1897 -
Leipzig [u.a.]
: Bibliogr. Inst.
- Autor: Geistbeck, Alois
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Atlas
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Großbritannien. <\7
Die Gunst seiner geographischen Lage im Mittelpunkte der Landhalbkugel und am Rande
eines reichen Ackerbaulandes, die durch die Flut begünstigte Zugänglichkeit der Themsemündung
sür die größten Seeschiffe und die hohe wirtschaftliche Blüte der Gegengestade machen im Vereine
mit der Tüchtigkeit der Bevölkerung den unvergleichlichen Aufschwung Londons begreiflich.
Wir verlassen die Weltstadt und ihr betäubendes Getriebe und durchschreiten themseaus-
wärts das flachhügelige, fruchtbare Tertiärbecken Londons mit seinen reizenden Parkland-
schaften, aus deren Mitte stolze Herrenhäuser, die Sitze der altenglischen Aristokratie, hervor-
schauen. Überall trifft der Blick auf Äcker und Wiesen, von lebendigen Decken zierlich umzogen
und von wohlgepflegten Rieswegen durchschnitten. Unvergleichlich schöne Nasen und prächtige,
in Gruppen verteilte Bäume, vornehmlich Eichen und Buchen, sind die-Hauptzierde der englischen
parke, und die schönsten Pferde und Rinder bilden die lebendige Staffage dieser reizvollen
Naturszenen. Der Zvald fehlt, er ist der Industrie und den: Schiffbau zum Opfer gefallen.
Der Engländer wohnt weit lieber auf dem Lande als in der Stadt, ja man trifft namentlich
im Süden selbst Dörfer seltener, und auch diese sind meist klein. Dasür ist das ganze Land über-
säet mit reizenden Einzelwohnungen, Edelsitzen und Schlössern. Von den Küstenorten abgesehen,
gibt es daher im südlichen Teile Englands, in dem die Landwirtschaft, aber nicht als Kornbau,
sondern als Pferde- und Rinderzucht vorwiegt, eigentliche Großstädte nicht. Am bedeutendsten
ist hier Tanterbury im Osten (22,000 Einwohner, S. J63), der geistliche Mittelpunkt des
Reiches. Der Erzbischof von Tanterbury, Primas des Reiches und erster pair von England,
residiert jedoch in London.
Bei Reading durchbricht die Themse die Kreideplatte, die von der Normandie herüber-
zieht, bei Dover (S. J63) in schroffen Klippen zum Kanal abbricht und erst am lvashbusen
endigt. Annähernd parallel damit verläuft der breite Rücken des englischen Iura von
der Südküste bis zur Mündung des Humber. Ähnlich wie der schwäbische Iura fällt auch der
englische steil nach Nordwesten ab und wird im Süden vom Avon, einem Nebenflusse des
Severn, im Norden vom Humber, teilweise auch von der Themse durchbrochen. Zwischen ihm
und den westlichen Randgebirgen breitet sich das niedrige, flachwellige Buntsandstein- und
Reuperland Englands aus, in das die langgezogenen Thäler des Severn, Trent und Ouse
eingesenkt find. Der Iura ist eine bedeutsame wirtschaftliche Scheidelinie in England, indem er
das Landwirtschaft treibende Altengland, den Sitz des hohen Adels und der hohen Geistlichkeit,
vom industriellen England der Neuzeit mit seinen fast unerschöpflichen Kohlen- und Eisen-
vorräten, seinen zahlreichen, dichtgedrängten Fabrikstädten, seinem verwirrenden Netz von
Eisenbahnen und Kanälen und seiner riesenhaften Produktion von Baumwoll-, Ivoll- und
Eisenwaren trennt. !Vie im Süden Englands der politische, so liegt im Norden der wirt-
schastliche Schwerpunkt des Landes, und wie dort London emporgewachsen, so mußten hier
die beiden größten Hasenstädte Liverpool (520,000 Einwohner, S. J6^) und Glasgow
(658,000 Einwohner), die dem wichtigsten Ursprungslande der Rohbaumwolle, den Ver-
einigten Staaten Nordamerikas, am nächsten liegen, erstehen.
Im Niesten und Norden wird das eben durchwanderte englische Becken von alten,
abgetragenen Faltengebirgen umschlossen, deren südlichste Glieder, die Bergländer von Torn-
wall, Wales und Irland, die Fortsetzung des Gebirges der Bretagne bilden. Überall walten
sanfte, vermittelte Formen vor; ausgesprochene Kammbildung sehlt; gerundete Berggruppen
mit breitgewölbten Gipfeln wechseln mit breiten und tiefen Thalsenken. Wälder fehlen fast
gänzlich, kümmerliche Heiden und Moore decken das Hochland. Trotzdem ermangeln die eng-
lischen Gebirgsgegenden, die im Snowdon (S. J[(5^) die Höhe des Fichtelgebirges erreichen,
keineswegs der landschaftlichen Reize; namentlich zeichnen sie sich neben mannigfachen Thal-
fzenerien durch einen Reichtum an Seen aus, unter denen die von Tumberland im sogenannten
Seendistrikt und die von Killarne^ (S. J65 u. J66) in Irland besonders gepriesen werden.
Sie sind zum Teil Überbleibsel der Eiszeit.
Auch die schottischen Gebirge (S. J67) teilen diese Eigentümlichkeiten, sind aber bei
der Armut des Bodens und der Unwirtlichkeit des Klimas noch schwächer besiedelt, ja teilweise
unbewohnbar. Daher hat stch die Bevölkerung mehr an den fischreichen Meeresküsten gesammelt,
und hier entstanden, der skandinavischen Küste gegenüber, Aberdeen Q 25,000 Einwohner),
Dundee (^o^,000 Einwohner) und vor allem Edinburg (S. J66) mit dem Vorhafen Leith
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Rußland. 5\
Wolga int Norden und Osten erfüllt. Hier liegt im Mittelpunkte des Reiches das „heilige"
Moskau (800,000 Einwohner), der geistige und wissenschaftliche Brennpunkt des echten, un-
verfälschten Russentums, das sich jeglichem westeuropäischen Einfluß feindlich gegenüberstellt.
Die Stadt dehnt sich weit um das Nationalheiligtum, den Kreml, aus, der mit seiner orienta-
lischen Pracht der Paläste und Kirchen ein sprechendes Zeugnis für die halbasiatische Kultur
Rußlands gibt. Durch seine zentrale Lage und begünstigt durch die von allen Seiten sich er-
schließenden Wasserstraßen ist Moskau früh ein Sitz der Industrie und des Handels geworden
und nimmt in ersterer Einsicht für das ganze Reich eine führende Stellung ein.
