177
Bürgerliche Verfassung
Dienst- und Zinsmannen oder Leibeigenen, nämlich die Verbesserung
ihres Looses. Uebcrall also wurden die Bande der Sklaverei wenigstens
in etwas gclös't, die Grunddicnste, Zinse und Frohnden beschränkt, an die
Stelle der prekären Nuzung Erbpachtc gcsezt, das Land wenigstens mit
Halb freien bevölkert.
Auch der neu aufkommende Kriegsdienst im Solde der Fürsten bot
eine Freistätte dar. Der Waffcnknecht, wiewohl er seinen Leib veräußert
hatte, mochte gleichwohl, als von Arbeiten und Leistungen frei, sich besser
dünken, als der Knecht des Grundes. Ueberaü wäre dieser, troz der Ver-
bote, den Fahnen zugeeilt, hätten die Herren nicht sein Verhältniß erleichtert.
So war, was nachmals zu allgemeiner Knechtschaft den Weg bahnte, an-
fänglich ein Grund zur Befreiung.
Dasselbe ist überhaupt zu sagen von der gestärkten Fürstenmacht.
Das Jntcrrcsse der Monarchie ist, daß keine Herrschaft fester als jene des
Thrones binde. Je loser die Privat-Leibeigenschaft, desto großer die Ab-
hängigkeit vom Fürsten. Je weniger dem Leibherrn, desto mehr mochte dem
Throne gegeben, geleistet werden. Kein Absprung des Ranges, keine bür-
gerliche Verschiedenheit darf größer seyn, als zwischen Fürst und Unter-
than. Darum begünstigten, ja befahlen die Könige und Fürsten die Frei-
lassung der Gemeinen, und gingen mit ermunterndem Beispiele voran in
ihren Privatgütcrn und Domänen. So Vieles sie den Einzelnen nach-
ließen, so Vieles gewannen sie über Alle, und schon war der Anstoß der-
jenigen Bewegung gegeben, deren Fortsczung alle Bewohner des Gebietes
— ob Lcibhcrrcn oder Leibeigene, Erle oder Gemeine, Bürger oder Bauern
— auf die gleiche Linie dcr Unterwürfigkeit gegen den einen Fürstenstuhl
(als Unterthanen oder, nach einer milderen Benennung, als Staats-
bürger) bringen mußte.
8 9. Von der Schweiz.
Während also in Teutschland (wie in den übrigen Hauptrcichcn Europa's)
gleichzeitig mit der gemeinen Freiheit auch die Macht des Thrones —
oder Fürstenstuhles — sich erhob, und fast überall schon das bedenkliche
Uebergewicht dcr lezteren sichtbar ward; während in Italien*) die freudig
*) Die Verfassung dcr italischen Staaten haben wir schon im vorigen Zeiträume (B. V
S. 250 ff.) geschildert. Was von derselben Weiteres in vorliegender Periode zu sagen wäre, ist
in der politischen Geschichte enthalten (s. oben Kap. Hi.)
v. Rotteck, allgem. Geschichte Vi.
12
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178
Erstes Kap. Bürgerlicher Zustand.
erblühte Freiheit der Städte größtenthcils der wiederkehrenden Alleinherrschaft
wich, und, wo die republikanische Form noch fortbestand, theils durch aristo-
kratische Strenge (wie in Venedig), theils durch ungcbändigten Faktioncn-
geist (wie in Genua) die wahre Freiheit gleichwohl erdrückt ward; während
im Südostcn des Wclttheils die asiatische (osmanisch-türkische) Sul-
tansregierung — furchtbarer noch durch das Beispiel, als durch Waffen
— sich ausstellte: fand die hier Verscheuchte, dort Bedrohte in den stillen
Alpenthälern eine glückliche Zuflucht, und erbaute sich dort unter dem
Schirme natürlicher Festen und auf den Grundsteinen ächt republikanischer
Tugenden ein dauerndes Reich.
