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für's Vaterland in ihrem Beruf, können aber auch Beute
machen und der armen Eltern pflegen.
Hierauf erneuerte der Geist den Knabenhandel noch-
nials, doch das Weib würdigte ihn keiner Antwort, raffte
das Laub in den Korb, band oben darauf den kleinen
Schreier mit der Leibschnur fest, und Rübezahl wandte
sich, als wollte er fürdergehen. Weil aber die Bürde zu
schwer war, daß das Weib nicht aufkommen konnte, rief
sie ihn zurück: Ich hab euch einmal gerufen, sprach sie,
helft mir nun auch auf, und wenn ihr ein Uebriges thun
wollt, so schenkt dem Knaben, der euch gefallen, ein
Gröschel zu einem paar Semmeln; morgen kommt der
Vater heim, der wird uns Weißbrod aus Böhmen mit-
bringen. Der Geist antwortete: Aufhelfen will ich dir
wohl, aber gibst du mir den Knaben nicht, so soll er auch
keine Spende haben. Auch gut, versetzte das Weib, und
ging ihres Weges.
Je weiter sie ging, je schwerer wurde der Korb, daß
sie unter der Last schier erlag und alle zehn Schritte ver-
schnauben mußte. Das schien ihr nicht mit rechten Dingen
zuzugehen; sie wähnte, Rübezahl habe ihr einen Possen
gespielt und eine Last Steine unter das Laub practicirt;
darum setzte sie den Korb ab auf dem nächsten Rande und
stürzte ihn um. Doch es sielen eitel Laubblätter heraus
und keine Steine. Also füllte sie ihn wieder zur Hälfte
und raffte noch so viel Laub ins Vortuch, als sie darein
fassen konnte; aber bald wurde ihr die Last von Neuem zu
schwer, und sie mußte nochmals ausleeren, was die rüstige
Frau groß Wunder nahm; denn sie hatte gar oft hoch-
bebauste Graslasten heimgetragen und solche Mattigkeit noch
nie gefühlt. Deßungeachtet beschickte sie bei ihrer Heim-
kunft den Haushalt, warf den Ziegen und den jungen
Hipplein das Laub vor, gab den Kindern das Abendbrod,
brachte sie in Schlaf, betete ihren Abendsegen und schlief
flugs und fröhlich ein.
Die frühe Morgenröthe und der wache Säugling,
der mit lauter Stimme sein Frühstück heischte, weckten
das geschäftige Weib zu ihrem Tagwerk aus dem gesun-
den Schlaf. Sie ging zuerst mit dem Melkfaffe ihrer
Gewohnheit nach zum Ziegenstalle. Welch schreckenvoller
Anblick! das gute nahrhafte Hausthier, die alte Ziege,
lag da, rohhart und steif, hatte alle Viere von sich ge-
streckt und war verschieden; die Hipplein aber verdrehten
die Augen gräßlich im Kopfe, streckten die Zunge weit
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von sich, und gewaltsame Zuckungen verriethen, daß sie
der Tod ebenfalls schüttelte. So ein Unglücksfall war der
guten Frau noch nicht begegnet, seitdem sie wirthschaftete;
ganz betäubt von Schrecken, sank sie auf ein Bündlein
Stroh hin, hielt die Schürze vor die Augen, denn sie
konnte den Jammer der Sterblinge nicht ansehen, und
erseufzete tief: Ich unglückliches Weib, was fang ich an!
und was wird mein harter Mann beginnen, wenn er
nach Hause kommt? Ach, hin ist mein ganzer Gottes-
segen auf dieser Welt. — Augenblicklich strafte sie das
Herz dieses Gedankens wegen: Wenn das liebe Vieh dein
ganzer Gottessegen ist auf dieser Welt, was ist denn
Steffen und was sind deine Kinder? Sie schämte sich
ihrer Uebereilung. Laß fahren dahin aller We!t Reich-
thum, dachte sie, hast du doch noch deinen Mann und
deine vier Kinder. Ist doch die Milchquelle für den
lieben Säugling noch nicht versiegt, und für die übrigen
Kinder ist Wasser im Brunnen. Wenn's auch einen
Strauß mit Steffen absetzt und er mich übel schlägt,
was ist's mehr, als ein böses Ehestündlein? hab ich doch
nichts verwahrlost. Die Ernte stehet bevor, da kann ich
schneiden gehn, und auf den Winter will ich spinnen bis
in die tiefe Mitternacht; eine Ziege wird ja wohl wieder
zu erwerben sein, und hab' ich die, so wirds auch nicht
an Hipplein fehlen.