Die Moskwa abwärts führt die Wasserstraße zur Gka, dem zweiten, das Zentrum des
Landes durchziehenden Hauptquellarme der Wolga, mit der sie sich bei Nishnij Nowgorod
(73,000 Einwohner), der berühmten Messestadt, vereinigt (S. J7^). Der äußerst günstigen
Lage an den beiden großen Flüssen verdankt die Stadt ihre Bedeutung für den Handel zweier
Erdteile. Malerisch breitet sich die Oberstadt mit ihren sauberen Straßen und stattlichen Ge-
bänden am rechtsseitigen Hochufer der Wolga aus, das an 200 in den Wasserspiegel der beiden
Ströme überragt. Die Unterstadt am Wasser bilden Handelsstraßen und die Landeplätze
für die Dampfer. Auf imposanter Holzbrücke geht es über die mächtige Oka, die hier, wie
die Wolga, fast einen Kilometer breit ist, zur Messestadt zwischen Gka und Wolga. Die Mehr-
zahl der Däuser dieses Stadtteils sind kleine, ein- oder zweistöckige Gebäude aus Stein, zwischen
denen vereinzelt größere Bauwerke, Lagerräume, Hotels oder öffentliche Gebäude über die
Masse emporragen. Geradezu unbeschreiblich ist das Gewühl der Kaufleute und Händler, die
hier aus dem Grient und Gccident sich ein Stelldichein geben. Wiewohl infolge der Zunahme
und Erleichterung der Verkehrsmittel und Verkehrswege der Umfang der Messe (wie der aller
ähnlichen großen Handelsmärkte) in den letzten Jahrzehnten abgenommen hat, so werden doch
immer noch in den wenigen Herbstwochen 200 — 500 Millionen Rubel umgesetzt.
Vier und einen halben Tag währt die Fahrt von Nishmj bis ans Kaspische Meer, wie
bei allen russischen Flüssen, so hat man auch an der Wolga rechts das Berg- (S. 1(75), links
das Wiesenufer, eine niedere, endlos breit sich hindehnende Ebene, die abwechselnd wiese,
Feld oder Heide trägt. Ihre größte Breite erreicht die Wolga in der Gegend von Saratow,
\900 m, ihre Tiefe schwankt zwischen ^ und 32 m. Bald unterhalb Nishnij Nowgorod wird
es still auf dem Strom, weit und leer dehnt er sich vor dem Beschauer aus. Nur selten be-
gegnet einem ein Passagierdampfer, selten auch ein kleiner Schlepper, der eine Reihe von
Frachtkähnen hinter sich her zieht. Boote oder kleinere Schiffe, die die Fläche beleben könnten,
fehlen gänzlich. Die Städte liegen weit voneinander. Aber gerade in diesem Bilde offenbart
sich am deutlichsten Rußlands Natur, seine kolossale Größe und Einfachheit, und diese Momente
wirken erhebend auf den Menschen durch das Majestätische, das in ihrer Ruhe und in ihrer un-
absehbaren weite und Breite liegt. Friede senkt sich da auch in das Gemüt, und man empfängt
den Eindruck einer ergreifenden, imposanten und eigenartigen Naturschönheit. Dazu kommt noch,
daß „Mütterchen Wolga" mannigfach mit der Geschichte, Sage und Poesie des russischen Volkes
verknüpft ist, ähnlich unserem „Vater Rhein". Auch jetzt noch ist die Wolga die Hauptverkehrs-
ader Rußlands zwischen Grient und Gccident, und über 20,000 Schiffe aller Art dienen diesem
großen Güteraustausch. Beisamara beginnt dann der großeschienenweg, der überufa zu den
sibirischen Ländereien hinüberführt, und dessen Ende am Gestade des Stillen Gzeans liegen wird.
Ostlich und südlich von Samara breitet sich die Steppe aus in endloser Ode und Dürre;
gegen Westen aber zieht der breite Streifen der wundersam ergiebigen „Schwarzen Erde"
hin, der bis Kiew am Dnjepr reicht und die Getreidekammer Rußlands ist. Daher ist Sa-
mara auch wichtig als großer Getreidemarkt.
was Moskau in politischer, Nishnij Nowgorod in merkantiler Einsicht, ist Ki ew (S. \75)
in religiöser Beziehung für Rußland. Es ist die wiege des Christentums im Zarenreiche und
sein besuchtester Wallfahrtsort. Stolz thront das prächtige Alt-Kiew mit seinen Festungswerken
und zahllosen Golddächern der Kirchen auf dem etwa 50 rn ansteigenden Hochufer des Dnjepr,
während die blauen Fluten des 700 — 800 rn breiten Stromes die tiefer gelegenen Teile der
Stadt, das Handelsquartier, bespülen.
Den südlichsten Teil des Reiches endlich erfüllt die Steppe (S. J76), wo die Kosaken un-
gehenre Werden von Pferden, Rindern, Schweinen und Schafen züchteil. Die dürre, baumlose
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(8 Ii- Das nördliche Alpenvorland und feine Umwallung.
Verkehrsgebiete darstellen, wie Zürich, Genf, Luzern; endlich auch an hervorragend schön
gelegenen Punkten, wie Interlaken (S.6^) und pontresina, der freundlichen Sommerfrischorte
an den bayerischen und österreichischen Seen nicht zu vergessen. Die glänzendste aller Alpen-
städte aber ist Wien. <£s liegt an dem Punkte, wo die (Eisenbahnlinien des ostwestlichen Ver-
kehrs, die aus der Schweiz, Frankreich und den Niederlanden durch Süddeutschland nach Oster-
reich führen, mit der wichtigsten Südnordstraße Österreichs, die von Trieft nach den Sndeten-
und Karpathenländern sowie zur Gder und Weichsel nach Norddeutschland und Nußland geht,
zusammentreffen. Seit Jahrhunderten die Hauptstadt des Gesamtstaates, ist Wien seit 1(867
nur noch die Hauptstadt der österreichischen Reichshälste. Als Sitz des Looses und der Negie-
rung, als Stätte der Wissenschaft und Kunst, aber auch als erste Fabrikstadt und als Mittel-
punkt eines großartigen Waren- und Geldverkehrs, der weit in den Orient wirksam ist, hat
Wien von jeher die Stellung und Bedeutung der ersten Stadt der Monarchie gehabt und läßt
auch heute noch alle anderen Städte derselben weit hinter sich. Neuerdings ist es aus den
Fesseln der alten Umwallung hinausgewachsen, die Vororte wurden mit dem Kern zu einem
Gemeinwesen verbunden; der Ring aber, das heißt die Stelle der einstigen Festungswerke, ist
zu einer der herrlichsten Straßen der Erde umgewandelt worden, an der sich Prachtbau neben
Prachtbau (S. 8\ u. 82) erhebt, Wien neben seinem alten Ruhm als fröhlichste deutsche Stadt
den neuen verleihend, architektonisch vielleicht die schönste Stadt der Welt zu sein. Viel trägt
zur Annehmlichkeit des Aufenthaltes die landschaftlich überaus reizvolle alpine Umgebung bei.