Zwar nicht viel verschieden von der Verfassung des übrigen Tcutsch-
lands war jene der Schweiz vor Errichtung der Eidgenossenschaft,
und diese selbst ohne direkte oder ausgesprochene Einwirkung auf der
Verbündeten einheimische Verhältnisse und Rechte; blos ein Bund zur
gemeinsamen Vertheidigung, ähnlich vielen anderen — zumal teutschen —
Bünden, zu welchen wider die Bedrängnisse des Faustrechts die Schwächeren
sich vereinigten. Aber schon die Natur des vielgcthcilten, weiter Herrschaft
ungünstigen Landes, dessen Grcnzlage und darum geringerer Zusammenhang
mit dem Hauptlande, dann der reinere Geist der Freiheit, der auf Bergen
weht, die einfacheren Sitten des Hirtcnlcbcns, deren Wiederschcin bis in die
Städte drang, endlich der durch den Gang der Ereignisse genährte Haß
wider die Fürstengewalt, so wie das durch glänzende Erfolge erhöhte Selbst-
gefühl der Eidgenossen steigerten die Frciheitslust und die Frciheitsideen
der helvetischen Stämme, Landschaften und Buudesglicder zum Streben nach
politischer Selbstständigkeit, und verwandelten allmälig das einfache
Schuzbündniß in ein wahres Staatensvstem. Der Gewinn der Freiheit bei
solcher Umwandlung war nicht rein. Durch keine äußere Macht im Zaume
gehalten oder geleitet, blieben die helvetischen Gemeinwesen ihren einheimischen
Irrthümern, Leidenschaften, Zufällen preis; und man sah hier die Stürme
der Ochlo kratie, dort die aristokratische Strenge die Lauterkeit der Frei-
heit trüben, ja man sah die freien Kantone mit despotischer Gewalt über
unterworfene Länder herrschen. Ader ob auch vielfältig durch die That
verlezt, durch Krankhcitszufälle geschwächt, durch böse Auswüeh se ent
stellt — und kaum vermeidlich ist in menschlichen Dinge» solches Verderbniß —
dennoch blieb im Recht und in der Vorstellung das anerkannte Prinz?-
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179
Bürgcrliche Verfassung.
Der Schweiz dic Freiheit: Freiheit im Inneren durch — besser oder
übler gewählte — republikanische Formen, Freiheit nach außen durch
gemeinsamen Bund der Eidgenossen und der ihnen zugewandten Orte.
Die Verfassung der Schweiz blieb ein lebendiges Gcgcnbild der —- in der That
wohl oftmals besseren, doch in der Idee immer niederdrückenden •— Allein-
hcrrschaft, ihr politisches Leben, auf eine Gemeinschaft von Interessen
gegründet, ihr unter Stürmen kräftiges, unter natürlichen Beschränkungen
blühendes Daseyn ein erquickendes Schauspiel für die Wohlgesinnten, ein Er-
fahrungsbeweis von der praktischen Giltigkeit, von der Trefflichkeit re-
publikanischer Grundsäze. Die drei Urkantone zumal, in ihrer demokrati-
schen Simplicität, in ihrem Vollgenuß unveräußerter Gleichheitsrechte, erscheinen
dem Beobachter ehrwürdig und bcncidenswerth.
§. 10. Verfassung Frankreichs.
Die Fortschritte der königlichen Macht in Frankreich erfuhren in
der ersten Hälfte dieses Zeitraums theils durch Unglück, theils durch Selbst-
verschulden der Könige eine sehr merkbare Hemmung. Dieselbe ging theils
aus dem demokratischen Prinzip, theils aus dem aristokratischen hervor.
Der tiers-etat, welcher zum Gefühl seiner Rechte und seiner Kräfte erwacht
war, und auf den allgemeinen Reichsversammlungen gesezmäßig seine Stimme
geltend machte, benüzte solche Theilnahme an der höchsten Gewalt, so selten
sie auch die scheue Eifersucht des Königs eintreten ließ, zur weiteren Ausdeh-
nung oder Befestigung seiner Freiheiten und zur verbessernden Einwirkung ans
die gesammte Administration. Aber cs zeigte sich damals die französische Nation
noch wenig fähig zur wahren Freiheit. Einerseits hatte die lange Feudal-
tyrannei die Gemüther der untern Klassen so sehr niedergedrückt, daß noch
unter Ludwig X. viele Serfs sich weigerten, die Freiheit anzunehmen,
welche dieses Königes Gesez ihnen verliehen, anderseits überließen sich die
Befreiten zügelloser Leidenschaft und übermüthiger Anmaßung. Unter der
unglücklichen Regierung Jo Hann's des Guten durchbrach der wilde Haufe,
gleich den Sansculotten unserer Tage, alle Schranken des Rechts und der
Menschlichkeit, erniedrigte den Thron, und erfüllte, in grausamer Verfolgung
der Adeligen, das weite Reich mit Gräueln. Als aber — ohne sonderliche
Mühe — Karl Y. die verbrecherischen Freiheitsmänner zu Paaren getrieben,
12'
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Extrahierte Personennamen: Ludwig_X Ludwig Karl_Y Karl
180
Erstes Siap. Bürgerlieher Zustand.