Indem sie das bei sich gedachte, ward sie wieder
frohen Muthes, trocknete ab ihre Thränen, und wie sie
die Augen aufhob, lag da vor ihren Füßen ein Blättlein,
das fütterte und blinkte so hell und hochgelb, wie gedie-
gen Gold; sie hob es auf, besah's, und es war schwer
wie Gold. Rasch sprang sie auf, lief damit zu ihrer
Nachbarin, der Judenfrau, zeigt ihr den Fund mit großer
Freude und die Jüdin erkannt's für reines Gold,
schachert's ihr ab, und zählt' ihr dafür zwei Dickthaler
baar auf den Tisch. Vergessen war nun all' ihr Herzeleid.
Solchen Schatz an Baarschaft hatte das arme Weib noch
nicht im Besitz gehabt. Sie lief zum Bäcker, kaufte
Strözel und Bntterkringel und eine Hammelkeule für
Steffen, die sie zurichten wollte, wenn er müde und hung-
rig auf den Abend von der Reise käm. Wie zappelten die
Kleinen der fröhlichen Mutter entgegen, da sie hereintrat
und ihnen ein so ungewohntes Frühstück austheilte. Sie
überließ sich ganz der mütterlichen Freude, die hungrige
Kinderjchaar abzufüttern; und nun war ihre erste Sorge,
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das ihrer Meinung nach von einer Unholdin gesterbte
Vieh bei Seite zu schaffen und dieses häusliche Unglück
vor dem Manne so lang als möglich zu verheimlichen.
Aber ihr Erstaunen ging über Alles, als sie von ungefähr
in den Futtertrog sah und einen ganzen Hansen goldner
Blätter darin erblickte. Daher schärfte sie geschwind das
Küchenmesser, brach den Ziegenleichnam ans und fand
im Magenschlunde einen Klumpen Gold, so groß, als
einen Paulinerapfel, und so auch nach Verhältniß in den
Mägen der Zicklein.
Jetzt wußte sie ihres Reichthums kein Ende; doch
mit der Besitznehmung empfand sie auch die drückenden
Sorgen desselben; sie ward unruhig, scheu, fühlte Herz-
klopfen, wußte nicht, ob sie den Schatz in die Lade ver-
schließen oder in den Keller vergraben sollte, fürchtete
Diebe und Schatzgräber, wollte auch den Knauser Steffen
nicht gleich Alles wissen lassen, aus gerechter Besorg-
niß, daß er, vom Wuchergeist angetrieben, den Mammon
an sich nehmen und sie dennoch nebst den Kindern darben
lassen möchte. Sie sann lange, wie sie's klug genug
damit anstellen möchte, und fand keinen Rath. Endlich
nahm sie ihre Zuflucht zu dem trostreichen Seelenpfleger
des Dorfes, berichtete ihm unverhohlen das Abenteuer
mit Rübezahl, wie er ihr zu großem Reichthum ver-
holfen und was sie dabei für Anliegen habe. Nach-
dem er lange nachgesonnen hatte, sagte er: Hör' an,
meine Tochter, ich weiß guten Rath für Alles. Wäge
mir das Gold zu, daß ich dir's getreulich aufbewahre;
dann will ich einen Brief schreiben in welscher Sprache,
der soll dahin lauten: dein Bruder, der vor Jahren in
die Fremde ging, sei in der Venediger Dienst nach In-
dien geschifft und daselbst gestorben, und habe all sein
Gut dir im Testament vermacht, mit dem Beding, daß
der Pfarrer des Kirchspiels dich bevormunde, damit es dir
allein und keinem andern zu Nutz komme. Ich begehre
weder Lohn noch Dank von dir; nur gedenke, daß du
der heiligen Kirche einen Dank schuldig bist für den
Segen, den dir der Himmel bescheert hat, und gelobe ein
reiches Meßgewand in die Sakristei. Dieser Rath be-
hagte dem Weibe herrlich: er wog in ihrem Beisein das
Gold gewissenhaft bis auf ein Quentlein aus, legte es in
den Kirchenschatz, und das Weib schied mit frohem und
leichtem Herzen von ihm.
