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widmen. In der Regel weiß man ja oder ahnt wenigstens, um was es sich handelt; da arbeitet's, da bohrt es in uns, daß es eine wahre Freude ist, und plötzlich blitzt es hell auf. Wie habe ich mich oft gemüht, besonnen hin und her und dann war im Augenblick klar, was lange dunkel lag. Bequemer ist's freilich, übersetzte, entzifferte Urkunden gedruckt zu lesen; niemals aber habe ich denselben großen Gewinn. Während die Gedanken suchend forschen, da sehe ich Oertlichkeiten, Gestalten steigen auf, schreiben, reden, fesseln mein ganzes Interesse, und wo ich früher nnr Bruchstücke zu finden vermeinte, da entrollt sich ein Bild.
So schwinden, wenn wir näher hinzuschauen, auch die Schwierigkeiten, die in mangelhafter Ausbildung begründet sind. Manchmal habe ich sogar schon gedacht, es wäre recht heilsam, wenn man noch recht viel an sich zu vervollkommnen hätte; man bleibt als Lehrer dem Kinde näher, versteht die Schwierigkeiten, die es durchkosten muß, und kann ihm darum besser beistehen, als wenn man „fertig" ist.
Die eigene Veranlagung spielt auch eine Rolle. Ich habe öfters schon Personen bewundert, die ohne besondere Vorkenntnisse verhältnismäßig leicht alte Schriften gelesen haben. Mir selbst ist es durchaus nicht so leicht geworden; das Abgrenzen der einzelnen Buchstaben ist mir schwer gefallen, obwohl ich das Wortbild selbst verhältnismäßig rasch erfaßt habe.
Eines wünsche ich zum Schlüsse noch, daß nämlich recht bald in das Programm auch der bayerischen Lehrerbildungsanstalten die lateinische Sprache als Gegenstand des Studiums aufgenommen wird. Wenn nur ein guter Grund gelegt ist, kann man sich schon helfen. Viele Urkunden, besonders nach dem Dreißigjährigen Krieg sind gespickt mit lateinischen Ausdrücken und viele Urkunden der älteren Zeit, namentlich kirchliche, sind ganz lateinisch.
Iv. Anschauungen und Erfahrungen.
Nun tritt ein mit mir, lieber Leser, in die Schule! Wir haben uns gründlich umgesehen, unseren Stoff zurechtgelegt, gesichtet, gegliedert und sogar, soweit das möglich ist, auf das Schuljahr verteilt. Mit dem Verteilen auf kleinere Zeiträume ist's so eine eigene Sache. Sobald man von äußeren Umständen abhängig ist, kann man nie genau über die Zeit verfügen; die Umstände tuen einem eben nicht immer den Gefallen, sich uns untertänig zu machen, sie regieren uns. Mir genügt darum schon ein fertiger, logischer Plan fürs ganze Jahr in großen Ab-
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schnitten. Wir wollen und können nicht Lehrgebiet für Lehrgebiet miteinander besprechen, dazu habe ich ja eine Wechselreihe meines Lehrgangs ziemlich eingehend dargestellt; des Lehrers und der Schüler Tätigkeit wollen wir nur im großen noch einmal überschauen.
1. Das Beobachten, Betrachten, Anschauen.
Die Schüler sollen wie in der Naturgeschichte wissen, womit wir uns im Jahreslaufe beschäftigen wollen. Darum ist notwendig, daß wir im allgemeinen ankündigen, zum Beobachten, Anschauen, Betrachten im allgemeinen auffordern, aber auch im einzelnen für und für anregen, ermuntern, auffordern; die Schüler dürfen niemals ganz in Untätigkeit versinken. Zurzeit sind wir wieder mit dem Abschnitt der Marktbreiter Marktzeit beschäftigt. Ich kann deshalb als Lehrer selbst beobachten, wie mein Unterricht wirkt, und ich stelle mit Freuden fest, daß die Klasse mit noch größerer Liebe und besserem Erfolge als früher arbeitet; das bestärkt mich in meiner eigenen Tätigkeit.
Ich begnüge mich nicht damit, daß ich mit den Schülern selbst Ausgänge unternehme, mit ihnen um die alte Stadt gehe, Mauern, Tore, Türme, Gebäude im allgemeinen besichtige, mit ihnen auf den Kirchturm steige, und was dergleichen mehr ist, nein, ich will sie selbst fesseln, selbst beweglich machen, zur eigenen Forschertätigkeit erziehen. Beispiele werden beweisen.
