27
Romulus entkam, den Remus aber nahmen sie gefangen und führten
ihn vor den König Amulius, der ihn als einen Räuber zur Hinrichtung
dem Nnmitor übergab. Schon langst hatte Faustulus die königliche
Abkunft seiner Pflegesohne geahnet, denn er wußte, daß einst Zwillinge
auf königlichen Befehl ausgesetzt waren, und die Zeit, wo er sie ge-
funden, traf mit jener überein. Jetzt eröffnete er dem Romulus die
ganze Sache. Auch Numitor ahnete aus des Gefangenen Alter, An-
sehen und Zwillingsgeburt dessen Ursprung und ließ sich den Romulus
vorführen. Mit ihm kam auch Faustulus und entdeckte das ganze
Geheimniß. Hierauf machten sie Anschläge, Rache zu nehmen an dem
grausamen Amulius. Auf verschiedenen Wegen ließen sie Hirten in die
Stadt Alba kommen; mit diesen drangen sie unerwartet in das köni-
gliche Schloß und ermordeten den König. Numitor aber folgte ihm
nun als Herrscher von Alba.
Zum Lohn für diese That erlaubte er seinen Enkeln eine Stadt
an der Tiber zu bauen und wies ihnen hierzu einen noch freien Bezirk
an. Dies war die alte römische Feldmark (ager Romanus), um deren
Grenze jährlich die Ambarvalien (ambarvale publicum) oder das
Fest der Feldumwandelung gefeiert wurde; wo zwölf dazu bestimmte
Priester, die arvalischen Brüder genannt, am 11. Mai, mit Kränzen
und weißen Binden geschmückt, das alte römische Gebiet innerhalb des
fünften und sechsten Meilensteines durch feierliche Opferumwandelung
weiheten. Die Brüder stritten sich aber über die Ehre der Benennung,
fo wie über den Ort der neuen Anlage. Da die Erstgeburt bei ihnen
keinen Ausschlag geben konnte, so überließen sie die Entscheidung den
Augurien oder dem durch den Flug heiliger Vögel angezeigten Winke
der Götter. Jeder stieg nun zur Beobachtung der Vögel auf eine
Schauhöhe (templum), Romulus auf das Palatium, Remus auf den
Aventinus; wer zuerst glückliche Vögel erblickt habe, solle als König
entscheiden. Remus sah zuerst sechs Geier; spater flogen dem Romu-
lus zwölf vorüber. Sein stärkerer Anhang entschied und erklärte ihn
zum König. Zankend wurden die Brüder handgemein; Remus, im
Gewühle des Kampfes tödtlich getroffen, blieb. Nach einer andern
Sage soll Remus, seinem Bruder zum Spott, über den angefangenen
niedrigen Wall gesprungen und dafür von Celer, des Romulus Tra-
banten, oder von ihm selbst erschlagen worden seyn. Zum Andenken
an diesen Mord feierten die Römer am 9. Mai ein Todtenfest, die
Lemurien, wo den Geistern der Abgeschiedenen (lemures) Todten-
' opfer gebracht wurden.
Als der Gründung der Stadt nichts mehr im Wege stand, ver-
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m
können, hatten sie seit der Decemviralregierung die Erlaubniß, vor den
Thüren der Rathsversammlung zu sitzen und deren Verhandlungen zu-
Zuhören. Die von ihnen gebilligten Senatsbeschlüsse Unterzeichneten
sie mit einem T. Damit sie zu jeder Zeit helfen konnten, durften sie
gesetzlich, außer wahrend der latinischen Ferien, keine Nacht außerhalb
der Stadt zubringen, und Tag und Nacht mußten die Thüren ihrer
Wohnungen offen stehen. Zu ihrer Bedienung hatten sie keine Lictoren,
sondern nur Apparitores, Staatssklaven. Sie hatten weiter keine äu-
ßere Auszeichnung, als daß sie eine mit einem Purpurstreifen besetzte
Toga trugen.