Wien zählt J(,500,000 Einwohner, wurde also von dem jüngeren und minder schönen Berlin
stark überholt, eine Folge der politischen Verhältnisse und der thatkräftigen, aufblühenden
deutschen Industrie.
Welchen Einfluß die alpine Natur auf die Beschäftigung der Bewohner, die Einfachheit
ihrer Lebensweise, ihre körperliche Tüchtigkeit, die reiche Entfaltung ihres Innenlebens in
Religion, Kunst und Poesie, endlich auf ihre rührende Heimatsliebe ausübt, das ist oft geschil-
dert worden. Auch die Behausung des Älplers, seine eigenartige Holzarchitektur, die Galerien
und kleinen Fenster, das flache Dach mit den Steinbelegen (S. 92), dies alles zeigt die sorg-
same Anpassung des Menschen an die umgebende Natur. Nicht unerwähnt wollen wir endlich
lassen, wie anregend das Studium der Alpenwelt auf Kunst und Wissenschaft, namentlich auf
Geologie und Geographie, gewirkt hat, und nicht vergessen sei der Fülle wunderbaren Segens,
der alljährlich auf Tausend und Tausende niederströmt, die, erschöpft von dem gasten des
Großstadtlebens, Erquickung an Körper, Geist und Herz in unseren Alpen suchen und finden.
Ii. Dak nördliche Alpenvorland und seine Umwallung.
Nut dem Verlassen der bayerischen Alpen betreten wir ein flachwelliges Wald- und Wiesen-
land, in dessen Einsenkungen die Spiegel zahlreicher Seen erglänzen. Der lockergefügte Boden
enthält Rollkiesel aus den Zentralalpen, gekritztes Kalkgeschiebe, große eckige Blöcke, unver-
kennbare Beweise dafür, daß dieses Schottermaterial auf dem Rücken und am Grunde der
eiszeitlichen Gletscher in das Vorland herabbefördert worden ist. Wir sind in der Seen- oder
Moränenzone Südbayerns. (Vergleiche die Moränenbilder der norddeutschen Tiefebene
S. \\2.) Nordwärts davon breiten sich die großen, sast vollkommen ebenen Schotterslächen
an: Lech, an der Isar und an: Inn aus, die die Schmelzwässer der alten Gletscher aufgeschüttet
haben. Unabsehbare Wälder nehmen ihre südliche, weite Moore um Dachau und Erding ihre
nördliche Hälfte ein. Die im Süden in den Boden eindringenden atmosphärischen Gewässer
strömen nämlich aus dessen undurchlässiger Unterlage als ein ungeheurer Grundwasserstrom
nach Norden, wo sie in den tiefer gelegenen Teilen wieder ans Tageslicht treten und zur Bil-
dung großer Wiesenmoore (S. 83) Veranlassung geben. Den nördlichsten Teil der Hochebene
endlich erfüllt ein sandiges, vielfach von ergiebigem Löß überdecktes Hügelland, das Acker-
bau gebiet Südbayerns.
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20
Iii. Die süddeutschen Becken.
Iii. Die süddeutschen Becken.
Das schwäbisch-fränkische Becken.
Zu dem eben skizzierten nordalpinen Vorlaude bildet das schwäbisch-fränkischebecken
fast in jeder Einsicht einen tiefgehenden Gegensatz. Zwar wird es im Süden und Osten
durch die Steilgehänge des Dura und im Südwesten durch den Schwarzwald umschlossen, gegen
Nordwesten aber öffnet es sich in einer breiten Senke zur fruchtreichen Rheinebene, und zwi-
schen Vogelsberg, Rhön, Thüringer Wald und Fichtelgebirge gewähren tiefe Einsenkungen ge-
nügenden Raum für den Verkehr mit Mittel- und Norddeutschland. Frauken und Schwaben
liegen erheblich tiefer als das südliche Bayern (Nürnberg 300 m, Stuttgart 250 m, München
520 m) und erfreuen sich daher eines milderen Klimas und mannigfaltigerer Bodenprodukte
als dieses. Erwägt man ferner den Wert schiffbarer Wasserstraßen sür den Verkehr, die Vor-
teile der geringen Höhenunterschiede innerhalb des ganzen Naturgebietes (Frankenhöhe und
Steigerwald sind nur uiedrige Bodenschwellen), endlich die Gunst der offenen Lage gegen das
übrige Deutschland, so begreift man den großen wirtschaftlichen Gegensatz zu dem vorher be-
schriebenen Naturgebiete und die Verschiedenheiten der Volkscharaktere, und man versteht die
hohe Entwicklung des Handels, des Verkehrs, der Industrie und weiterhin die reichere Städte-
siedelung in dieser Landschaft. Stuttgart und L)eilbronn sind die Mittelpunkte des schwäbi-
scheu, Nürnberg und Würz bürg die des fränkischen Beckens.
Nur eines dieser herrlich aufstrebeudeu Gemeinwesen wollen wir näher würdigen, Nürn-
berg (S. 37). Wie die Regelberge des ^ura aus der Neckarniederuug, so erhebt sich bei
Nürnberg aus der mittelfränkischen Ebene ein Sandsteinfelsen des Plateaus, der das um-
liegende Gebiet weithin beherrscht und zur Befestigung vortrefflich gelegen ist. Noch heute
trägt er die weithinschauende Feste der einstigen Burggrafen von Nürnberg (s. Abbildung).
Dieser Fels wurde der Kern eines späterhin glanzvoll sich entwickelnden Gemeinwesens, das
in der Gunst der geographischen Lage einen mächtigen Bundesgenossen fand. Von allen
Seiten leicht zugänglich, erhebt sich Nürnberg annähernd in der Mitte des Regnitzbeckens,
wohin alle Flüsse Mittelfrankens streben. Bedeutsamer aber wurde seine Lage zu den großen
Handelsstraßen des Mittelalters und zwar am Kreuzungspunkte der Linien Wien—regens-
burg—mainz und Venedig — Augsburg — Bamberg — Leipzig. Durch seine Verbindung mit
deu bedeutendsten Orten jener Zeit gelangte es allmählich zu hoher Handelsblüte, ja es
wurde das Zentrum des deutschen Handels, und Kuust und Kunstgewerbe erreichten hier ihre
höchste Vollendung. In zahlreichen Bauten hat Nürnberg bis heute seinen Charakter als mittel-
alterliche Kunst- und Handelsstadt bewahrt, und seine Mauern und Türme, seine Gräben und
Zugbrückeu geben eine lebhafte Vorstelluug von der Bedeutung der Stadt als einem fast un-
einnehmbaren Bollwerk jener Zeit. Wohl hat auch diese deutsche Stadt den Wandel der Zeiten
erfahren, aber unter dem modernen Fabrikbetrieb, Handel und Verkehr hat sie als die zweit-
größte Stadt Bayerns und als erste Fabrikstadt des Landes einen glänzenden Aufschwung ge-
nommen und zählt heute bereits J 62,000 Einwohner. Neben der alten Noris bietet Nöthen-
bürg an der Tauber (S. 87) noch das getreue Abbild eiuer deutschen Reichsstadt des Mittel-
alters, und das Bild aus Sebastian Merians Topographie unterscheidet sich kaum von den
Darstelluugeu der Stadt aus der jüngsten Zeit.