Unser Schulhaus ist betrachtet, seine Geschichte festgestellt, die Kinder wenden sich gleichzeitig zunächst ihrem Wohnhause und dann überhaupt den Häusern des Städtchens zu. Ueber ihre Anschauungsund Ersahrungstätigkeit berichten sie mir schriftlich. Hier der Aufsatz eines Mädchens vom 4. Jahrgang:
„Unser Haus. Heute will ich einmal von unserem Haus erzählen, das vielleicht vor Jahrhunderten ein Rathaus gewesen ist. Jetzt ist es meines Vaters Eigentum, gehörte aber früher meinem Großvater. Derselbe kaufte es als Bauernhaus von einem nun längst verstorbenen Oekonomen Johann Herbst, riß es teilweise ein und ließ zu seinem Zweck Seifensiederei und Ladengeschäft einrichten. Da das Haus wie jedes andere Bauernhaus eingerichtet war, wurde es auch von mnen zu einem Bürger- und Geschäftshaus hergestellt. Ueber den Stallungen, welche hinter dem Hof lagen, befand sich eine großer, schöner Raum, welcher, wie man sagte, früher als Rathaus
20*
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hat es mir stark vergrößert auf einen langen Streifen mit Tusche gezeichnet; ein zweckdienliches Anschauungsbild!
Gerne möchten wir auch das Ave-Maria-Glöcklein in der Turm-laterne, das einstens droben auf dem Berge zum Gebete rief, besichtigen; wir können nicht, es hängt zu hoch. Wir sind auch so hoch befriedigt; ich auch, ich alter Narr.
Das gibt fröhliche Arbeit in der Schule; einiges davon ist in meinem Aufsatzgebiet Nr. 59 „Bei den Glocken" *) enthalten.
Weil wir nichts Wichtiges versäumen wollen, schauen wir auch imchörlein die 4 Holzreliefs: 1. Oelberg, 2. Geißelung, 3. Dornenkrönung und 4. Fall unter dem Kreuze an. Noch habe ich sie nicht kopieren lassen; aber es wird geschehen. An der Außenseite der Kirche entziffern wir zuletzt noch Grabsteininschriften (die älteste aus 1476); auf eine kommen wir noch einmal zurück.
Wir sind in unserem Gebiete ziemlich nahe bis an das Ende der Dorfzeit heraufgekommen; wir müssen vorerst Längsschnitte herausarbeiten. In der langen Zeit ist der Stoff gegenüber unserer 300 Jahre langen Dorfzeit doch dürftig; darum beuten wir ihn desto breiter aus.
2. Fehden und Schutzherrschaft.
Warum mitten im Dorf um das Kirchlein eine mächtige Mauer? Das muß Gründe haben. Wir erörtern erst, daß das Dorf offen war; nur ein tiefer Graben und ein Wall mit einer Pfahlhecke umwallten es. Wozu der Schutz? Wilde Tiere, aber auch Feinde. Streitigkeiten unter den Rittern und Herren, namentlich in einer gewissen Zeit (Ausblick in die allgemeine Geschichte).
Da kommen meinem Unterrichte einige wertvolle Berichte über Kämpfe aus der nächsten Nachbarschaft zu Hilfe. Eine streitige Bischofswahl führte 1266 bei Sulzfeld a. M. zum Kampf und der Bischof von Würzburg und sein markgräslich-ansbachischer Nachbar (seit 1458) lagen sich öfters in den Haaren; Niedernbreit grenzte an beide Gebiete an. Die Erzählung solcher Fehden belebt natürlich besonders die Knaben ungeheuer (siehe Aufsatzbuch Nr. 67 „Fehden in der Umgegend"). Wir verfolgen aber höhere Zwecke, obwohl ich das Interesse gerne zu Einblicken in das Kriegswesen der Ritter- und Landsknechtszeit ausnütze.
Die freien Broiter (Bräter) fühlten sich nicht mehr sicher, suchten Schutz, fanden ihn bei den Grafen von Castell und darnach bei den
*) Aufsatzbuch S. 197—200.
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Hohenlohe-Brauneck, die später von dem Rittergeschlechte der Seinsheim abgelöst wurden (am Anfange des 15. Jahrhunderts).
Um für die Seinsheimische Schutz- oder Oberherrschaft Anschauungen zu sammeln, stehen wir eines Tages vor dem dreifachen Ritterdenkmale in unserer Kirche. Ich habe mir den Vorgang einer solchen Betrachtung sofort nach vollzogenem Ausgange niedergeschrieben, kann ihn also hier wiedergeben wie solgt:
Abb. 38. (Kinderzeichnung.)