so erstürben alle demokratische Plane in der Nation, und nur noch einzelnen
Parteien gab sie sich zum leidenden Werkzeuge oder Schlachtopfer hin.
Indessen hatten durch unweise Gunst einiger Könige, dann durch die
Zerrüttungen, die den englischen Krieg begleiteten, die Großen des Reiches
ihre Macht wieder dermaßen gestärkt, daß der Thron in Gefahr schien, ent-
weder durch ihr aristokratisches Machtwort um sein Ansehen, oder durch ihre
Losrcißung vom Staatskörper um seine politische Bedeutung zu kommen.
Von solcher Gefahr befreite ihn Ludwig's Xi. arglistige und tyrannische
Politik. In dem Blute vieler Großen erstickte er ihre Gedanken von Mit-
herrschast oder von Selbstständigkeit, und erhob, den Adel desto sicherer zu
beugen, von Neuem das Ansehen des Bürgerstandes. Die Adeligen erkannten
sofort, daß es für sie unmöglich wäre, wider die vereinte Macht des Thrones
und des Volkes aufzukommen. Sie suchten daher die Gunst des ersten, ja
dessen Allianz wider das zweite, und erhielten das Gesuchte um den Preis
der völligen Unterwürfigkeit. Von dieser Zeit an hat das Gewicht der verein-
ten Königs- und Adelsmacht über dem französischen Volke gelastet. Selbst
bei den — seltenen — allgemeinen Ncichsversammlungcn ward, durch Uebcr-
stimmung oder Ucberlistung, sein Einfluß kraftlos gemacht, und es blieb das-
selbe, bei fortschreitender Verschlechterung der Verfassung, in Rücksicht seiner
kostbarsten und heiligsten Rechte mehr und mehr von dem persönlichen Charak-
ter des Königs oder von der zweideutigen Wirksamkeit einiger Mittelmächte,
als des Adels, der Geistlichkeit, der Parlamente *), endlich der (die
allgemeinen Reichsstände allmälig verdrängenden) Versammlung der No-
tablen (oder Vornehmen) abhängig.
Von der ungerechten — und darum unnatürlichen — Allianz des Thrones
mit dem Adel gegen die Gemeinen, d. h. des allgemeinen Nationalhauptcs
mit einer Klasse der Bürger gegen deren große Gesammtheit, hat der Thron
Selbst nur scheinbaren Vortheil gezogen. Thron und Volk finden nur in ihrer
aufrichtigen Vereinigung ihr wah res Bestes; denn cs ist bei Beiten dasselbe,
das allgemeine. Jede Entgegensezung zwischen Beiden, jede Allianz mit
einer Zwischcnmacht oder einer Parrei, jedes künstliche Verhältniß macchiavcllisti-
*) Wie die Parlamente ans hohen Gerichtshöfen allmälig zu politischen, zumal
an der Gcsezgcbnng Theil nehmenden Körpern wurden, davon muß der »eueren Geschichte
die Darstellung vorbehalte» bleiben.
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181
Bürgerliche Verfassung.
scher Politik ist schon nach dem Begriff verwerflich und in seinen Folgen noth-
wendig böse. Der Adel zumal — was auch Montesquieu, historisch
mehr, als staatsrechtlich, von dem Prinzip der Monarchien sage, und was,
ihm nachsprechend, gedankenlos der gelehrte Haufe predige — der Adel, als
künstlich zwischen Fürst und Volk dastehende Macht, kann nur ans Unkosten
eines oder des anderen, oder meist beider, gedeihen. Fürst und Volk berühren
sich rechtlich; ein drittes Nechtsgebict zwischen beide hincinznschiebcn, ist nur
durch Schmälerung der ihnen eigenen Sphäre möglich. Entweder wird also
der Adel — wie fast überall — zugleich fürstliche und Volksrechte usurpiern,
oder er wird — wie in Frankreich — vereint mit dem Fürsten das Volk,
oder — wie etwa in Schweden geschah — vereint mit dem Volke den
Fürsten drücken.