Rübezahl aber war mittlerweile auch nicht müßig ge-
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viel reinen Gewinn ihm seine Waare diesmal einbringen
würde und fand nach genauem Ueberschlag, daß, wenn
er keinen Groschen ins Haus verwendete und die fleißige
Hand seines Weibes für Nahrung und Kleidung sorgen
ließe, er gerade so viel lösen würde, um auf dem Markte
zu Schmiedeberg sich einen Esel kaufen und befrachten
zu können. Der Gedanke, wie er in Zukunft dem Grau-
schimmel die Last aufbürden und gemächlich nebenher
gehen würde, war ihm zu der Zeit, wo seine Schultern
eben wund gedrückt waren, so herzerquickend, daß er
ihm, wie natürlich, weiter nachhing. Ist einmal der
Esel da, dachte er, so soll mir bald ein Pferd daraus
werden, und hab ich nun den Rappen im Stalle, so
wird sich auch ein Acker dazu finden, darauf sein Hafer
wächst. Aus einem Acker werden dann leicht zwei, aus
zweien vier, mit der Zeit eine Hufe, und endlich ein
Bauerngut, und dann soll Ilse auch einen neuen Rock
haben.
Er war mit seinen Entwürfen beinahe so weit, wie
jenes Milchmädchen, da tummelte Rübezahl seinen Wirbel-
wind um den Holzstock herum und stürzte mit einemmal
den Glaskorb herunter, daß der zerbrechliche Kram in
tausend Stücken zerfiel. Das war ein Donnerschlag in
Steffens Herz; zugleich vernahm er in der Ferne ein
lautes Gelächter, wenns anders nicht Täuschung war und
das Echo den Laut der zerschollenen Gläser nur wieder
zurückgab. Er nahm's für Schadenfreude, und weil ihm
der unmäßige Windstoß unnatürlich schien, auch, da er
recht zusah, Klotz und Baum verschwunden war, so rieth
er leicht auf den Unglücksstister. O! wehklagt er, Rübe-
zahl, du Schadenfroh, was hab' ich dir gethan, daß du
mein Stückchen Brod mir nimmst, meinen sauern Schweiß
und Blut! Ach, ich geschlagener Mann auf Lebenszeit!
Hierauf gerieth er in eine Art von Wuth und stieß alle
erdenklichen Schmähreden gegen den Berggeist aus, um
ihn zum Zorn zu reizen. Hallunke, rief er, komm' und
erwürge mich, nachdem du mir mein Alles auf der Welt
genommen hast! In der That war ihm auch das Leben
in dem Augenblick nicht mehr werth, als ein zerbrochenes
Glas; Rübezahl ließ indessen weiter nichts von sich sehen
noch hören. — Der verarmte Steffen mußte sich ent-
schließen, wenn er nicht den ledigen Korb nach Hause
tragen wollte, die Bruchstücke zusammen zu lesen, um
auf der Glashütte wenigstens ein Paar Spitzgläser zum
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dringen, um beim fröhlichen Gelag dem aufgemunterten
Steffen von der reichen Erbschaft des Weibes Bericht zu
geben, und unter welcherlei Bedingungen er daran Ge-
nuß und Antheil haben solle. Sie sah gegen Abend-
zeit fleißig zum Fenster aus, ob Steffen käme, lief aus
Ungeduld hinaus vor's Dorf, blickte mit ihren schwarzen
Augen gegen die Landstraße hin, war bekümmert, warum
er so lange weile, und da die Nacht hereinbrach, folgten
ihr bange Sorgen und Ahnungen in die Bettkammer,
ohne daß sie an's Abendessen gedachte. Lange kam ihr
kein Schlaf in die ausgeweinten Augen, bis sie gegen
Morgen in einen unruhigen, matten Schlummer fiel.