Die Eintiesungen des Main- und Neckarthales find die natürlichen Straßen, durch die das
schwäbisch-fränkische Becken mit der oberrheinischen Tiefebene, mit der es so viele landschaft-
liche und wirtschaftliche Vorzüge gemein hat, in Verbinduug tritt. Genau an der Stelle, wo
die beiden Flüsse in die Ebene heraustreten, liegen die Städte Frankfurt und Heidelberg.
Frankfurt a. M, die alte „Wahl- und Krönungsstadt des heiligen römischen Reiches deutscher
Nation", verdankt seine Bedeutung als Handelsemporium Süddeutschlands vorzüglich der
Lage am Ausgangspunkte zweier Hauptwege nach Nord- und Nordostdeutschland, und die
Gunst dieser Lage mußte mit der Entwicklung der modernen Verkehrsmittel in erhöhtem
Maße zur Geltung kommen. Es zählt heute mit Bockenheim und Sachsenhausen bereits
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Die europäischen Polarländer. Gesamtcharakter des Erdteils. 55
Noch höher muß die reiche Gliederung seiner Meeresgestade geschätzt werden. Europa,
selbst eine Halbinsel Asiens, löst sich gegen Westen und Süden in eine Anzahl von Inseln
und Halbinseln aus und erreicht unter allen Erdteilen die größte Rüstenlänge im vergleich zu
seiner Oberfläche. In zahllosen Meerbusen, Buchten und Baien dringt das lebenschaffende
Element in das Festland ein, und diese wunderbare Zugänglichkeit und Aufgeschlossenheit er-
leichterte ungemein den Zutritt der geistig bereicherten Völker Asiens und Afrikas. Gerade
dort, wo die Gliederung Europas ihren Höhepunkt erreicht, wo das Feste und das Flüssige sich
am innigsten durchdringen, und wo zu diesem Vorzuge noch die Gunst eines südlichen Klimas
sich gesellt, dort liegt die wiege der europäischen Kultur, dort entfaltete Kellas seine einzige,
seine unerreichte Blüte der Kunst und Weltweisheit. Und von Griechenland wanderte die Kultur
in den: „vielgestalteten" Meere weiter nach Westen, nach Italien, Frankreich, Spanien, an
seinen Gestaden blühten bildende und verbindende öandelsmärkte auf, das wechselseitige
Geben und Empfangen von Waren zog einen Austausch der Zivilisation und der geistigen
Kultur nach sich, eine Annäherung der angrenzenden Länder, die das Mittelmeer viele Jahr-
hunderte lang zun: Kulturmeere der Welt, zum pulsierenden Jfjei'z des Altertums und Mittel-
alters machte.
Als aber mit der Auffindung des Seeweges nach Ostindien und mit der Entdeckung
Amerikas dem Verkehr ungleich größere Bahnen und lohnendere Ziele sich eröffneten, als
der Atlantische Ozean das Kulturmeer der Welt ward, da kamen die Vorzüge der reichen
Gestadegliederung des westlichen Europa zur Geltung, da wuchs Englands Weltmacht
empor. Und jetzt erst, nachdem die Küstenschiffahrt zur Weltschiffahrt, der Küstenverkehr zum
Weltverkehr sich fortentwickelt hatte, kam endlich Europas höchste und bedeutsamste Natur-
gäbe zur vollen Entfaltung, seine geographische Lage in der Mitte der Landhalbkugel. Nicht
nur der Binnenverkehr, auch der Weltverkehr sammelt sich in der Mitte. Drei Erdteile umlagern
Europa in größerer oder geringerer Ferne: Asien, Afrika, Amerika, die, zum größeren Teile
von den Ozeanen der Erde umwogt, selbst keinen solchen Reichtum von nachbarlichen Be-
ziehungen aufzuweisen haben. Daher konnte Europa auf eine für die Entwickelung seiner
Bewohner höchst bedeutungsvolle und wohlthätige Weise mit ihnen allen in gleichmäßigen
Verkehr und Austausch treten.
Eben durch seine Weltstellung mußte es zum Mittelglieds des Weltverkehrs und zum
genieinsamen Berührungspunkte für die Interessen der Menschheit werden. Mag in der
Westseste der Erde eine neue Kultur jugendkräftig aufblühen, mag diese auch mit großen
Machtmitteln arbeiten: die geistige und wirtschaftliche Herrschaft Europas über den Erdkreis
ist auf einen Reichtum von natürlichen Gaben gegründet, der Europas Vorherrschaft noch auf
lange Zeit in sicheren Ankern tragen wird.
>-4
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26 Iv. X> t e mitteldeutsche Gebirgsschwelle.
ostwestliche und nordsüdliche Verkehrslinien begegnen sich hier. Erstere kommen von Frank-
surt und Thüringen, letztere aus dem oberen Maingebiet her. Ferner vereinigen sich hier
die Routen aus Norddeutschland von Magdeburg und Berlin, endlich berührt die Straße aus
Böhmen nach den Nordseehäfen die Stadt. Daher wurde die Leipziger Messe die erste in
Deutschland, und die hohe materielle Blüte der Stadt schus gleichzeitig die Bedingungen zur
Entstehung einer der ältesten und bis in die letzten Jahre größten Universität Deutschlands.
Mit dieser steht Leipzigs Bedeutung als erster Platz sür den Buchhandel in Beziehung (5. \00).
Seine Messe und seine Universität bildeten auch bis in die jüngste Zeit herab die Grundlage
des wirtschaftlichen Lebens der Stadt. Mit der Entwicklung des Verkehrs in Deutschland
wurde Leipzig aber auch zur Industriestadt und ist nun mit seinen Vororten auf fast ^00,000
Einwohner und damit zur drittgrößten Stadt des Reiches angewachsen. Als Mittelpunkt
deutschen Geisteslebens und als Sitz des obersten deutschen Gerichtshofes (S. \0\) erscheint es
gleichsam als die zweite Hauptstadt des neuen Reiches.