Seit der Errichtung des Tribunats begann der Kampf um die
Gleichstellung der bürgerlichen Rechte und Ansprüche gegen die Patricier
oder den Erbadel, der aber in der Verwaltung der einstußreichen Au-
spicien und öffentlichen Opfer in der Cliente! zwei feste Stützen seiner
Macht hatte. Da jedoch die Tribunen den Grundsatz, in der Plebejer-
gemeinde liege die höchste Macht (Souverainitat des Volkes), mit
Beharrlichkeit festhielten und durchführten, so mußten sie endlich ihren
Zweck erreichen. In der später» Zeit der Republick benutzten aber
Factionshaupter die tribunicische Gewalt zu herrschsüchtigen Absichten
und richteten durch eine zügellose Demokratie die Republik zu Grunde.
Nach Einführung der Monarchie wurde diese Gewalt ein Attribut der
Kaiser. Die dabei noch fortdauernden Tribunen waren » ein leeres
Schattenbild und ein Name ohne Ehre," bis auch dieser unter Con-
stantin dem Großen verschwand.
Mit den Tribunen wurden die Aediles plebeji eingesetzt, als Auf-
seher des plebejischen Archivs im Cerestempel, wahrscheinlich auch als
Verwalter der Gemeindekasse, und der Polizei über die Plebejer. Auch
führten sie die Aufsicht über den Kornhandel und die Brodspenden, bis
dazu im I. 440 v. Chr. ein besonderer Aufseher, Praefectus annonae,
ernannt ward.
Iii.
Cajus Marcius Coriolanus und der Krieg gegen die Volsker.
Eine natürliche Folge des während der Kriege mit den Volskern
vernachlässigten Ackerbaues war Theuerung der Lebensmittel, dann
Hungersnoth; ansteckende Krankheiten herrschten im Volskerlande. Die
Consuln ließen daher Getreide in Etrurien und Sicilien aufkaufen, und
der edle Tyrann von Syrakus, Gelon, schenkte den Preis des in
seinen Hafen gekauften Getreides. Im Senate aber stritt man dar-
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29
Argwohn zuschauete, sprengten die römischen Krieger auf ein gegebenes
Zeichen auseinander zum Raube der Mädchen. Die bestürzten Eltern
aber nahmen die Flucht und riefen dem Gotte, dessen Spiele durch
diese Verletzung der Gastfreundschaft entweiht waren, um Rache.
(Siehe die Abbildung Pi- 3.)
Nach der ältesten Sage sollen es nur 30 Sabinerinnen gewesen
seyn, die spätere vergrößerte sie. Vielleicht liegt ihr die Sitte zum
Grunde, daß sich die Freier ihre Bräute aus einem andern Volks-
stamme durch Wettkämpfe als Preis erringen mußten. Die beleidigte
latiuische Stadt Cänina begann zuerst den Kampf der Rache; allein
ihren König Acron erschlug Romulus in einem Treffen, zog ihm die
Rüstung ab und weihete diese Fürsteubeute (spolia opima) dem Jupiter
Feretrius (von forro, weil ihm die Feldherrn diese Beute darbrach-
ten) , dem er auch auf dem Capitol einen Tempel weihete. Auch die
Antemnaten wurden geschlagen und Romulus verzieh ihnen auf Bitten
seiner Gemahlin Hersilia, deren Vaterstadt Antemuä war; eben so
die Crustuminer. Die Sabiner aber, unter dem Könige Titus Ta-
tius eroberten die römische Burg, indem sie die Tarpeja, die Tochter
des Befehlshabers Spurius Tarpejus, durch Geld bestochen hatten.
Bewaffnete in die Burg aufzunehmen. Tags darauf kam es auf der
Fläche zwischen dem capitoliuischen und palatiliischeu Hügel zur Schlacht.
Die Römer wurden anfangs in die Flucht getrieben, erneuerten aber
den Kampf, als Romulus den Fluchthemmeuden Jupiter (Jouter
Stator) einen Tempel geweihet hatte. Während beide Theile noch
hitzig fochten, stürzten sich die Sabinerinnen mit fliegendem Haar und
zerrissenen Kleidern unter die Kämpfenden, fleheten zu ihren Vätern
und Männern, den Streit beizulegen, und stifteten so Frieden.
(Siehe die Abbildung ix- 4.)