Den armen Steffen quälten Verdruß und Langeweile im
Ziegenstalle nicht minder; er war so niedergedrückt und
kleinlaut, daß er sich nicht traute, an die Thür zu klopfen.
Endlich kam er - doch hervor; pochte ganz verzagt an
und rief mit wehmüthiger Stimme: Liebes Weib, er-
wache und thue auf deinem Manne! Sobald Ilse seine
Stimme vernahm, sprang sie flink vom Lager wie ein
munteres Reh, lief an die Thür und umhalsete ihren
Mann mit Freuden; er aber erwiderte diese herzlichen
Liebkosungen gar kalt und frostig, setzte seinen Korb ab
und warf sich mißmuthig auf die Ofenbank. Wie das
fröhliche Weib das Jammerbild sah, ging's ihr an's
Herz. Was plagt dich, lieber Mann? sprach sie bestürzt,
was hast du? Er antwortete nur durch Stöhnen und
Seufzen; dennoch fragte sie ihm bald die Ursach seines
Kummers ab, und weil ihm das Herz zu voll war, konnt'
er fein erlittenes Unglück dem trauten Weibe nicht länger
verhehlen. Da sie vernahm, daß Rübezahl den Scha-
bernack verübt hatte, errieth sie leicht die wohlthätige
Absicht des Geistes und konnte sich des Lachens nicht
erwehren, welches Steffen ihr bei muthigerer Gemüths-
faffung übel würde gelohnt haben. Jetzt ahndete er den
scheinbaren Leichtsinn nicht weiter und fragte nur ängst-
lich nach dem Ziegenvieh. Das reizte noch mehr des
Weibes Zwergfell, da sie merkte, daß der Hausvogt
schon allenthalben umher spionirt hatte. Was kümmert
dich mein Vieh? sprach sie, hast du doch noch nicht nach
den Kindern gefragt; das Vieh ist wohl aufgehoben
draußen auf der Weide. Laß dich auch den Tück von
Rübezahl nicht anfechten und gräme dich nicht: wer
weiß, wo er oder ein Anderer uns reichen Ersatz dafür
gibt. Da kannst du lange warten, sprach der Hoffnungs-
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2. Ein Brief Doctor Martin Luthers an seinen
Sohn Hans.
Gnade und Friede in Christo, mein herzliches Söhn-
chen! Ich sehe gerne, dass Du wohl lernest, und
fleissig betest. Thue also, mein Söhnchen, und fahre
fort: wenn ich heim komme, so will ich Dir einen
schönen Jahrmarkt mitbringen. Ich weiss einen hüb-
schen, lustigen Garten; da gehen viele Kinder innen,
haben güldene Köcklein an und lesen schöne Aepfel
unter den Bäumen, und Birnen, Kirschen, Spilling und
Pflaumen, singen, springen und sind fröhlich; haben
auch schöne kleine Jterdlein mit güldenen Zäumen
und silbernen Sätteln. Da fragte ich den Mann, dessen
der Garten ist, wess die Kinder waren. Da sprach er: »Es
sind die Kinder, die gerne beten, lernen und fromm sind.«
Da sprach ich: »Lieber Mann, ich habe auch einen
Sphn, heisst Hänschen Luther, möchte er nicht auch in
den Garten kommen, dass er auch solche schöne Aepfel
und Birnen essen möchte und solche feine Pferdlein
reiten und mit diesen Kindern spielen?« Da sprach der
Mann: »Wenn er gerne betet, lernet und fromm ist,so soll
er auch in den Garten kommen, Lippus und Jost auch und
wenn sie alle zusammen kommen, so werden sie auch
Pfeifen, Pauken, Lauten und allerlei Saitenspiel haben,
auch tanzen und mit kleinen Armbrüsten schiessen.«
Und er zeigte mir dort eine feine Wiese im Garten,
zum Tanzen zugerichtet, da hingen eitel güldene Pfeifen,
Pauken und feine silberne Armbrüste. Aber es war noch
frühe,dass die Kinder noch nicht gegessen hatten; darum
konnte ich des Tanzens nicht erharren, und sprach zu
dem Manne: »Ach, lieber Herr, ich will flugs hingehen,
und das Alles meinem lieben Söhnleinhänschen schreiben,
dass er ja fleissig bete und wohl lerne und fromm sei,
auf dass er auch in diesen Garten komme, aber er hat
eine Muhme Lene, die muss er mitbringen.« Da sprach
der Mann: »Es soll ja sein, gehe hin und schreibeihm also.«
Darum liebes Söhnlein Hänschen, lerne und bete
ja getrost, und sage es Lippus und Justen auch, dass sie
auch lernen und beten, so werdet Ihr mit einander in
den Garten kommen. Hiermit sei dem allmächtigen Gott
befohlen, und grüsse Muhme Lenen, und gib ihr einen
Kuss von meinetwegen.