Wir stellen uns in gemessener Entfernung vor dem ziemlich hoch oben in die Wand eingelassenen Denkmal auf. Mir ist es wohlbekannt, darum kann ich mich mit dem Rücken gegen die Wand vorläufig meinen Schülern zuwenden. Wohl haben es die meisten während der Gottesdienste schon gesehen, weil ich sie aufmerksam gemacht hatte; sonst sind die Anschauungen oft recht dürftig. Nun lasse ich sie zuerst still betrachten, etwa 2 Minuten lang. Sie sind alle, wie ich mit Befriedigung sehe, mit Interesse bei der Sache. — So, nun was hat euch gefallen? — Bunte Antworten: Die Ritterfrau, die drei Figuren, der junge Ritter, der Säbel. Ich wünsche nun mit Absicht Einzelheiten. Es ist oft possierlich, was den Schülern besonders gefällt.
„Een Lehrer, das Eündle, das unter dem Schemel vorguckt — Mir der Löwenkopf — Mir gefallen die Achselklappen
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7. Die Hauszeichnung an dem Hause des Herrn Koch Nr. 139. Eine Bettstatt ist die Hauptsache dieses Schildes. Oben steht die Inschrift J. G. Zobel. Dann entziffere ich die Jahreszahl 1750.“ K. E. V.
y-aiofoi.
I Iso.
Abb. 52. (Kinderzeichnung.)
Fünf Marken hat das Mädchen richtig erfaßt und gedeutet. Bei Nr. 6 weiß sie nicht zu deuten, faßt darum schon falsch anf und setzt das ursprüngliche Vorstellungsbild in Pinsel und Faß um; in Wirklichkeit handelt es sich um eine Drechslerhausmarke.
Abb. 53.
Was sie als Phantasiewappen anschaut, ist ein Schreinerabzeichen.
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Die Marke auf dem Haus Nr. 139 (Ziffer 7), die dem Mädchen als Bettstatt erscheint, sieht, mit etwas lebendiger Phantasie betrachtet, wirklich so aus; es ist aber das Abzeichen eines Sattlers, wie hier im Bild zu sehen ist.
Abb. 55.
Ueber solche rege Tätigkeit, die sich auch sonst in vielen Zeichnungen offenbart, darf sich der Lehrer billig freuen; aber er muß unermüdlich weiter streben. Kaum ist die Arbeit im großen getan, beginnt auch schon die Einzelarbeit. Nicht alle Schüler haben alle Häuser gesehen; braucht^ auch nicht. Nunmehr sollen aber alle Uebersicht über das Alter gewinnen. Wir stellen diesmal Freiwillige auf. Wer durchforscht die obere Bahnhofstraße und Spitalgasse, wer die Bach-, wer die Maingasse, wer die Buheleite und Ochsenfurter Straße nebst Steingraben und Mainanlage, wer stellt die ältesten Jahrzahlen in der Stadt zusammen? — Sie melden sich in Haufen und ich muß nur noch geschickt auswählen. Jetzt schon mache ich aufmerksam, daß ich die Straßen und Gassen außerhalb der alten Mauer mit Absicht zur gesonderten Erforschung angegeben habe.
Dazu gesellen sich noch weitere Aufträge. Wer sucht die Rundbogenpforten, die Pförtlein auf, wer sieht sich nach Butzenscheiben, wer nach alten Eisengittern, wer nach Ueberbauten, nach Hausmarken, nach alten Türen usw. um? — Schon am andern Tag da drängt's; ich verweise aber zur Geduld bis zur nächsten Geschichtsstunde; da wollen wir die Ergebnisse sichten, ordnen, verwerten.
In der Geschichtsstunde — obwohl das streng genommen nicht hierher gehört, will ich um der Sache willen vorgreifen — da ist eifrigste Tätigkeit, da diktieren die Sammler und an den Wandtafeln entstehen Reihen, aus denen den Schülern von selbst als Ergebnis in die Augen springt: Die Straßen und Gassen außerhalb der Mauern sind ja (mit
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Und nun zu den einzelnen Gestalten! Die Rittergestalten zuerst. Fangen wir unten an! Schuhe ohne Absatz, aber mit langen Sporen. Halt, hier der Riemen!
„Das ist wie leiden Soldaten — H. L., damit werden die Gamaschen gehalten.“
Ist scharf beobachtet. Da die Ringe am Knie? Eiserne Rüstung. Band am Knie. Was aus dem Panzer herausschaut! Die Wamsärmel. Um den Hals? Eine Kette.