Daß die französische Verfassung solchen traurigen Gang zur Despotie
nahm, daß die Blüthen der Volksfreiheit bald nach der Entfaltung starben, oder
doch nur dürftige Früchte brachten, daran hatte das hier früher als in den übrigen
Reichen aufgekommene und weiter ausgedehnte System der stehenden Heere
entschiedenen Antheil. Aber es ist von dieser Einwirkung unter den allge-
meinen Rubriken der Verfassung und des Kriegswesens (§-8 und 13)
gesprochen.
§. 11. Englands.
Vor ähnlicher Unterdrückung, wie das französische Volk sie erfuhr, ward
das englische theils durch seinen kräftigeren Charakter, theils — und wohl
vorzüglich — durch die Gunst des Schicksals, durch die Wirkung zufälliger
Verhältnisse oder unvorgcsehener Ereignisse bewahrt.
Nachdem unter Eduard's Ii. schwacher und unglücklicher Negierung der
Partcienkampf an die Stelle der gcsczlichen Ordnung getreten, geschriebenes
und herkömmliches Recht der regellosen Gewalt gewichen war, fand der kräf-
tige, einsichtsvolle, siegreiche Eduard Iii. leicht, die Nation, welche ihn
liebte und bewunderte, zu strengerer Unterwürfigkeit zu bringen. Er schaltete
als Herr über die Kräfte und das Vermögen seines Volkes, verbarg ihm
jedoch diese Herrschaft durch häufige Berathung mit dem Parlament, welches
seinem rnhmgekrönten Könige zu widerstreben nur selten wagte, und dessen
Beifall auch den Handlungen der Willkür gesczlichcn Schein verlieh. Wider-
sprach es aber, oder reichte cs Beschwerden ein — was zumal in den späteren
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Extrahierte Personennamen: Eduard_Iii Eduard
Extrahierte Ortsnamen: Frankreich Schweden Englands
182
Erstes Kap. Bürgerlicher Zustand.
Jahren und von den Gemeinen geschah —; so galt die Beschwerde Selbst für
Trost, des Königs wörtliche Versicherung für Abhilfe. Unter keiner Regierung
sind so viele Bestätigungen des großen Freibriefs ergangen. Sie beschwichtig-
ten das Murren über dessen Verlezung. So bequemte man sich auch zur
Zahlung eigenmächtig ausgeschriebener Steuern, zur Stellung von Soldknechten
für den auswärtigen Krieg, da wenigstens die Freiheit der Beschwerde unge-
kränkt blieb. Die Regierung also, wie Hume sich ausdrückt, war willkürlich
in ihren Handlungen, aberdas Recht der Nation blieb noch in Erinnerung.
Dasselbe erhob sich wieder mit wirksamer Kraft unter Richard's Ii.
verhaßter Regierung, mehr noch unter dem unglücklichen Heinrich Vi. und
in der ganzen Schrcckcnszcit des Krieges der beiden Rosen. Die verschiedenen
Prinzen, welche nach einander die Krone an sich rissen, suchten die Anerkennung
des Parlaments, um dadurch den schwankenden Titel ihrer Herrschaft zu befestigen.
Wiederholte Akte solcher höchsten Autorität, Einsezungen und Absczungen von Kö-
nigen, wiewohl meist nur nach dem Gebot des Siegers ausgesprochen, machten das
Parlament dem Volke ehrwürdig, dem Throne furchtbar. Die Könige ver-
maßen sich nicht mehr, ohne oder gegen»das Parlament zu regieren. Da-
gegen erspähte schon Heinrich Vii. das Mittel, wie das Parlament will-
fährig, ja selbst zum Werkzeuge der Despotie zu machen wäre: Furcht und
Bestechung. Wir werden in den folgenden Perioden dieses unselige System
sehr vervollkommnet sehen.
Nicht leicht hätte solches geschehen können, wäre nicht die Zusammen-
sezung des Parlaments mehr Werk des Zufalls als der Weisheit gewesen.