_3>n Südosten der Leipziger Bucht erhebt sich, dachartig gegen Süden ansteigend und mit
jähein Abfall gebirgsartig gegen Böhmen endigend, das sächsische Erzgebirge. An der Stelle,
wo die Nordostrichtung des Erzgebirges in die Südostrichtung der Sudeten umwendet, hat
die Elbe sich durchgebrochen. Aber hier liegt zwischen den beiden alten Gebirgen eine jüngere
Scholle von ganz anderer Art eingesenkt, das Elbsa nd st ein gebirg e. von Pirna bringt
eine kurze Dampferfahrt elbaufwärts an den Fuß der steil zum Elbethal abbrechenden Bastei
(S. \02), einem der schönsten und besuchtesten Punkte der „Sächsischen Schweiz", von hier
aus erhält man einen trefflichen Einblick in den Aufbau des Gebirges und in all die eigentüm-
lichen Reize, die diese vielgerühmte Landschaft auszeichnen. Da fällt der Blick auf ein Heer
von Türmen und Pfeilern, auf Mauern und Bastionen, die insgesamt aus sogenanntem
(Zzuadersandstein aufgebaut sind. Derselbe besteht aus «Zzuarzsand, der durch ein thoniges
oder eisenhaltiges Bindemittel verkittet und wagrecht geschichtet ist und von seiner Neigung
zu senkrechter Zerklüftung den Namen erhalten hat. An zahlreichen Stellen läßt sich nun
deutlich erkennen, wie aus den mauerartig steilen Thalwänden allmählich diese merkwürdigen
Felsformen herausgearbeitet worden sind. Der (Zzuadersandstein ist sehr porös, bildet zahlreiche
senkrechte Klüfte und gewährt so den Niederschlägen überall Einlaß. Das Regenwasser er-
weitert die ursprünglichen Kanäle, spült die leichter zerstörbaren Bestandteile sort, während
die ersteren stehen bleiben, und erzeugt so jene mannigfaltigen Formen der senkrechten Erosion,
Türme (S. Jolq und Tafelberge, wie sie sich am großartigsten in den Südtiroler Dolomiten
(S. 75 u. 7^) wiederfinden, in kleinerem Maßstabe aber auch im Fränkischen Jura, in der Aders-
bacher Felsenstadt (S. Uckq, den Erdpyramiden (S.7^) und den abessinischenamben vorkommen.
Die Elbe hat ein malerisches Engthal in diese Sandsteinplatte genagt. Bei Pirna (\\2 m)
verläßt sie das Gebirge und erreicht bald darauf den Kessel von Dresden Q06 m, S. ^03).
3m vergleich mit Leipzig kann Dresden, wie Guthe sagt, beinahe eine „künstliche Stadt" ge-
nannt werden. Ihre Blüte verdankt sie viel weniger der Gunst ihrer geographischen Lage
(das enge Elbethal ist dem großen Verkehr ungünstig) als der Gunst der sächsischen Fürsten,
deren Pracht- und Künstliche die Stadt mit herrlichen Palästen, Kunstsammlungen und An-
lagen schmückte und ihr den Namen „Florenz an der Elbe" erwarb. Noch heute beruht der
Wohlstand der Stadt großenteils auf ihrer Eigenschaft als Sitz des königlichen Looses und der
Staatsregierung und auf der Anziehungskraft, die ihre freundliche Lage und ihre Kunstschätze
aus die Fremden ausüben.
4. Die Sudeten.
vom Elbedurchbruch bis zur mährischen psorte, durch die die Oder in das Tiefland ein-
tritt, erstreckt sich unter verschiedenen Namen eine schmale, mehrfach unterbrochene Kette von
Erhebungen, die unter dem Namen Sudeten zusammengefaßt werden. Sie stellen eine Folge
von alten Gebirgsresten vor, die, in südöstlicher Richtung hinziehend, durch breite Senkungs-
felder voneinander getrennt werden.
Im Riesengebirge (S. erreicht dieser natürliche Grenzwall zwischen Deutschland
und Böhmen seine höchste Erhebung, -ähnlich dem Fichtelgebirge besteht der Kern des Gebirges
aus Granit, an den sich im Norden und Süden eine Schieferhülle legt. Schon ein flüchtiger
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Das westelbifche Tiefland.
Die Lage von Hamburg (S. (05) ist denn auch höchst günstig; Fluß und Meer sind seine
Lebensadern. Das Meer weist die Hamburger nach den jenseits des Ozeans gelegenen Län-
dern, die Elbe und ihre Nebenflüsse verbinden die Stadt mit überaus Produktenreichen Ge-
bieten Deutschlands und Österreichs. Hamburgs Handel übertrifft denjenigen aller Rontinen-
talhäfen und steht in Europa nur London und Liverpool nach. Über 20,000 Schiffe laufen
jährlich ein und aus, und der wert der Ein- und Ausfuhr beträgt zwischen 3 und Milliarden.
Das Wunder Hamburgs ist sein Laasen. Die Phrase vom „unübersehbaren Mastenwald"
wird hier zur Wahrheit. Alle Fleets sind gefüllt mit Schiffen, in der breiten Elbe liegen doppelte
und dreifache Schiffsreihen nebeneinander, und kleine Dampfer winden sich unaufhörlich
zwischen xalastähnlichen Schiffskolossen und stolzen Dreimastern hindurch, um deu Verkehr
zwischen den einzelnen Teilen des Hafens zu vermitteln, wunderbar sind die Einrichtungen
zum Löschen und Laden der Güter, unbeschreiblich ist das bunte Getriebe der Arbeiter, der
Ankommenden und Abfahrenden. Stundenweit ziehen die Raianlagen mit ihren riesenhaften,
5—6stöckigen Lagerhäusern, Zollgebäuden, Dampfkranen und Eisenbahngeleisen hin. Beson-
ders von der neuen Elbbrücke aus (S. (06), deren portal eine Hauptsehenswürdigkeit des
Hafens ist, hat man einen vortrefflichen Ausblick auf das ganze Hafengebiet. Große Schiff-
fahrtsgesellschaften haben in Hamburg ihren Sitz. Die bedeutendste davon ist die „Hamburg-
Amerikanische paketfahrt-Aktiengesellschaft", die allein über 50 große Gzeanschiffe verfügt,
unter denen der Schnelldampfer „Fürst Bismarck" (S. (05) eines der größten und schnellsten
ist. Dieses Schiff mißt (60 m in der Länge, und seine Maschinen besitzen eine Stärke von
(6,000 pferdekräften. Seine Räume zeigen eine fürstliche pracht und fassen (000 Personen.