Coburg, Dein lieber Vater
Anno 1530. ' Martinas Luther.
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Extrahierte Personennamen: Martin_Luthers Hans Hänschen_Luther Jost Martinas_Luther
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bleibende Brod gelegen hatte, und suchten hinter dem
alten Gebetbuch nach alten Bröckchen, die sich vielleicht
da noch verhalten hatten, aber sie fanden nichts, denn es
war schon lange kein Brod hineingekommen, weil nichts
übrig blieb, und die Mutter hatte schon öfters den Tisch-
kasten ganz umgestürzt und die gefundenen Brosamen den
kleinsten Kindern zusammengekehrt und gegeben. Wenn
sie denn gar nichts fanden, weinten die Kleinen, während
das größere Töchterchen begierig an dem Tuche leckte,
worinnen die Mutter gestern Mehl geholt hatte, und
der größere Knabe den hölzernen Teller abschabte, worauf
der Mehlbrei gewesen war, bis der Vater, der auch vor
Hunger matt war, traurig sagte: nun, ihr Kinder, laßt
uns das Abendgebet mit einander beten und zu Bette
gehen!
Wenn dann am Morgen die Kleinen wieder auf-
wachten und die Mutter konnte ihnen keine Milch geben,
weil die Ziege schon lange aus Noth verkauft oder ge-
schlachtet war, da schaute sie wohl manchmal tiefsehnend
aus dem Fenster hinaus, wenn wieder ein Sarg vorbei-
getragen wurde, und dachte: selig, glücklich sind die, die in
dem Herrn sterben, denn sie werden ruhen von ihrer Arbeit,
ruhen von ihrem Elend, in der tiefen, stillen Kammer, wo
sie nicht hören mehr und versagen müssen die Bitte der
unschuldigen, hungernden Kinder.
Indem nun das Elend in jenem traurigen Winter fast
allgemein in dem armen Erzgebirge so groß war, wie wir
es hier beschreiben, hatte auch unsere arme Bergmanns-
Familie ihren reichlichen Antheil an der Noth zu tragen.
Da gab das Mitleid und die zärtliche Liebe der Mutter
ein Mittel ein, wie sie ihren jüngsten, liebsten Sohn, den
zweijährigen Johann Gottlob, von dem Hungertod, dem
ein so zartes Kind leicht wäre ausgesetzt gewesen, retten
konnte. Sie trug nämlich den Knaben täglich hin zu einem
Bäcker und ließ ihn in der Nähe des Backofens, während
sie auf's Tagelohn ging, Stunden lang sitzen, damit er den
nahrhaften Dampf des frischen Brodes einathme, die mit-
leidige, aber selber arme und an Kindern reiche Bäckers-
frau gab dann dem Kleinen wohl zuweilen auch einige
Bissen. So wurde der Knabe jenen Winter hindurch, wo
so unzählig viele arme Kinder von seinem zarten Alter
starben, beim Leben erhalten.
Da nun der Frühling 1771 wieder kam und die
Wiesen wurden wieder munter, faßten die Armen auch
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Mittag speist und erquickt ihn eine mitleidige Bauern-
Familie reichlich, am Abend wieder, und da er immer noch
nach seinem S. fragt und immer hört, es sei ein paar
Stunden dahin, läßt er sichs endlich in kindlicher Unüber-
legtheit gefallen, so den Tag über zwischen grünen Feldern
und blühenden Bäumen herum zu laufen und am Mittag
und Abend doch immer seine Mahlzeit bei mitleidigen
Menschen zu finden; er wirft die welken Skabiosen aus der
Hand und weint nur noch am Abend, wenn er zuweilen
in Häusern ist, wo ihn die Leute nicht so freundlich ansehen,
nach der Mutter.
