichts fanden, weinten die Kleinen, während das größere Töchterchen begierig an dem Tuche leckte, worinnen die Mutter gestern Mehl geholt hatte, und der größere Knabe den hölzernen Teller abschabte, worauf der Mehlbrei gewesen war, bis der Vater, der auch vor Hunger matt war, traurig sagte: nun, ihr Kinder, laßt uns das Abendgebet mit einander beten und zu Bette gehen! Wenn dann am Morgen die Kleinen wieder auf- wachten und die Mutter konnte ihnen keine Milch geben, weil die Ziege schon lange aus Noth verkauft oder ge- schlachtet war, da schaute sie wohl manchmal tiefsehnend aus dem Fenster hinaus, wenn wieder ein Sarg vorbei- getragen wurde, und dachte: selig, glücklich sind die, die in dem Herrn sterben, denn sie werden ruhen von ihrer Arbeit, ruhen von ihrem Elend, in der tiefen, stillen Kammer, wo sie nicht hören mehr und versagen müssen die Bitte der unschuldigen, hungernden Kinder. Indem nun das Elend in jenem traurigen Winter fast allgemein in dem armen Erzgebirge so groß war, wie wir es hier beschreiben, hatte auch unsere arme Bergmanns- Familie ihren reichlichen Antheil an der Noth zu tragen. Da gab das Mitleid und die zärtliche Liebe der Mutter ein Mittel ein, wie sie ihren jüngsten, liebsten Sohn, den zweijährigen Johann Gottlob, von dem Hungertod, dem ein so zartes Kind leicht wäre ausgesetzt gewesen, retten konnte. Sie trug nämlich den Knaben täglich hin zu einem Bäcker und ließ ihn in der Nähe des Backofens, während sie auf's Tagelohn ging, Stunden lang sitzen, damit er den nahrhaften Dampf des frischen Brodes einathme, die mit- leidige, aber selber arme und an Kindern reiche Bäckers- frau gab dann dem Kleinen wohl zuweilen auch einige Bissen. So wurde der Knabe jenen Winter hindurch, wo so unzählig viele arme Kinder von seinem zarten Alter starben, beim Leben erhalten. Da nun der Frühling 1771 wieder kam und die Wiesen wurden wieder munter, faßten die Armen auch

8. Thüringisches Lesebuch für die oberen Klassen der Volksschulen - S. 18

1873 - Hildburghausen : Gadow
16 Mittag speist und erquickt ihn eine mitleidige Bauern- Familie reichlich, am Abend wieder, und da er immer noch nach seinem S. fragt und immer hört, es sei ein paar Stunden dahin, läßt er sichs endlich in kindlicher Unüber- legtheit gefallen, so den Tag über zwischen grünen Feldern und blühenden Bäumen herum zu laufen und am Mittag und Abend doch immer seine Mahlzeit bei mitleidigen Menschen zu finden; er wirft die welken Skabiosen aus der Hand und weint nur noch am Abend, wenn er zuweilen in Häusern ist, wo ihn die Leute nicht so freundlich ansehen, nach der Mutter. So wandert der Kleine, der durch sein hübsches Gesicht und sein gar gutes, treuherzig blickendes Auge, so wie, wenn man ihn darum fragt, durch seine treu- herzige Erzählung überall Mitleiden' weckt, eine ziemlich lange Zeit von Ort zu Ort. Bald pflegen seiner mit- leidige Bauern oder eine gute Predigersfrau reinigt und erquickt ihn, wohlmeinende Edelfrauen geben ihm Geld und Kleider. Geld zwar achtete er anfangs nicht, sondern gab es andern armen Kindern; da er aber einmal von diesen bemerkt, daß man auch gutes, weißes Brod an Bäckerläden haben kann, wenn man dem Bäcker Geld gibt, lernte er nach und nach auch den Werth dieses Almosens kennen. Endlich kommt er in eine, ihm damals sehr groß und prächtig scheinende Stadt (wahrscheinlich Zwickau). Die große Theuerung im Gebirge hatte damals viele Arme nach den Städten hingezogen, die am Tage ihren Bissen Brod vor den Thüren der mitleidigeren Bürger suchten und bei Nacht außen vor der Stadt schliefen. Der Kleine hatte bisher noch nie eigentlich gebettelt, sondern, wenn ihn hungerte, sich immer nur vor die Thüren still hinge- stellt und gewartet, bis man ihn anredete und zum Epen einlud; unter die Hausen der Almosen flehenden Armen gemischt, lernte er aber nun auch von diesen uni Almosen bitten. Dem kleinen zarten, treuherzigen Knaben gab Jedes reichlich, und er brachte gewöhnlich, wenn er. nicht über dem Spielen mit andern armen Kindern das Almosenbitten vergaß, am Tage über so viel zusammen, daß er nur den geringsten Theil des empfangenen Brodes zu essen vermochte. Da nahm er denn am Abend seinen ganzen Vorrath an Brod und Geld und ging_ in der Vorstadt in eine Hütte, die ihm die ärmste schien und wo viele hungrige Kinder waren, denen gab er sein