Denn — wie sehr man, mit Montesquieu, diese Zusammensezung preise —
ihre Elemente gewährten keine hinreichende Bürgschaft eines treuen National-
geistes. Vorherrschend blieb das aristokratische Prinzip. Die Großen
gedachten mehr ihrer Familien- und ihrer Standes - Vorrechte als der National-
freihcit. Wider Sie nicht minder als wider den König war die Wachsamkeit
der Gcnicincn nöthig. In diesem Verhältnisse eines getrennten Jiiterc»es
mochte die — in der Mitte des 14tcn Jahrhunderts aufgekommene — Thei-
lung des Parlaments in ein Ober- und ein Unterhaus wohlthätig wirken;
wie oftmals ein Uebel das Heilmittel eines anderen ist. Auch die Spaltung
der Großen unter Sich in feindselige Parteien wirkte vorthcilhast, weil >,e
dieselben um die Gunst der Gemeinen zu werben zwang. Die wahre Schuz-
wehr der Freiheit bestand also im Unterhause, und mehr gelegentlich als
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Extrahierte Personennamen: Heinrich_Vi Heinrich Heinrich_Vii Heinrich Montesquieu
183
Bürgerliche Verfassung.
nach natürlich inwohncndem Geiste machte das Oberhaus mit ihm gemeine
Sache. Die Peers, schon nach dem Titel ihrer Würde, hingen vom Throne
ab, oder waren ihm wenigstens verbunden. Es mochte für einen Bruch ihrer
persönlichen (Lehens-) Verpflichtung gelten, wenn sic wider den König auf-
traten. Auch erzeugte ihr Stolz eine unheilbare Abneigung wider die Ge-
meinen. Oft waren diese im Fall, mit dem Könige wider den Adel sich
zu verbinden. Aber selbst das Unterhaus war fehlerhaft zusammengesezt. Auch
hier hatte der Atel — nämlich der niedere — die erste Grundlage gebildet;
die Deputirten der Städte vereinigten sich erst später mit den Abgeordneten
jenes Adels. Doch lange blieben die wichtigsten Verhältnisse der Wahlberechti-
gung, nicht minder die Gewaltsphäre unbestimmt, und kaum das Recht der
Steuerbewilligung unbestritten. Ansehnliche Stärkung erhielt die Demo-
kratie in England durch den Untergang vieler hohen Geschlechter im Kriege
der Rosen: aber die Könige halfen nachmals durch Standescrhöhungcn der
Aristokratie wieder auf.
Bei allen Mängeln der englischen Verfassung hat sie doch unschäzbarcs
Gutes bewirkt. Die Freiheit fordert zum Gedeihen kein ganz tadelloses Feld.
Hindernisse, Gefahren, wenn sie nicht allzugrost sind, erheben die moralische
Kraft ihrer Freunde und machen das Ersiegte kostbarer. Stolz schritten die
Engländer den übrigen Nationen voraus in dieser edlen Bahn.
Die Geistlichkeit, welche früher so mächtig gewesen, nahm bedeutend
ab an Einfluß, seitdem die Parlamcntsverfassung sich befestigte. Im Unter-
hause hatte sie keine Stimme; im Oberhause saßen nur die großen Prälaten,
deren geringe Zahl wider die weltlichen Peers nicht aufkommen mochte.
§. 12. Der spanischen Reiche.
Auch in Spanien blühte die Freiheit auf oder bildete sich wenigstens
ihre Grundlage durch einige Schwächung der Großen, durch Verminderung
der Leibeigenschaft, durch das Emporkommen der Städte und durch die mäßige
Stärkung der Krone. Zwar in Kastilien ward, unter meist unglücklichen
oder unfähigen Königen, der Troz des Adels, auch die Frechheit der Ge-
meinen groß. Aber in Aragonicn, allwo sonst die Edlen das verbriefte
Recht des Widerstandes gegen den König besaßen, tilgte schon Peter Iv.
mit seinem eigenen Blute die Schriftzüge der unheilbringenden Urkunde und
stellte das gcsczlichc Ansehen des Thrones fest. Nicht mehr das selbstsüchtige
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Extrahierte Personennamen: Peter_Iv
Extrahierte Ortsnamen: England Spanien Kastilien Aragonicn
184
Erstes Kap. Bürgerlicher Zustand.