An 5 Millionen Mark kostete die Herstellung dieses schwimmenden Palastes. Neben dem Hafen
bringen die Glanzbauten der Stadt, die Nikolaikirche, das neue Rathaus (S. (06), die Börse,
die Runsthalle, die Lombardbrücke zwischen der Außen- und Binnenalster, die paläste, die die
letztere, und die Landhäuser und Parkanlagen, die die erstere umgeben, den Reichtum dieses
ruhmvollen Gemeinwesens deutlich zum Bewußtsein. Die eigentliche Stadt mit ihren (5 un-
mittelbar angebauten Vororten zählt 626,000 Einwohner. Nimmt man aber Altona mit
(50,000, Wandsbeck, Schiffbeck und Harburg dazu, so erhält der ganze, einheitlich zu beur-
teilende wohnplatz der Elbe-Hafenstadt annähernd ( Million Einwohner.
Neben Hamburg glänzt als zweiter deutscher Seehandelsplatz an der Nordsee Bremen
an der Trichtermündung der Weser mit (^2,000 Einwohnern. Das Hinterland Bremens
bildet das Produktenreiche Weser-, Main - und Donaugebiet, seine Schiffahrtsverbindungen
sind am regsten mit Amerika und stellen in dieser Hinsicht selbst Hamburg in Schatten, erstrecken
sich aber auch auf Afrika, Gstasien und Australien. Bremen ist der Sitz der größten deutschen
Schiffahrtgesellschaft, des Norddeutschen Lloyd, dessen mit allem Luxus der Neuzeit aus-
gestattete Dampfer von keiner außerdeutschen Schiffahrtsgesellschaft übertroffen werden.
Bremens Umsatz dürfte etwa ein Drittel von den: Haneburgs betragen.
was Hamburg für Deutschland, ist Amsterdam (S. (07) für Holland und Antwerpen
(S. (07) für Belgien geworden; beide sind die Haupthandelsplätze der betreffenden Länder.
Das schöne und turmreiche Amsterdam, die Residenzstadt der Niederlande, mit ^50,000 Ein-
wohnern, liegt in einer westlichen Bucht der Zuidersee, dem X}, und ist größtenteils auf Pfählen
erbaut. Der Lastverkehr innerhalb der Stadt geschieht zumeist auf den sogenannten Grachten,
d. h. auf den eingedämmten Mündungsarmen der Amstel und auf Kanälen, die Amsterdam
zum „nordischen Venedig" stempeln. Die größte dieser Wasserstraßen, die Binnenamstel (s. Ab-
bildung), durchzieht die Stadt von Süden nach Norden und führt an Ulmen- und Linden-
anlagen, mittelalterlichen Raufhäusern und schönen Privatgebäuden vorüber zum königlichen
palais im Herzen der Stadt.
Antwerpen, die zweitgrößte Stadt Belgiens mit 257,000 Einwohnern, ist ein Flußhafen-
platz wie alle größeren Seestädte an der deutschen Rüste. Durch Napoleon I., der zur Ver-
nichtung des englischen Handels aus Antwerpen ein kontinentales London schaffen wollte,
erhielt es großartige Dockbauten, die später noch wesentlich vervollkommt wurden. Außer
für den eigentlichen belgischen Handel spielt Antwerpen besonders für den deutschen Transit-
Handel eine sehr große Rolle. Die mittelalterliche Blüte der Stadt bezeugen das Rathaus
(s. Abbildung, S. (07), das Osterlingshaus (das Lagerhaus der Hansa) u. a.
1897 -
Leipzig [u.a.]
: Bibliogr. Inst.
- Autor: Geistbeck, Alois
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Atlas
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
Marsch. Geest. Lüneburger Heide. Das ostelbische Tiesland. 3j,
Tiefe ihrer Häsen, die hier durch keine Gezeiten erhöht wird, erklärt, warum seither die
deutschen Rüstenplätze an der Ostsee sich in geringem Maße am eigentlichen transozeanischen
Handel und Verkehr beteiligten und die wichtigsten unter ihnen ihre Bedeutung vorwiegend
dem Verkehr mit den Gestadeländern der Ostsee verdanken, war dieses Binnenmeer auch
den großen Weltverkehrswegen entrückt, so begünstigte seine Beschaffenheit um so mehr die
Entfaltung des deutschen Handels in seiner Jugendzeit. Der Mangel einer Flut und ihrer
Gefahren, zahlreiche große und kleine Buchten, Gestadeinseln und die Mündungen schiffbarer
Flüsse unterstützten und förderten die Seeschiffahrt in ihren ersten Anfängen, und so wurde die
Ostsee der merkantile Mittelpunkt für Nordeuropa im Mittelalter. Die Ostsee war der Aus-
gangspunkt, die Wiege der Hansa, Lübeck das Haupt derselben.
Mit dein Aufblühen Preußens und dem glanzvollen Aufschwungs des neuen Deutschen
Reiches erhob sich in der Ostsee neuerdings das stolze Banner einer jungen deutschen Flotte,
und der jüngst eröffnete Kaiser Wilhelm-Kanal, der die Ostsee den Welthandelsplätzen des
Atlantischen Ozeans näher rückt und eine Vereinigung der Interessen der Nord - und Ostsee
ausdrückt, wird auch den stilleren Gestaden der Ostsee neue Lebenskräfte zuführen und ein
Zeitalter neuer Handelsblüte für diese deutschen Rüstenstädte einleiten.
Die Rüste des Baltischen Meeres hat vielfach andere Beschaffenheit als die der Nordsee.
Zahlreiche und fruchtbare Eilande umsäumen die Ostküste Iütlands und bilden ein natür-
liches Bindeglied zwischen Deutschland und Skandinavien. Seeland ist die größte dieser Inseln,
und auf ihr erblühte die Hauptstadt Dänemarks, Kopenhagen (376,000 Einwohner, 5. ^09),
in außerordentlich günstiger Lage zwischen zwei Meeren und zwei Ländern.
vom Rleinen Belt zieht die deutsche Rüste bis Lübeck südwärts. Aus dieser Strecke ist sie
eines der lieblichsten und schönsten Meeresgestade der Erde. Fast überall erheben sich hier
schönbewaldete Hügel, in welche sich tiefe Buchten hereinziehen, in deren Hintergrund, den
größten Schiffen erreichbar, sich die Hafenstädte ausbreiten. So ist die Lage der schleswigischen
Orte Hadersleben, Apenrade, Flensburg, Schleswig, der holsteinischen Städte Eckernförde und
Riel. Diese Stadt hat den schönsten Hafen der ganzen deutschen Ostseeküste und einen der
besten Häsen der Welt. Die \0 km lange und bis \3 km breite Rieler Föhrde vermag die
gesamte deutsche Rriegsflotte aufzunehmen und ist daher zur Hauptstation der deutschen Ma-
rine in der Ostsee umgeschaffen und stark befestigt worden.