So wandert der Kleine, der durch sein hübsches
Gesicht und sein gar gutes, treuherzig blickendes Auge,
so wie, wenn man ihn darum fragt, durch seine treu-
herzige Erzählung überall Mitleiden' weckt, eine ziemlich
lange Zeit von Ort zu Ort. Bald pflegen seiner mit-
leidige Bauern oder eine gute Predigersfrau reinigt und
erquickt ihn, wohlmeinende Edelfrauen geben ihm Geld
und Kleider. Geld zwar achtete er anfangs nicht, sondern
gab es andern armen Kindern; da er aber einmal von
diesen bemerkt, daß man auch gutes, weißes Brod an
Bäckerläden haben kann, wenn man dem Bäcker Geld gibt,
lernte er nach und nach auch den Werth dieses Almosens
kennen.
Endlich kommt er in eine, ihm damals sehr groß und
prächtig scheinende Stadt (wahrscheinlich Zwickau). Die
große Theuerung im Gebirge hatte damals viele Arme
nach den Städten hingezogen, die am Tage ihren Bissen
Brod vor den Thüren der mitleidigeren Bürger suchten
und bei Nacht außen vor der Stadt schliefen. Der Kleine
hatte bisher noch nie eigentlich gebettelt, sondern, wenn
ihn hungerte, sich immer nur vor die Thüren still hinge-
stellt und gewartet, bis man ihn anredete und zum Epen
einlud; unter die Hausen der Almosen flehenden Armen
gemischt, lernte er aber nun auch von diesen uni Almosen
bitten. Dem kleinen zarten, treuherzigen Knaben gab
Jedes reichlich, und er brachte gewöhnlich, wenn er.
nicht über dem Spielen mit andern armen Kindern das
Almosenbitten vergaß, am Tage über so viel zusammen,
daß er nur den geringsten Theil des empfangenen Brodes
zu essen vermochte. Da nahm er denn am Abend seinen
ganzen Vorrath an Brod und Geld und ging_ in der
Vorstadt in eine Hütte, die ihm die ärmste schien und
wo viele hungrige Kinder waren, denen gab er sein
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ganzes Brod und Geld und hatte dafür in der Hütte sein
Obdach. So wurde er in der That (denn das mitgebrachte
Almosen ward immer reichlicher, weil der Kleine und
seine ihm stückweise abgefragte Geschichte in der Stadt
immer bekannter wurde) gerade in der Zeit des größten
Mangels der wirkliche Erhalter und rettende Engel einiger
ganz armen und kinderreichen Familien, die entweder zu
schüchtern waren, um selbst Almosen zu erflehen, oder nicht
das Glück hatten, so viel zu bekommen, wie der kleine
Bergmannsknabe. - ' .
Auf jene Wiese erhielt sich und Andere der verirrte
Knabe während der ganzen Zeit der großen Theuerung, die
indessen im höhern Erzgebirge von Monat zu Monat so
heftig zugenommen hatte, daß an der aus dieser Noth
entstehenden Seuche ungemein viele arme Familien ganz
ausstarben und viele arme Hütten ihre ganzen Bewohner
verloren. Nachdem er lange in der Stadt und dann
auch, _ da er aus Liebe zur Veränderung sie verließ, außer
ihr seinen täglichen Unterhalt gefunden, reichlicher als
jemals in der armen Hütte seiner Eltern, kommt er ein-
mal an einem Herbstabend, da eben die Sonne über den
Thürmen einer auf der nahen Anhöhe liegenden Stadt
untergehen wollte, auf eine Berghöhe, von der er unten
im Thal ein Dorf mit ¡einer kleinen Kirche liegen sieht.