Machtwort der Großen, auf Waffengewalt pochend, sondern der hohe Richter
und Hüter des Rechtes (El Justiza), nach gesezlich bestimmten Formen,
hemmte hinfort die königliche Willkür. Die Städte, mehr und mehr }um
Wohlstand und zu politischer Bedeutung aufstrebend, legten ihr ganzes Ge-
wicht in die Wagschale des Rechtes und der Freiheit, wider die aristokratische
Anmaßung nicht minder, als wider den möglichen Mißbrauch der königlichen
Gewalt.
Indessen war bis gegen das Ende des Zeitraums die lezte der gemeinen
Freiheit noch wenig gefährlich. Die Aristokratie aber drohte beiden, daher
sie auch gemeinschaftlich ihrentgegcnstrebten. Selbst Ferdinand der Katho-
lische noch, welcher durch Vereinigung beider Hauptreiche, so wie durch
glänzendes Kriegsglück, zu despotischen Planen ermuthigt ward, hielt für gerathen,
durch Begünstigung der Bürger und ihres zur Erhaltung des Landfriedens
geschlossenen Waffenbundes, der Santa H er m and ad (d. i. heiligen Bruder-
schaft), wider den Adel sich zu stärken. Doch wurde von eben diesem Könige
der Grund zu der nachmals souveränen Gewalt des Thrones gelegt. Die
Wicdcreinziehung vieler von früheren Königen vergebenen Krön-Domänen,
die Vereinigung des Großmeistcrthunis der reichen Ritterorden von St. Jago,
Calatrava und Alcantara mit der Krone, das Recht des Eroberers,
womit er über Granada, Neapolis und Navarra herrschte, gaben Fer-
dinand überlegene Kraft; er benüzte sie mit Schlauheit und Nachdruck auch
zur Durchsezung konstitutionswidriger Maßregeln, beugte den Adel, ja sogar
die Geistlichkeit, unter seine oft mißbrauchte Gewalt und machte selbst die
weltlichen und geistlichen Gerichte*) durch den Schrecken, welcben sie einflößten,
seinen despotischen Planen dienstbar Er hinterließ seinem Nachfolger einen,
zwar gesezlich noch sehr beschränkten, doch in der That bereits gewaltigen, den
Nationalrechtcn gefährlichen Thron.
Auch in Portugal sank die Adelsmacht und erhob sich — doch jezt
noch unbeschadet der gemeinen Freiheit — das Königthum. Denn wiewohl
Johann I., der Bastard, durch die Gefahren seiner Lage zur Nachgiebigkeit
gegen den Adel gezwungen ward; so hielt doch der entschlossene Johann Ii.
denselben kräftig nieder und zog zugleich durch den Glanz seiner auswärtigen
Unternehmungen die Blicke seiner Untertanen von den einheimischen Verhält-
*) S. von der Inquisition oben die spanische Geschichte S. 116.
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Extrahierte Personennamen: Ferdinand Calatrava Alcantara Johann_I. Johann_I. Johann
185
Bürgerliche Verfassung.
Nissen ab. Die großen Entdeckungsreisen nach Osten und Westen haben in
Portugal, wie in Spanien, das Interesse der Krone mehr als jenes der Frei-
heit befördert.
§. 13 Des Nordens.
In den nordischen Neichen hinderte der beständige Parteikampf das
Aufkommen einer geordneten Freiheit. Gleichwohl bestand hier ihre herrlichste
Grundlage, welche anderswo erst mühsam zu errichten oder wiederherzustellen
war, noch von Alters her — der freie Landbesiz und die Neichsstandschast
der Bauern und Bürger. Aber jenen hatte das eingedrungenelehenwesen
wenigstens beschränkt, diese verlor ihre beste Wirkung durch die Anmaßungen
des Adels und der Geistlichkeit, so wie durch die Ohnmacht des Thrones. In
einem Zeitalter frech triumphircnder Gewalt mußte das Recht des Schwä-
cheren seine Bedeutung verlieren. Bürger und Bauern vermochten selbst auf
Reichstagen wenig wider die Großen, und allmälig riß der ganz aristokratische
Reichsrath die meisten Geschäfte an sich. Es geschah, daß, während im
übrigen Europa fast überall der dritte Stand durch die Gunst der Umstände
sich wieder erhob, er in den skandinavischen Reichen, wo sonst seine Verhält-
nisse die glücklichsten gewesen, zusehends sank, ja mit wirklicher Sklaverei be-
droht ward.