, ,H. L., daran hängt etwas y ein Vogel ist drauf.11 ^ou einen (Schwan bedeuten; das ist der Schwanenorden. Auf der Schulter der Spangenorden. Offnes, langes, gelocktes Haar. Kopfbedeckung? — Der geschlossene Helm auf dem Betschemel. Wie er die Hände faltet! Dazwischen? Rosenkranz. Worauf sie aufliegen? Auf dem Betpult. Unter dem Schemel Löwenkopf. — Aehnlich berfahren wir mit Philipp.
Die Frau. Sie kniet auch. Langer, herab wallender Mantel; biele Falten. Ernstes Gesicht; Nonnenhaube, Witwenband um das Kinn.
„H. L., zwischen ihren Händen hält sie e Batterie.11
Richtig, Batterie, abgeleitet bort Pater (Vaterunser). Betpult. Unter dem Schemel lugt ein Hundskopf heraus. Warum wohl hier Hund, dort Löwenköpfe?
Zum Schluffe noch flüchtig die Wappen; das Seinsheimische kennen die bont 5. Jahrgang schon.
Wir ziehen heim. Hat es euch gefallen? Die strahlenden Gesichter berkünden es. Könnt ihr darüber schreiben? Ja, ja!
Wie das gewirkt hat, muß ich an einem Beispiel zeigen. Derselbe Knabe, der schon im 4. Jahrgang sich mit ganz besonderem Interesse der geschichtlichen (und ebenso der naturgeschichtlichen) Forschung hingegeben hat, schreibt einen prächtigen Aufsatz; ich will aber doch noch ausdrücklich betonen, daß die Aufsätze zwar kurz angeregt, aber von den
Abb. 39. (Kinderzeichnung.)
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Extrahierte Personennamen: H._L. Rosenkranz Philipp Philipp
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Weiter, wer von euren Eltern hat selbst Aecker, auch gepachtete? — Schreibt mir heraus, wie sie heißen!
Ein Mädchen liniert sich seinen Zettel und schreibt
Plan-No. Benennung des Besitzgegenstandes Natur- oder Kulturart
1307 2118 a 21181 2119 a 21191 2324 An der Enheimer Steige Auf dem Endelberg Im Sand Acker Acker Oedung Acker Oedung Acker
M. F. V.
Ein Knabe macht es kürzer:
3\4 Morgen Aub 1 )4 ,, Skt. Jochuskapelle
Hof Schind Köhler Fuchsberg
1 1
i1!*
5
L. Sch. Iv.
Das gibt Leben und Bewegung, was aber besser ist, Gewinn. Diese Schreiber! Macht da einer aus Jobstkapelle eine Jochuskapelle. ' Mundart und Schreibweise stimmen oft nicht überein; bei uns siegt die Mundart. Das freut, das ehrt.
Die Erfahrungen alter Leute, Erlebnisse, Erinnerungen, Sagen it. dgl. forschen wir selbstverständlich aus, doch mit der nötigen Vorsicht von vornherein. Da sind z. B. Veteranen, die den 70er oder 66er Krieg mitgemacht haben, Großväter und Großmütter, die -sich noch deutlich aus die Erzählungen ihrer Großeltern aus der Franzosenzeit erinnern. Viel weiter geht's nicht; da beginnt in der Regel schon das Fabulieren. Der Sagenbestand ist auch hier unbedeutend, säst wertlos. Marktbreit
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ist nun schon 350 Jahre lang ein gewerbe- und handeltreibendes Städtchen, die Bewohner haben seit dem Dreißigjährigen Krieg besonders häufig gewechselt. Wie viele sind ausgestorben, wie viele ausgewandert, wie wenige der Schülereltern können den Wohnsitz ihres Geschlechts auf zwei oder drei Generationen zurückführen! Woher soll da die Ueberlieferung kommen; sie ist darum äußerst spärlich. Die Erzählungen alter Leute sind allerdings meist insofern zuverlässig, daß sie einen wahren Kern enthalten; aber sie bedürfen doch der Prüfung. Interessant war mir im Gegensatz zum Chronikschreiber auf Grund von Flurnamen- und Siebnerbücherforfchnngen festzustellen, daß tatsächlich auf einer gewissen Feldlage eine Kapelle (zum St. Jobst) gestanden war. Verwunderlich ist aber, wie viel vergessen wird, das verhältnismäßig nahe ist. Da ist vor weniger als 100 Jahren ein Hohlraum zusammengestürzt und hat ans der Erdoberfläche eine tiefe Trichtergrube hinterlassen*), die lange Zeit etwas Wasser enthalten hat. Geschäftig hat der Volksgeist allerlei Märchen daran geknüpft, wie