Das Dorf und die ;Kirche kommen ihm so bekannt vor,
und, nun schon dreister geworden, fragt er einen Bauer,
der auf der Anhöhe ackert, wie der Ort hieße? Der ant-
wortet: Ober-S. Da läuft der Kleine, vor Freude
außer sich, den Berg hinunter und kommt noch in der
Dämmerung ins Dorf. Er findet gar bald die wohl-
bekannte liebe Hütte seiner Eltern, klopft an der Thüre
an, aber die ist und bleibt verschlossen. Aber an der
hintern Seite des Häuschens nach oben befand sich ein
Laden, der gewöhnlich (denn Diebe fürchtet ein armer,
guter Bergmann nicht) immer offen stand. Auch jetzt
war er geöffnet, und der Kleine kletterte hinauf, wie er
sonst öfters seine ältern Brüder hatte hinaufklettern
sehen. Aber innen im Haus war Alles still und der.
Knabe, der glaubt, es schlafe schon Alles, legt sich auch
ganz still in einen oben auf dem Boden stehenden offenen
Kasten, worinnen alte Kleider und Lumpen lagen. Zum ,
ersten Male wieder in dem Hause seiner lieben Mutter,
erwacht er am andern Morgen überaus froh und heiter,
springt herunter, öffnet Hausthüre und Fensterläden und
Th. Lesebuch. 2
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T36: [Stadt Mauer Tag Dorf Haus Burg Land Bauer Feind Bürger]]
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sieht sich nun im ganzen Hause um. Aber das ist still
und leer, das Bette, wo sonst seine Eltern innen schliefen,
war nicht mehr da, auf sein Rufen antwortet Niemand.
Endlich kommt ein Nachbar, verwundert, wer in dem ein-
samen Hause sei. Da er den Kleinen erkennt, sagt er:
„Du böses Kind, wo bist du gewesen? Deine Eltern und
deine Geschwister (bis auf eine Schwester) sind alle an der
Noth und an der Seuche gestorben, und die Sorge um
dich hat deine Mutter noch in ihren letzten Stunden be-
kümmert."
Da fängt der arme Junge bitterlich an zu weinen, daß
er seine Mutter, von der er ja gar nicht gerne weggelaufen
war, nicht mehr sehen soll, und daß er sie so betrübt hat.
— Aber der ihn bisher so wunderbar aus der sehr wahr-
scheinlichen Todesgefahr gerettet, wunderbar bei der Hand
geführt und genährt hatte, der sorgte nun auch ferner für
ihn, erweckte ihm ein mitleidiges Herz, das sich seiner im
Leiblichen sowohl als im Geistigen annahm, und durch noch
gar viele merkwürdige, aber nicht hieher gehörige Lebens-
führungen wurde der Knabe das, was er jetzt ist, ein lieber,
frommer, mit allen Gottesführungen zufriedener Bergmann,
dem man es ansieht und anmerkt, daß er Christum kennt
und liebt.
Welche Lebensführung konnte wohl dem Anscheine
nach härter und doch zugleich herrlicher und wohlthäti-
ger sein, als die, welche wir hier erzählten! Eine arme
Mutter hängt mit ganzer Seele an ihrem liebsten, jüng-
sten Knaben, der in der größten Noth unter Allem, was
sie äußerlich besitzt, ihr liebster Trost ist. Sie bittet Gott
oft, er möge doch nur diesen kleinen Unschuldigen, der
den Hunger noch gar nicht ertragen kann, und für den
sie doch so oft nichts hat, ihn zu sättigen, mit seiner
wunderbaren Hand speisen und erhalten! Und ihr Lieb-
ling wird ihr weggenommen, sie weiß nicht, wohin?
Ihr liebster Anblick, den sie noch in ihrer armen Hütte
hatte, ist ihr geraubt! Aber zugleich ist auch ihr inni-
ges Gebet erhört, der kleine Unschuldige wird während
der Hungersnoth täglich reichlich gespeist, wird während
der Seuche, die wohl auch ihn, den zartesten unter seinen
Geschwistern, ergriffen und hingerissen hätte, wunderbar
erhalten und wird so zum Zeugniß einer allerbarmen-
den, rettenden Liebe hingestellt! Freilich wird der Kummer
die Arme noch auf ihrem Sterbebette um den verlornen
Sohn tief gebeugt haben, aber es blieb auch hier wahr:
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