Die kalmarische Union, wiewohl sie die Freiheiten der Stände und
die besondere Verfassung- der drei Reiche bestätigte, hatte unter einsichtsvollen,
energischen Königen zur Souverainetät führen können. Mit den Kräften des
einen Reiches hätte man das andere niedergehalten und so alle in gemeinsame
Abhängigkeit gebracht. Allein die schwachen, unglücklichen Unionskönige er-
munterten vielmehr den Geist der Widersezlichkcit und vervollständigten die
Hcrabsezung der Monarchie. Selbst in Dänemark, welches das Hauptreich
war, wurden ihnen die härtesten Kapitulationen vorgelegt und fanden wieder-
holte Thron-Entsezungcn Statt. In Schweden aber schwangen sich Unter-
thanen, Parteihäuptcr zur Herrschermacht auf, und bis auf Gustav Wa-
sa's Erhebung galt gar keine gesezliche Gewalt in dem zerrissenen Reiche.
8- 14. Der slavischen Reiche.
In den slavischen Reichen dauerte die Unfreiheit der Gemeinen fort,
und wurden die Anmaßungen des Adels mehr und mehr befestigt. Die Be-
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Extrahierte Personennamen: Gustav_Wa- Gustav
Extrahierte Ortsnamen: Portugal Spanien Europa Dänemark Schweden
186
Erstes Kap. Bürgerlicher Zustand.
fchränkung der Königsmacht nahm zu, keine günstige Gelegenheit dazu ward
versäumt von den selbstsüchtigen Großen. In Böhmen erneuerte der Aus-
gang des luxemburgischen Hauses die Wahlfreiheit der Stände. In
Polen verkauften jezt schon die Großen ihre Wahlstimmcn gegen Bestätigungs-
Urkunden ihrer Anmaßungen. Unter Kasimir Iv. erschienen zuerst die
Landboten oder Dcputirtcn des Adels der Provinzen auf den Reichstagen
und erhielten frühe das Ucbergewicht über die geistlichen und weltlichen Rcichs-
beamtcn, welche sonst darauf vorherrschten, jezt aber in einer gesonderten
Kammer berathschlagten. Die Städte hatten wohl für sich einige Vorrechte,
aber in Reichssachen keinen Einfluß. Die Bauern sanken mehr und mehr
in Sklaverei. Zwar hatte Kasimir Iii. Li. sie in seinen besonderenschuz
genommen, wohl auch sie ermahnt, mit „Steinen und Prügeln" die Zumu-
thungen der Edlen abzuwehren: aber die nachfolgenden Könige verschmähten
es, „B a ucrnkönigc" zu heißen, wie man den großen Kasimir — nach der
Gesinnung sarkastisch, im Grunde höchst ehrenvoll — genannt hatte; und
nachdem die Aristokratie entscheidend gesiegt, so vermochte kein König mehr,
den Gemeinen zu helfen.
Ungarns Verfassung war jener von Polen ähnlich. Auch hier galt
der Adel Alles und der Bauer Nichts. Doch gelangten die Städte int
löten Jahrhundert zur Neichsstandschaft. Der König, wenn er nicht, wie
Ludwig Li. oder Matthias Corvinus, durch persönliche Kraft impo-
nirte, hatte wenig Gewalt. Die Magnaten oder die hohen Reichsbeamten
und die Prälaten herrschten.
In diesen Reichen war also doch ein Stand, der Adel, frei; man
möchte in demselben die eigentliche Nation, in den Gemeinen einen Hausen
Leibeigener erkennen. In Rußland war auch der Adel Sklave des Thrones.
Solches war ein Vermächtniß der mongolischen Herrschaft, welche nach
asiatischem und nach Kriegs-Recht über der ganzen Nation gelegen,
und nun, nach der Befreiung vom auswärtigen Joch, an die einheimischen
Großfürsten kam. Die Betrachtung solcher Verhältnisse ist traurig.
Vom griechischen Kaiserthum, vom ganzen Orient zu reden, ist
überflüssig. Das bleibende Verhängniß dieser Länder ist Sklaverei.
L
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Extrahierte Personennamen: Kasimir_Iv Kasimir_Iii Kasimir_— Ludwig_Li Ludwig Matthias_Corvinus