Die flache Dünenküste weiter gegen Osten verfolgend, erreichen wir das Eiland Rügen,
das „Juwel der Ostsee" (S. ^0). Sie ist ein Glied jenes landschaftlich so reizvollen Archipels,
der als eine natürliche Brücke zwischen der Halbinsel Iütland und Südschweden hinzieht. Die
Insel ist der Überrest einer flachwelligen Ebene, die Schweden und Dänemark einst verband,
durch eine Senkung des Bodens aber zerstückt wurde. Wo das Meer hart an die steil abfallen-
den Rreidefelsen der Insel herantritt, wie an der Nordspitze Rügens, auf Arkona, oder auf
der Gstseite bei Stubbenkammer (s. Abbildung), da entstehen Naturbilder, deren Schönheit
mit der der italienischen Gestade wetteifert. Wellen und Wetter meißeln ununterbrochen an
diesen über hundert Meter hohen Vorgebirgen. In der Abgeschiedenheit der Inselwelt haben
sich Erinnerungen an die heidnische Götterwelt besser erhalten als auf dem benachbartem
Festlande, und der Volksmund weiß von alten Opfersteinen, Hünengräbern und erratischen
Blöcken mit sogenannten Blutrinnen gar vieles zu erzählen. Auch im Inneren bietet Rügen
eine freundliche Landschaft: liebliche Wiesengründe, fruchtbare Felder, prächtige Buchen- und
Eichenhaine, altertümliche Siedelungen. Was aber all diese Vorzüge wie mit einem verklä-
renden <z>auber umgibt, das ist der freie Blick auf das offene Meer mit seiner erhabenen
Ruhe, seinem wechselvollen Wellenspiele, seinem erschütternden Wüten, und dieser Umstand
macht Rügen wie Helgoland zu einer der landschaftlich schönsten Stätten unseres Vaterlandes.
von der Odermündung an beginnt die deutsche Haffküste (S. ^0), wo flache Strand-
säume und dünenbesetzte Nehrungen mit steilen Klippen wechseln. Wie an der Nordsee, so
sind auch hier die wichtigsten Rüstenstädte an die Mündung der großen Flüsse gebunden; sie
sind die natürlichen Ein - und Ausgangspsorten der betreffenden Flußgebiete und waren schon
in den Zeiten der Hansa die Träger des Verkehrs in der Ostsee. Der Blüte Stettins (^0,000
Einwohner), das sich in der jüngsten Zeit zum ersten deutschen Ostseehasen emporgeschwungen
hat, kommt ganz besonders die Nachbarschaft der gewaltig aufstrebenden, bedürfnis- und
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Leipzig [u.a.]
: Bibliogr. Inst.
- Autor: Geistbeck, Alois
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Atlas
- Schultypen (WdK): Alle Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Alle Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
32 V. Das norddeutsche Flachland, Niederlande und Dänemark.
erzeugnisreichen Reichshauptstadt zu gute, und schon plant man die Verbindung beider
Städte durch einen großen Kanal, der Berlin direkt mit dem Meere verbinden soll. Dan zig
(\26,000 Einwohner), einst nach Lübeck der wichtigste Handelsplatz an der Ostsee, von dessen
Blüte eine Menge origineller Bauten aus dem Mittelalter zeugen, z. B. sein Rathaus (S. m),
ist jetzt wirtschaftlich von Stettin und Königsberg überflügelt worden. Königsberg endlich
mit 1(72,000 Einwohnern, die srühere Residenz der Hochmeister des Deutschherren-Grdens und
der ersten herzöge von Greußen, Krönungsstadt der preußischen Könige, Festung ersten Ranges
und Hauptbollwerk gegeu Rußland, bildet den geistigen und wirtschaftlichen Mittelpunkt Ost-
Preußens und beherrscht den Handel mit Rußland.
Längs der Ostseeküste zieht bis in die Halbinsel Iütland hinein ein breiter Landrücken,
dessen größte Erhebung, der Turmberg bei Danzig, 33^ m erreicht. Diese flache Aufwölbung,
deren Kern aus festem Gestein, vorzüglich aus Kreide, besteht, hat ein mannigfach gegliedertes
Bodenrelief, das sich aus unregelmäßig verteilten Mügeln, Moränenwällen (5. J \2), Thalstücken,
Seen und Mooren zusammensetzt und durch seinen anmutigen Wechsel von Wasser und Wald,
Heide und Feld nicht ohne landschaftlichen Reiz ist. vielfach bedeckt den Boden eine mächtige
Decke von Lehm, auf der neben reichen Saaten die herrlichsten Buchenwälder der Welt vor-
kommen. Der landwirtschaftliche Betrieb zumeist im Großgrundbesitz herrscht vor, Großstädte
fehlen deshalb.
Zwischen der baltischen Seenplatte und dem südlichen Landrücken ist die ostelbische
Tieslandsmulde eingesenkt, die von der Weichsel bis zur Elbe reicht. Sie enthält teils
fruchtbaren Boden, teils Bruchland, das erst mühsam der Kultur gewonnen wurde, teils end-
lich Flugsand mit Kiefernwäldern. Wo Havel und Spree sich vereinigen, um ein einziges,
dafür aber das geräumigste Tieflandsbecken Norddeutschlands, die märkische Ebene, zu
bilden, liegt im Mittelpunkte eines weitverzweigten Straßennetzes Berlin.
Wie bei j?aris und Hamburg, so bildete auch hier eine Insel, die den Übergang über einen
weitverzweigten Fluß ermöglichte, den unscheinbaren Ansatz zur künftigen Weltstadt. Auf dieser
Insel lag das wendische Fischerdorf Kölln, und am rechten Flußufer ein zweites Dorf, Berlin.