9. Thüringisches Lesebuch für die oberen Klassen der Volksschulen - S. 19

1873 - Hildburghausen : Gadow
17 ganzes Brod und Geld und hatte dafür in der Hütte sein Obdach. So wurde er in der That (denn das mitgebrachte Almosen ward immer reichlicher, weil der Kleine und seine ihm stückweise abgefragte Geschichte in der Stadt immer bekannter wurde) gerade in der Zeit des größten Mangels der wirkliche Erhalter und rettende Engel einiger ganz armen und kinderreichen Familien, die entweder zu schüchtern waren, um selbst Almosen zu erflehen, oder nicht das Glück hatten, so viel zu bekommen, wie der kleine Bergmannsknabe. - ' . Auf jene Wiese erhielt sich und Andere der verirrte Knabe während der ganzen Zeit der großen Theuerung, die indessen im höhern Erzgebirge von Monat zu Monat so heftig zugenommen hatte, daß an der aus dieser Noth entstehenden Seuche ungemein viele arme Familien ganz ausstarben und viele arme Hütten ihre ganzen Bewohner verloren. Nachdem er lange in der Stadt und dann auch, _ da er aus Liebe zur Veränderung sie verließ, außer ihr seinen täglichen Unterhalt gefunden, reichlicher als jemals in der armen Hütte seiner Eltern, kommt er ein- mal an einem Herbstabend, da eben die Sonne über den Thürmen einer auf der nahen Anhöhe liegenden Stadt untergehen wollte, auf eine Berghöhe, von der er unten im Thal ein Dorf mit ¡einer kleinen Kirche liegen sieht. Das Dorf und die ;Kirche kommen ihm so bekannt vor, und, nun schon dreister geworden, fragt er einen Bauer, der auf der Anhöhe ackert, wie der Ort hieße? Der ant- wortet: Ober-S. Da läuft der Kleine, vor Freude außer sich, den Berg hinunter und kommt noch in der Dämmerung ins Dorf. Er findet gar bald die wohl- bekannte liebe Hütte seiner Eltern, klopft an der Thüre an, aber die ist und bleibt verschlossen. Aber an der hintern Seite des Häuschens nach oben befand sich ein Laden, der gewöhnlich (denn Diebe fürchtet ein armer, guter Bergmann nicht) immer offen stand. Auch jetzt war er geöffnet, und der Kleine kletterte hinauf, wie er sonst öfters seine ältern Brüder hatte hinaufklettern sehen. Aber innen im Haus war Alles still und der. Knabe, der glaubt, es schlafe schon Alles, legt sich auch ganz still in einen oben auf dem Boden stehenden offenen Kasten, worinnen alte Kleider und Lumpen lagen. Zum , ersten Male wieder in dem Hause seiner lieben Mutter, erwacht er am andern Morgen überaus froh und heiter, springt herunter, öffnet Hausthüre und Fensterläden und Th. Lesebuch. 2

10. Thüringisches Lesebuch für die oberen Klassen der Volksschulen - S. 20

1873 - Hildburghausen : Gadow
18 sieht sich nun im ganzen Hause um. Aber das ist still und leer, das Bette, wo sonst seine Eltern innen schliefen, war nicht mehr da, auf sein Rufen antwortet Niemand. Endlich kommt ein Nachbar, verwundert, wer in dem ein- samen Hause sei. Da er den Kleinen erkennt, sagt er: „Du böses Kind, wo bist du gewesen? Deine Eltern und deine Geschwister (bis auf eine Schwester) sind alle an der Noth und an der Seuche gestorben, und die Sorge um dich hat deine Mutter noch in ihren letzten Stunden be- kümmert." Da fängt der arme Junge bitterlich an zu weinen, daß er seine Mutter, von der er ja gar nicht gerne weggelaufen war, nicht mehr sehen soll, und daß er sie so betrübt hat. — Aber der ihn bisher so wunderbar aus der sehr wahr- scheinlichen Todesgefahr gerettet, wunderbar bei der Hand geführt und genährt hatte, der sorgte nun auch ferner für ihn, erweckte ihm ein mitleidiges Herz, das sich seiner im Leiblichen sowohl als im Geistigen annahm, und durch noch gar viele merkwürdige, aber nicht hieher gehörige Lebens- führungen wurde der Knabe das, was er jetzt ist, ein lieber, frommer, mit allen Gottesführungen zufriedener Bergmann, dem man es ansieht und anmerkt, daß er Christum kennt und liebt. Welche Lebensführung konnte wohl dem Anscheine nach härter und doch zugleich herrlicher und wohlthäti- ger sein, als die, welche wir hier erzählten! Eine arme Mutter hängt mit ganzer Seele an ihrem liebsten, jüng- sten Knaben, der in der größten Noth unter Allem, was sie äußerlich besitzt, ihr liebster Trost ist. Sie bittet Gott oft, er möge doch nur diesen kleinen Unschuldigen, der den Hunger noch gar nicht ertragen kann, und für den sie doch so oft nichts hat, ihn zu sättigen, mit seiner wunderbaren Hand speisen und erhalten! Und ihr Lieb- ling wird ihr weggenommen, sie weiß nicht, wohin? Ihr liebster Anblick, den sie noch in ihrer armen Hütte hatte, ist ihr geraubt! Aber zugleich ist auch ihr inni- ges Gebet erhört, der kleine Unschuldige wird während der Hungersnoth täglich reichlich gespeist, wird während der Seuche, die wohl auch ihn, den zartesten unter seinen Geschwistern, ergriffen und hingerissen hätte, wunderbar erhalten und wird so zum Zeugniß einer allerbarmen- den, rettenden Liebe hingestellt! Freilich wird der Kummer die Arme noch auf ihrem Sterbebette um den verlornen Sohn tief gebeugt haben, aber es blieb auch hier wahr:
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