Die Sabiner, die sich auf den capitoliuischen und quirinalischen
Berge anbauten (wahrscheinlich schon früher hier wohnten), vereinigten
sich mit den Römern unter dem Nationalnamen Quirites *) zu einem
Doppelstaate. Romulus und Tatius regierten gemeinschaftlich, doch
wurde der letztere bei einem Volksopfer in Lavinium von unzufriedenen
Laureutinern erschlagen, ohne daß Romulus den Mord strafte. Die
Kriege, welche er nachher gegen Fideuä und Veji geführt haben soll,
wo ihn die Sage 8000 Etrusker erlegen läßt, sind zweifelhaft. Dich-
terisch ist auch die Erzählung von seinem Tode. Als er auf dem
') Eigentlich Populus Romanus et Quirites; die Copula bleibt aber H5ufig in
solchen Formeln weg.
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8s
pflanzte Capmaten, Falisker und Dejenter ergänzt und diese in vier
neue Tribus (die 22. bis 25.) vertheilt,
Gegen Roms zerrüttete Macht erhoben sich die Aequer, Volsker,
Etrusker und Gallier, von denen einzelne Corps noch in Roms Nahe
zurückgeblieben waren. Auch die Herniker und Latiner losten den lä-
stigen Bund mit Rom auf. Camillas, der zweite Gründer der Lckadt,
schon ein Greis, wendete als Diktator und consularischer Kriegstribun
die drohende Gefahr ab.
Inzwischen hatte der Bau der Hauser und die Wiederanschaffung
des Viehes und der Ackergcrathschaften viele Plebejer in Schulden ge-
stürzt und in das Elend der Schuldknechtschaft gebracht. Auch Ca-
millus übte patricische Harte gegen seine plebejischen Schuldner.
Edleren Sinnes war M. Man lins, C ap itolinus genannt als
Retter des Capitols, oder weil er auf der Burg sein Haus hatte. Er
schoß gegen 400 verschuldeten Bürgern Geld ohne Zinsen vor und be-
freite viele aus den Schuldkerkern, wodurch er sich den Ehrennamen
Patrone populi, Schutz Herr des Volkes, erwarb. Dadurch aber, und
durch die Beschuldigung der Patricier, daß sie das gallische Geld ver-
steckt hielten, reizte er ihren Haß. Der Dictatur Aulus Cornelius
Cossus beschuldigte ihn des Hvchverraths und ließ ihn einkerkern,
was aus Scheu gegen die diktatorische Macht keiner seiner Anhänger
hinderte. Drohungen des Volkes aber bewogen den Senat, ihn aus
dem Kerker zu entlassen. Voll Ingrimm über die ihm zugefügte
Schmach wiegelte er das Volk noch mehr auf; die Patricier beschul-
digten ihn, er strebe nach der Konigswürde. Obgleich seine vorgezeigten
Wunden und Ehrengeschenke, besonders der Anblick des von ihm ge-
retteten Capitols die Centurión bewogen, den des Hochverraths Ange-
klagten loszusprechen, so wurde er doch unter des Camillus vierter
Diktatur im Jahr 383 v. Chr., 371 nach R. E. von den Curien
geachtet und, während er mit seinem Anhänge das Capitol besetzt
hielt, hinterlistig vom tarpejischen Felsen hinabgestürzt. Sein Haus
wurde geschleift, die Patricier aber durften seitdem keine Wohnung auf
dem Capitol oder der Burg haben. Die Familie der Manlier beschloß,
daß keiner ihres Stammes künftig den Namen Marcus führen solle.
Bald erwachte aber bei dem Volke die Sehnsucht nach seinem Retter
und Schntzherrn, und eine gleich nachher ausbrechende Pest stellte
man als eine Folge der wahrscheinlich ungerechten Hinrichtung des
edlen Mannes dar.
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Extrahierte Personennamen: Camillas Cornelius
Cossus Marcus
86
X.
Die Licimscheir Nogationen.
Immer drückender wurde in der Stadt die Uebermacht der Pa-
tricier und das Elend des verarmten und verschuldeten Bürgerstandes
mit jedem Tage großer. Viele Schuldner mußten den harten Gläu-
bigern mit dem Verluste ihrer persönlichen Freiheit Genüge leisten.