Durch Zuzug deutscher Kolonisten entwickelten sich zwei voneinander unabhängige Städte, die
am Anfange des Jahrhunderts sich vereinigten, der Hansa beitraten und durch Handelsver-
bindungen nach dem Osten blühten. Als zweiter Gründer Berlins muß aber der Großekurfürst
bezeichnet werden, der alles that, um die Stadt zu heben, und ihr namentlich durch die Aufnahme
der flüchtigen Hugenotten wohlhabende und geschäftstüchtige Einwohner zuführte. Mit der
Bedeutung des Staates wuchs naturgemäß auch die Hauptstadt, namentlich als mit der Aus-
dehnung des Verkehrs die Vorzüge der geographischen Lage Berlins in der Mitte des nord-
deutschen Tieflandes immer mehr zur Geltung kamen. Mit der Entfaltung des Großhandels
ging eine staunenswerte Entwicklung der Industrie Hand in Hand, so daß das Anwachsen
Berlins nur mit dem rapiden Aufschwung amerikanischer Städte verglichen werden kann,
namentlich seit Berlin Reichshauptstadt geworden ist. Bei der letzten Volkszählung hatte
Berlin 700,000 Einwohner. Nimmt man aber die umliegenden Vororte dazu, Tharlotten-
bürg mit J 52,000, Spandau mit 56,000, Potsdam mit 58,000 Einwohnern, und die zahlreichen
anderen kleinen Orte, die die Stadt umgeben und alle aufs engste mit Berlin zusammen-
hängen, so kommen thatsächlich über zwei Millionen heraus. An äußerem Glänze und prunk-
vollen Palästen steht Berlin hinter ^)aris und Wien zurück. Doch verkünden zahlreiche und
großartige Baute?: die hohe politische und geistige Bedeutung der Stadt, namentlich das
Schloß, das neue Reichstagsgebäude, die Siegessäule (S. ^5), die Museen, die Universität,
das Denkmal Friedrichs des Großen, das Brandenburger Thor u. a., während es auch nicht an
solchen fehlt, in denen sich die imposant entwickelte Industrie- und Handelstätigkeit und der
Reichtum des Berliner Bürgertums ausspricht, wie im Rathaus, der Börse, dem Kunstgewerbe-
museum (S. den Bahnhöfen und der Reichsbank (S. J\%). Als Reichshauptstadt ist Berlin
der politische Vorort des Deutschen Reiches, ein Brennpunkt wirtschaftlicher und geistiger
Kultur, die größte Industriestadt Deutschlands, ja fast der Welt und eine der großen welt-
historischen Metropolen, in denen die Völkergeschicke entschieden werden.
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Nordfrankreich. Mittel- und Südfrankreich. 37
zusammenlaufen, wo die Seine für größere Schiffe fahrbar wird, mußte eine Großstadt
emporkommen, hier ist Paris, nur 30 m über dem Meere gelegen. Dank einem seit Iahr-
Hunderten durchgeführten, zentralisierenden Regierungssystem ist Paris auch der Mittelpunkt
des ganzen Landes für Handel und Verkehr, Kunst, Wissenschaft und Politik geworden, so daß
das Wort „Paris ist Frankreich" seine volle Berechtigung hat. Die Geschichte von Paris ist
die Frankreichs, wahrhaft großartig ist der Anblick der Stadt, wenn man sie von Westen
her betritt, wo all die historischen Denkmäler sich befinden, die von der politischen Bedeutung
der Stadt zeugen. Durch das Boulogner Gehölze erreicht man zunächst den Triumphbogen,
den Napoleon I. zur Verherrlichung der Republik und des ersten Raiserreiches errichten ließ.
Acht Straßen strahlen von ihm nach allen Richtungen aus. Durch das mächtige Thor führt
die Hauptstraße zu den Llysäischen Feldern (Champs-Elysees), einem Vergnügungspark gleich
dem Wiener prater mit Schaubuden, Tafes u. dgl. Daran stößt der Lintrachtsplatz (Place de
la Concorde), wo in der Zeit der Schreckensherrschaft die Guillotine stand, unter der über
3000 Franzosen verbluteten. Nun eröffnet sich der Ausblick auf den Tuileriengarten und
die Tuilerien selbst, einst die kaiserliche Residenz, die im Frühjahr J87]( durch die Kommunisten
größtenteils niedergebrannt wurde. Ostwärts davon liegt das Louvre(S. \27>), das altekönigs-
schloß, jetzt das größte Museum für Kunst und Völkerkunde in Frankreich. Im Süden werden
diese Anlagen und Bauwerke von der Seine bespült, über die nicht weniger als 28 Brücken
führen (S. \25). Auf der nahen Seineinsel ragt weithin sichtbar die Kirche Notre-Dame auf,
das alte Wahrzeichen der Stadt.
Bietet Paris auch nicht so schroffe Gegensätze seiner Stadtteile, wie sie London im Ost-
und Westend aufzeigt, so unterscheiden sich die (Quartiere im Norden und Süden der Seine
doch wesentlich voneinander. L^ier befinden sich vornehmlich die großen Anstalten für Kunst
und Wissenschaft, das Opernhaus, die Universität (im Quartier latin), der botanische und
zoologische Garten, außerdem noch das Pantheon, der Invalidendom mit der Asche Na-
poleons I., das Stadthaus und die Börse. Dort in den prächtigen Boulevards flutet ein drän-
gendes Verkehrsleben und entzücken den Beschauer die glanzvollen Auslagen der großen
Kaufhäuser. Am äußersten Norden aber, hart am L)ochrande der Seine und diesen hinan
ziehen die Arbeiterviertel Montmartre, La villette und Belleville mit engen, unsauberen
Gassen und verwahrlosten Däusern.
Paris ist der Sitz einer großartigen Industrie, namentlich in Modeartikeln, und deshalb
in starker Zunahme begriffen, obwohl die Einwohnerzahl Frankreichs kaum wächst. Die Stadt
zählt heute mit den größeren Nachbarorten 2,7 Millionen Seelen.
Im Norden und Nordosten wird das Seinebecken von der breiten Kreidetafel umsäumt,
die von der Champagne herüberzieht und mit einem ungegliederten Steilrande hundert Meter
hoch zum Meere abfällt. Diese fast unzugängliche Küste, Falaisenküste genannt (S. \2§, deren
Fuß ein schmaler Saum von Feuersteingeröllen begleitet, ist das getreue Seitenstück von Stub-
benkammer auf Rügen (S. ^0). Auch hier konnten wie an der deutschen Küste die wichtigsten
Handelshäfen nur an den Trichtermündungen der Flüsse entstehen, in denen die Flut stundenweit
landeinwärts dringt.
von Paris führt in fast südlicher Richtung eine der schönsten Straßen Frankreichs über
die fruchtbare, tischflache Hochebene der Beauce Q20—S^5 m) nach Orleans, dem Lwupt-
orte im Becken der Loire. Diese militärisch so wichtige Bodenschwelle wird ewig denkwürdig
bleiben in der Kriegsgeschichte Deutschlands und Frankreichs durch die Dezemberkämpfe in:
Jahre ^870. Lsier stellten sich die eilig zusammengerafften republikanischen L^eere den siegreich
vordringenden Deutschen entgegen. Um Artenay, Loigny und Poupry tobte der Kampf am
heftigsten, und jeder Zoll <£rde ist hier mit deutschem Blute getränkt und geweiht durch un-
vergleichliche -k^eldenthaten der deutschen Armee.
2. Mittel- und Äüdfrankreich.
vom Becken der Loire, dem Garten Frankreichs, führt eine flache, kaum ^80 m hohe
Bodenschwelle, das Hügelland von poitou, in das Garonnebecken, dessen fruchtbare Thal-
Niederungen, dank dem südlichen Klima, reiche Erträge an Weizen, Mais, Tabak, namentlich