z. B.: Eine Ente wurde oben in die Trichtergrube geworfen und unten am Bach kam sie fröhlich heraus. Aufgelegter Schwindel! Ein schönes Beispiel über die Geschwätzigkeit habe ich in meiner ersten Wechselreihe erzählt (Abschnitt Iii Ziffer 15 Schweden-sahne). Trotzdem ich nun schon jahrelang die Sache in meinem Unterrichte richtig erzählte, stirbt die „Schwedenfahne" noch nicht aus; ich lasse aber in meinem Unterrichte nicht nach. Was hat der Große Krieg doch alles zugedeckt! Wie ein mächtiger Schuttwall liegt er auf dem Volksbewußtsein und deckt es zu. Ist irgendwo ein Dorf untergegangen (wie z. B. Rügried), im Dreißigjährigen Krieg ist's vernichtet worden, wenngleich es schon lange vorher nicht mehr bestanden hat. Was alles den Schweden zur Last geschrieben wird, habe ich erst kürzlich in einer Sagen-sammlung gelesen und doch waren sie nicht schlechter und haben nicht schlimmer gehaust wie die Kaiserlichen. Ich betrachte es als eine Pflicht des Lehrers, soweit es nur möglich ist, allen Sachen auf den Grund zu gehen; er wird dabei finden, wie viel vergessen worden ist. Ja, wie viel ist verloren gegangen im Volk! Es ist tief traurig; wie wenig weiß man von den Verhältnissen vor dem Dreißigjährigen und vor dem Bauernkrieg. Und wie lauschen die Leute, wenn man ihnen berichtet. Da habe ich einmal in einem Dorfe einen Vortrag über die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts gehalten. Ein alter, wegen seiner ortsgeschichtlichen Kenntnisse geachteter Mann war darauf gespannt, glaubte vieles zu hören
*) Siehe S. 232.
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von dem, was er wußte, und siehe, nach der Versammlung sagte er: „Davon hab' ich noch nie etwas gewußt oder gehört." Das Volk ist uns Lehrern dankbar für solche Arbeit; leisten wir sie ihm darum!
Anderwärts mag der Lehrer brauchbare Sagen finden und sie in seinem Unterricht verwerten; ich kann ihm aber nicht dringend genug Vorsicht empfehlen. Wie vorsichtig man mit Sagen, auch gedruckten, sein muß, will ich an einem Beispiel nachweisen.
In dem sehr verdienstvollen Werk „Sagen und Skizzen aus dem Steigerwald",*) gesammelt und herausgegeben von Klarmann & Spiegel ist S. 250 eine Sage (aus einer älteren Sammlung von F. Panzer) wieder erzählt:
„Der Lindwurm im Stadtgraben. Am Rathaus zu Marktbreit ist der Patron der Stadt, der Ritter St. Georg, ausgehauen, wie er den Lindwurm tötet. Ehemals, man weiß nicht, wie lange es schon her ist, lag ein Lindwurm im Stadtgraben und forderte alle Tage ein Menschenopfer. Endlich glückte es einem tapferen Helden, ihn zu erlegen."
Aehnlich gibt auch Plochmann die Sage in seiner Chronik. Als ich vor etwa zwei Jahrzehnten hierher kam, wußte mir niemand etwas davon zu erzählen, außer wer die Chronik gelesen hatte, und wie viele waren das? Den Kindern war sie völlig unbekannt. Ich griff sie auf, erzählte sie und die Kinder schmückten sie aus**); seitdem ist sie im Wechsel von zwei Jahren immer wieder erschienen und lebendig geblieben. Und wie lebendig! Das beweist die andere Veröffentlichung in dem genannten Sagenbuch:
„Im Stadtgraben hauste einmal ein Drache, der weder Mensch noch Tier verschonte. Am gierigsten war er morgens; wer da in seine Nähe kam, war unrettbar verloren. Starke Männer waren ausgezogen, doch keiner konnte ihn töten. Da erfuhr auch ein Ritter, St. Georg war es, von diesem Drachen und machte sich auf, den Kampf auf Leben und Tod mit ihm zu bestehen. Alles Volk zog dem Ritter entgegen und jubelte ihm zu. Als der Ritter in die Nähe des Drachen kam, sah er da viele Knochen und Schädel von Menschen liegen. Aber das entmutigte ihn nicht, das reizte erst seinen Zorn. Bald
*) Gerolzhofen, 1912.
*) Siehe auch mein Aufsatzbuch S. 21.
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