Muthlostgkeit und Niedergeschlagenheit herrschten unter geringen und
vornehmen Leuten; die Plebejer wagten es nicht einmal, sich mit den
Patriciern um das Kriegstribunat zu bewerben, und Patricier schienen
wieder das alleinige Vorrecht zu hohen Aemtern zu haben. In dieser
Zeit standen aber zwei Männer auf, welche mit scharfem Blick das
Uebel des Bürgerstandes erkannten und mit Beharrlichkeit eine Ver-
änderung der Verfassung durchsetzten, welche die Nation aus dem
Elende zu herrlicher Große führte, indem sie die Ansprüche der Demo-
kratie mit den Vorrechten der Aristokratie auf eine geschickte Weise aus-
glichen und vereinigten, und so eine innere Kraft und Einheit der Stände
hervorbrachten, durch welche Rom eigentlich die Herrscherin des Erd-
kreises geworden ist. Die Veranlassung zu diesem einflußreichen Unter-
nehmen wird in folgendem Mahrchen erzählt: Der Plebejer Cajus
Licinius Stolo war vermählt mit der jungem Tochter des reichen
Patriciers Marcus Fab ins Ambustus, dessen ältere Tochter
Gattin des consularischen Kriegstribun Servius Sulp ieins, eines
Parriciers, war. Einst geschah es, daß gerade, als sich die fabischen
Schwestern im Hause des Sulpicius einander die Zeit verplauderten,
der Lictor, um seinem vom Markte zurückkehrenden Herrn zu melden,
mit seinem Stabe heftig gegen die Hausthür schlug. Die jüngere
Schwester, dieser Sitte nicht gewohnt, erschrack darüber und wurde
von der altern ausgelacht. Sie fühlte sich tief getränkt, und durch
patricischen Glanz sich zurückgesetzt fühlend, klagte sie ihrem Vater,
daß in ihr plebejisches Haus Rang und Ehre nicht gelangen könne.
Dieser versprach ihr, auch ihrem Hause solle bald solche Amtsehre zu
Theil werden. Er machte nun mit seinem Schwiegersöhne Licinius und
einem tüchtigen jungen Manne plebejischer Abkunft, Lucius Sertiuö,
Entwürfe zur Gleichstellung ihres Standes mit dem patricischen.
Licinius und Sertius wurden alsbald im Jahr 376 v. Ehr., 378
n. R. Volkstribunen und machten folgende Rogationen oder Gesetz-
vorschläge: 1) Es sollen künftig keine Militgirtribunen, sondern Con-
fuln gewählt werden, und zwar jedesmal Einer aus den Plebejern;
2) jeder römische Bürger soll Antheil an dem Gemeinland (ager
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65
heftigsten Volksbewegungen wiederholt, denn es wurde für die Tribunen
das wirksamste Mittel, denpatriciern zu schaden und das Volk für sich
zu gewinnen. Cassius hatte zur Vertheilung auch ein ansehnliches
Stück Landes bestimmt, welches als Staatsacker im Besitze einiger
Privatpersonen war. So sahen sich viele Patricier, die dasselbe wider-
rechtlich besaßen, mit dem Verluste des Ihrigen bedroht. Sie feindeten
also den Cassius beim Volke an, und machten ihn verdächtig, daß er
nach der Königskrone strebe und der Bürger Feiheit bedrohe. Er wurde
daher nach Niederlegung seines Amtes des Hochverraths angeklagt,
von dem Gesammtvolke verdammt und hingerichtet, sein Haus aber
geschleift. So ging Cassius zwar unter, aber unter den Plebejern lebte
die Erinnerung an den vereitelten Vorschlag fort, den die Patricier, so
oft er wiederhole wurde, durch Betrug, Frevel und Gewalt zu verzögern
suchten. Als im Jahr 474 v. Chrl der Tribun Genucius wegen
Verzögerung der Landanweisung oder Assignation die Consuln vor ein
Bürgergericht forderte, fiel er durch Meuchelmord, dessen Anstifter
Patricier waren. Ihr frevelhafter Uebermuth setzte die übrigen Tri-
bunen in Angst und hielt sie eine Zeitlang von ähnlichen Unterneh-
mungen ab.
Inzwischen hatten seit 482 die Vejenter den Krieg wieder be-
gonnen, und zugleich erneuerten ihn die Volsker, bald nachher auch
die Aequer. In dieser Zeit blühete vor allen das Geschlecht der Fa-
bier, denn sieben Jahre hinter einander finden wir Fabier im Confulat.
Mit Unwillen folgten die Legionen dem verhaßten Cónsul Käso Fa-
bius in den vejentischen Krieg; ihm zum Trotz wichen sie in der
Schlacht, damit er rühmlos nach Rom zurückkehre. Demnach wurde
im folgenden Jahr, 480 v. Chr., 274 n. R., M. Fabius Cónsul
mit dem C. Manlius Vulso. Sie zogen beide gegen Veji und
fanden ein zahlreiches Heer der Etrusker im Felde. Wie es Sitte war,
hatten die Consuln abgesonderte Lager bezogen. Bei einem Gewitter
schlug ein zündender Blitz in das Feldherrnzelt oder Prätorium des
Manlius, zertrümmerte den Altar und tödtete sein Streirroß. Die
Haruspices weissagten daraus, das Lager werde vom Feinde genommen
werden.
(Siehe die Abbildung Ns 12.)
Um dem Schicksale zu entgehen zog er in das Lager des Fabius.
Die Etrusker schlossen hierauf das vereinigte Lager ein, aber die Con-
suln hielten sich ruhig, trotz aller Aufforderung zu einer Schlacht. Als
aber ihre Soldaten geschworen hatten, nur als Sieger zurückkehren zu
wollen, so führten sie die Legionen zum Kampf hinaus und trieben die
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Zweiter Abschnitt.
Die Zeit der gemischten Verfassung von 366 —133 v. Ehr.
a. Bis zur Unterwerfung Italiens.
Xi.
Prätoren« Curnl - Aedilen. Theilnahme der Plebejer an
den höchsten Staatsämtern.
Die Rechtspflege, bisher mit dem Consnlat verbunden, übernahm
von nun an Ein Pratvr und zwar aus patricischem Geschlecht, weil
die Patricier die alleinigen Inhaber und Ausleger der Rechtskunde
waren. Seine Wahl geschah, wie die der Consuln, in der Versamm-
lung der Centurien. Er war auch der Stellvertreter der Consuln und
Inhaber der höchsten Gewalt in ihrer Abwesenheit. Seit 337 v. Ehr.
gelangten auch Plebejer zu dieser Würde. Gegen Ende des ersten
punischen Krieges, im I. 242 v. Ehr., wurden zuerst zwei Prätoren
gewählt, ein Praetor urbanus für die einheimischen Bürger, und ein
Praetor peregrinus, welcher den Fremden in Rom das Recht sprach,
wie in Athen der Archon Polemarchos. Als die Römer auch aus-
wärtige Besitzungen erhielten, so wurde für die Verwaltung dieser
Länder die Zahl der Prätoren auf vier, nachher auf sechs, durch Sulla
auf acht, unter Cäsar auf sechszehn vermehrt, welche aber seit der
Einführung der guaestiones perpàae oder beständigen Criminalgerichte
im Iahe 144 v. Ehr. während ihres Amtsjahres in der Stadt blieben
und erst im folgenden Jahre als Propraetores eine Provinz zur Ver-
waltung durch das Loos erhielten (sortiri provinciam)^ Beim Antritte
seines Amtes machte der Prätor ein Edict oder eine Formel bekannt,
wonach er in Fällen, worüber die Gesetze nichts bestimmten, seine
Entscheidungen fällen wollte. Vor seinen Gerichtshof gehörten anfangs
nur Civilprocesse oder Privatstreitigkeiten. Die öffentlichen oder pein-
lichen Gerichte (judicia publica) wurden von dem ganzen Volke in den
Comitien gehalten und judicia populi genannt. Den Amtskreis der
Prätoren drücken die Worte do, dico und addico aus, d. h. er gab
oder bestimmte die Richter, gewöhnlich Senatoren und Ritter, später
diese allein, welche eine Art von Geschworengericht bildeten und das
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63
stimmten den Publilius Volero, einen kühnen Mann, der schon
als Hauptmann oder Centurio gedient hatte, zum gemeinen Soldaten.
Da ihn die eingeschüchterten Tribunen, die er um Beistand anrief,
nicht schützten, als der Gerichtsdiener sich seiner Person bemächtigen
wollte; so schrie er laut: ,7 Ich spreche das Volk an und flehe zum
ganzen Bürgerstande um Schutz. Mitbürger, zu Hülfe! zu Hülfe,
ihr Waffenbrüder! Auf die Tribunen dürft ihr nicht warten, die eurer
Hülfe selbst bedürfen." Die Volksmenge horte seinen Ruf, mißhan-
delte die Lictoren und zerbrach ihre Ruthenbündel.
(Siehe die Abbildung Ng 13.)
Nachdem der Aufstand sich gelegt hatte, beriefen die Consuln, die sich
in die Curie geflüchtet hatten, den Senat und beklagten sich über Vo-
lero's Frechheit; doch wagte man nicht, , mit Strenge gegen das auf-
geregte Volk zu verfahren. Am nächsten Wahltage wurde Volero Volkö-
tribun für das Jahr 472 v. Chr., 282 n. R. Man erwartete, er
werde durch eine Anklage der Consuln Rache nehmen, allein nur auf
seines Standes Wohl bedacht, machte er den Vorschlag, daß die
Wahlen der plebejischen Obrigkeiten, die bisher in den Centuriatcomitien
geschahen und daher ganz von den Patriciern abhängig waren, künftig
durch die Tribus geschehen sollten, wo die Bürger nach Köpfen stimmten,
damit diese Wahlen ganz frei würden. , Die Patricier vereitelten aber
das ganze Jahr hindurch die Versammlungen der Gemeinde. Volero
erhielt aber auch für das folgende Jahr das Tribunat und fügte noch
den Vorschlag hinzu, daß die Pebs abgesondert von den Patriciern be-
fugt seyn solle, in der Gemeinde der Tribus über alle Gegenstände des
öffentlichen Wohls zu berathschlagen und zu beschließen. Heftig wider-
setzte sich der adelsstolze Appius. Um aber dem Ausbruche größerer
Unruhen vorzubeugen, verstand sich endlich der Senat, durch den billig-
denkenden Consul Titus Quinctius bewogen, zur stillschweigenden Ge-
nehmigung des Vorschlags (lex Publilia).
Mit Unwillen folgten aber die Legionen dem verhaßten Consul
Appius Claudius Regillensis in das Feld gegen die Volsker,
und nöthigten ihn zum Rückzüge. Dafür übte er an der ungehorsamen
Armee unerbittlich die Strenge des römischen Kriegsrechts: die Fahnen-
träger, die Hauptleute und Doppelsöldner, die ihrem Gliede entlaufen
waren, aus der übrigen Menge aber der zehnte Mann, wurden ent-
hauptet. Glücklicher führte sein College Ouinctius, dem die Bürger
wohl wollten, den Feldzug gegen die Aequer. Appius wurde nachher
wegen seiner Härte, und weil er die Ackervertheilung Hintertrieben hatte,
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90
Oskern abgelernten atellanischen Possenspiele, wie sie wahrscheinlich in
der Stadt Atella in Kampanien gewöhnlich waren.
Auch ließ man zur Abwehr der Pest durch den Dictator L. Man-
lius Jmperiosus einen Nagel in die Tempelwand des capitolini-
schen Jupiters einschlagen. Da der nur zu diesem Geschäft gewählte
Dictator aber auch eine Trnppenanshebung halten wollte, zwangen ihn
die Volkstribunen zur Niederlegung seines Amtes und forderten ihn im
Jahr 362 v. Chr. wegen seiner Strenge vor Gericht, ihm auch die
schlechte Behandlung seines auf dem Lande lebenden Sohnes, Titus
Man lius, vorwerfend. Voll Unwillen beschloß der Jüngling öffent-
lich zu zeigen, daß er es mit seinem Vater und nicht mit dessen
Feinden halte. Mit einem Dolche unter dem Kleide ging er früh zur
Stadt, gerade vor das Haus des Tribuns Marcus Pomponius, der
ihn sogleich vorließ. Nach gegenseitiger Begrüßung sagte Manlius, er
habe etwas mit ihm ohne Zeugen zu sprechen. Kaum waren sie beide
allein, als der Jüngling den Dolch zog und ihn auf der Stelle zu
durchbohren drohete, wenn er nicht eidlich ihm versicherte, die Klage
gegen seinen Vater Lucius Manlius zurückzunehmen.
(Siehe die Abbildung N= 19.)
Der Tribun, der den Stahl des tollkühnen starken Jünglings vor
seinen Augen blitzen sah, schwur den verlangten Eid und gab seine
Klage auf. Das Volk aber belohnte diese That kindlicher Liebe damit,
daß es den jungen Mann zum Kriegstribun ernannte.
In demselben Jahr 362 war wahrscheinlich durch eine vulkanische
Erschütterung auf dem Markte zu Rom eine weite Kluft von unermeß-
licher Tiefe entstanden, die man auszufüllen vergebens versuchte. Nach
dem Aussprüche eines Sehers mußte in diesen Abgrund das beste Gut
des römischen Volkes geworfen werden, wenn man dem Staate seine
Dauer sichern wollte. Da man hierüber in Ungewißheit war, so trat
ein edler Jüngling, Marens Curtins, hervor und fragte, ob es
für Römer ein höheres Gut gebe, als kriegerische Tapferkeit. Darauf
weihete er sich zum Opfer für die Götter der Unterwelt, schwang sich
in voller Rüstung auf sein herrlich geschmücktes Roß und sturtzte sich
in den Schlund, an dessen Stelle nachher der curtische See ent-
standen seyn soll.
(Siehe die Abbildung N= 20.)
Da sich schon damals viele Plebejer durch die auf Wochenmärkten
und Sammelplätzen erschlichene Stimmenmehrheit zu Staatsämtern
drängten, so machte der Bürgertribun Cajus P otelius, auf Betrieb
der Patricier, einen Gesetzvorschlag gegen ungebührliche Amtsbewerbung
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Extrahierte Personennamen: Titus
Man_lius Marcus_Pomponius Manlius Lucius_Manlius Marens_Curtins Cajus_P
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Minucius in Noch war. Ohne Saumen begann der Kampf. Die
Aequer, von zwei Seiten angegriffen und eingeschlossen, baten, der
Dictator mochte sie entwaffnet abziehen lassen. Er bewilligte es gegen
die Abtretung ihrer Stadt Corbio; dann ließ er von drei Spießen ein
Joch machen, so daß zwei in die Erde gesteckt und einer quer darüber
gebunden wurde, und durch diesen Galgen zogen die Aequer ohne
Waffen mit Schande ab. Der Dictator hielt nach diesem Sieg einen
herrlichen Triumphzng, legte schon am sechzehnten Tage seine Würde
nieder und begab sich wieder zu seinen ländlichen Beschäftigungen.
Der Krieg war aber damit noch nicht beendigt, denn die Aequer
wiederholten aus ihren Bergvesten ihre Verheerungszüge ans das römische
Gebiet, bis eine große Niederlage bei Eorbio im I. 446 v. Ehr.,
308 n. R. sie auf längere Zeit schwächte.
Die Tribunen bestanden unterdessen auf ihren Forderungen. Die
Patricier mußten im I. 457 v. Ehr., 297 n. R. bewilligen, daß von
nun an zehn Tribunen gewählt wurden, auch den Aventinus, wo
schon seit des Königs Ancus Zeit eine plebejische Ansiedelung war, zu
Wohnplätzen für die Plebejer vertheilen lassen. Besonders zeigte sich bei
Erneuerung des Ackergesetzes ein alter, aber unruhiger Kriegsmann
thatig, L. Siccius Dentatus, der in 120 Gefechten gestritten,
neun Triumphe begleitet, acht Feinde erlegt, und 45 Narben bekommen
hatte und mit Ehrenzeichen aller Art geschmückt war. Der Senat sah sich
endlich zur Nachgiebigkeit genothigt und bewilligte, daß im I. 454
v. Ehr., 300 n. R. drei Abgeordnete in die griechischen Städte Ita-
liens geschickt würden, um die besten Gesetze aufzusuchen und zu
sammeln. Daß sie auch nach Achen gegangen sind, um die Gesetze
des weisen Solon kennen zu lernen, laßt sich bezweifeln, weil damals
zwischen Athen und Rom noch gar keine Bekanntschaft und politische
Verbindung Statt fand, und Cicero, ein gültiger Zeuge, von einer
solchen Gesandtschaft nach Griechenland gänzlich schweigt.
Vi.
Die Negierung der Deeemvirn und ihr Sturz. Herstellung
und Begründung der Volksfreiheit. Die zwölf Tafeln.
Die Censur.
Als im I. 452. 302 n. R. die drei abgeschickten Gesandten
zurückgekehrt waren, wurde beschlossen, die bisherigen Obrigkeiten einst-
weilen aufzuheben, und an ihre Stelle zehn Männer zu wählen,
welche mit unbeschränkter Vollmacht die gesammelten Gesetze ordnen
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